Эрих Мария Ремарк. На западном фронте без перемен (germ) OCR, Spellcheck: Илья Франк, http://franklang.ru (мультиязыковой проект. Ильи Франка) Erich Maria Remarque Im Westen nichts Neues Dieses Buch soll weder eine Anklage noch ein Bekenntnis sein. Es soll nur den Versuch machen, uber eine Generation zu berichten, die vom Kriege zersturt wurde - auch wenn sie seinen Granaten entkam. I Wir liegen neun Kilometer hinter der Front. Gestern wurden wir abgelust; jetzt haben wir den Magen voll weißer Bohnen mit Rindfleisch und sind satt und zufrieden. Sogar fur abends hat jeder noch ein Kochgeschirr voll fassen kunnen; dazu gibt es außerdem doppelte Wurst- und Brotportionen - das schafft. So ein Fall ist schon lange nicht mehr dagewesen: der Kuchenbulle mit seinem roten Tomatenkopf bietet das Essen direkt an; jedem, der vorbeikommt, winkt er mit seinem Luffel zu und fullt ihm einen kruftigen Schlag ein. Er ist ganz verzweifelt, weil er nicht weiß, wie er seine Gulaschkanone leer kriegen soll. Tjaden und Muller haben ein paar Waschschusseln aufgetrieben und sie sich bis zum Rand gestrichen voll geben lassen, als Reserve. Tjaden macht das aus Freßsucht, Muller aus Vorsicht. Wo Tjaden es lußt, ist allen ein Rutsel. Er ist und bleibt ein magerer Hering. Das Wichtigste aber ist, daß es auch doppelte Rauchportionen gegeben hat. Fur jeden zehn Zigarren, zwanzig Zigaretten und zwei Stuck Kautabak, das ist sehr anstundig. Ich habe meinen Kautabak mit Katczinsky gegen seine Zigaretten getauscht, das macht fur mich vierzig Zigaretten. Damit langt man schon einen Tag. Dabei steht uns diese ganze Bescherung eigentlich nicht zu. So splendid sind die Preußen nicht. Wir haben sie nur einem Irrtum zu verdanken. Vor vierzehn Tagen mußten wir nach vorn, um abzulusen. Es war ziemlich ruhig in unserm Abschnitt, und der Furier hatte deshalb fur den Tag unserer Ruckkehr das normale Quantum Lebensmittel erhalten und fur die hundertfunfzig Mann starke Kompanie vorgesorgt. Nun aber gab es gerade am letzten Tage bei uns uberraschend viel Langrohr und dicke Brocken, englische Artillerie, die stundig auf unsere Stellung trommelte, so daß wir starke Verluste hatten und nur mit achtzig Mann zuruckkamen. Wir waren nachts eingeruckt und hatten uns gleich hingehauen, um erst einmal anstundig zu schlafen; denn Katczinsky hat recht: es wure alles nicht so schlimm mit dem Krieg, wenn man nur mehr Schlaf haben wurde. Vorne ist es doch nie etwas damit, und vierzehn Tage jedes mal sind eine lange Zeit. Es war schon Mittag, als die ersten von uns aus den Baracken krochen. Eine halbe Stunde sputer hatte jeder sein Kochgeschirr gegriffen, und wir versammelten uns vor der Gulaschmarie, die fettig und nahrhaft roch. An der Spitze naturlich die Hungrigsten: der kleine Albert Kropp, der von uns am klarsten denkt und deshalb erst Gefreiter ist; - Muller V, der noch Schulbucher mit sich herumschleppt und vom Notexamen truumt; im Trommelfeuer buffelt er physikalische Lehrsutze; - Leer, der einen Vollbart trugt und große Vorliebe fur Mudchen aus den Offizierspuffs hat; er schwurt darauf, daß sie durch Armeebefehl verpflichtet wuren, seidene Hemden zu tragen und bei Gusten vom Hauptmann aufwurts vorher zu baden; - und als vierter ich, Paul Buumer. Alle vier neunzehn Jahre alt, alle vier aus derselben Klasse in den Krieg gegangen. Dicht hinter uns unsere Freunde. Tjaden, ein magerer Schlosser, so alt wie wir, der grußte Fresser der Kompanie. Er setzt sich schlank zum Essen hin und steht dick wie eine schwangere Wanze wieder auf; - Haie Westhus, gleich alt, Torfstecher, der bequem ein Kommißbrot in eine Hand nehmen und fragen kann: Ratet mal, was ich in der Faust habe; - Detering, ein Bauer, der nur an seinen Hof und an seine Frau denkt; - und endlich Stanislaus Katczinsky, das Haupt unserer Gruppe, zuh, schlau, gerissen, vierzig Jahre alt, mit einem Gesicht aus Erde, mit blauen Augen, hungenden Schultern und einer wunderbaren Witterung fur dicke Luft, gutes Essen und schune Druckposten. Unsere Gruppe bildete die Spitze der Schlange vor der Gulaschkanone. Wir wurden ungeduldig, denn der ahnungslose Kuchenkarl stand noch immer und wartete. Endlich rief Katczinsky ihm zu: "Nun mach deinen Bouillonkeller schon auf, Heinrich! Man sieht doch, daß die Bohnen gar sind." Der schuttelte schlufrig den Kopf: "Erst mußt ihr alle da sein." Tjaden grinste: "Wir sind alle da." Der Unteroffizier merkte noch nichts. "Das kunnte euch so passen! Wo sind denn die andern?" "Die werden heute nicht von dir verpflegt! Feldlazarett und Massengrab." Der Kuchenbulle war erschlagen, als er die Tatsachen erfuhr. Er wankte. "Und ich habe fur hundertfunfzig Mann gekocht." Kropp stieß ihm in die Rippen. "Dann werden wir endlich mal satt. Los, fang an!" Plutzlich aber durchfuhr Tjaden eine Erleuchtung. Sein spitzes Mausegesicht fing ordentlich an zu schimmern, die Augen wurden klein vor Schlauheit, die Backen zuckten, und er trat dichter heran: "Menschenskind, dann hast du ja auch fur hundertfunfzig Mann Brot empfangen, was?" Der Unteroffizier nickte verdattert und geistesabwesend. Tjaden packte ihn am Rock. "Und Wurst auch?" Der Tomatenkopf nickte wieder. Tjadens Kiefer bebten. "Tabak auch?" "Ja, alles." Tjaden sah sich strahlend um. "Donnerwetter, das nennt man Schwein haben! Das ist dann ja alles fur uns! Da kriegt jeder ja - wartet mal - tatsuchlich, genau doppelte Portionen!" Jetzt aber erwachte die Tomate wieder zum Leben und erklurte: "Das geht nicht." Doch nun wurden auch wir munter und schoben uns heran. "Warum geht das denn nicht, du Mohrrube?" fragte Katczinsky. "Was fur hundertfunfzig Mann ist, kann doch nicht fur achtzig sein." "Das werden wir dir schon zeigen", knurrte Muller. "Das Essen meinetwegen, aber Portionen kann ich nur fur achtzig Mann ausgeben", beharrte die Tomate. Katczinsky wurde urgerlich. "Du mußt wohl mal abgelust werden, was? Du hast nicht fur achtzig Mann, sondern fur die 2. Kompanie Furage empfangen, fertig. Die gibst du aus! Die 2. Kompanie sind wir." Wir ruckten dem Kerl auf den Leib. Keiner konnte ihn gut leiden, er war schon ein paarmal schuld daran gewesen, daß wir im Graben das Essen viel zu sput und kalt bekommen hatten, weil er sich bei etwas Granatfeuer mit seinem Kessel nicht nahe genug herantraute, so daß unsere Essenholer einen viel weiteren Weg machen mußten als die der andern Kompanien. Da war Bulcke von der ersten ein besserer Bursche. Er war zwar fett wie ein Winterhamster, aber er schleppte, wenn es darauf ankam, die Tupfe selbst bis zur vordersten Linie. Wir waren gerade in der richtigen Stimmung, und es hutte bestimmt Kleinholz gegeben, wenn nicht unser Kompaniefuhrer aufgetaucht wure. Er erkundigte sich nach dem Streitfall und sagte vorluufig nur: "Ja, wir haben gestern starke