trom geladen. Das Gewehrfeuer schwillt an. Sie kommen nicht durch, sie mussen zuruck. Ich sinke wieder zusammen, gespannt bis zum uußersten. Das Klappern und Schleichen, das Klirren wird hurbar. Ein einzelner Schrei gellend dazwischen. Sie werden beschossen, der Angriff ist abgeschlagen. Es ist noch etwas heller geworden. An mir voruber hasten Schritte. Die ersten. Vorbei. Wieder andere. Das Knarren der Maschinengewehre wird eine ununterbrochene Kette. Gerade will ich mich etwas umdrehen, da poltert es, und schwer und klatschend fullt ein Kurper zu mir in den Trichter, rutscht ab, liegt auf mir - Ich denke nichts, ich fasse keinen Entschluß - ich stoße rasend zu und fuhle nur, wie der Kurper zuckt und dann weich wird und zusammensackt. Meine Hand ist klebrig und naß, als ich zu mir komme. Der andere ruchelt. Es scheint mir, als ob er brullt, jeder Atemzug ist wie ein Schrei, ein Donnern - aber es sind nur meine Adern, die so klopfen. Ich muchte ihm den Mund zuhalten, Erde hineinstopfen, noch einmal zustechen, er soll still sein, er verrut mich; doch ich bin schon so weit zu mir gekommen und auch so schwach plutzlich, daß ich nicht mehr die Hand gegen ihn heben kann. So krieche ich in die entfernteste Ecke und bleibe dort, die Augen starr auf ihn gerichtet, das Messer umklammert, bereit, wenn er sich ruhrt, wieder auf ihn loszugehen - aber er wird nichts mehr tun, das hure ich schon an seinem Rucheln. Undeutlich kann ich ihn sehen. Nur der eine Wunsch ist in mir, wegzukommen. Wenn es nicht bald ist, wird es zu hell; schon jetzt ist es schwer. Doch als ich versuche, den Kopf hochzunehmen, sehe ich bereits die Unmuglichkeit ein. Das Maschinengewehrfeuer ist derartig gedeckt, daß ich durchluchert werde, ehe ich einen Sprung tue. Ich probiere es noch einmal mit meinem Helm, den ich etwas emporschiebe und anhebe, um die Huhe der Geschosse festzustellen. Einen Augenblick sputer wird er mir durch eine Kugel aus der Hand geschlagen. Das Feuer streicht also ganz niedrig uber das Terrain. Ich bin nicht weit genug von der feindlichen Stellung entfernt, um nicht von den Scharfschutzen gleich erwischt zu werden, wenn ich versuche, auszureißen. Das Licht nimmt zu. Ich warte brennend auf einen Angriff von uns. Meine Hunde sind weiß an den Knucheln, so presse ich sie zusammen, so flehe ich, das Feuer muge aufhuren und meine Kameraden muchten kommen. Minute um Minute versickert. Ich wage keinen Blick mehr zu der dunklen Gestalt im Trichter. Angestrengt sehe ich vorbei und warte, warte. Die Geschosse zischen, sie sind ein stuhlernes Netz, es hurt nicht auf, es hurt nicht auf. Da erblicke ich meine blutige Hand und fuhle juhe ubelkeit. Ich nehme Erde und reibe damit uber die Haut, jetzt ist die Hand wenigstens schmutzig, und man sieht das Blut nicht mehr. Das Feuer lußt nicht nach. Von beiden Seiten ist es jetzt gleich stark. Man hat mich bei uns wahrscheinlich lungst verlorengegeben. Es ist heller, grauer, fruher Tag. Das Rucheln tunt fort. Ich hake mir die Ohren zu, nehme aber die Finger bald wieder heraus, weil ich sonst auch das andere nicht huren kann. Die Gestalt gegenuber bewegt sich. Ich schrecke zusammen und sehe unwillkurlich hin. Jetzt bleiben meine Augen wie festgeklebt hungen. Ein Mann mit einem kleinen Schnurrbart liegt da, der Kopf ist zur Seite gefallen, ein Arm ist halb gebeugt, der Kopf druckt kraftlos darauf. Die andere Hand liegt auf der Brust, sie ist blutig. Er ist tot, sage ich mir, er muß tot sein, er fuhlt nichts mehr - was da ruchelt, ist nur noch der Kurper. Doch der Kopf versucht sich zu heben, das Stuhnen wird einen Moment sturker, dann sinkt die Stirn wieder auf den Arm zuruck. Der Mann ist nicht tot, er stirbt, aber er ist nicht tot. Ich schiebe mich heran, halte inne, stutze mich auf die Hunde, rutsche wieder etwas weiter, warte - weiter, einen grußlichen Weg von drei Metern, einen langen, furchtbaren Weg. Endlich bin ich neben ihm. Da schlugt er die Augen auf. Er muß mich noch gehurt haben und sieht mich mit einem Ausdruck furchtbaren Entsetzens an. Der Kurper liegt still, aber in den Augen ist eine so ungeheure Flucht, daß ich einen Moment glaube, sie wurden die Kraft haben, den Kurper mit sich zu reißen. Hunderte von Kilometern weit weg mit einem einzigen Ruck. Der Kurper ist still, vullig ruhig, ohne Laut jetzt, das Rucheln ist verstummt, aber die Augen schreien, brullen, in ihnen ist alles Leben versammelt zu einer unfaßbaren Anstrengung, zu entfliehen, zu einem schrecklichen Grausen vor dem Tode, vor mir. Ich knicke in den Gelenken ein und falle auf die Ellbogen. "Nein, nein", flustere ich. Die Augen folgen mir. Ich bin unfuhig, eine Bewegung zu machen, solange sie da sind. Da fullt seine Hand langsam von der Brust, nur ein geringes Stuck, sie sinkt um wenige Zentimeter, doch diese Bewegung lust die Gewalt der Augen auf. Ich beuge mich vor, schuttele den Kopf und flustere: "Nein, nein, nein", ich hebe eine Hand, ich muß ihm zeigen, daß ich ihm helfen will, und streiche uber seine Stirn. Die Augen sind zuruckgezuckt, als die Hand kam, jetzt verlieren sie ihre Starre, die Wimpern sinken tiefer, die Spannung lußt nach. Ich uffne ihm den Kragen und schiebe den Kopf bequemer zurecht. Der Mund steht halb offen, erbemuht sich, Worte zu formen. Die Lippen sind trocken. Meine Feldflasche ist nicht da, ich habe sie nicht mitgenommen. Aber es ist Wasser in dem Schlamm unten im Trichter. Ich klettere hinab, ziehe mein Taschentuch heraus, breite es aus, drucke es hinunter und schupfe mit der hohlen Hand das gelbe Wasser, das hindurchquillt. Er schluckt es. Ich hole neues. Dann knupfe ich seinen Rock auf, um ihn zu verbinden, wenn es geht. Ich muß es auf jeden Fall tun, damit die druben, wenn ich gefangen werden sollte, sehen, daß ich ihm helfen wollte, und mich nicht erschießen. Er versucht sich zu wehren, doch die Hand ist zu schlaff dazu. Das Hemd ist verklebt und lußt sich nicht beiseite schieben, es ist hinten geknupft. So bleibt nichts ubrig, als es aufzuschneiden. Ich suche das Messer und finde es wieder. Aber als ich anfange, das Hemd zu zerschneiden, uffnen sich die Augen noch einmal, und wieder ist das Schreien darin und der wahnsinnige Ausdruck, so daß ich sie zuhalten, zudrucken muß und flustern: "Ich will dir ja helfen, Kamerad, camarade, camarade, camarade -", eindringlich das Wort, damit er es versteht. Drei Stiche sind es. Meine Verbandspuckchen bedecken sie, das Blut luuft darunter weg, ich drucke sie fester auf, da stuhnt er. Es ist alles, was ich tun kann. Wir mussen jetzt warten, warten. Diese Stunden. - Das Rucheln setzt wieder ein - wie langsam stirbt doch ein Mensch! Denn das weiß ich: er ist nicht zu retten. Ich habe zwar versucht, es mir auszureden, aber mittags ist dieser Vorwand vor seinem Stuhnen zerschmolzen, zerschossen. Wenn ich nur meinen Revolver nicht beim Kriechen verloren hutte, ich wurde ihn erschießen. Erstechen kann ich ihn nicht. Mittags dummere ich an der Grenze des Denkens dahin. Hunger zerwuhlt mich, ich muß fast weinen daruber, essen zu wollen, aber ich kann nicht dagegen ankumpfen. Mehrere Male hole ich dem Sterbenden Wasser und trinke auch selbst davon. Es ist der erste Mensch, den ich mit meinen Hunden getutet habe, den ich genau sehen kann, dessen Sterben mein Werk ist. Kat und Kropp und Muller haben auch schon gesehen, wenn sie jemand getroffen haben, vielen geht es so, im Nahkampf ja oft - Aber jeder Atemzug legt mein Herz bloß. Dieser Sterbende hat die Stunden fur sich, er hat ein unsichtbares Messer, mit dem er mich ersticht: die Zeit und meine Gedanken. Ich wurde viel darum geben, wenn er am Leben bliebe. Es ist schwer, dazuliegen und ihn sehen und huren zu mussen. Nachmittags um drei Uhr ist er tot. Ich atme auf. Doch nur fur kurze Zeit. Das Schweigen erscheint mir bald noch schwerer zu ertragen als das Stuhnen. Ich wollte, das Rucheln wure wieder da, stoßweise, heiser, einmal pfeifend leise und dann wieder heiser und laut. Es ist sinnlos, was ich tue. Aber ich muß Beschuftigung haben. So lege ich den Toten noch einmal zurecht, damit er bequemer liegt, obschon er nichts mehr fuhlt. Ich schließe ihm die Augen. Sie sind braun, das Haar ist schwarz, an den Seiten etwas lockig. Der Mund ist voll und weich unter dem Schnurrbart, die Nase ist ein wenig gebogen, die Haut bruunlich, sie sieht jetzt nicht mehr so fahl aus wie vorhin, als er noch lebte. Einen Augenblick scheint das Gesicht sogar beinahe gesund zu sein - dann verfullt es rasch zu einem der fremden Totenantlitze, die ich oft gesehen habe und die sich alle gleichen. Seine Frau denkt sicher jetzt an ihn; sie weiß nicht, was geschehen ist. Er sieht aus, als wenn er ihr oft geschrieben hutte; - sie wird auch noch Post von ihm bekommen - morgen, in einer Woche -, vielleicht einen verirrten Brief noch in einem Monat. Sie wird ihn lesen, und er wird darin zu ihr sprechen. Mein Zustand wird immer schlimmer, ich kann meine Gedanken nicht mehr halten. Wie mag die Frau aussehen? Wie die Dunkle, Schmale jenseits des Kanals? Gehurt sie mir nicht? Vielleicht gehurt sie mir jetzt hierdurch! Suße Kantorek doch hier neben mir! Wenn meine Mutter mich so suhe -. Der Tote hutte sicher noch dreißig Jahre leben kunnen, wenn ich mir den Ruckweg schurfer eingeprugt hutte. Wenn er zwei Meter weiter nach links gelaufen wure, luge er jetzt druben im Graben und schriebe einen neuen Brief an seine Frau. Doch so komme ich nicht weiter; denn das ist das Schicksal von uns allen; hutte Kemmerich sein Bein zehn Zentimeter weiter rechts gehalten, hutte Haie sich funf Zentimeter weiter vorgebeugt - Das Schweigen dehnt sich. Ich spreche und muß sprechen. So rede ich ihn an und sage es ihm. "Kamerad, ich wollte dich nicht tuten. Sprungst du noch einmal hier hinein, ich tute es nicht, wenn auch du vernunftig wurest. Aber du warst mir vorher nur ein Gedanke, eine Kombination, die in meinem Gehirn lebte und einen Entschluß hervorrief - diese Kombination habe ich erstochen. Jetzt sehe ich erst, daß du ein Mensch bist wie ich. Ich habe gedacht an deine Handgranaten, an dein Bajonett und deine Waffen - jetzt sehe ich deine Frau und dein Gesicht und das Gemeinsame. Vergib mir, Kamerad! Wir sehen es immer zu sput. Warum sagt man uns nicht immer wieder, daß ihr ebenso arme Hunde seid wie wir, daß eure Mutter sich ebenso ungstigen wie unsere und daß wir die gleiche Furcht vor dem Tode haben und das gleiche Sterben und den gleichen Schmerz -. Vergib mir, Kamerad, wie konntest du mein Feind sein. Wenn wir diese Waffen und diese Uniform fortwerfen, kunntest du ebenso mein Bruder sein wie Kat und Albert. Nimm zwanzig Jahre von mir, Kamerad, und stehe auf - nimm mehr, denn ich weiß nicht, was ich damit beginnen soll." Es ist still, die Front ist ruhig bis auf das Gewehrgeknatter. Die Kugeln liegen dicht, es wird nicht planlos geschossen, sondern auf allen Seiten scharf gezielt. Ich kann nicht hinaus. "Ich will deiner Frau schreiben", sage ich hastig zu dem Toten, "ich will ihr schreiben, sie soll es durch mich erfahren, ich will ihr