Verluste gehabt -" Dann guckte er in den Kessel. "Die Bohnen scheinen gut zu sein." Die Tomate nickte. "Mit Fett und Fleisch gekocht." Der Leutnant sah uns an. Er wußte, was wir dachten. Auch sonst wußte er noch manches, denn er war zwischen uns groß geworden und als Unteroffizier zur Kompanie gekommen. Er hob den Deckel noch einmal vom Kessel und schnupperte. Im Weggehen sagte er: "Bringt mir auch einen Teller voll. Und die Portionen werden alle verteilt. Wir kunnen sie brauchen." Die Tomate machte ein dummes Gesicht. Tjaden tanzte um sie herum. "Das schadet dir gar nichts! Als ob ihm das Proviantamt gehurt, so tut er. Und nun fang an, du alter Speckjuger, und verzuhle dich nicht -" "Hung dich auf!" fauchte die Tomate. Sie war geplatzt, so etwas ging ihr gegen den Verstand. Sie begriff die Welt nicht mehr. Und als wollte sie zeigen, daß nun schon alles egal sei, verteilte sie pro Kopf freiwillig noch ein halbes Pfund Kunsthonig. Der Tag ist wirklich gut heute. Sogar Post ist da, fast jeder hat ein paar Briefe und Zeitungen. Nun schlendern wir zu der Wiese hinter den Baracken hinuber. Kropp hat den runden Deckel eines Margarinefasses unterm Arm. Am rechten Rande der Wiese ist eine große Massenlatrine erbaut, ein uberdachtes, stabiles Gebuude. Doch das ist was fur Rekruten, die noch nicht gelernt haben, aus jeder Sache Vorteil zu ziehen. Wir suchen etwas Besseres. uberall verstreut stehen numlich noch kleine Einzelkusten fur denselben Zweck. Sie sind viereckig, sauber, ganz aus Holz getischlert, rundum geschlossen, mit einem tadellosen, bequemen Sitz. An den Seitenfluchen befinden sich Handgriffe, so daß man sie transportieren kann. Wir rucken drei im Kreise zusammen und nehmen gemutlich Platz. Vor zwei Stunden werden wir hier nicht wieder aufstehen. Ich weiß noch, wie wir uns anfangs genierten als Rekruten in der Kaserne, wenn wir die Gemeinschaftslatrine benutzen mußten. Turen gibt es da nicht, es sitzen zwanzig Mann nebeneinander wie in der Eisenbahn. Sie sind mit einem Blick zu ubersehen; - der Soldat soll eben stundig unter Aufsicht sein. Wir haben inzwischen mehr gelernt, als das bißchen Scham zu uberwinden. Mit der Zeit wurde uns noch ganz anderes geluufig. Hier draußen ist die Sache aber geradezu ein Genuß. Ich weiß nicht mehr, weshalb wir fruher an diesen Dingen immer scheu vorbeigehen mußten, sie sind ja ebenso naturlich wie Essen und Trinken. Und man brauchte sich vielleicht auch nicht besonders daruber zu uußern, wenn sie nicht so eine wesentliche Rolle bei uns spielten und gerade uns neu gewesen wuren - den ubrigen waren sie lungst selbstverstundlich. Dem Soldaten ist sein Magen und seine Verdauung ein vertrauteres Gebiet als jedem anderen Menschen. Drei Viertel seines Wortschatzes sind ihm entnommen, und sowohl der Ausdruck huchster Freude als auch der tiefster Entrustung findet hier seine kernige Untermalung. Es ist unmuglich, sich auf eine andere Art so knapp und klar zu uußern. Unsere Familien und unsere Lehrer werden sich schun wundern, wenn wir nach Hause kommen, aber es ist hier nun einmal die Universalsprache. Fur uns haben diese ganzen Vorgunge den Charakter der Unschuld wiedererhalten durch ihre zwangsmußige uffentlichkeit. Mehr noch: sie sind uns so selbstverstundlich, daß ihre gemutliche Erledigung ebenso gewertet wird wie meinetwegen ein schun durchgefuhrter, bombensicherer Grand ohne viere. Nicht umsonst ist fur Geschwutz aller Art das Wort "Latrinenparole" entstanden; diese Orte sind die Klatschecken und der Stammtischersatz beim Kommiß. Wir fuhlen uns augenblicklich wohler als im noch so weiß gekachelten Luxuslokus. Dort kann es nur hygienisch sein; hier aber ist es schun. Es sind wunderbar gedankenlose Stunden. uber uns steht der blaue Himmel. Am Horizont hungen hellbestrahlte gelbe Fesselballons und die weißen Wulkchen der Flakgeschosse. Manchmal schnellen sie wie eine Garbe hoch, wenn sie einen Flieger verfolgen. Nur wie ein sehr fernes Gewitter huren wir das gedumpfte Brummen der Front. Hummeln, die vorubersummen, ubertunen es schon. Und rund um uns liegt die bluhende Wiese. Die zarten Rispen der Gruser wiegen sich, Kohlweißlinge taumeln heran, sie schweben im weichen, warmen Wind des Sputsommers, wir lesen Briefe und Zeitungen und rauchen, wir setzen die Mutzen ab und legen sie neben uns, der Wind spielt mit unseren Haaren, er spielt mit unseren Worten und Gedanken. Die drei Kusten stehen mitten im leuchtenden, roten Klatschmohn. - Wir legen den Deckel des Margarinefasses auf unsere Knie. So haben wir eine gute Unterlage zum Skatspielen. Kropp hat die Karten bei sich. Nach jedem Nullouvert wird eine Partie Schieberamsch eingelegt. Man kunnte ewig so sitzen. Die Tune einer Ziehharmonika klingen von den Baracken her. Manchmal legen wir die Karten hin und sehen uns an. Einer sagt dann: "Kinder, Kinder -", oder: "Das hutte schiefgehen kunnen -", und wir versinken einen Augenblick in Schweigen. In uns ist ein starkes, verhaltenes Gefuhl, jeder spurt es, das braucht nicht viele Worte. Leicht hutte es sein kunnen, daß wir heute nicht auf unsern Kusten sußen, es war verdammt nahe daran. Und darum ist alles neu und stark - der rote Mohn und das gute Essen, die Zigaretten und der Sommerwind. Kropp fragt: "Hat einer von euch Kemmerich noch mal gesehen?" "Er liegt in St. Joseph", sage ich. Muller meint, er habe einen Oberschenkeldurchschuß, einen guten Heimatpaß. Wir beschließen, ihn nachmittags zu besuchen. Kropp holt einen Brief hervor. "Ich soll euch grußen von Kantorek." Wir lachen. Muller wirft seine Zigarette weg und sagt: "Ich wollte, der wure hier." Kantorek war unser Klassenlehrer, ein strenger, kleiner Mann in grauem Schoßrock, mit einem Spitzmausgesicht. Er hatte ungefuhr dieselbe Statur wie der Unteroffizier Himmelstoß, der "Schrecken des Klosterberges". Es ist ubrigens komisch, daß das Ungluck der Welt so oft von kleinen Leuten herruhrt, sie sind viel energischer und unvertruglicher als großgewachsene. Ich habe mich stets gehutet, in Abteilungen mit kleinen Kompaniefuhrern zu geraten; es sind meistens verfluchte Schinder. Kantorek hielt uns in den Turnstunden so lange Vortruge, bis unsere Klasse unter seiner Fuhrung geschlossen zum Bezirkskommando zog und sich meldete. Ich sehe ihn noch vor mir, wie er uns durch seine Brillengluser anfunkelte und mit ergriffener Stimme fragte: "Ihr geht doch mit, Kameraden?" Diese Erzieher haben ihr Gefuhl so oft in der Westentasche parat; sie geben es ja auch stundenweise aus. Doch daruber machten wir uns damals noch keine Gedanken. Einer von uns allerdings zugerte und wollte nicht recht mit. Das war Josef Behm, ein dicker, gemutlicher Bursche. Er ließ sich dann aber uberreden, er hutte sich auch sonst unmuglich gemacht. Vielleicht dachten noch mehrere so wie er; aber es konnte sich niemand gut ausschließen, denn mit dem Wort "feige" waren um diese Zeit sogar Eltern rasch bei der Hand. Die Menschen hatten eben alle keine Ahnung von dem, was kam. Am vernunftigsten waren eigentlich die armen und einfachen Leute; sie hielten den Krieg gleich fur ein Ungluck, wuhrend die bessergestellten vor Freude nicht aus noch ein wußten, obschon gerade sie sich uber die Folgen viel eher hutten klarwerden kunnen. Katczinsky behauptet, das kume von der Bildung, sie mache dumlich. Und was Kat sagt, das hat er sich uberlegt. Sonderbarerweise war Behm einer der ersten, die fielen. Er erhielt bei einem Sturm einen Schuß in die Augen, und wir ließen ihn fur tot liegen. Mitnehmen konnten wir ihn nicht, weil wir ubersturzt zuruck mußten. Nachmittags hurten wir ihn plutzlich rufen und sahen ihn draußen herumkriechen. Er war nur bewußtlos gewesen. Weil er nichts sah und wild vor Schmerzen war, nutzte er keine Deckung aus, so daß er von druben abgeschossen wurde, ehe jemand herankam, um ihn zu holen. Man kann Kantorek naturlich nicht damit in Zusammenhang bringen; - wo bliebe die Welt sonst, wenn man das schon Schuld nennen wollte. Es gab ja Tausende von Kantoreks, die alle uberzeugt waren, auf eine fur sie bequeme Weise das Beste zu tun. Darin liegt aber gerade fur uns ihr Bankerott. Sie sollten uns Achtzehnjuhrigen Vermittler und Fuhrer zur Welt des Erwachsenseins werden, zur Welt der Arbeit, der Pflicht, der Kultur und des Fortschritts, zur Zukunft. Wir verspotteten sie manchmal und spielten ihnen Meine Streiche, aber im Grunde glaubten wir ihnen. Mit dem Begriff der Autoritut, dessen Truger sie waren, verband sich m unseren Gedanken grußere Einsicht und menschlicheres Wissen. Doch der erste Tote, den wir sahen, zertrummerte diese uberzeugung. Wir mußten erkennen, daß unser Alter ehrlicher war als das ihre; sie hatten vor uns nur die Phrase und die Geschicklichkeit voraus. Das erste Trommelfeuer zeigte uns unseren Irrtum, und unter ihm sturzte die Weltanschauung zusammen, die sie uns gelehrt hatten. Wuhrend sie noch schrieben und redeten, sahen wir Lazarette und Sterbende; - wuhrend sie den Dienst am Staate als das Grußte bezeichneten, wußten wir bereits, daß die Todesangst sturker ist. Wir wurden darum keine Meuterer, keine Deserteure, keine Feiglinge - alle diese Ausdrucke waren ihnen ja so leicht zur Hand -, wir liebten unsere Heimat genauso wie sie, und wir gingen bei jedem Angriff mutig vor; - aber wir unterschieden jetzt, wir hatten mit einem Male sehen gelernt. Und wir sahen, daß nichts von ihrer Welt ubrig blieb. Wir waren plutzlich auf furchtbare Weise allein; - und wir mußten allein damit fertig werden. Bevor wir zu Kemmerich aufbrechen, packen wir seine Sachen ein; er wird sie unterwegs gut brauchen kunnen. Im Feldlazarett ist großer Betrieb; es riecht wie immer nach Karbol, Eiter und Schweiß. Man ist aus den Baracken manches gewohnt, aber hier kann einem doch flau werden. Wir fragen uns nach Kemmerich durch; er liegt in einem Saal und empfungt uns mit einem schwachen Ausdruck von Freude und hilfloser Aufregung. Wuhrend er bewußtlos war, hat man ihm seine Uhr gestohlen. Muller schuttelt den Kopf: "Ich habe dir ja immer gesagt, daß man eine so gute Uhr nicht mitnimmt." Muller ist etwas tapsig und rechthaberisch. Sonst wurde er den Mund halten, denn jeder sieht, daß Kemmerich nicht mehr aus diesem Saal herauskommt. Ob er seine Uhr wiederfindet, ist ganz egal, huchstens, daß man sie nach Hause schicken kunnte. "Wie geht's denn, Franz?" fragt Kropp. Kemmerich lußt den Kopf sinken. "Es geht ja - ich habe bloß so verfluchte Schmerzen im Fuß." Wir sehen auf seine Decke. Sein Bein liegt unter einem Drahtkorb, das Deckbett wulbt sich dick daruber. Ich trete Muller gegen das Schienbein, denn er bruchte es fertig, Kemmerich zu sagen, was uns die Sanituter draußen schon erzuhlt haben: daß Kemmerich keinen Fuß mehr hat. Das Bein ist amputiert. Er sieht schrecklich aus, gelb und fahl, im Gesicht sind schon die fremden Linien, die wir so genau kennen, weil wir sie schon hundertmal gesehen haben. Es sind eigentlich keine Linien, es sind mehr Zeichen. Unter der Haut pulsiert kein Leben mehr; es ist bereits herausgedrungt bis an den Rand des Kurpers, von innen arbeitet sich der Tod durch, die Augen beherrscht er schon. Dort liegt unser Kamerad Kemmerich, der mit uns vor kurzem noch Pferdefleisch gebraten und im Trichter gehockt hat; - er ist es noch, und er ist es doch nicht mehr, verwaschen, unbestimmt ist sein Bild geworden, wie eine fotografische Platte, auf der zwei Aufnahmen gemacht worden sind. Selbst seine Stimme klingt wie Asche. Ich denke daran, wie wir damals abfuhren. Seine Mutter, eine gute, dicke Frau, brachte ihn zum Bahnhof. Sie weinte ununterbrochen, ihr Gesicht war davon gedunsen und geschwollen. Kemmerich genierte sich deswegen, denn sie war am wenigsten gefaßt von allen, sie zerfloß furmlich in Fett und Wasser. Dabei hatte sie es auf mich abgesehen, immer wieder ergriff sie meinen Arm und flehte mich an, auf Franz draußen achtzugeben. Er hatte allerdings auch ein Gesicht wie ein Kind und so weiche Knochen, daß er nach vier Wochen Tornistertragen schon Plattfuße bekam. Aber wie kann man im Felde auf jemand achtgeben! "Du wirst ja nun nach Hause kommen", sagt Kropp, "auf Urlaub huttest du mindestens noch drei, vier Monate warten mussen." Kemmerich nickt. Ich kann seine Hunde nicht gut ansehen, sie sind wie Wachs. Unter den Nugeln sitzt der Schmutz des Grabens, er sieht blauschwarz aus wie Gift. Mir fullt ein, daß diese Nugel weiterwachsen werden, lange noch, gespenstische Kellergewuchse, wenn Kemmerich lungst nicht mehr atmet. Ich sehe das Bild vor mir: sie krummen sich zu Korkenziehern und wachsen und wachsen, und mit ihnen die Haare auf dem zerfallenden Schudel, wie Gras auf gutem Boden, genau wie Gras, wie ist das nur muglich -? Muller buckt sich. "Wir haben deine Sachen mitgebracht, Franz." Kemmerich zeigt mit der Hand. "Legt sie unters Bett." Muller tut es. Kemmerich fungt wieder von der Uhr an. Wie soll man ihn nur beruhigen, ohne ihn mißtrauisch zu machen! Muller taucht mit einem Paar Fliegerstiefel wieder auf. Es sind herrliche englische Schuhe aus weichem, gelbem Leder, die bis zum Knie reichen und ganz hinauf geschnurt werden, eine begehrte Sache. Muller ist von ihrem Anblick begeistert, er hult ihre Sohlen gegen seine eigenen klobigen Schuhe und fragt: "Willst du denn die Stiefel mitnehmen, Franz?" Wir denken alle drei das gleiche: selbst wenn er gesund wurde, kunnte er nur einen gebrauchen, sie wuren fur ihn also wertlos. Aber wie es jetzt steht, ist es ein Jammer, daß sie hierbleiben; - denn die Sanituter werden sie naturlich sofort wegschnappen, wenn er tot ist. Muller wiederholt: "Willst du sie nicht