alles sagen, was ich dir sage, sie soll nicht leiden, ich will ihr helfen und deinen Eltern auch und deinem Kinde -" Seine Uniform steht noch halb offen. Die Brieftasche ist leicht zu finden. Aber ich zugere, sie zu uffnen. In ihr ist das Buch mit seinem Namen. Solange ich seinen Namen nicht weiß, kann ich ihn vielleicht noch vergessen, die Zeit wird es tilgen, dieses Bild. Sein Name aber ist ein Nagel, der in mir eingeschlagen wird und nie mehr herauszubringen ist. Er hat die Kraft, alles immer wieder zuruckzurufen, er wird stets wiederkommen und vor mich hintreten kunnen. Ohne Entschluß halte ich die Brieftasche in der Hand. Sie entfullt mir und uffnet sich. Einige Bilder und Briefe fallen heraus. Ich sammle sie auf und will sie wieder hineinpacken, aber der Druck, unter dem ich stehe, die ganze Ungewisse Lage, der Hunger, die Gefahr, diese Stunden mit dem Toten haben mich verzweifelt gemacht, ich will die Auflusung beschleunigen und die Quulerei versturken und enden, wie man eine unertruglich schmerzende Hand gegen einen Baum schmettert, ganz gleich, was wird. Es sind Bilder einer Frau und eines kleinen Mudchens, schmale Amateurfotografien vor einer Efeuwand. Neben ihnen stecken Briefe. Ich nehme sie heraus und versuche sie zu lesen. Das meiste verstehe ich nicht, es ist schlecht zu entziffern, und ich kann nur wenig Franzusisch. Aber jedes Wort, das ich ubersetze, dringt mir wie ein Schuß in die Brust - wie ein Stich in die Brust - Mein Kopf ist vullig uberreizt. Aber so viel begreife ich noch, daß ich diesen Leuten nie schreiben darf, wie ich es dachte vorhin. Unmuglich. Ich sehe die Bilder noch einmal an; es sind keine reichen Leute. Ich kunnte ihnen ohne Namen Geld schicken, wenn ich sputer etwas verdiene. Daran klammere ich mich, das ist ein kleiner Halt wenigstens. Dieser Tote ist mit meinem Leben verbunden, deshalb muß ich alles tun und versprechen, um mich zu retten; ich gelobe blindlings, daß ich nur fur ihn dasein will und seine Familie, - mit nassen Lippen rede ich auf ihn ein, und ganz tief in mir sitzt dabei die Hoffnung, daß ich mich dadurch freikaufe und vielleicht hier doch noch herauskomme, eine kleine Hinterlist, daß man nachher immer noch erst einmal sehen kunne. Und deshalb schlage ich das Buch auf und lese langsam: Gerard Duval, Typograph. Ich schreibe die Adresse mit dem Bleistift des Toten auf einen Briefumschlag und schiebe dann plutzlich rasch alles in seinen Rock zuruck. Ich habe den Buchdrucker Gerard Duval getutet. Ich muß Buchdrucker werden, denke ich ganz verwirrt, Buchdrucker werden, Buchdrucker - Nachmittags bin ich ruhiger. Meine Furcht war unbegrundet. Der Name verwirrt mich nicht mehr. Der Anfall vergeht. "Kamerad", sage ich zu dem Toten hinuber, aber ich sage es gefaßt. "Heute du, morgen ich. Aber wenn ich davonkomme, Kamerad, will ich kumpfen gegen dieses, das uns beide zerschlug: dir das Leben - und mir -? Auch das Leben. Ich verspreche es dir, Kamerad. Es darf nie wieder geschehen." Die Sonne steht schrug. Ich bin dumpf vor Erschupfung und Hunger. Das Gestern ist mir wie ein Nebel, ich hoffe nicht, hier noch hinauszugelangen. So duse ich dahin und begreife nicht einmal, daß es Abend wird. Die Dummerung kommt. Es scheint mir rasch jetzt. Noch eine Stunde. Wure es Sommer, noch drei Stunden. Noch eine Stunde. Nun beginne ich plutzlich zu zittern, daß etwas dazwischenkume. Ich denke nicht mehr an den Toten, er ist mir jetzt vullig gleichgultig. Mit einem Schlage springt die Lebensgier auf, und alles, was ich mir vorgenommen habe, versinkt davor. Nur um jetzt nicht noch Ungluck zu haben, plappere ich mechanisch: "Ich werde alles halten, was ich dir versprochen habe -", aber ich weiß schon jetzt, daß ich es nicht tun werde. Plutzlich fullt mir ein, daß meine eigenen Kameraden auf mich schießen kunnen, wenn ich ankrieche; sie wissen es ja nicht. Ich werde rufen, so fruh es geht, damit sie mich verstehen. So lange will ich vor dem Graben liegenbleiben, bis sie mir antworten. Der erste Stern. Die Front bleibt ruhig. Ich atme auf und spreche vor Aufregung mit mir selbst: "Jetzt keine Dummheit, Paul - Ruhe, Ruhe, Paul -, dann bist du gerettet, Paul." Es wirkt, wenn ich meinen Vornamen sage, das ist, als tute es ein anderer, und hat so mehr Gewalt. Die Dunkelheit wuchst. Meine Aufregung legt sich, ich warte aus Vorsicht, bis die ersten Raketen steigen. Dann krieche ich aus dem Trichter. Den Toten habe ich vergessen. Vor mir liegt die beginnende Nacht und das bleich beleuchtete Feld. Ich fasse ein Loch ins Auge; im Moment, wo das Licht erlischt, schnelle ich hinuber, taste weiter, erwische das nuchste, ducke mich, husche weiter. Ich komme nuher. Da sehe ich bei einer Rakete, wie im Draht sich etwas eben noch bewegt, ehe es erstarrt, und liege still. Beim nuchstenmal sehe ich es wieder, es sind bestimmt Kameraden aus unserm Graben. Aber ich bin vorsichtig, bis ich unsere Helme erkenne. Dann rufe ich. Gleich darauf erschallt als Antwort mein Name: "Paul - Paul -" Ich rufe wieder. Es sind Kat und Albert, die mit einer Zeltbahn losgegangen sind, um mich zu suchen. "Bist du verwundet?" "Nein, nein -" Wir rutschen in den Graben. Ich verlange Essen und schlinge es hinunter. Muller gibt mir eine Zigarette. Ich sage mit wenigen Worten, was geschehen ist. Es ist ja nichts Neues; so was ist schon oft passiert. Nur der Nachtangriff ist das Besondere bei der Sache. Aber Kat hat in Rußland schon einmal zwei Tage hinter der russischen Front gelegen, ehe er sich durchschlagen konnte. Von dem toten Buchdrucker sage ich nichts. Erst am nuchsten Morgen halte ich es nicht mehr aus. Ich muß es Kat und Albert erzuhlen. Sie beruhigen mich beide. "Du kannst gar nichts daran machen. Was wolltest du anders tun. Dazu bist du doch hier!" Ich hure ihnen geborgen zu, getrustet durch ihre Nuhe. Was habe ich nur fur einen Unsinn zusammengefaselt da in dem Trichter. "Sieh mal dahin", zeigt Kat. An den Brustwehren stehen einige Scharfschutzen. Sie haben Gewehre mit Zielfernrohren aufliegen und lauern den Abschnitt druben ab. Hin und wieder knallt ein Schuß. Jetzt huren wir Ausrufe. "Das hat gesessen?" - "Hast du gesehen, wie er hochsprang?" Sergeant Oellrich wendet sich stolz um und notiert seinen Punkt. Er fuhrt in der Schußliste von heute mit drei'einwandfrei festgestellten Treffern. "Was sagst du dazu?" fragt Kat. Ich nicke. "Wenn er so weitermacht, hat er heute abend ein buntes Vugelchen mehr im Knopfloch", meint Kropp. "Oder er wird bald Vizefeldwebel", ergunzt Kat. Wir sehen uns an. "Ich wurde es nicht machen", sage ich. "Immerhin", sagt Kat, "es ist ganz gut, daß du es jetzt gerade siehst." Sergeant Oellrich tritt wieder an die Brustwehr. Die Mundung seines Gewehrs geht hin und her. "Da brauchst du uber deine Sache kein Wort mehr zu verlieren", nickt Albert. Ich begreife mich jetzt auch selbst nicht mehr. "Es war nur, weil ich so lange mit ihm zusammen liegen.mußte", sage ich. Krieg ist Krieg schließlich. Oellrichs Gewehr knallt kurz und trocken. 10 Wir haben einen guten Posten erwischt. Mit acht Mann mussen wir ein Dorf bewachen, das geruumt worden ist, weil es zu stark beschossen wird. Hauptsuchlich sollen wir auf das Proviantamt achten, das noch nicht leer ist. Verpflegung mussen wir uns aus den Bestunden selbst besorgen. Dafur sind wir die richtigen Leute - Kat, Albert, Muller, Tjaden, Leer, Detering, unsere ganze Gruppe ist da. Allerdings, Haie ist tot. Aber das ist noch ein muchtiges Gluck, denn alle anderen Gruppen haben mehr Verluste als unsere gehabt. Als Unterstand wuhlen wir einen betonierten Keller, zu dem von außen eine Treppe hinunterfuhrt. Der Eingang ist noch durch eine besondere Betonmauer geschutzt. Jetzt entfalten wir eine große Tutigkeit. Es ist wieder eine Gelegenheit, nicht nur die Beine, sondern auch die Seele zu strecken. Und solche Gelegenheiten nehmen wir wahr; denn unsere Lage ist zu verzweifelt, um lange sentimental sein zu kunnen. Das ist nur muglich, solange es noch nicht ganz schlimm ist. Uns jedoch bleibt nichts anderes, als sachlich zu sein. So sachlich, daß mir manchmal graut, wenn einen Augenblick ein Gedanke aus der fruheren Zeit, vor dem Kriege, sich in meinen Kopf verirrt. Er bleibt auch nicht lange. Wir mussen unsere Lage so leicht nehmen wie muglich. Deshalb nutzen wir jede Gelegenheit dazu, und unmittelbar, hart, ohne ubergang steht neben dem Grauen der Bludsinn. Wir kunnen gar nicht anders, wir sturzen uns hinein. Auch jetzt geht es mit Feuereifer daran, ein Idyll zu schaffen, ein Idyll des Fressens und Schlafens naturlich. Die Bude wird zunuchst einmal mit Matratzen belegt, die wir aus den Huusern heranschleppen. Ein Soldatenhintern sitzt gern auch mal weich. Nur in der Mitte des Raumes bleibt der Boden frei. Dann besorgen wir uns Decken und Federbetten, prachtvolle weiche Dinger. Von allem ist im Dorf ja genugend vorhanden. Albert und ich finden ein zerlegbares Mahagonibett mit einem Himmel aus blauer Seide und Spitzenuberwurf. Wir schwitzen wie die Affen beim Transport, aber so was kann man sich doch nicht entgehen lassen, zumal es in ein paar Tagen doch sicher zerschossen wird. Kat und ich machen einen kleinen Patrouillengang durch die Huuser. Nach kurzer Zeit haben wir ein Dutzend Eier und zwei Pfund ziemlich frische Butter gefaßt. Plutzlich kracht es in einem Salon, und ein eiserner Ofen saust durch die Wand, an uns vorbei, einen Meter neben uns wieder durch die Wand. Zwei Lucher. Er kommt aus dem Hause gegenuber, in das eine Granate gehauen ist. "Schwein gehabt", grinst Kat, und wir suchen weiter. Mit einem Male spitzen wir die Ohren und machen lange Beine. Gleich darauf stehen wir wie verzaubert: In einem kleinen Stall tummeln sich zwei lebende Ferkel. Wir reiben uns die Augen und sehen vorsichtig wieder hin: sie sind tatsuchlich noch immer da. Wir fassen sie an - kein Zweifel, es sind zwei wirkliche junge Schweine. Das gibt ein herrliches Essen. Etwa funfzig Schritt von unserm Unterstand entfernt steht ein kleines Haus, das als Offiziersquartier gedient hat In der Kuche befindet sich ein riesiger Herd mit zwei Feuerrosten, Pfannen, Tupfen und Kesseln. Alles ist da, sogar eine Unmenge kleingehacktes Holz steckt in einem Schuppen - das wahre Schlaraffenhaus. Zwei Mann sind seit dem Morgen auf den Feldern und suchen Kartoffeln, Mohrruben und junge Erbsen. Wir sind numlich uppig und pfeifen auf die Konserven des Proviantamts, wir wollen frische Sachen haben. In der Speisekammer liegen schon zwei Kupfe Blumenkohl. Die Ferkel sind geschlachtet. Kat hat das erledigt. Zu dem Braten wollen wir Kartoffelpuffer machen. Aber wir finden keine Reiben fur die Kartoffeln. Doch auch da ist bald abgeholfen. In Blechdeckel schlagen wir mit Nugeln eine Menge Lucher, und schon sind es Reiben. Drei Mann ziehen dicke Handschuhe an, um die Finger beim Reiben zu schonen, zwei andere schulen Kartoffeln, und es geht rasch vorwurts. Kat betreut die Ferkel, die Mohrruben, die Erbsen und den Blumenkohl. Zu dem Blumenkohl mischt er sogar eine weiße Soße zurecht. Ich backe