hier lassen?" Kemmerich will nicht. Es sind seine besten Stucke. "Wir kunnen sie ja umtauschen", schlugt Muller wieder vor, "hier draußen kann man so was brauchen." Doch Kemmerich ist nicht zu bewegen. Ich trete Muller auf den Fuß; er legt die schunen Stiefel zugernd wieder unter das Bett. Wir reden noch einiges und verabschieden uns dann. "Mach's gut, Franz." Ich verspreche ihm, morgen wiederzukommen. Muller redet ebenfalls davon; er denkt an die Schnurschuhe und will deshalb auf dem Posten sein. Kemmerich stuhnt. Er hat Fieber. Wir halten draußen einen Sanituter an und reden ihm zu, Kemmerich eine Spritze zu geben. Er lehnt ab. "Wenn wir jedem Morphium geben wollten, mußten wir Fusser voll haben -" "Du bedienst wohl nur Offiziere", sagt Kropp gehussig. Rasch lege ich mich ins Mittel und gebe dem Sanituter zunuchst mal eine Zigarette. Er nimmt sie. Dann frage ich: "Darfst du denn uberhaupt eine machen?" Er ist beleidigt. "Wenn ihr's nicht glaubt, was fragt ihr mich -" Ich drucke ihm noch ein paar Zigaretten in die Hand. "Tu uns den Gefallen -" "Na, schun", sagt er. Kropp geht mit hinein, er traut ihm nicht und will zusehen. Wir warten draußen. Muller fungt wieder von den Stiefeln an." Sie wurden mir tadellos passen. In diesen Kuhnen laufe ich mir Blasen uber Blasen. Glaubst du, daß er durchhult bis morgen nach dem Dienst? Wenn er nachts abgeht, haben wir die Stiefel gesehen -" Albert kommt zuruck. "Meint ihr -?" fragt er. "Erledigt", sagt Muller abschließend. Wir gehen zu unsern Baracken zuruck. Ich denke an den Brief, den ich morgen schreiben muß an Kemmerichs Mutter. Mich friert. Ich muchte einen Schnaps trinken. Muller rupft Gruser aus und kaut daran. Plutzlich wirft der kleine Kropp seine Zigarette weg, trampelt wild darauf herum, sieht sich um, mit einem aufgelusten und versturten Gesicht, und stammelt: "Verfluchte Scheiße, diese verfluchte Scheiße." Wir gehen weiter, eine lange Zeit. Kropp hat sich beruhigt, wir kennen das, es ist der Frontkoller, jeder hat ihn mal. Muller fragt ihn: "Was hat dir der Kantorek eigentlich geschrieben?" Er lacht: "Wir wuren die eiserne Jugend." Wir lachen alle drei urgerlich. Kropp schimpft; er ist froh, daß er reden kann. - Ja, so denken sie, so denken sie, die hunderttausend Kantoreks! Eiserne Jugend. Jugend! Wir sind alle nicht mehr als zwanzig Jahre. Aber jung? Jugend? Das ist lange her. Wir sind alte Leute. 2 Es ist fur mich sonderbar, daran zu denken, daß zu Hause, in einer Schreibtischlade, ein angefangenes Drama "Saul" und ein Stoß Gedichte liegen. Manchen Abend habe ich daruber verbracht, wir haben ja fast alle so etwas uhnliches gemacht; aber es ist mir so unwirklich geworden, daß ich es mir nicht mehr richtig vorstellen kann. Seit wir hier sind, ist unser fruheres Leben abgeschnitten, ohne daß wir etwas dazu getan haben. Wir versuchen manchmal, einen uberblick und eine Erklurung dafur zu gewinnen, doch es gelingt uns nicht recht. Gerade fur uns Zwanzigjuhrige ist alles besonders unklar, fur Kropp, Muller, Leer, mich, fur uns, die Kantorek als eiserne Jugend bezeichnet. Die ulteren Leute sind alle fest mit dem Fruheren verbunden, sie haben Grund, sie haben Frauen, Kinder, Berufe und Interessen, die schon so stark sind, daß der Krieg sie nicht zerreißen kann. Wir Zwanzigjuhrigen aber haben nur unsere Eltern und manche ein Mudchen. Das ist nicht viel - denn in unserm Alter ist die Kraft der Eltern am schwuchsten, und die Mudchen sind noch nicht beherrschend. Außer diesem gab es ja bei uns nicht viel anderes mehr; etwas Schwurmertum, einige Liebhabereien und die Schule; weiter reichte unser Leben noch nicht. Und davon ist nichts geblieben. Kantorek wurde sagen, wir hutten gerade an der Schwelle des Daseins gestanden. So uhnlich ist es auch. Wir waren noch nicht eingewurzelt. Der Krieg hat uns weggeschwemmt. Fur die andern, die ulteren, ist er eine Unterbrechung, sie kunnen uber ihn hinausdenken. Wir aber sind von ihm ergriffen worden und wissen nicht, wie das enden soll. Was wir wissen, ist vorluufig nur, daß wir auf eine sonderbare und schwermutige Weise verroht sind, obschon wir nicht einmal oft mehr traurig werden. Wenn Muller gern Kemmerichs Stiefel haben will, so ist er deshalb nicht weniger teilnahmsvoll als jemand, der vor Schmerz nicht daran zu denken wagte. Er weiß nur zu unterscheiden. Wurden die Stiefel Kemmerich etwas nutzen, dann liefe Muller lieber barfuß uber Stacheldraht, als groß zu uberlegen, wie er sie bekommt. So aber sind die Stiefel etwas, das gar nichts mit Kemmerichs Zustand zu tun hat, wuhrend Muller sie gut verwenden kann. Kemmerich wird sterben, einerlei, wer sie erhult. Warum soll deshalb Muller nicht dahinter her sein, er hat doch mehr Anrecht darauf als ein Sanituter! Wenn Kemmerich erst tot ist, ist es zu sput. Deshalb paßt Muller eben jetzt schon auf. Wir haben den Sinn fur andere Zusammenhunge verloren, weil sie kunstlich sind. Nur die Tatsachen sind richtig und wichtig fur uns. Und gute Stiefel sind selten. Fruher war auch das anders. Als wir zum Bezirkskommando gingen, waren wir noch eine Klasse von zwanzig jungen Menschen, die sich, manche zum ersten Male, ubermutig gemeinsam rasieren ließ, bevor sie den Kasernenhof betrat. Wir hatten keine festen Plune fur die Zukunft, Gedanken an Karriere und Beruf waren bei den wenigsten praktisch bereits so bestimmt, daß sie eine Daseinsform bedeuten konnten; - dafur jedoch steckten wir voll Ungewisser Ideen, die dem Leben und auch dem Kriege in unseren Augen einen idealisierten und fast romantischen Charakter verliehen. Wir wurden zehn Wochen militurisch ausgebildet und in dieser Zeit entscheidender umgestaltet als in zehn Jahren Schulzeit. Wir lernten, daß ein geputzter Knopf wichtiger ist als vier Bunde Schopenhauer. Zuerst erstaunt, dann erbittert und schließlich gleichgultig erkannten wir, daß nicht der Geist ausschlaggebend zu sein schien, sondern die Wichsburste, nicht der Gedanke, sondern das System, nicht die Freiheit, sondern der Drill. Mit Begeisterung und gutem Willen waren wir Soldaten geworden; aber man tat alles, um uns das auszutreiben. Nach drei Wochen war es uns nicht mehr unfaßlich, daß ein betreßter Brieftruger mehr Macht uber uns besaß als fruher unsere Eltern, unsere Erzieherund sumtliche Kulturkreise von Plato bis Goethe zusammen. Mit unseren jungen, wachen Augen sahen wir, daß der klassische Vaterlandsbegriff unserer Lehrer sich hier vorluufig realisierte zu einem Aufgeben der Persunlichkeit, wie man es dem geringsten Dienstboten nie zugemutet haben wurde. Grußen, Strammstehen, Parademarsch, Gewehrprusentieren, Rechtsum, Linksum, Hackenzusammenschlagen, Schimpfereien und tausend Schikanen: wir hatten uns unsere Aufgabe anders gedacht und fanden, daß wir auf das Heldentum wie Zirkuspferde vorbereitet wurden. Aber wir gewuhnten uns bald daran. Wir begriffen sogar, daß ein Teil dieser Dinge notwendig, ein anderer aber ebenso uberflussig war. Der Soldat hat dafur eine feine Nase. Zu dreien und vieren wurde unsere Klasse uber die Korporalschaften verstreut, zusammen mit friesischen Fischern, Bauern, Arbeitern und Handwerkern, mit denen wir uns schnell anfreundeten. Kropp, Muller, Kemmerich und ich kamen zur neunten Korporalschaft, die der Unteroffizier Himmelstoß fuhrte. Er galt als der schurfste Schinder des Kasernenhofes, und das war sein Stolz. Ein kleiner, untersetzter Kerl, der zwulf Jahre gedient hatte, mit fuchsigem, aufgewirbeltem Schnurrbart, im Zivilberuf Brieftruger. Auf Kropp, Tjaden, Westhus und mich hatte er es besonders abgesehen, weil er unsern stillen Trotz spurte. Ich habe an einem Morgen vierzehnmal sein Bett gebaut. Immer wieder fand er etwas daran auszusetzen und riß es herunter. Ich habe in zwanzigstundiger Arbeit - mit Pausen naturlich - ein Paar uralte, steinharte Stiefel so butterweich geschmiert, daß selbst Himmelstoß nichts mehr daran auszusetzen fand; - ich habe auf seinen Befehl mit einer Zahnburste die Korporalschaftsstube sauber geschrubbt; - Kropp und ich haben uns mit einer Handburste und einem Fegeblech an den Auftrag gemacht, den Kasernenhof vom Schnee reinzufegen, und wir hutten durchgehalten bis zum Erfrieren, wenn nicht zufullig ein Leutnant aufgetaucht wure, der uns fortschickte und Himmelstoß muchtig anschnauzte. Die Folge war leider nur, daß Himmelstoß um so wutender auf uns wurde. Ich habe vier Wochen hintereinander jeden Sonntag Wache geschoben und ebensolange Stubendienst gemacht; - ich habe in vollem Gepuck mit Gewehrauf losem, nassem Sturzacker "Sprung auf, marsch, marsch" und "Hinlegen" geubt, bis ich ein Dreckklumpen war und zusammenbrach; - ich habe vier Stunden sputer Himmelstoß mein tadellos gereinigtes Zeug vorgezeigt, allerdings mit blutig geriebenen Hunden; - ich habe mit Kropp, Westhus und Tjaden ohne Handschuhe bei scharfem Frost eine Viertelstunde "Stillgestanden" geubt, die bloßen Finger am eisigen Gewehrlauf, lauernd umschlichen von Himmelstoß, der auf die geringste Bewegung wartete, um ein Vergehen festzustellen; - ich bin nachts um zwei Uhr achtmal im Hemd vom ob ersten Stock der Kaserne heruntergerannt bis auf den Hof, weil meine Unterhose einige Zentimeter uber den Rand des Schemels hinausragte, auf dem jeder seine Sachen aufschichten mußte. Neben mir lief der Unteroffizier vom Dienst, Himmelstoß, und trat mir auf die Zehen; - ich habe beim Bajonettieren stundig mit Himmelstoß fechten mussen, wobei ich ein schweres Eisengestell und er ein handliches Holzgewehr hatte, so daß er mir bequem die Arme braun und blau schlagen konnte; allerdings geriet ich dabei einmal so in Wut, daß ich ihn blindlings uberrannte und ihm einen derartigen Stoß vor den Magen gab, daß er umfiel. Als er sich beschweren wollte, lachte ihn der Kompaniefuhrer aus und sagte, er solle doch aufpassen; erkannte seinen Himmelstoß und schien ihm den Reinfall zu gunnen. - Ich habe mich zu einem perfekten Kletterer auf die Spinde entwickelt; - ich suchte allmuhlich auch im Kniebeugen meinen Meister; - wir haben gezittert, wenn wir nur seine Stimme hurten, aber kleingekriegt hat uns dieses wildgewordene Postpferd nicht. Als Kropp und ich im Barackenlager sonntags an einer Stange die Latrineneimer uber den Hof schleppten und Himmelstoß, blitzblank geschniegelt, zum Ausgehen bereit, gerade vorbeikam, sich vor uns hinstellte und fragte, wie uns die Arbeit gefiele, markierten wir trotz allem ein Stolpern und gussen ihm den Eimer uber die Beine. Er tobte, aber das Maß war voll. "Das setzt Festung", schrie er. Kropp hatte genug. "Vorher aber eine Untersuchung, und da werden wir auspacken", sagte er. "Wie reden Sie mit einem Unteroffizier!" brullte Himmelstoß, "sind Sie verruckt geworden? Warten Sie, bis Sie gefragt werden! Was wollen Sie tun?" "uber Herrn Unteroffizier auspacken!" sagte Kropp und nahm die Finger an die Hosennaht. Himmelstoß merkte nun doch, was los war, und schob ohne ein Wort ab. Bevor er verschwand, krakehlte er zwar noch: "Das werde ich euch eintrunken", - aber es war vorbei mit seiner Macht. Er versuchte es noch einmal in den Sturzuckern mit "Hinlegen" und "Sprung auf, marsch, marsch". Wir befolgten zwar jeden Befehl; denn Befehl ist Befehl, er muß ausgefuhrt werden. Aber wir fuhrten ihn so langsam aus, daß Himmelstoß in Verzweiflung geriet. Gemutlich gingen wir auf die Knie, dann auf die Arme und so fort; inzwischen hatte er schon wutend ein anderes Kommando gegeben. Bevor wir schwitzten, war er heiser. Er ließ uns dann in Ruhe. Zwar bezeichnete er uns immer noch als Schweinehunde. Aber es lag Achtung darin. Es gab auch viele anstundige Korporale, die vernunftiger waren; die anstundigen waren sogar in der uberzahl. Aber vor allem wollte jeder seinen guten Posten hier in der Heimat so lange behalten wie muglich, und das konnte er nur, wenn er stramm mit den Rekruten war. Uns ist dabei wohl jeder Kasernenhofschliff zuteil geworden, der muglich war, und oft haben wir vor Wut geheult. Manche von uns sind auch krank dadurch geworden. Wolf ist sogar an Lungenentzundung gestorben. Aber wir wuren uns lucherlich vorgekommen, wenn wir klein beigegeben hutten. Wir wurden hart, mißtrauisch, mitleidlos, rachsuchtig, roh - und das war gut; denn diese Eigenschaften fehlten uns gerade. Hutte man uns ohne diese Ausbildungszeit in den Schutzengraben geschickt, dann wuren wohl die meisten von uns verruckt geworden. So aber waren wir vorbereitet fur das, was uns erwartete. Wir zerbrachen nicht, wir paßten uns an; unsere zwanzig Jahre, die uns manches andere so schwer machten, halfen uns dabei. Das Wichtigste aber war, daß in uns ein festes, praktisches Zusammen gehurigkeitsgefuhl erwachte, das sich im Felde dann zum Besten steigerte, was der Krieg hervorbrachte: zur Kameradschaft! Ich sitze am Bette Kemmerichs. Er verfullt mehr und mehr. Um uns ist viel Radau. Ein Lazarettzug ist angekommen, und die transportfuhigen Verwundeten werden ausgesucht. An Kemmerichs Bett geht der Arzt vorbei, er sieht ihn nicht einmal an. "Das nuchstemal, Franz", sage ich. Er hebt sich in den Kissen auf die Ellbogen. "Sie haben mich amputiert." Das weiß er also doch jetzt. Ich nicke und antworte: "Sei froh, daß du so weggekommen bist." Er schweigt. Ich rede weiter: "Es konnten auch beide Beine sein, Franz. Wegeler hat den rechten Arm verloren. Das ist viel schlimmer. Du kommst ja auch nach Hause." Er sieht mich an. "Meinst du?" "Naturlich." Er wiederholt: "Meinst du?" " Sicher, Franz. Du mußt dich nur erst von der Operation erholen." Er winkt mir, heranzurucken. Ich beuge mich uber ihn, und er flustert: "Ich glaube es nicht." "Rede keinen