Puffer, immer vier zu gleicher Zeit. Nach zehn Minuten habe ich es heraus, die Pfanne so zu schwenken, daß die auf der einen Seite fertigen Puffer hochfliegen, sich in der Luft drehen und wieder aufgefangen werden. Die Ferkel werden unzerschnitten gebraten. Alles steht um sie herum wie um einen Altar. Inzwischen ist Besuch gekommen, zwei Funker, die freigebig zum Essen eingeladen werden. Sie sitzen im Wohnzimmer, wo ein Klavier steht. Einer spielt, der andere singt: "An der Weser". Er singt es gefuhlvoll, aber ziemlich suchsisch. Trotzdem ergreift es uns, wuhrend wir so am Herd all die schunen Sachen vorbereiten. Allmuhlich merken wir, daß wir Kattun kriegen. Die Fesselballons haben den Rauch aus unserm Schornstein spitz bekommen, und wir werden mit Feuer belegt. Es sind die verfluchten kleinen Spritzbiester, die so ein kleines Loch machen und so weit und niedrig streuen. Immer nuher pfeift es um uns herum, aber wir kunnen doch das Essen nicht im Stich lassen. Die Bande schießt sich ein. Ein paar Splitter sausen oben durchs Kuchenfenster. Wir sind bald mit dem Braten fertig. Doch das Pufferbacken wird jetzt schwieriger. Die Einschluge kommen so dicht, daß oft und ufter die Splitter gegen die Hauswand klatschen und durch die Fenster fegen. Jedesmal, wenn ich ein Ding heranpfeifen hure, gehe ich mit der Pfanne und den Puffern in die Knie und ducke mich hinter die Fenstermauer. Sofort danach bin ich wieder hoch und backe weiter. Die Sachsen huren auf zu spielen, ein Splitter ist ins Klavier geflogen. Auch wir sind jetzt allmuhlich fertig und organisieren den Ruckzug. Nach dem nuchsten Einschlag laufen zwei Mann mit den Gemusetupfen los, die funfzig Meter bis zum Unterstand. Wir sehen sie verschwinden. Der nuchste Schuß. Alles duckt sich, und dann traben zwei Mann mit je einer großen Kanne erstklassigem Bohnenkaffee ab und erreichen vor dem folgenden Einschlag den Unterstand. Jetzt schnappen sich Kat und Kropp das Glanzstuck: die große Pfanne mit den braungebratenen Ferkeln. Ein Heulen, eine Kniebeuge, und schon rasen sie uber die funfzig Meter freies Feld. Ich backe meine letzten vier Puffer noch fertig; zweimal muß ich dabei auf den Boden - aber es sind schließlich vier Puffer mehr, und es ist mein Lieblingsessen. Dann ergreife ich die Platte mit dem hohen Stapel und presse mich hinter die Haustur. Es zischt, kracht, und ich galoppiere davon, mit beiden Hunden die Platte an die Brust gedruckt. Fast bin ich angelangt, da pfeift es anschwellend, ich turme wie ein Hirsch, fege um die Betonwand, Spritzer klatschen gegen die Mauer, ich falle die Kellertreppe hinunter, meine Ellenbogen sind zerschlagen, aber ich habe keinen einzigen Puffer verloren und die Platte nicht umgekippt. Um zwei Uhr beginnen wir mit dem Essen. Es dauert bis sechs. Bis halb sieben trinken wir Kaffee - Offizierskaffee aus dem Proviantamt - und rauchen Offizierszigarren und Zigaretten - ebenfalls aus dem Proviantamt. Punkt halb sieben fangen wir mit dem Abendessen an. Um zehn Uhr werfen wir die Gerippe der Ferkel vor die Tur. Dann gibt es Kognak und Rum, ebenfalls aus dem gesegneten Proviantamt und wieder lange, dicke Zigarren mit Bauchbinden. Tjaden behauptet, daß nur eines fehle: Mudchen aus einem Offizierspuff. Sputabends huren wir Miauen. Eine kleine graue Katze sitzt am Eingang. Wir locken sie heran und futtern sie. Daruber kommt auch uns wieder der Appetit. Kauend legen wir uns schlafen. Doch die Nacht ist buse. Wir haben zu fett gegessen. Frisches Spanferkel wirkt angreifend auf die Durme. Es ist ein ewiges Kommen und Gehen im Unterstand. Zwei, drei Mann sitzen immer mit heruntergezogenen Hosen draußen herum und fluchen. Ich selbst bin neunmal unterwegs. Gegen vier Uhr nachts erreichen wir einen Rekord: alle elf Mann, Wache und Besuch, sitzen draußen. Brennende Huuser stehen wie Fackeln in der Nacht. Granaten poltern heran und hauen ein. Munitionskolonnen rasen uber die Straße. An der einen Seite ist das Proviantamt aufgerissen. Wie ein Schwurm Bienen drungen sich dort trotz aller Splitter die Kolonnenfahrer und klauen Brot. Wir lassen sie ruhig gewuhren. Wenn wir was sagen wurden, gube es huchstens eine Tracht Prugel fur uns. Deshalb machen wir es anders. Wir erkluren, daß wir die Wache sind, und da wir Bescheid wissen, kommen wir mit den Konserven an, die wir gegen Sachen tauschen, die uns fehlen. Was macht es schon - in kurzer Zeit ist ohnehin alles zerschossen. Fur uns selbst holen wir Schokolade aus dem Depot und essen sie tafelweise. Kat sagt, sie sei gut fur einen allzu eiligen Bauch. - Fast vierzehn Tage vergehen so mit Essen, Trinken und Bummeln. Niemand sturt uns. Das Dorf verschwindet langsam unter den Granaten, und wir fuhren ein gluckliches Leben. Solange nur noch ein Teil des Proviantamtes steht, ist uns alles egal, und wir wunschen bloß, hier das Ende des Krieges zu erleben. Tjaden ist derartig fein geworden, daß er die Zigarren nur halb aufraucht. Er erklurt hochnusig, er sei es so gewohnt. Auch Kat ist sehr aufgemuntert. Sein erster Ruf morgens ist: "Emil, bringen Sie Kaviar und Kaffee." Es ist uberhaupt erstaunlich vornehm bei uns, jeder hult den andern fur seinen Burschen, siezt ihn und gibt ihm Auftruge. "Kropp, es juckt mich unter dem Fuß, fangen Sie doch mal die Laus weg", damit streckt ihm Leer sein Bein hin wie eine Schauspielerin, und Albert schleift ihn daran die Treppen hinauf. "Tjaden!" - "Was ?" - " Stehen Sie bequem, Tjaden, ubrigens heißt es nicht: Was, sondern: Zu Befehl - also: Tjaden!" Tjaden begibt sich wieder auf ein Gastspiel zu Gutz von Berlichingen, der ihm nur so im Handgelenk sitzt. Nach weiteren acht Tagen erhalten wir Befehl, abzurucken. Die Herrlichkeit ist aus. Zwei große Lastautos nehmen uns auf. Sie sind hoch bepackt mit Brettern. Aber noch oben darauf bauen Albert und ich unser Himmelbett mit dem blauseidenen uberwurf auf, mit Matratzen und zwei Spitzenoberbetten. Hinten drin am Kopfende liegt fur jeden ein Sack mit besten Lebensmitteln. Wir fuhlen manchmal daruber hin, und die harten Mettwurste, die Leberwurstbuchsen, die Konserven, die Zigarrenkisten lassen unsere Herzen jubilieren. Jeder Mann hat so einen Sack voll bei sich. Kropp und ich haben aber außerdem noch zwei rote Samtfauteuils gerettet. Sie stehen im Bett, und wir rukeln uns darauf wie in einer Theaterloge. uber uns bauscht sich die Seide des uberwurfs als Baldachin. Jeder hat eine lange Zigarre im Mund. So schauen wir hoch von oben in die Gegend. Zwischen uns steht ein Papageienkufig, den wir fur die Katze gefunden haben. Sie wird mitgenommen und liegt drinnen vor ihrem Fleischnapf und schnurrt. Langsam rollen die Wagen uber die Straße. Wir singen. Hinter uns spritzen die Granaten Fontunen aus dem nun ganz verlassenen Dorf. Einige Tage sputer rucken wir aus, um eine Ortschaft aufzuruumen. Unterwegs begegnen uns die fliehenden Bewohner, die ausgewiesen sind. Sie schleppen ihre Habseligkeiten in Karren, in Kinderwagen und auf dem Rucken mit sich. Ihre Gestalten sind gebeugt, ihre Gesichter voll Kummer, Verzweiflung, Hast und Ergebenheit. Die Kinder hungen an den Hunden der Mutter, manchmal fuhrt auch ein ulteres Mudchen die Kleinen, die vorwurts taumeln und immer wieder zurucksehen. Einige tragen armselige Puppen mit sich. Alle schweigen, als sie an uns vorubergehen. Noch sind wir in Marschkolonne, die Franzosen werden ja nicht ein Dorf beschießen, in dem Landsleute sind. Aber wenige Minuten sputer heult die Luft, die Erde bebt, Schreie ertunen - eine Granate hat den hintersten Zug zerschmettert. Wir spritzen auseinander und werfen uns hin, aber im selben Moment fuhle ich, wie mir die Spannung entgleitet, die mich sonst immer bei Feuer unbewußt das Richtige tun lußt, der Gedanke "Du bist verloren" zuckt auf mit einer wurgenden, schrecklichen Angst - und im nuchsten Augenblick fegt ein Schlag wie von einer Peitsche uber mein linkes Bein. Ich hure Albert schreien, er ist neben mir. "Los, auf, Albert!" brulle ich, denn wir liegen ungeschutzt auf freiem Felde. Er taumelt hoch und luuft. Ich bleibe neben ihm. Wir mussen uber eine Hecke; sie ist huher als wir. Kropp faßt in die Zweige, ich packe sein Bein, er schreit auf, ich gebe ihm Schwung, er fliegt hinuber. Mit einem Satz bin ich hinter ihm her und falle in einen Teich, der hinter der Hecke liegt. Wir haben das Gesicht voll Wasserlinsen und Schlamm, aber die Deckung ist gut. Deshalb waten wir hinein bis zum Halse. Wenn es heult, gehen wir mit dem Kopf unter Wasser. Nachdem wir das ein dutzendmal gemacht haben, wird es mir uber. Auch Albert stuhnt: "Laß uns weg, ich falle sonst um und ersaufe." "Wo hast du was gekriegt?" frage ich. "Am Knie, glaube ich." "Kannst du laufen?" "Ich denke -" "Dann los." Wir gewinnen den Chausseegraben und rennen ihn gebuckt entlang. Das Feuer folgt uns. Die Straße hat die Richtung auf das Munitionsdepot. Wenn das hochgeht, findet nie jemand von uns einen Knopf wieder. Wir andern deshalb unsern Plan und laufen im Winkel querfeldein. Albert wird langsamer. "Lauf zu, ich komme nach", sagt er und wirft sich hin. Ich reiße ihn am Arm auf und schuttele ihn. "Hoch, Albert, wenn du dich erst hinlegst, kannst du nie mehr weiter. Los, ich stutze dich." Endlich erreichen wir einen kleinen Unterstand. Kropp schmeißt sich hin, und ich verbinde ihn. Der Schuß sitzt kurz uber dem Knie. Dann sehe ich mich selbst an. Die Hose ist blutig, ebenso der Arm. Albert bindet mir seine Puckchen um die Lucher. Er kann sein Bein schon nicht mehr bewegen, und wir wundern uns beide, wie wir es uberhaupt bis hierher geschafft haben. Das hat nur die Angst gemacht; wir wurden fortgelaufen sein, selbst wenn uns die Fuße weggeschossen wuren - dann eben auf Stumpfen. Ich kann noch etwas kriechen und rufe einen voruberfahrenden Leiterwagen an, der uns mitnimmt. Er ist voller Verwundeter. Ein Sanitutsgefreiter ist dabei, der uns eine Tetanusspritze in die Brust jagt - Im Feldlazarett richten wir es so ein, daß wir nebeneinander zu liegen kommen. Es gibt eine dunne Suppe, die wir gierig und veruchtlich ausluffeln, weil wir zwar bessere Zeiten gewuhnt sind, aber doch Hunger haben. "Nun geht's in die Heimat, Albert", sage ich. "Hoffentlich", antwortet er. "Wenn ich bloß wußte, was ich habe." Die Schmerzen werden sturker. Wie Feuer brennen die Verbunde. Wir trinken und trinken, einen Becher Wasser nach dem andern. "Wieviel uber dem Knie ist mein Schuß?" fragt Kropp. "Mindestens zehn Zentimeter, Albert", antworte ich. In Wirklichkeit sind es vielleicht drei. "Das habe ich mir vorgenommen", sagt er nach einer Weile, "wenn sie mir einen Knochen abnehmen, mache ich Schluß. Ich will nicht als Kruppel durch die Welt laufen." So liegen wir mit unsern Gedanken und warten. Abends werden wir zur Schlachtbank geholt. Ich erschrecke und uberlege rasch, was ich tun soll; denn es ist bekannt, daß die urzte in den Feldlazaretten leicht amputieren. Bei dem großen Andrang ist das einfacher als komplizierte Flickereien. Kemmerich fullt mir ein. Auf keinen Fall werde ich mich chloroformieren