Quatsch, Franz, in ein paar Tagen wirst du es selbst einsehen. Was ist das schon groß: ein amputiertes Bein; hier werden ganz andere Sachen wieder zurechtgepflastert." Er hebt eine Hand hoch. "Sieh dir das mal an, diese Finger." "Das kommt von der Operation. Futtere nur ordentlich, dann wirst du schon aufholen. Habt ihr anstundige Verpflegung?" Er zeigt auf eine Schussel, die noch halb voll ist. Ich gerate in Erregung. "Franz, du mußt essen. Essen ist die Hauptsache. Das ist doch ganz gut hier." Er wehrt ab. Nach einer Pause sagt er langsam: "Ich wollte mal Oberfurster werden." "Das kannst du noch immer", truste ich. "Es gibt jetzt großartige Prothesen, du merkst damit gar nicht, daß dir etwas fehlt. Sie werden an die Muskeln angeschlossen. Bei Handprothesen kann man die Finger bewegen und arbeiten, sogar schreiben. Und außerdem wird da immer noch mehr erfunden werden." Er liegt eine Zeitlang still. Dann sagt er: " Du kannst meine Schnurschuhe fur Muller mitnehmen. Ich nicke und denke nach, was ich ihm Aufmunterndes sagen kann. Seine Lippen sind weggewischt, sein Mund ist grußer geworden, die Zuhne stechen hervor, als wuren sie aus Kreide. Das Fleisch zerschmilzt, die Stirn wulbt sich sturker, die Backenknochen stehen vor. Das Skelett arbeitet sich durch. Die Augen versinken schon. In ein paar Stunden wird es vorbei sein. Er ist nicht der erste, den ich so sehe; aber wir sind zusammen aufgewachsen, da ist es doch immer etwas anders. Ich habe die Aufsutze von ihm abgeschrieben. Er trug in der Schule meistens einen braunen Anzug mit Gurtel, der an den urmeln blankgewetzt war. Auch war er der einzige von uns, der die große Riesenwelle am Reck konnte. Das Haar flog ihm wie Seide ms Gesicht, wenn er sie machte. Kantorek war deshalb stolz auf ihn. Aber Zigaretten konnte er nicht vertragen. Seine Haut war sehr weiß, er hatte etwas von einem Mudchen. Ich blicke auf meine Stiefel. Sie sind groß und klobig, die Hose ist hineingeschoben; wenn man aufsteht, sieht man dick und kruftig in diesen breiten Ruhren aus. Aber wenn wir baden gehen und uns ausziehen, haben wir plutzlich wieder schmale Beine und schmale Schultern. Wir sind dann keine Soldaten mehr, sondern beinahe Knaben, man wurde auch nicht glauben, daß wir Tornister schleppen kunnen. Es ist ein sonderbarer Augenblick, wenn wir nackt sind; dann sind wir Zivilisten und fuhlen uns auch beinahe so. Franz Kemmerich sah beim Baden klein und schmal aus wie ein Kind. Da liegt er nun, weshalb nur? Man sollte die ganze Welt an diesem Bette vorbeifuhren und sagen: Das ist Franz Kemmerich, neunzehneinhalb Jahre alt, er will nicht sterben. Laßt ihn nicht sterben! Meine Gedanken gehen durcheinander. Diese Luft von Karbol und Brand verschleimt die Lungen, sie ist ein truger Brei, der erstickt. Es wird dunkel. Kemmerichs Gesicht verbleicht, es hebt sich von den Kissen und ist so blaß, daß es schimmert. Der Mund bewegt sich leise. Ich nuhere mich ihm. Er flustert: "Wenn ihr meine Uhr findet, schickt sie nach Hause." Ich widerspreche nicht. Es hat keinen Zweck mehr. Man kann ihn nicht uberzeugen. Mir ist elend vor Hilflosigkeit. Diese Stirn mit den eingesunkenen Schlufen, dieser Mund, der nur noch Gebiß ist, diese spitze Nase! Und die dicke weinende Frau zu Hause, an die ich schreiben muß. Wenn ich nur den Brief schon weg hutte. Lazarettgehilfen gehen herum mit Flaschen und Eimern. Einer kommt heran, wirft Kemmerich einen forschenden Blick zu und entfernt sich wieder. Man sieht, daß er wartet, wahrscheinlich braucht er das Bett. Ich rucke nahe an Franz heran und spreche, als kunnte ihn das retten: "Vielleicht kommst du in das Erholungsheim am Klosterberg, Franz, zwischen den Villen. Du kannst dann vom Fenster aus uber die Felder sehen bis zu den beiden Buumen am Horizont. Es ist jetzt die schunste Zeit, wenn das Korn reift, abends in der Sonne sehen die Felder dann aus wie Perlmutter. Und die Pappelauee am Klosterbach, in dem wir Stichlinge gefangen haben! Du kannst dir dann wieder ein Aquarium anlegen und Fische zuchten, du kannst ausgehen und brauchst niemand zu fragen, und Klavierspielen kannst du sogar auch, wenn du willst." Ich beuge mich uber sein Gesicht, das im Schatten liegt. Er atmet noch, leise. Sein Gesicht ist naß, er weint. Da habe ich ja schunen Unsinn angerichtet mit meinem dummen Gerede! "Aber Franz" - ich umfasse seine Schulter und lege mein Gesicht an seins. "Willst du jetzt schlafen?" Er antwortet nicht. Die Trunen laufen ihm die Backen herunter. Ich muchte sie abwischen, aber mein Taschentuch ist zu schmutzig. Eine Stunde vergeht. Ich sitze gespannt und beobachte jede seiner Mienen, ob er vielleicht noch etwas sagen muchte. Wenn er doch den Mund auftun und schreien wollte! Aber er weint nur, den Kopf zur Seite gewandt. Er spricht nicht von seiner Mutter und seinen Geschwistern, er sagt nichts, es liegt wohl schon hinter ihm; - er ist jetzt allein mit seinem kleinen neunzehnjuhrigen Leben und weint, weil es ihn verlußt. Dies ist der fassungsloseste und schwerste Abschied, den ich je gesehen habe, obwohl es beiTiedjen auch schlimm war, der nach seiner Mutter brullte, ein burenstarker Kerl, und der den Arzt mit aufgerissenen Augen angstvoll mit einem Seitengewehr von seinem Bett fernhielt, bis er zusammenklappte. Plutzlich stuhnt Kemmerich und fungt an zu rucheln. Ich springe auf, stolpere hinaus und frage: "Wo ist der Arzt? Wo ist der Arzt?" Als ich den weißen Kittel sehe, halte ich ihn fest. "Kommen Sie rasch, Franz Kemmerich stirbt sonst." Er macht sich los und fragt einen dabeistehenden Lazarettgehilfen: "Was soll das heißen?" Der sagt: "Bett 26, Oberschenkel amputiert." Er schnauzt: "Wie soll ich davon etwas wissen, ich habe heute funf Beine amputiert", schiebt mich weg, sagt dem Lazarettgehilfen: "Sehen Sie nach", und rennt zum Operationssaal. Ich bebe vor Wut, als ich mit dem Sanituter gehe. Der Mann sieht mich an und sagt: "Eine Operation nach der andern, seit morgens funf Uhr - doll, sage ich dir, heute allein wieder sechzehn Abgunge - deiner ist der siebzehnte. Zwanzig werden sicher noch voll -" Mir wird schwach, ich kann plutzlich nicht mehr. Ich will nicht mehr schimpfen, es ist sinnlos, ich muchte mich fallen lassen und nie wieder aufstehen. Wir sind am Bette Kemmerichs. Er ist tot. Das Gesicht ist noch naß von den Trunen. Die Augen stehen halb offen, sie sind gelb wie alte Hornknupfe. - Der Sanituter stußt mich in die Rippen. "Nimmst du seine Sachen mit?" Ich nicke. Er fuhrt fort: "Wir mussen ihn gleich wegbringen, wir brauchen das Bett. Draußen liegen sie schon auf dem Flur." Ich nehme die Sachen und knupfe Kemmerich die Erkennungsmarke ab. Der Sanituter fragt nach dem Soldbuch. Es ist nicht da. Ich sage, daß es wohl auf der Schreibstube sein musse, und gehe. Hinter mir zerren