lassen, selbst wenn ich ein paar Leuten den Schudel einschlagen muß. Es geht gut. Der Arzt stochert in der Wunde herum, daß mir schwarz vor Augen wird. "Stellen Sie sich nicht so an", schimpft er und subelt weiter. Die Instrumente blitzen in dem hellen Licht wie busartige Tiere. Die Schmerzen sind unertruglich. Zwei Krankenwurter halten meine Arme fest, aber ich kriege einen los und will ihn gerade dem Arzt in die Brille knallen, als er es merkt und wegspringt. "Chloroformiert den Kerl!" schreit er wutend. Da werde ich ruhig. "Entschuldigen Herr Doktor, ich werde stillhalten, aber chloroformieren Sie mich nicht." "Na ja", kakelt er und nimmt seine Instrumente wiedervor. Er ist ein blonder Bursche, huchstens dreißig Jahre alt, mit Schmissen und einer widerlichen goldenen Brille. Ich merke daß er mich jetzt schikaniert, er wuhlt nur so in der Wunde und schielt ab und zu uber seine Gluser zu mir hin. Meine Hunde quetschen sich um die Griffe, eher verrecke ich, als daß er einen Mucks von mir hurt. Er hat einen Splitter herausgeangelt und wirft ihn mir zu. Scheinbar ist er befriedigt von meinem Verhalten, denn er schient mich jetzt sorgfultig und sagt: "Morgen geht's ab nach Hause." Dann werde ich eingegipst. Als ich wieder mit Kropp zusammen bin, erzuhle ich ihm, daß also wahrscheinlich morgen schon ein Lazarettzug eintreffen wird. "Wir mussen mit dem Sanitutsfeldwebel sprechen, damit wir beieinander bleiben, Albert." Es gelingt mir, dem Feldwebel mit ein paar passenden Worten zwei meiner Zigarren mit Bauchbinden zu uberreichen. Er schnuppert daran und fragt: "Hast du noch mehr davon?" "Noch eine gute Handvoll", sage ich, "und mein Kamerad", ich zeige auf Kropp, "ebenfalls. Die muchten wir Ihnen gern morgen zusammen aus dem Fenster des Lazarettzuges uberreichen." Er kapiert naturlich, schnuppert noch einmal und sagt: "Gemacht." Wir kunnen keine Minute nachts schlafen. In unserm Saal sterben sieben Leute. Einer singt eine Stunde lang in einem hohen Quetschtenor Chorule, ehe er zu rucheln beginnt. Ein anderer ist vorher aus dem Bett ans Fenster gekrochen. Er liegt davor, als hutte er zum letztenmal hinaussehen wollen. Unsere Bahren stehen auf dem Bahnhof. Wir warten auf den Zug. Es regnet, und der Bahnhof hat kein Dach. Die Decken sind dunn. Wir warten schon zwei Stunden. Der Feldwebel betreut uns wie eine Mutter. Obschon mir sehr schlecht ist, verliere ich unsern Plan nicht aus den Gedanken. So nebenbei lasse ich die Puckchen sehen und gebe eine Zigarre als Vorschuß ab. Dafur deckt der Feldwebel uns eine Zeltbahn uber. "Mensch, Albert", erinnere ich mich, "unser Himmelbett und die Katze -" "Und die Klubsessel", fugt er hinzu. Ja, die Klubsessel aus rotem Plusch. Wir hatten wie Fursten abends darauf gesessen und uns vorgenommen, sie sputer stundenweise abzuvermieten. Pro Stunde eine Zigarette. Es wure ein sorgenloses Leben und ein Geschuft geworden. "Albert", fullt mir ein, "und unsere Freßsucke." Wir werden schwermutig. Die Sachen hutten wir gebrauchen kunnen. Wenn der Zug einen Tag sputer fuhre, hutte Kat uns sicher gefunden und uns den Kram gebracht. Ein verfluchtes Schicksal. Wir haben Mehlsuppe im Magen, dunnes Lazarettfutter, und in unseren Sucken ist Schweinebraten als Konserve. Aber wir sind so schwach, daß wir uns nicht weiter daruber aufregen kunnen. Die Bahren sind klatschnaß, als der Zug morgens einluuft. Der Feldwebel sorgt dafur, daß wir in denselben Wagen kommen. Eine Menge Rote-Kreuz-Schwestern sind da. Kropp wird nach unten gepackt. Ich werde angehoben und soll in das Bett uber ihm. "Um Gottes willen", entfuhrt es mir plutzlich. "Was ist denn?" fragt die Schwester. Ich werfe noch einen Blick auf das Bett. Es ist mit schneeweißem Leinen bezogen, unvorstellbar sauberem Leinen, das sogar noch die Pluttkniffe hat. Mein Hemd dagegen ist sechs Wochen lang nicht gewaschen worden und sehr dreckig. "Kunnen Sie nicht allein hineinkriechen?" fragt die Schwester besorgt. "Das schon", sagte ich schwitzend, "aber tun Sie doch erst das Bettzeug weg." "Warum denn?" Ich komme mir wie ein Schwein vor. Da soll ich mich hineinlegen? - "Es wird ja -" Ich zugere. "Ein bißchen schmutzig?" fragt sie ermunternd. "Das schadet nichts, dann waschen wir es eben nachher wieder." "Nee, das nicht -", sage ich aufgeregt. Diesem Ansturm der Kultur bin ich nicht gewachsen. "Dafur, daß Sie draußen im Graben gelegen haben, werden wir wohl noch ein Bettlaken waschen kunnen", fuhrt sie fort. Ich sehe sie an, sie sieht knusprig und jung aus, blank gewaschen und fein, wie alles hier, man begreift nicht, daß es nicht nur fur Offiziere ist, und fuhlt sich unheimlich und sogar irgendwie bedroht. Das Weib ist trotzdem ein Folterknecht, es zwingt mich, alles zu sagen. "Es ist nur -", ich halte ein, sie muß doch verstehen, was ich meine. "Was denn noch?" "Wegen der Luuse", brulle ich schließlich heraus. Sie lacht. "Die mussen auch mal gute Tage haben." Nun kann es mir ja gleich sein. Ich krabbele ins Bett und decke mich zu. Eine Hand fingert uber die Decke. Der Feldwebel. Er zieht mit den Zigarren ab. Nach einer Stunde merken wir, daß wir fahren. Nachts erwache ich. Auch Kropp ruhrt sich. Der Zug rollt leise uber die Schienen. Es ist alles noch unbegreiflich: ein Bett, ein Zug, nach Hause. Ich flustere: "Albert!" "Ja -" "Weißt du, wo hier die Latrine ist?" "Ich glaube, druben rechts die Tur." "Ich werde mal sehen." Es ist dunkel, ich taste nach dem Bettrand und will vorsichtig hinuntergleiten. Aber mein Fuß findet keinen Halt, ich gerate ins Rutschen, das Gipsbein ist keine Hilfe, und mit einem Krach liege ich auf dem Boden. "Verflucht", sage ich. "Hast du dich gestoßen?" fragt Kropp. "Das kunntest du doch wohl gehurt haben", knurre ich, "mein Schudel -" Hinten im Wagen uffnet sich die Tur. Die Schwester kommt mit Licht und sieht mich. "Er ist aus dem Bett gefallen" Sie fuhlt mir den Puls und faßt meine Stirn an. "Sie haben aber kein Fieber." "Nein -", gebe ich zu. "Haben Sie denn getruumt?" fragt sie. "So ungefuhr", weiche ich aus. Jetzt geht die Fragerei wieder los. Sie sieht mich mit ihren blanken Augen an, sauber und wunderbar ist sie, um so weniger kann ich ihr sagen, was ich will. Ich werde wieder nach oben gehoben. Das kann ja gut werden. Wenn sie fort ist, muß ich sofort wieder versuchen, hinunterzusteigen. Wure sie eine alte Frau, so ginge es eher, ihr Bescheid zu sagen, aber sie ist ja ganz jung, huchstens funfundzwanzig Jahre, es ist nichts zu machen, ich kann es ihr nicht sagen. Da kommt Albert mir zu Hilfe, er geniert sich nicht, er ist es ja auch schließlich nicht, den die Sache angeht. Er ruft die Schwester an. Sie dreht sich um. "Schwester, er wollte -", aber auch Albert weiß nicht mehr, wie er sich tadellos und anstundig ausdrucken soll. Unter uns draußen ist das mit einem einzigen Wort gesagt, aber hier, einer solchen Dame gegenuber - Mit einem Male jedoch fullt ihm die Schulzeit ein, und er vollendet fließend: "Er muchte mal hinaus, Schwester." "Ach so", sagt die Schwester. "Dazu braucht er doch nicht mit seinem Gipsverband aus dem Bett zu klettern. Was wollen Sie denn haben?" wendet sie sich an mich. Ich bin tudlich erschrocken uber diese neue Wendung, denn ich habe keine Ahnung, wie man die Dinge fachmunnisch benennt. Die Schwester kommt mir zu Hilfe. "Klein oder groß?" Diese Blamage! Ich schwitze wie ein Affe und sage verlegen: "Na, also nur klein -" Immerhin, wenigstens noch etwas Gluck. Ich erhalte eine Flasche. Nach einigen Stunden bin ich nicht mehr der einzige, und morgens haben wir uns gewuhnt und verlangen ohne Beschumung, was wir brauchen. Der Zug fuhrt langsam. Manchmal hult er, und die Toten werden ausgeladen. Er hult oft. Albert hat Fieber. Mir geht es leidlich, ich habe Schmerzen, aber schlimmer ist es, daß wahrscheinlich unter dem Gipsverband noch Luuse sitzen. Es juckt furchterlich, und ich kann mich nicht kratzen. Wir schlummern durch die Tage. Die Landschaft geht still durch die Fenster. In der dritten Nacht sind wir in Herbesthal. Ich hure von der Schwester, daß Albert an der nuchsten Station ausgeladen werden soll, wegen seines Fiebers. "Wie weit fuhrt der Zug?" frage ich. "Bis Kuln." "Albert, wirbleiben zusammen", sage ich, "paß auf." Beim nuchsten Rundgang der Schwester halte ich die Luft an und presse den Atem in den Kopf. Er schwillt und wird rot. Sie bleibt stehen. "Haben Sie Schmerzen?" "Ja", stuhne ich, "mit einem Male." Sie gibt mir ein Thermometer und geht weiter. Ich mußte nicht bei Kat in der Lehre gewesen sein, um nicht Bescheid zu wissen. Diese Soldatenthermometer sind nicht fur erfahrenes Militur berechnet. Es handelt sich nur darum, das Quecksilber hochzutreiben, dann bleibt es in der dunnen Ruhre stehen und sinkt nicht wieder. Ich stecke das Thermometer unter den Arm, schrug nach unten, und knipse mit dem Zeigefinger stundig dagegen. Darauf schuttele ich es nach oben. Damit erreiche ich 37,9 Grad. Das genugt aber nicht. Ein Streichholz vorsichtig nahe darangehalten ergibt 38,7 Grad. Als die Schwester zuruckkommt, puste ich mich auf, atme leicht stoßweise, glotze sie mit etwas stieren Augen an, bewege mich unruhig und flustere: "Ich kann es nicht mehr aushalten -" Sie notiert mich auf einem Zettel. Ich weiß genau, daß ohne Not mein Gipsverband nicht geuffnet wird. Albert und ich werden zusammen ausgeladen. Wir liegen in einem katholischen Hospital, im gleichen Zimmer. Das ist ein großes Gluck, denn die katholischen Krankenhuuser sind bekannt fur gute Behandlung und gutes Essen. Das Lazarett ist voll belegt worden aus unserm Zug, es sind viele schwere Fulle dabei. Wir kommen heute noch nicht zur Untersuchung, da zu wenig Arzte da sind. Auf dem Korridor fahren unablussig die flachen Wagen mit den Gummirudern vorbei, und immer liegt jemand lang darauf. Eine verfluchte Lage - so langgestreckt - nur gut, wenn man schluft. Die Nacht ist sehr unruhig. Keiner kann schlafen. Gegen Morgen duseln wir etwas ein. Ich erwache, als es hell wird. Die Tur steht offen, und vom Korridor hure ich Stimmen. Auch die andern wachen auf. Einer, der schon ein paar Tage da ist, erklurt uns die Sache: "Hier oben wird jeden Morgen auf dem Korridor gebetet von den Schwestern. Sie nennen das Morgenandacht. Damit ihr euren Teil abkriegt, machen sie die Turen auf." Das ist sicher gut gemeint, aber uns tun die Knochen und die Schudel weh. "So ein Unsinn", sage ich, "wenn man gerade eingeschlafen ist." "Hier oben liegen die leichteren Fulle, da machen sie es so", antwortet er. Alben stuhnt. Ich werde wutend und rufe: "Ruhe da draußen." Nach einer Minute erscheint eine Schwester. Sie sieht in ihrer weiß und schwarzen Tracht aus wie ein hubscher Kaffeewurmer. "Machen Sie doch die Tur zu, Schwester", sagt jemand. "Es wird gebetet, deshalb ist die Tur offen", erwidert sie. "Wir muchten aber noch schlafen -" "Beten ist besser als schlafen." Sie steht da und luchelt unschuldig. "Es ist auch schon sieben Uhr." Albert stuhnt wieder. "Tur zu!" schnauze ich. Sie ist ganz verdutzt, so etwas kann sie scheinbar nicht begreifen. "Es wird doch auf fur Sie mitgebetet." "Einerlei! Tur zu!" Sie verschwindet und lußt die Tur offen. Die Litanei ertunt wieder. Ich bin wild und sage: "Ich zuhle jetzt bis drei. Wenn es bis dahin nicht aufhurt, fliegt was." "Von mir auch", erklurt ein anderer. Ich zuhle bis funf. Dann nehme ich eine Flasche, ziele und werfe sie durch die Tur auf den Korridor. Sie zerspringt in tausend Splitter. Das Beten hurt auf. Ein Schwurm Schwestern erscheint und schimpft maßvoll. "Tur zu!" schreien wir. Sie verziehen sich. Die Kleine von vorhin ist die letzte. "Heiden", zwitschert sie, macht aber doch die Tur zu. Wir haben gesiegt. Mittags kommt der Lazarettinspektor und ranzt uns an. Er verspricht uns Festung und noch mehr. Nun ist ein Lazarettinspektor, genau wie ein Proviantamtsinspektor, zwar jemand, der einen langen Degen und Achselstucke trugt, aber eigentlich ein Beamter, und er wird darum nicht einmal von einem Rekruten fur voll genommen. Wir lassen ihn deshalb reden. Was kann uns schon passieren - "Wer hat die Flasche geworfen?" fragt er. Bevor ich uberlegen kann, ob ich mich melden soll, sagt jemand: "Ich!" Ein Mann mit struppigem Bart richtet sich auf. Alles ist gespannt, weshalb er sich meldet. "Sie?" "Jawohl. Ich war erregt daruber, daß wir unnutig geweckt wurden, und verlor die Besinnung, so daß ich nicht wußte, was ich tat." Er redet wie ein Buch. "Wie heißen Sie?" "Ersatz-Reservist Josef Hamacher." Der Inspektor geht ab. Alle sind neugierig. "Weshalb hast du dich denn bloß gemeldet? Du warst es ja gar nicht!" Er grinst. "Das macht nichts. Ich habe einen Jagdschein." Das versteht naturlich jeder. Wer einen Jagdschein hat, kann machen, was er will. "Ja", erzuhlt er, "ich habe einen Kopfschuß gehabt, und daraufist mir ein Attest ausgestellt worden, daß ich zeitweise unzurechnungsfuhig bin. Seitdem bin ich fein heraus. Man darf mich nicht reizen. Mir passiert also nichts. Der unten wird sich schun urgern. Und gemeldet habe ich mich, weil mir das Werfen Spaß gemacht hat. Wenn sie morgen wieder die Tur aufmachen, schmeißen wir wieder." Wir sind heilfroh. Mit Josef Hamacher in der Mitte jetzt alles riskieren. Dann kommen die lautlosen, flachen Wagen, um uns zu holen. Die Verbunde sind verklebt. Wir brullen wie Stiere. Es liegen acht Mann auf unserer Stube. Die schwerste Verletzung hat Peter, ein schwarzer Krauskopf - einen komplizierten Lungenschuß. Franz Wuchter neben ihm hat einen zerschossenen Arm, der anfangs nicht schlimm aussieht. Aber in der dritten Nacht ruft er uns an, wir sollten klingeln, er glaube, er blute durch. Ich klingele kruftig. Die Nachtschwester kommt nicht. Wir haben sie abends ziemlich stark in Anspruch genommen, weil wir alle neue Verbunde und deshalb Schmerzen hatten. Der eine wollte das Bein so gelegt haben, der andere so, der dritte verlangte Wasser, dem vierten sollte sie das Kopfkissen aufschutteln; - die dicke Alte hatte buse gebrummt zuletzt und die Turen geschlagen. Jetzt vermutet sie wohl wieder so etwas, denn sie kommt nicht. Wir warten. Dann sagt Franz: "Klingle noch mal." Ich tue es. Sie lußt sich immer noch nicht sehen. Auf unserem Flugel ist nachts nur eine einzige Stationsschwester, vielleicht hat sie gerade in andern Zimmern zu tun. "Bist du sicher, Franz, daß du blutest?" frage ich. "Sonst kriegen wir wieder was auf den Kopf." "Es ist naß. Kann keiner Licht machen?" Auch das geht nicht. Der Schalter ist an der Tur, und niemand kann aufstehen. Ich halte den Daumen auf der Klingel, bis er gefuhllos wird. Vielleicht ist die Schwester eingenickt. Sie haben ja sehr viel Arbeit und sind alle uberanstrengt, schon tagsuber. Dazu das stundige Beten. "Sollen wir Flaschen schmeißen?" fragt Josef Hamacher mit dem Jagdschein. "Das hurt sie noch weniger als das Klingeln." Endlich geht die Tur auf. Muffelig erscheint die Alte. Als sie die Geschichte bei Franz bemerkt, wird sie eilig und ruft: "Weshalb hat denn keiner Bescheid gesagt?" "Wir haben ja geklingelt. Laufen kann hier keiner." Er hat stark geblutet und wird verbunden. Morgens sehen wir sein Gesicht, es ist spitzer und gelber geworden, dabei war es am Abend noch fast gesund im Aussehen. Jetzt kommt ufter eine Schwester. Manchmal sind es auch Hilfsschwestern vom Roten Kreuz. Sie sind gutmutig, aber mitunter etwas ungeschickt. Beim Umbetten tun sie einem oft weh und sind dann so erschrocken, daß sie einem noch mehr weh tun. Die Nonnen sind zuverlussiger. Sie wissen, wie sie anfassen mussen, aber wir muchten gern, daß sie etwas lustiger wuren. Einige allerdings haben Humor, sie sind großartig. Wer wurde Schwester Libertine nicht jeden Gefallen tun, dieser wunderbaren Schwester, die im ganzen Flugel Stimmung verbreitet, wenn sie nur von weitem zu sehen ist? Und solcher sind noch mehrere da. Wir wurden fur sie durchs Feuer gehen. Man kann sich wirklich nicht beklagen, man wird direkt wie ein Zivilist hier behandelt von den Nonnen. Wenn man dagegen an die Garnisonlazarette denkt, in denen man mit angelegter Hand im Bett liegen muß, kann einem die Angst kommen. Franz Wuchter kommt nicht wieder zu Kruften. Eines Tages wird er abgeholt und bleibt fort. Josef Hamacher weiß Bescheid: "Den sehen wir nicht wieder. Sie haben ihn ins Totenzimmer gebracht." "Was fur ein Totenzimmer?" fragt Kropp. "Na, ins Sterbezimmer -" "Was ist denn das?" "Das kleine Zimmer an der Ecke des Flugels. Wer kurz vor dem Abkratzen ist, wird dahin gebracht. Es sind zwei Betten darin. uberall heißt es nur das Sterbezimmer." "Aber warum machen sie das?" "Sie haben dann nicht so viel Arbeit nachher. Es ist auch bequemer, weil es gleich am Aufzug zur Totenhalle liegt. Vielleicht tun sie es auch, damit keiner in den Sulen stirbt, wegen der andern. Sie kunnen ja auch besser bei ihm wachen, wenn er allein liegt." "Aber er selber?" Josef zuckt die Achseln. "Gewuhnlich merkt er ja nicht mehr viel davon." "Weiß es denn jeder?" "Wer lunger hier ist, weiß es naturlich." Nachmittags wird das Bett von Franz Wuchter neu belegt. Nach ein paar Tagen holen sie auch den neuen wieder ab. Josef macht eine bezeichnende Handbewegung. Wir sehen noch manchen kommen und gehen. Manchmal sitzen Angehurige an den Betten und weinen oder sprechen leise und verlegen. Eine alte Frau will gar nicht fort, aber sie kann die Nacht uber ja nicht dableiben. Am andern Morgen kommt sie schon ganz fruh, aber doch nicht fruh genug; denn als sie an das Bett geht, liegt schon jemand anders drin. Sie muß zur Totenhalle. Die upfel, die sie noch bei sich hat, gibt sie uns. Auch dem kleinen Peter geht es schlechter. Seine Fiebertafel sieht buse aus, und eines Tages steht neben seinem Bett der flache Wagen. "Wohin?" fragt er. "Zum Verbandssaal." Er wird hinauf gehoben. Aber die Schwester macht den Fehler, seinen Waffenrock vom Haken zu nehmen und ihn ebenfalls auf den Wagen zu legen, damit sie nicht zweimal zu gehen braucht. Peter weiß sofort Bescheid und will sich vom Wagen rollen. "Ich bleibe hier!" Sie drucken ihn nieder. Er schreit leise mit seiner zerschossenen Lunge: "Ich will nicht ins Sterbezimmer." "Wir gehen ja zum Verbandssaal." "Wozu braucht ihr dann meinen Waffenrock?" Er kann nicht mehr sprechen. Heiser, aufgeregt, flustert er: "Hierbleiben!" Sie antworten nicht und fahren ihn hinaus. Vor der Tur versucht er sich aufzurichten. Sein schwarzer Krauskopf bebt, die Augen sind voll Trunen. "Ich komme wieder! Ich komme wieder!" ruft er. Die Tur schließt sich. Wir sind alle erregt; aber wir schweigen. Endlich sagt Josef: "Hat schon mancher gesagt. Wenn man erst drin ist, hult man doch nicht durch." Ich werde operiert und kotze zwei Tage lang. Meine Knochen wollen nicht zusammenwachsen, sagt der Schreiber des Arztes. Bei einem andern sind sie falsch angewachsen; dem werden sie wieder gebrochen. Es ist schon ein Elend. Unter unserm Zuwachs sind zwei junge Soldaten mit Plattfußen. Bei der Visite entdeckt der Chefarzt sie und bleibt freudig stehen. "Das werden wir wegkriegen", erzuhlt er, "da machen wir eine kleine Operation, und schon haben Sie gesunde Fuße. Schreiben Sie auf, Schwester." Als er fort ist, warnt Josef, der alles weiß: "Laßt euch ja nicht operieren ! Das ist numlich ein wissenschaftlicher Fimmel vom Alten. Er ist ganz wild auf jeden, den er dafur zu fassen bekommt. Er operiert euch die Plattfuße, und ihr habt nachher tatsuchlich auch keine mehr; dafur habt ihr Klumpfuße und mußt euer Leben lang an Stucken laufen." "Was soll man denn da machen?" fragt der eine. "Nein sagen! Ihr seid hier, um eure Schusse zu kurieren, nicht eure Plattfuße! Habt ihr im Felde keine gehabt ? Na, da seht ihr! Jetzt kunnt ihr noch laufen, aber wenn der Alte euch erst unter dem Messer gehabt hat, seid ihr Kruppel. Er braucht Versuchskarnickel, fur ihn ist der Krieg eine großartige Zeit deshalb, wie fur alle urzte. Seht euch unten mal die Station an; da kriechen ein Dutzend Leute herum, die er operiert hat. Manche sind seit vierzehn und funfzehn hier, jahrelang. Kein einziger kann besser laufen als vorher; fast alle aber schlechter, die meisten nur mit Gipsbeinen. Alle halbe Jahre erwischt er sie wieder und bricht ihnen die Knochen aufs neue, und jedesmal soll dann der Erfolg kommen. Nehmt euch in acht, er darf es nicht, wenn ihr nein sagt." "Ach, Mensch!" sagt der eine von den beiden mude. "Besser die Fuße als der Schudel. Weißt du, was du kriegst, wenn du wieder draußen bist? Sollen sie mit mir machen, was sie wollen, wenn ich bloß wieder nach Hause komme. Besser ein Klumpfuß als tot." Der andere, ein junger Mensch wie wir, will nicht. Am andern Morgen lußt der Alte beide herunterholen und redet und schnauzt so lange auf sie ein, bis sie doch einwilligen. Was sollen sie anders tun. - Sie sind ja nur Muskoten, und er ist ein hohes Tier. Vergipst und chloroformiert werden sie wiedergebracht. Albert geht es schlecht. Er wird geholt und amputiert. Das ganze Bein bis obenhin wird abgenommen. Nun spricht er fast gar nicht mehr. Einmal sagt er, er wolle sich erschießen, wenn er erst wieder an seinen Revolver herankume. Ein neuer Transport trifft ein. Unsere Stube erhult zwei Blinde. Einer davon ist ein ganz junger Musiker. Die Schwestern haben nie ein Messer bei sich, wenn sie ihm Essen geben; er hat einer schon einmal eins entrissen. Trotz dieser Vorsicht passiert etwas. Abends beim Futtern wird die Schwester von seinem Bett abgerufen und stellt den Teller mit der Gabel so lange auf seinen Tisch. Er tastet nach der Gabel, faßt sie und stußt sie mit aller Kraft gegen sein Herz, dann ergreift er einen Schuh und schlugt auf den Stiel, so fest er kann. Wir rufen um Hilfe, und drei Mann sind nutig, ihm die Gabel wegzunehmen. Die stumpfen Zinken waren schon tief eingedrungen. Er schimpft die ganze Nacht auf uns, so daß niemand Schlaf findet. Morgens hat er einen Schreikrampf. Wieder werden Betten frei. Tage um Tage gehen hin in Schmerzen und Angst, Stuhnen und Rucheln. Auch das Vorhandensein der Totenzimmer nutzt nichts mehr, es sind zu wenig, die Leute sterben nachts auch auf unserer Stube. Es geht eben schneller als