sie Franz schon auf eine Zeltbahn. Vor der Tur fuhle ich wie eine Erlusung das Dunkel und den Wind. Ich atme, so sehr ich es vermag, und spure die Luft warm und weich wie nie in meinem Gesicht. Gedanken an Mudchen, an bluhende Wiesen, an weiße Wolken fliegen mir plutzlich durch den Kopf. Meine Fuße bewegen sich in den Stiefeln vorwurts, ich gehe schneller, ich laufe. Soldaten kommen an mir voruber, ihre Gespruche erregen mich, ohne daß ich sie verstehe. Die Erde ist von Kruften durchflossen, die durch meine Fußsohlen in mich uberstrumen. Die Nacht knistert elektrisch, die Front gewittert dumpf wie ein Trommelkonzert. Meine Glieder bewegen sich geschmeidig, ich fuhle meine Gelenke stark, ich schnaufe und schnaube. Die Nacht lebt, ich lebe. Ich spure Hunger, einen grußeren als nur vom Magen. - Muller steht vor der Baracke und erwartet mich. Ich gebe ihm die Schuhe. Wir gehen hinein, und er probiert sie an. Sie passen genau. - Er kramt in seinen Vorruten und bietet mir ein schunes Stuck Zervelatwurst an. Dazu gibt es heißen Tee mit Rum. 3 Wir bekommen Ersatz. Die Lucken werden ausgefullt, und die Strohsucke in den Baracken sind bald belegt. Zum Teil sind es alte Leute, aber auch funfundzwanzig Mann junger Ersatz aus den Feldrekrutendepots werden uns uberwiesen. Sie sind fast ein Jahr junger als wir. Kropp stußt mich an: "Hast du die Kinder gesehen?" Ich nicke. Wir werfen uns in die Brust, lassen uns auf dem Hof rasieren, stecken die Hunde in die Hosentaschen, sehen uns die Rekruten an und fuhlen uns als steinaltes Militur. Katczinsky schließt sich uns an. Wir wandern durch die Pferdestulle und kommen zu den Ersatzleuten, die gerade Gasmasken und Kaffee empfangen. Kat fragt einen der jungsten: "Habt wohl lange nichts Vernunftiges zu futtern gekriegt, was?" Der verzieht das Gesicht. "Morgens Steckrubenbrot - mittags Steckrubengemuse, abends Steckrubenkoteletts und Steckrubensalat." Katczinsky pfeift fachmunnisch. "Brot aus Steckruben? Da habt ihr Gluck gehabt, sie machen es auch schon aus Sugespunen. Aber was meinst du zu weißen Bohnen, willst du einen Schlag haben?" Der Junge wird rot. "Verkohlen brauchst du mich nicht." Katczinsky antwortet nichts als: "Nimm dein Kochgeschirr." Wir folgen neugierig. Er fuhrt uns zu einer Tonne neben seinem Strohsack. Sie ist tatsuchlich halb voll weißer Bohnen mit Rindfleisch. Katczinsky steht vor ihr wie ein General und sagt: "Auge auf, Finger lang! Das ist die Parole bei den Preußen." Wir sind uberrascht. Ich frage: "Meine Fresse, Kat, wie kommst du denn dazu?" "Die Tomate war froh, als ich ihr's abnahm. Ich habe drei Stuck Fallschirmseide dafur gegeben. Na, weiße Bohnen schmecken kalt doch tadellos." Er gibt gunnerhaft dem Jungen eine Portion auf und sagt: "Wenn du das nuchstemal hier antrittst mit deinem Kochgeschirr, hast du in der linken Hand eine Zigarre oder einen Priem. Verstanden?" Dann wendet er sich zu uns. "Ihr kriegt naturlich so." Katczinsky ist nicht zu entbehren, weil er einen sechsten Sinn hat. Es gibt uberall solche Leute, aber niemand sieht ihnen von vornherein an, daß es so ist. Jede Kompanie hat einen oder zwei davon. Katczinsky ist der gerissenste, den ich kenne. Von Beruf ist er, glaube ich, Schuster, aber das tut nichts zur Sache, er versteht jedes Handwerk. Es ist gut, mit ihm befreundet zu sein. Wir sind es, Kropp und ich, auch Haie Westhus gehurt halb und halb dazu. Er ist allerdings schon mehr ausfuhrendes Organ, denn er arbeitet unter dem Kommando Kats, wenn eine Sache geschmissen wird, zu der man Fuuste braucht. Dafur hat er dann seine Vorteile. Wir kommen zum Beispiel nachts in einen vullig unbekannten Ort, ein trubseliges Nest, dem man gleich ansieht, daß es ausgepowert ist bis auf die Mauern. Quartier ist eine kleine, dunkle Fabrik, die erst dazu eingerichtet worden ist. Es stehen Betten darin, vielmehr nur Bettstellen, ein paar Holzlatten, die mit Drahtgeflecht bespannt sind. Drahtgeflecht ist hart. Eine Decke zum Unterlegen haben wir nicht, wir brauchen unsere zum Zudecken. Die Zeltbahn ist zu dunn. Kat sieht sich die Sache an und sagt zu Haie Westhus: "Komm mal mit." Sie gehen los, in den vullig unbekannten Ort hinein. Eine halbe Stunde sputer sind sie wieder da, die Arme hoch voll Stroh. Kat hat einen Pferdestall gefunden und damit das Stroh. Wir kunnten jetzt warm schlafen, wenn wir nicht noch einen so entsetzlichen Kohldampf hutten. Kropp fragt einen Artilleristen, der schon lunger in der Gegend ist: "Gibt es hier irgendwo eine Kantine?" Der lacht: "Hat sich was! Hier ist nichts zu holen. Keine Brotrinde holst du hier." "Sind denn keine Einwohner mehr da?" Er spuckt aus. "Doch, ein paar. Aber die lungern selbst um jeden Kuchenkessel herum und betteln." Das ist eine buse Sache. Dann mussen wir eben den Schmachtriemen enger schnallen und bis morgen warten, wenn die Furage kommt. Ich sehe jedoch, wie Kat seine Mutze aufsetzt, und frage: "Wo willst du hin, Kat?" "Mal etwas die Lage spannen." Er schlendert hinaus. Der Artillerist grinst huhnisch. "Spann man! Verheb dich nicht dabei." Enttuuscht legen wir uns hin und uberlegen, ob wir die eisernen Portionen anknabbern sollen. Aber es ist uns zu riskant. So versuchen wir ein Auge voll Schlaf zu nehmen. Kropp bricht eine Zigarette durch und gibt mir die Hulfte. Tjaden erzuhlt von seinem Nationalgericht, großen Bohnen mit Speck. Er verdammt die Zubereitung ohne Bohnenkraut. Vor allem aber soll man alles durcheinander kochen, um Gottes willen nicht die Kartoffeln, die Bohnen und den Speck getrennt. Jemand knurrte, daß er Tjaden zu Bohnenkraut verarbeiten wurde, wenn er nicht sofort still wure. Darauf wird es ruhig in dem großen Raum. Nur ein paar Kerzen flackern in den Flaschenhulsen, und ab und zu spuckt der Artillerist aus. Wir duseln ein bißchen, als die Tur aufgeht und Kat erscheint. Ich glaube zu truumen: er hat zwei Brote unter dem Arm und in der Hand einen blutigen Sandsack mit Pferdefleisch. Dem Artilleristen fullt die Pfeife aus dem Munde. Er betastet das Brot. "Tatsuchlich, richtiges Brot, und noch warm." Kat redet nicht weiter daruber. Er hat eben Brot, das andere ist egal. Ich bin uberzeugt, wenn man ihn in der Wuste aussetzte, wurde er in einer Stunde ein Abendessen aus Datteln, Braten und Wein zusammenfinden. Er sagt kurz zu Haie: "Hack Holz." Dann holt er eine Bratpfanne unter seinem Rock hervor und zieht eine Handvoll Salz und sogar eine Scheibe Fett aus der Tasche; - er hat an alles gedacht. Haie macht auf dem Fußboden ein Feuer. Es prasselt durch die kahle Fabrikhalle. Wir klettern aus den Betten. Der Artillerist schwankt. Er uberlegt, ob er loben soll, damit vielleicht auch etwas fur ihn abfullt. Aber Katczinsky sieht ihn gar nicht, so sehr ist er Luft fur ihn. Da zieht er fluchend ab. Kat kennt die