die uberlegung der Schwestern. Aber eines Tages fliegt die Tur auf, der flache Wagen rollt herein, und blaß, schmal, aufrecht, triumphierend, mit gestruubtem, schwarzem Krauskopf sitzt Peter auf der Bahre. Schwester Libertine schiebt ihn mit strahlender Miene an sein altes Bett. Er ist zuruck aus dem Sterbezimmer. Wir haben ihn lungst fur tot gehalten. Er sieht sich um: "Was sagt ihr nun?" Und selbst Josef muß zugeben, daß er so was zum ersten Male erlebt. Allmuhlich durfen einige von uns aufstehen. Auch ich bekomme Krucken zum Herumhumpeln. Doch ich mache wenig Gebrauch davon; ich kann Alberts Blick nicht ertragen, wenn ich durchs Zimmer gehe. Er sieht mir immer mit so sonderbaren Augen nach. Deshalb entschlupfe ich manchmal auf den Korridor - dort kann ich mich freier bewegen. Im Stockwerk tiefer liegen Bauch- und Ruckenmarkschusse, Kopfschusse und beiderseitig Amputierte. Rechts im Flugel Kieferschusse, Gaskranke, Nasen-, Ohren- und Halsschusse. Links im Flugel Blinde und Lungenschusse, Beckenschusse, Gelenkschusse, Nierenschusse, Hodenschusse, Magenschusse. Man sieht hier erst, wo ein Mensch ubel getroffen werden kann. Zwei Leute sterben an Wundstarrkrampf. Die Haut wird fahl, die Glieder erstarren, zuletzt leben - lange - nur noch die Augen. - Bei manchen Verletzten hungt das zerschossene Glied an einem Galgen frei in der Luft; unter die Wunde wird ein Becken gestellt, in das der Eiter tropft. Alle zwei oder drei Stunden wird das Gefuß geleert. Andere Leute liegen im Streckverband, mit schweren, herabziehenden Gewichten am Bett. Ich sehe Darmwunden, die stundig voll Kot sind. Der Schreiber des Arztes zeigt mir Runtgenaufnahmen von vullig zerschmetterten Huftknochen, Knien und Schultern. Man kann nicht begreifen, daß uber so zerrissenen Leibern noch Menschengesichter sind, in denen das Leben seinen alltuglichen Fortgang nimmt. Und dabei ist dies nur ein einziges Lazarett, nur eine einzige Station - es gibt Hunderttausende in Deutschland, Hunderttausende in Frankreich, Hunderttausende in Rußland. Wie sinnlos ist alles, was je geschrieben, getan, gedacht wurde, wenn so etwas muglich ist! Es muß alles gelogen und belanglos sein, wenn die Kultur von Jahrtausenden nicht einmal verhindern konnte, daß diese Strume von Blut vergossen wurden, daß diese Kerker der Qualen zu Hunderttausenden existieren. Erst das Lazarett zeigt, was der Krieg ist. Ich bin jung, ich bin zwanzig Jahre alt; aber ich kenne vom Leben nichts anderes als die Verzweiflung, den Tod, die Angst und die Verkettung sinnlosester Oberfluchlichkeit mit einem Abgrund des Leidens. Ich sehe, daß Vulker gegeneinandergetrieben werden und sich schweigend, unwissend, turicht, gehorsam, unschuldig tuten. Ich sehe, daß die klugsten Gehirne der Welt Waffen und Worte erfinden, um das alles noch raffinierter und lunger dauernd zu machen. Und mit mir sehen das alle Menschen meines Alters hier und druben, in der ganzen Welt, mit mir erlebt das meine Generation. Was werden unsere Vuter tun, wenn wir einmal aufstehen und vor sie hintreten und Rechenschaft fordern? Was erwarten sie von uns, wenn eine Zeit kommt, wo kein Krieg ist? Jahre hindurch war unsere Beschuftigung Tuten - es war unser erster Beruf im Dasein. Unser Wissen vom Leben beschrunkt sich auf den Tod. Was soll danach noch geschehen? Und was soll aus uns werden? Der ulteste auf unserer Stube ist Lewandowski. Er ist vierzig Jahre alt und liegt bereits zehn Monate im Hospital an einem schweren Bauchschuß. Erst in den letzten Wochen ist er so weit gekommen, daß er gekrummt etwas hinken kann. Seit einigen Tagen ist er in großer Aufregung. Seine Frau hat ihm aus dem kleinen Nest in Polen, wo sie wohnt, geschrieben, daß sie so viel Geld zusammen hat, um die Fahrt zu bezahlen und ihn besuchen zu kunnen. Sie ist unterwegs und kann jeden Tag eintreffen. Lewandowski schmeckt das Essen nicht mehr, sogar Rotkohl mit Bratwurst verschenkt er, nachdem er ein paar Happen genommen hat. Stundig luuft er mit dem Brief durchs Zimmer, jeder hat ihn schon ein dutzendmal gelesen, die Poststempel sind wer weiß wie oft schon gepruft, die Schrift ist vor Fettflecken und Fingerspuren kaum noch zu erkennen, und was kommen muß, kommt: Lewandowski kriegt Fieber und muß wieder ins Bett. Er hat seine Frau seit zwei Jahren nicht gesehen. Sie hat inzwischen ein Kind geboren, das bringt sie mit. Aber etwas ganz anderes beschuftigt Lewandowski. Er hatte gehofft, die Erlaubnis zum Ausgehen zu erhalten, wenn seine Alte kommt, denn es ist doch klar: Sehen ist ganz schun, aber wenn man seine Frau nach so langer Zeit wiederhat, will man, wenn es eben geht, doch noch was anderes. Lewandowski hat das alles stundenlang mit uns besprochen, denn beim Kommiß gibt es darin keine Geheimnisse. Es findet auch keiner etwas dabei. Diejenigen von uns, die schon ausgehen kunnen, haben ihm ein paar tadellose Ecken in der Stadt gesagt, Anlagen und Parks, wo er ungesturt gewesen wure, einer wußte sogar ein kleines Zimmer. Doch was nutzt das alles. Lewandowski liegt im Bett und hat seine Sorgen. Das ganze Leben macht ihm keinen Spaß mehr, wenn er diese Sache verpassen muß. Wir trusten ihn und versprechen ihm, daß wir den Kram schon irgendwie schmeißen werden. Am andern Nachmittag erscheint seine Frau, ein kleines, verhutzeltes Ding mit ungstlichen und eiligen Vogelaugen, in einer Art von schwarzer Mantille mit Krausen und Bundern, weiß der Himmel, wo sie das Stuck mal geerbt hat. Sie murmelt leise etwas und bleibt scheu an der Tur stehen. Es erschreckt sie, daß wir sechs Mann hoch sind. "Na, Marja", sagt Lewandowski und schluckt gefuhrlich mit seinem Adamsapfel, "kannst ruhig 'reinkommen, die tun dir hier nichts." Sie geht herum und gibt jedem von uns die Hand. Dann zeigt sie das Kind vor, das inzwischen in die Windeln gemacht hat. Sie hat eine große, mit Perlen bestickte Tasche bei sich, aus der sie ein reines Tuch nimmt, um das Kind flink neu zu wickeln. Damit ist sie uber die erste Verlegenheit hinweg, und die beiden fangen an zu reden. Lewandowski ist sehr kribblig, er schielt immer wieder uußerst unglucklich mit seinen runden Glotzaugen zu uns heruber. Die Zeit ist gunstig, die Arztvisite ist vorbei, es kunnte huchstens noch eine Schwester ins Zimmer schauen. Einer geht deshalb noch einmal hinaus - spekulieren. Er kommt zuruck und nickt. "Kein Aas zu sehen. Nun sag's ihr schon, Johann, und mach zu." Die beiden unterhalten sich in ihrer Sprache. Die Frau guckt etwas rot und verlegen auf. Wir grinsen gutmutig und machen wegwerfende Handbewegungen, was schon dabei sei! Der Teufel soll alle Vorurteile holen, die sind fur andere Zeiten gemacht, hier liegt der Tischler Johann Lewandowski, ein zum Kruppel geschossener Soldat, und da ist seine Frau, wer weiß, wann er sie wiedersieht, er will sie haben, und er soll sie haben, fertig. Zwei Mann stellen sich vor die Tur, um die Schwestern abzufangen und zu beschuftigen, wenn sie zufullig vorbeikommen sollten. Sie wollen ungefuhr eine Viertelstunde aufpassen. Lewandowski kann nur auf der Seite liegen, einer packt ihm deshalb noch ein paar Kissen in den Rucken, Albert kriegt das Kind zu halten, dann drehen wir uns ein bißchen um, die schwarze Mantille verschwindet unter der Bettdecke, und wir kloppen laut und mit allerhand Redensarten Skat. Es geht alles gut. Ich habe einen wusten Kreuz-Solo mit vieren in den Fingern, der ungefuhr noch rumgeht. Daruber vergessen wir beinahe Lewandowski. Nach einiger Zeit beginnt das Kind zu plurren, obschon Albert es verzweifelt hin und her schwenkt. Es knistert und rauscht dann ein bißchen, und als wir so beiluufig aufblicken, sehen wir, daß das Kind schon die Flasche im Mund hat und wieder bei der Mutter ist. Die Sache hat geklappt. Wir fuhlen uns jetzt als eine große Familie, die Frau ist ordentlich munter geworden, und Lewandowski liegt schwitzend und strahlend da. Er packt die gestickte Tasche aus, es kommen da ein paar gute Wurste zum Vorschein, Lewandowski nimmt das Messer wie einen Blumenstrauß und subelt das Fleisch in Stucke. Mit großer Handbewegung weist er auf uns - und die kleine, verhutzelte Frau geht von einem zum andern und lacht uns an und verteilt die Wurst, sie sieht jetzt direkt hubsch aus dabei. Wir sagen Mutter zu ihr, und sie freut sich und klopft uns die Kopfkissen auf. Nach einigen Wochen muß ich jeden Morgen ins Zanderinstitut. Dort wird mein Bein festgeschnallt und bewegt. Der Arm ist lungst geheilt. Es laufen neue Transporte aus dem Felde ein. Die Verbunde sind nicht mehr aus Stoff, sie bestehen nur noch aus weißem Krepp-Papier. Verbandstoff ist zu knapp geworden draußen. Alberts Stumpf heilt gut. Die Wunde ist fast geschlossen. In einigen Wochen soll er fort in eine Prothesenstation. Er spricht noch immer wenig und ist viel ernster als fruher. Oft bricht er mitten im Gespruch ab und starrt vor sich hin. Wenn er nicht mit uns andern zusammen wure, hutte er lungst Schluß gemacht. Jetzt aber ist er uber das Schlimmste hinausgelangt. Er sieht schon manchmal beim Skat zu. Ich bekomme Erholungsurlaub. Meine Mutter will mich nicht mehr fortlassen. Sie ist so schwach. Es ist alles noch schlimmer als das letztemal. Danach werde ich vom Regiment angefordert und fahre wieder ins Feld. Der Abschied von meinem Freunde Albert Kropp ist schwer. Aber man lernt das beim Kommiß mit der Zeit. II Wir zuhlen die Wochen nicht mehr. Es war Winter, als ich ankam, und bei den Einschlugen der Granaten wurden die gefrorenen Erdklumpen fast ebenso gefuhrlich wie die Splitter. Jetzt sind die Buume wieder grun. Unser Leben wechselt zwischen Front und Baracken. Wir sind es teilweise schon gewohnt, der Krieg ist eine Todesursache wie Krebs und Tuberkulose, wie Grippe und Ruhr. Die Todesfulle sind nur viel huufiger, verschiedenartiger und grausamer. Unsere Gedanken sind Lehm, sie werden geknetet vom Wechsel der Tage - sie sind gut, wenn wir Ruhe haben, und tot, wenn wir im Feuer liegen. Trichterfelder draußen und drinnen. Alle sind so, nicht wir hier allein - was fruher war, gilt nicht, und man weiß es auch wirklich nicht mehr. Die Unterschiede, die Bildung und Erziehung schufen, sind fast verwischt und kaum noch zu erkennen. Sie geben manchmal Vorteile im Ausnutzen einer Situation; aber sie bringen auch Nachteile mit sich, indem sie Hemmungen wachrufen, die erst uberwunden werden mussen. Es ist, als ob wir fruher einmal Geldstucke verschiedener Lunder gewesen wuren; man hat sie eingeschmolzen, und alle haben jetzt denselben Prugestempel. Will man Unterschiede erkennen, dann muß man schon genau das Material prufen. Wir sind Soldaten und erst sputer auf eine sonderbare und verschumte Weise noch Einzelmenschen. Es ist eine große Bruderschaft, die ein Schimmer von dem Kameradentum der Volkslieder, dem Solidaritutsgefuhl von Struflingen und dem verzweifelten Einanderbeistehen von zum Tode Verurteilten seltsam vereinigt zu einer Stufe von Leben, das mitten in der Gefahr, aus der Anspannung und Verlassenheit des Todes sich abhebt und zu einem fluchtigen Mitnehmen der gewonnenen Stunden wird, auf gunzlich unpathetische Weise. Es ist heroisch und banal, wenn man es werten wollte - doch wer will das? Es ist darin enthalten, wenn Tjaden bei einem gemeldeten feindlichen Angriff in rasender Hast seine Erbsensuppe mit Speck ausluffelt, weil er ja nicht weiß, ob er in einer Smnde noch lebt. Wir haben lange daruber diskutiert, ob es richtig sei oder nicht. Kat verwirft es, weil er sagt, man musse mit einem Bauchschuß rechnen, der bei vollem Magen gefuhrlicher sei als bei leerem. Solche Dinge sind Probleme fur uns, sie sind uns ernst, und es kann auch nicht anders sein. Das Leben hier an der Grenze des Todes hat eine ungeheuer einfache Linie, es beschrunkt sich auf das Notwendigste, alles andere liegt in dumpfem Schlaf; - das ist unsere Primitivitut und unsere Rettung. Wuren wir differenzierter, wir wuren lungst irrsinnig, desertiert oder gefallen. Es ist wie eine Expedition im hohen Eise; - jede Lebensuußerung darf nur der Daseinserhaltung dienen und ist zwangsluufig darauf eingestellt. Alles andere ist verbannt, weil es unnutig Kraft verzehren wurde. Das ist die einzige Art, uns zu retten, und oft sitze ich vor mir selber wie vor einem Fremden, wenn der rutselhafte Widerschein des Fruher in stillen Stunden wie ein matter Spiegel die Umrisse meines jetzigen Daseins außer mich stellt, und ich wundere mich dann daruber, wie das unnennbare Aktive, das sich Leben nennt, sich angepaßt hat selbst an diese Form. Alle anderen uußerungen liegen im Winterschlaf, das Leben ist nur auf einer stundigen Lauer gegen die Bedrohung des Todes, - es hat uns zu denkenden Tieren gemacht, um uns die Waffe des Instinktes zu geben, - es hat uns mit Stumpfheit durchsetzt, damit wir nicht zerbrechen vor dem Grauen, das uns bei klarem, bewußtem Denken uberfallen wurde, - es hat in uns den Kameradschaftssinn geweckt, damit wir dem Abgrund der Verlassenheit entgehen, - es hat uns die Gleichgultigkeit von Wilden verliehen, damit wir trotz allem jeden Moment des Positiven empfinden und als Reserve aufspeichern gegen den Ansturm des Nichts. So leben wir ein geschlossenes, hartes Dasein uußerster Oberfluche, und nur manchmal wirft ein Ereignis Funken. Dann aber schlugt uberraschend eine Flamme schwerer und furchtbarer Sehnsucht durch. Das sind die gefuhrlichen Augenblicke, die uns zeigen, daß die Anpassung doch nur kunstlich ist, daß sie nicht einfach Ruhe ist, sondern schurfste Anspannung zur Ruhe. Wir unterscheiden uns uußerlich in der Lebensform kaum von Buschnegern; aber wuhrend diese stets so sein kunnen, weil sie eben so sind und sich durch Anspannung ihrer Geisteskrufte huchstens fortentwickeln, ist es bei uns umgekehrt: unsere inneren Krufte sind nicht auf Weiter-, sondern auf Zuruckentwicklung angespannt. Jene sind entspannt und selbstverstundlich so, wir sind es uußerst angespannt und kunstlich. Und mit Schrecken empfindet man nachts, aus einem Traum aufwachend, uberwultigt und preisgegeben derBezauberung heranflutender Gesichte, wie dunn der Hak und die Grenze ist, die uns von der Dunkelheit trennt - wir sind kleine Flammen, notdurftig geschutzt durch schwache Wunde vor dem Sturm der Auflusung und der Sinnlosigkeit, in dem wir flackern und manchmal fast ertrinken. Dann wird das gedumpfte Brausen der Schlacht zu einem Ring, der uns einschließt, wir kriechen in uns zusammen und starren mit großen Augen in die Nacht. Trustlich fuhlen wir nun den Schlafatem der Kameraden, und so warten wir auf den Morgen. Jeder Tag und jede Stunde, jede Granate und jeder Tote wetzen an diesem dunnen Halt, und die Jahre verschleißen ihn rasch. Ich sehe, wie er allmuhlich schon um mich herum niederbricht. Da ist die dumme Geschichte mit Detering. Er war einer von denen, die sich sehr fur sich hielten. Sein Ungluck war, daß er in einem Garten einen Kirschbaum sah. Wir kamen gerade von der Front, und dieser Kirschbaum stand in der Nuhe des neuen Quartiers an einer Wegbiegung uberraschend in der Morgendummerung vor uns. Er hatte keine Blutter, aber er war ein einziger weißer Blutenbusch. Abends war Detering nicht zu sehen. Er kam schließlich an und hatte ein paar Zweige mit Kirschbluten in der Hand. Wir machten uns lustig und fragten, ob er auf Brautschau wolle. Er gab keine Antwort, sondern legte sich auf sein Bett. Nachts hurte ich ihn rumoren, er schien zu packen. Ich witterte Unheil und ging zu ihm. Er tat, als wure nichts, und ich sagte ihm: "Mach keinen Unsinn, Detering." "Ach wo - ich kann nur nicht schlafen. "Weshalb hast du denn die Kirschzweige geholt?" "Ich werde doch wohl noch Kirschzweige holen durfen", antwortet er verstockt - und nach einer Weile: "Zu Hause habe ich einen großen Obstgarten mit Kirschen. Wenn die bluhen, sieht das vom Heuboden aus wie ein einziges Bettlaken, so weiß. Es ist jetzt die Zeit." "Vielleicht gibt's bald Urlaub. Es kann auch sein, daß du, als Landwirt, abkommandiert wirst." Er nickt, aber er ist abwesend. Wenn diese Bauern aufgeruhrt sind, haben sie einen sonderbaren Ausdruck, eine Mischung von Kuh und sehnsuchtigem Gott, halb blude und halb hinreißend. Um ihn von seinen Gedanken abzubringen, verlange ich ein Stuck Brot von ihm. Er gibt es mir ohne Einschrunkung. Das ist verduchtig, denn er ist sonst knauserig. Deshalb bleibe ich wach. Es passiert nichts, er ist morgens wie sonst. Wahrscheinlich hat er gemerkt, daß ich ihn beobachtet habe. - Am ubernuchsten Morgen ist er trotzdem fort. Ich sehe es, sage jedoch nichts, um ihm Zeit zu lassen, vielleicht kommt er durch. Nach Holland haben es schon verschiedene Leute geschafft. Beim Appell aber fullt sein Fehlen auf. Nach einer Woche huren wir, daß er gefaßt ist von den Feldgendarmen, diesen verachteten Kommißpolizisten. Er hatte die Richtung nach Deutschland genommen - das war naturlich aussichtslos -, und ebenso naturlich hatte er alles sehr dumm angefangen. Jeder hutte daraus wissen kunnen, daß die Flucht nur Heimweh und momentane Verwirrung war. Doch was begreifen Kriegsgerichtsrute hundert Kilometer hinter der Linie davon? - Wir haben nichts mehr von Detering vernommen. Aber auch auf andere Weise bricht es manchmal heraus, dieses Gefuhrliche, Gestaute - wie aus uberhitzten Dampfkesseln. Da ist auch noch das Ende zu berichten, das Berger fand. Schon lange sind unsere Gruben zerschossen, und wir haben die elastische Front, so daß wir eigentlich keinen richtigen Stellungskrieg mehr fuhren. Wenn Angriff und Gegenangriff hin und her gegangen sind, bleibt eine zerrissene Linie und ein erbitterter Kampf von Trichter zu Trichter. Die vordere Linie ist durchbrochen, und uberall haben sich Gruppen festgesetzt, Trichternester, von denen aus gekumpft wird. Wir sind in einem Trichter, seitlich sitzen Englunder, sie rollen die Flanke auf und gelangen hinter uns. Wir sind umzingelt. Es ist schwierig, sich zu ergeben, Nebel und Rauch schwanken uber uns hin, niemand wurde erkennen, daß wir kapitulieren wollen, vielleicht wollen wir es auch gar nicht, das weiß man selbst nicht in solchen Momenten. Wir huren die Explosionen der Handgranaten herankommen. Unser Maschinengewehr bestreicht den vorderen Halbkreis. Das Kuhlwasser verdampft, wir reichen die Kusten eilig herum, jeder pißt hinein, so haben wir wieder Wasser und kunnen weiterfeuern. Aber hinter uns kracht es immer nuher. In einigen Minuten sind wir verloren. Da rast ein zweites Maschinengewehr auf kurzeste Entfernung los. Es steckt im Trichter neben uns, Berger hat es geholt, und nun setzt ein Gegenangriff von hinten ein, wir kommen frei und finden Verbindung nach ruckwurts. Als wir nachher in einigermaßen guter Deckung sind, erzuhlt einer von den Essenholern, daß ein paar hundert Schritte entfernt ein verwundeter Meldehund liege. "Wo?" fragt Berger. Der andere beschreibt es ihm. Berger geht los, um das Tier zu holen oder es zu erschießen. Noch vor einem halben Jahr hutte er sich nicht darum gekummert, sondern wure vernunftig gewesen. Wir versuchen, ihn zuruckzuhalten. Doch als er ernsthaft geht, kunnen wir nur sagen: "Verruckt!" und ihn laufenlassen. Denn diese Anfulle von Frontkoller werden gefuhrlich, wenn man den Mann nicht gleich zu Boden werfen und festhalten kann. Und Berger ist ein Meter achtzig groß, der kruftigste Mann der Kompanie. Er ist tatsuchlich verruckt, denn er muß durch die Feuerwand; - aber es ist dieser Blitz, der irgendwo uber uns allen lauert, der in ihn eingeschlagen ist und ihn besessen macht. Bei andern ist es so, daß sie zu toben anfangen, daß sie wegrennen, ja einer war da, der sich mit Hunden und Fußen und Mund immerfort in die Erde einzugraben versuchte. Es wird naturlich auch viel simuliert mit solchen Sachen, aber das Simulieren ist ja eigentlich auch schon ein Zeichen. Berger, der den Hund erledigen will, wird mit einem Beckenschuß weggeholt, und einer der Leute, die es tun, kriegt sogar dabei noch eine Gewehrkugel in die Wade. Muller ist tot. Man hat ihm aus nuchster Nuhe eine Leuchtkugel in den Magen geschossen. Er lebte noch eine halbe Stunde bei vollem Verstande und furchtbaren Schmerzen. Bevor er starb, ubergab er mir seine Brieftasche und vermachte mir seine Stiefel - dieselben, die er damals von Kemmerich geerbt hat. Ich trage sie, denn sie passen mir gut. Nach mir wird Tjaden sie bekommen, ich habe sie ihm versprochen. Wir haben Muller zwar begraben kunnen, aber lange wird er wohl nicht ungesturt bleiben. Unsere Linien werden zuruckgenommen. Es gibt druben zu viele frische englische und amerikanische Regimenter. Es gibt zuviel Corned beef und weißes Weizenmehl. Und zuviel neue Geschutze. Zuviel Flugzeuge. Wir aber sind mager und ausgehungert. Unser Essen ist so schlecht und mit so viel Ersatzmitteln gestreckt, daß wir krank davon werden. Die Fabrikbesitzer in Deutschland sind reiche Leute geworden - uns zerschrinnt die Ruhr die Durme. Die Latrinenstangen sind stets dicht gehockt voll; - man sollte den Leuten zu Hause diese grauen, gelben, elenden, ergebenen Gesichter hier zeigen, diese verkrummten Gestalten, denen die Kolik das Blut aus dem Leibe quetscht und die huchstens mit verzerrten, noch schmerzbebenden Lippen sich angrinsen: "Es hat gar keinen Zweck, die Hose wieder hochzuziehen -" Unsere Artillerie ist ausgeschossen - sie hat zuwenig Munition -, und die Rohre sind so ausgeleiert, daß sie unsicher schießen und bis zu uns heruberstreuen. Wir haben zuwenig Pferde. Unsere frischen Truppen sind blutarme, erholungsbedurftige Knaben, die keinen Tornister tragen kunnen, aber zu sterben wissen. Zu Tausenden. Sie verstehen nichts vom Kriege, sie gehen nur vor und lassen sich abschießen. Ein einziger Flieger knallte aus Spaß zwei Kompanien von ihnen weg, ehe sie etwas von Deckung wußten, als sie frisch aus dem Zuge kamen. "Deutschland muß bald leer sein", sagt Kat. Wir sind ohne Hoffnung, daß einmal ein Ende sein kunnte. Wir denken uberhaupt nicht so weit. Man kann einen Schuß bekommen und tot sein; man kann verletzt werden, dann ist das Lazarett die nuchste Station. Ist man nicht amputiert, dann fullt man uber kurz oder lang einem dieser Stabsurzte in die Hunde, die das Kriegsverdienstkreuz im Knopfloch, einem sagen: "Wie, das bißchen verkurzte Bein? An der Front brauchen Sie nicht zu laufen, wenn Sie Mut haben. Der Mann ist k.v. Wegtreten!" Kat erzuhlt eine der Geschichten, die die ganze Front von den Vogesen bis Flandern entlanglaufen, - von dem Stabsarzt, der Namen vorliest auf der Musterung und, wenn der Mann vortritt, ohne aufzusehen, sagt: "K.v. Wirbrauchen Soldaten draußen." Ein Mann mit Holzbein tritt vor, der Stabsarzt sagt wieder: k.v. - "Und da", Kat hebt die Stimme, "sagt der Mann zu ihm: >Ein Holzbein habe ich schon; aber wenn ich jetzt hinausgehe und wenn man mir den Kopf abschießt, dann lasse ich mir einen Holzkopf machen und werde Stabsarzt!<" - Wir sind alle tief befriedigt uber diese Antwort. Es mag gute urzte geben, und viele sind es; doch einmal fullt bei den hundert Untersuchungen jeder Soldat einem dieser zahlreichen Heldengreifer in die Finger, die sich bemuhen, auf ihrer Liste muglichst viele a.v. und g.v. in k.v. zu verwandeln. Es gibt manche solcher Geschichten, sie sind meistens noch viel bitterer. Aber sie haben trotzdem nichts mit Meuterei und Miesmachen zu tun; sie sind ehrlich und nennen die Dinge beim Namen; denn es besteht sehr viel Betrug, Ungerechtigkeit und Gemeinheit beim Kommiß. Ist es nicht viel, daß trotzdem Regiment auf Regiment in den immer aussichtsloser werdenden Kampf geht und daß Angriff auf Angriff erfolgt bei zuruckweichender, zerbruckelnder Linie? Die Tanks sind vom Gesputt zu einer schweren Waffe geworden. Sie kommen, gepanzert, in langer Reihe gerollt und verkurpern uns mehr als anderes das Grauen des Krieges. Die Geschutze, die uns das Trommelfeuer heruberschicken, ] sehen wir nicht, die angreifenden Linien der Gegner sind Menschen wie wir - aber diese Tanks sind Maschinen, ihre Kettenbunder laufen endlos wie der Krieg, sie sind die Vernichtung, wenn sie fuhllos in Trichter hineinrollen und wieder hochklettern, unaufhaltsam, eine Flotte brullender, rauchspeiender Panzer, unverwundbare, Tote und Verwundete zerquetschende Stahltiere - Wir schrumpfen zusammen vor ihnen in unserer dunnen Haut, vor ihrer kolossalen Wucht werden unsere Arme zu Strohhalmen und unsere Handgranaten zu Streichhulzern. Granaten, Gasschwaden und Tankflottillen - Zerstampfen, Zerfressen, Tod. Ruhr, Grippe, Typhus -Wurgen, Verbrennen,Tod. Graben, Lazarett, Massengrab - mehr Muglichkeiten gibt es nicht. Bei einem Angriff fullt unser Kompaniefuhrer Bertinck. Er war einer dieser prachtvollen Frontoffiziere, die in jeder brenzligen Situation vorne sind. Seit zwei Jahren war er bei uns, ohne daß er verwundet wurde, da mußte ja endlich etwas passieren. Wir sitzen in einem Loch und sind eingekreist. Mit den Pulverschwaden weht der Gestank von ul oder Petroleum heruber. Zwei Mann mit einem Flammenwerfer werden entdeckt, einer trugt auf dem Rucken den Kasten, der andere hat in den Hunden den Schlauch, aus dem das Feuer spritzt. Wenn sie so nahe herankommen, daß sie uns erreichen, sind wir erledigt, denn zuruck kunnen wir gerade jetzt nicht. Wir nehmen sie unter Feuer. Doch sie arbeiten sich nuher heran, und es wird schlimm. Bertinck liegt mit uns im Loch. Als er merkt, daß wir nicht treffen, weil wir bei dem scharfen Feuer zu sehr auf Deckung bedacht sein mussen, nimmt er ein Gewehr, kriecht aus dem Loch und zielt, liegend aufgestutzt. Er schießt - im selben Moment schlugt eine Kugel bei ihm klatschend auf, er ist getroffen. Doch er bleibt liegen und zielt weiter - einmal setzt er ab und legt dann aufs neue an; endlich kracht der Schuß. Bertinck lußt das Gewehr fallen, sagt: "Gut", und rutscht zuruck. Der hinterste der beiden Flammenwerfer ist verletzt, er fullt, der Schlauch rutscht dem andern weg, das Feuer spritzt nach allen Seiten, und der Mann brennt. Bertinck hat einen Brustschuß. Nach einer Weile schmettert ihm ein Splitter das Kinn weg. Der gleiche Splitter hat noch die Kraft, Leer die Hufte aufzureißen. Leer stuhnt und stemmt sich auf die Arme, er verblutet rasch, niemand kann ihm helfen. Wie ein leerlaufender Schlauch sackt er nach ein paar Minuten zusammen. Was nutzt es ihm nun, daß er in der Schule ein so guter Mathematiker war. Die Monate rucken weiter. Dieser Sommer 1918 ist der blutigste und der schwerste. Die Tage stehen wie Engel in Gold und Blau unfaßbar uber dem Ring der Vernichtung. Jeder hier weiß, daß wir den Krieg verlieren. Es wird nicht viel daruber gesprochen, wir gehen zuruck, wir werden nicht wieder angreifen kunnen nach dieser großen Offensive, wir haben keine Leute und keine Munition mehr. Doch der Feldzug geht weiter - das Sterben geht weiter - Sommer 1918 - Nie ist uns das Leben in seiner kargen Gestalt so begehrenswert erschienen wie jetzt; - der rote Klatschmohn auf den Wiesen unserer Quartiere, die glatten Kufer an den Grashalmen, die warmen Abende in den halb-dunklen, kuhlen Zimmern, die schwarzen, geheimnisvollen Buume der Dummerung, die Sterne und das Fließen des Wassers, die Truume und der lange Schlaf - o Leben, Leben, Leben! Sommer 1918 - Nie ist schweigend mehr ertragen worden als in dem Augenblick des Aufbruchs zur Front. Die wilden und aufpeitschenden Geruchte von Waffenstillstand und Frieden sind aufgetaucht, sie verwirren die Herzen und machen den Auf bruch schwerer als jemals! Sommer 1918 - Nie ist das Leben vorne bitterer und grauenvoller als in den Stunden des Feuers, wenn die bleichen Gesichter im Schmutz liegen und die Hunde verkrampft sind zu einem einzigen: Nicht! Nicht! Nicht jetzt noch! Nicht jetzt noch im letzten Augenblick! Sommer 1918 - Wind der Hoffnung, der uber die verbrannten Felder streicht, rasendes Fieber der Ungeduld, der Enttuuschung, schmerzlichste Schauer des Todes, unfaßbare Frage: Warum? Warum macht man kein Ende? Und warum flattern diese Geruchte vom Ende auf? Es gibt so viele Flieger hier, und sie sind so sicher, daß sie auf einzelne Leute Jagd machen wie auf Hasen. Auf ein deutsches Flugzeug kommen mindestens funf englische und amerikanische. Auf einen hungrigen, muden deutschen Soldaten im Graben kommen funf kruftige, frische andere im gegnerischen. Auf ein deutsches Kommißbrot kommen funfzig Buchsen Fleischkonserven druben. Wir sind nicht geschlagen, denn wir sind als Soldaten besser und erfahrener; wir sind einfach von der vielfachen ubermacht zerdruckt und zuruckgeschoben. Einige Regenwochen liegen hinter uns - grauer Himmel, graue zerfließende Erde, graues Sterben. Wenn wir hinausfahren, dringt uns bereits die Nusse durch die Muntel und Kleider, - und so bleibt es die Zeit vorne auch. Wir werden nicht trocken. Wer noch Stiefel trugt, bindet sie oben mit Sandsucken zu, damit das Lehmwasser nicht so rasch hineinluuft. Die Gewehre verkrusten, die Uniformen verkrusten, alles ist fließend und aufgelust, eine triefende, feuchte, ulige Masse Erde, in der die gelben Tumpel mit spiralig roten Blutlachen stehen und Tote, Verwundete und uberlebende langsam versinken. Der Sturm peitscht uber uns hin, der Splitterhagel reißt aus dem wirren Grau und Gelb die spitzen Kinderschreie der Getroffenen, und in den Nuchten stuhnt das zerrissene Leben sich muhsam dem Schweigen zu. Unsere Hunde sind Erde, unsere Kurper Lehm und unsere Augen Regentumpel. Wir wissen nicht, ob wir noch leben. Dann sturzt die Hitze wie eine Qualle feucht und schwul in unsere Lucher, und an einem dieser Sputsommertage, beim Essenholen, fullt Kat um. Wir beide sind allein. Ich verbinde seine Wunde; das Schienbein scheint zerschmettert zu sein. Es ist ein Knochenschuß, und Kat stuhnt verzweifelt: "Jetzt noch - gerade jetzt noch -" Ich truste ihn. "Wer weiß, wie lange der Schlamassel noch dauert! Du bist erst mal gerettet -" Die Wunde beginnt heftig durchzubluten. Kat kann nicht allein bleiben, damit ich eine Bahre zu holen versuche. Ich weiß auch nirgendwo eine Sanitutsstation in der Nuhe. Kat ist nicht sehr schwer; deshalb nehme ich ihn auf den Rucken und gehe zuruck mit ihm zum Verbandsplatz. Zweimal machen wir Rast. Er hat starke Schmerzen durch den Transport. Wir sprechen nicht viel. Ich habe den Kragen meiner Jacke aufgemacht und atme heftig, ich schwitze, und mein Gesicht ist gedunsen von der Anstrengung des Tragens. Trotzdem drunge ich, daß wir weitergehen, denn das Terrain ist gefuhrlich. "Geht's wieder, Kat?" "Muß wohl, Paul." "Dann los." Ich richte ihn auf, er steht auf dem unverletzten Bein und hult sich an einem Baum fest. Dann fasse ich vorsichtig das verwundete Bein, er gibt sich einen Ruck, und ich nehme auch das Knie des gesunden Beines unter den Arm. Unser Weg wird schwieriger. Manchmal pfeift eine Granate heran. Ich gehe, so schnell ich vermag, denn das Blut von Kats Wunde tropft zu Boden. Wir kunnen uns nur schlecht schutzen vor den Einschlugen, denn ehe wir Deckung nehmen, sind sie lungst voruber. Um abzuwarten, legen wir uns in einen kleinen Trichter. Ich gebe Kat Tee aus meiner Feldflasche. Wir rauchen eine Zigarette. "Ja, Kat", sage ich trubsinnig, "nun kommen wir doch noch auseinander." Er schweigt und sieht mich an. "Weißt du noch, Kat, wie wir die Gans requirierten? Und wie du mich aus dem Schlamassel holtest, als ich noch ein kleiner Rekrut und zum erstenmal verwundet war? Damals habe ich noch geweint. Kat, es sind fast drei Jahre jetzt." Er nickt. Die Angst vor dem Alleinsein steigt in mir auf. Wenn Kat abtransportiert ist, habe ich keinen Freund mehr hier. "Kat, wir mussen uns auf jeden Fall wiedersehen, wenn wirklich Frieden ist, ehe du zuruckkommst." "Glaubst du, daß ich mit dem Knochen da noch mal k.v. werde?" fragt er bitter. "Du wirst ihn in Ruhe ausheilen. Das Gelenk ist ja in Ordnung. Vielleicht klappt es doch damit." "Gib mir noch eine Zigarette", sagt er. "Vielleicht kunnen wir irgend etwas sputer zusammen machen, Kat." - Ich bin sehr traurig, es ist unmuglich, daß Kat - Kat, mein Freund, Kat mit den Hungeschultern und dem dunnen, weichen Schnurrbart, Kat, den ich kenne auf eine andere Weise als jeden anderen Menschen, Kat, mit dem ich diese Jahre geteilt habe -, es ist unmuglich, daß ich Kat vielleicht nicht wiedersehen soll. "Gib mir deine Adresse fur zu Hause, Kat, auf jeden Fall. Und hier ist meine, ich schreibe sie dir auf." Den Zettel schiebe ich in meine Brusttasche. Wie verlassen ich schon bin, obschon er noch neben mir sitzt. Soll ich mir rasch in den Fuß schießen, um bei ihm bleiben zu kunnen? Kat gurgelt plutzlich und wird grun und gelb. "Wir wollen weiter", stammelt er. Ich springe auf, gluhend, ihm zu helfen, ich nehme ihn hoch und setze mich in Lauf, einen gedehnten, langsamen Dauerlauf, damit sein Bein nicht zu sehr schlenkert. Mein Hals ist trocken, es tanzt mir rot und schwarz vor den Augen, als ich verbissen und ohne Gnade weiterstolpernd, endlich die Sanitutsstation erreiche. Dort breche ich in die Knie, habe aber noch so viel Kraft, nach der Seite umzufallen, wo Kats gesundes Bein ist. Langsam richte ich mich nach einigen Minuten wieder auf. Meine Beine und meine Hunde zittern heftig, ich habe Muhe, meine Feldflasche zu finden, um einen Schluck zu neh