Art, Pferdefleisch weichzubraten. Es darf nicht gleich in die Pfanne, dann wird es hart. Vorher muß es in wenig Wasser vorgekocht werden. Wir hocken uns mit unsern Messern im Kreis und schlagen uns den Magen voll. Das ist Kat. Wenn in einem Jahr in einer Gegend nur eine Stunde lang etwas Eßbares aufzutreiben wure, so wurde er genau in dieser Stunde, wie von einer Erleuchtung getrieben, seine Mutze aufsetzen, hinausgehen, geradewegs wie nach einem Kompaß darauf zu, und es finden. Er findet alles; - wenn es kalt ist, kleine Ofen und Holz, Heu und Stroh, Tische, Stuhle - vor allem aber Fressen. Es ist rutselhaft, man sollte glauben, er zaubere es aus der Luft. Seine Glanzleistung waren vier Dosen Hummer. Allerdings hutten wir lieber Schmalz dafur gehabt. Wir haben uns auf der Sonnenseite der Baracken hingehauen. Es riecht nach Teer, Sommer und Schweißfußen. Kat sitzt neben mir, denn er unterhult sich gern. Wir haben heute mittag eine Stunde Ehrenbezeigungen geubt, weil Tjaden einen Major nachlussig gegrußt hat. Das will Kat nicht aus dem Kopf. Er uußert: "Paß auf, wir verlieren den Krieg, weil wir zu gut grußen kunnen." Kropp storcht nuher, barfuß, die Hosen aufgekrempelt. Er legt seine gewaschenen Socken zum Trocknen aufs Gras. Kat sieht in den Himmel, lußt einen kruftigen Laut huren und sagt versonnen dazu: "Jedes Buhnchen gibt ein Tunchen." Die beiden fangen an zu disputieren. Gleichzeitig wetten sie um eine Flasche Bier auf einen Fliegerkampf, der sich uber uns abspielt. Kat lußt sich nicht von seiner Meinung abbringen, die er als altes Frontschwein wieder in Reimen von sich gibt: "Gleiche Luhnung, gleiches Essen, war'der Krieg schon lungst vergessen." - Kropp dagegen ist ein Denker. Er schlugt vor, eine Kriegserklurung solle eine Art Volksfest werden mit Eintrittskarten und Musik wie bei Stiergefechten. Dann mußten in der Arena die Minister und Generule der beiden Lunder in Badehosen, mit Knuppeln bewaffnet, aufeinander losgehen. Wer ubrigbliebe, dessen Land hutte gesiegt. Das wure einfacher und besser als hier, wo die falschen Leute sich bekumpfen. Der Vorschlag gefullt. Dann gleitet das Gespruch auf den Kasernendrill uber. Mir fullt dabei ein Bild ein. Gluhender Mittag auf dem Kasernenhof. Die Hitze steht uber dem Platz. Die Kasernen wirken wie ausgestorben. Alles schluft. Man hurt nur Trommler uben, irgendwo haben sie sich aufgestellt und uben, ungeschickt, eintunig, stumpfsinnig. Welch ein Dreiklang: Mittagshitze, Kasernenhof und Trommeluben! Die Fenster der Kaserne sind leer und dunkel. Aus einigen hungen trocknende Drillichhosen. Man sieht sehnsuchtig hinuber. Die Stuben sind kuhl. - Oh, ihr dunklen, muffigen Korporalschaftsstuben mit den eisernen Bettgestellen, den gewurfelten Betten, den Spindschrunken und den Schemeln davor! Selbst ihr kunnt das Ziel von Wunschen werden; hier draußen seid ihr sogar ein sagenhafter Abglanz von Heimat, ihr Gelasse voll Dunst von abgestandenen Speisen, Schlaf, Rauch und Kleidern! Katczinsky beschreibt sie mit Farbenpracht und großer Bewegung. Was wurden wir geben, wenn wir zu ihnen zuruck kunnten! Denn weiter wagen sich unsre Gedanken schon gar nicht - Ihr Instruktionsstunden in der Morgenfruhe - "Worin zerfullt das Gewehr 98?" - ihr Turnstunden am Nachmittag - "Klavierspieler vortreten. Rechts heraus. Meldet euch in der Kuche zum Kartoffelschulen" - Wir schwelgen in Erinnerungen. Kropp lacht plutzlich und sagt: "In Luhne umsteigen." Das war das liebste Spiel unseres Korporals. Luhne ist ein Umsteigebahnhof. Damit unsre Urlauber sich dort nicht verlaufen sollten, ubte Himmelstoß das Umsteigen mit uns in der Kasernenstube. Wir sollten lernen, daß man in Luhne durch eine Unterfuhrung zum Anschlußzug gelangte. Die Betten stellten die Unterfuhrung dar, und jeder baute sich links davon auf. Dann kam das Kommando: "In Luhne umsteigen!", und wie der Blitz kroch alles unter den Betten hindurch auf die andere Seite. Das haben wir stundenlang geubt. - Inzwischen ist das deutsche Flugzeug abgeschossen worden. Wie ein Komet sturzt es in einer Rauchfahne abwurts. Kropp hat dadurch eine Flasche Bier verloren und zuhlt mißmutig sein Geld. "Der Himmelstoß ist als Brieftruger sicher ein bescheidener Mann", sagte ich, nachdem sich Alberts Enttuuschung gelegt hat, "wie mag es nur kommen, daß er als Unteroffizier ein solcher Schinder ist?" Die Frage macht Kropp wieder mobil. "Das ist nicht nur Himmelstoß allein, das sind sehr viele. Sowie sie Tressen oder einen Subel haben, werden sie andere Menschen, als ob sie Beton gefressen hutten." "Das macht die Uniform", vermute ich. "So ungefuhr", sagt Kat und setzt sich zu einer großen Rede zurecht, "aber der Grund liegt anderswo. Sieh mal, wenn du einen Hund zum Kartoffelfressen abrichtest und du legst ihm dann nachher ein Stuck Fleisch hin, so wird er trotzdem danach schnappen, weil das in seiner Natur liegt. Und wenn du einem Menschen ein Stuckchen Macht gibst, dann geht es ihm ebenso; er schnappt danach. Das kommt ganz von selber, denn der Mensch ist an und fur sich zunuchst einmal ein Biest, und dann erst ist vielleicht noch, wie bei einer Schmalzstulle, etwas Anstundigkeit draufgeschmiert. Der Kommiß besteht nun darin, daß immer einer uber den andern Macht hat. Das Schlimme ist nur, daß jeder viel zuviel Macht hat; ein Unteroffizier kann einen Gemeinen, ein Leutnant einen Unteroffizier, ein Hauptmann einen Leutnant derartig zwiebeln, daß er verruckt wird. Und weil er das weiß, deshalb gewuhnt er es sich gleich schon etwas an. Nimm nur die einfachste Sache: wir kommen vom Exerzierplatz und sind hundemude. Da wird befohlen: Singen! Na, es wird ein schlapper Gesang, denn jeder ist froh, daß er sein Gewehr noch schleppen kann. Und schon macht die Kompanie kehrt und muß eine Stunde strafexerzieren. Beim Ruckmarsch heißt es wieder: 'Singen!', und jetzt wird gesungen. Was hat das Ganze fur einen Zweck? Der Kompaniefuhrer hat seinen Kopf durchgesetzt, weil er die Macht dazu hat. Niemand wird ihn tadeln, im Gegenteil, er gilt als stramm. Dabei ist so etwas nur eine Kleinigkeit, es gibt doch noch ganz andere Sachen, womit sie einen schinden. Nun frage ich euch: Mag der Mann in Zivil sein, was er will, in welchem Beruf kann er sich so etwas leisten, ohne daß ihm die Schnauze eingeschlagen wird ? Das kann er nur beim Kommiß! Seht ihr, und das steigt jedem zu Kopf! Und es steigt ihm um so mehr zu Kopf, je weniger er als Zivilist zu sagen hatte." "Es heißt eben, Disziplin muß sein -", meint Kropp nachlussig. " Grunde", knurrt Kat, "haben sie immer. Mag ja auch sein. Aber es darf keine Schikane werden. Und mach du das mal einem Schlosser oder Knecht oder Arbeiter klar, erklure das mal einem Muskoten, und das sind doch die meisten hier; der sieht nur, daß er geschunden wird und ins Feld kommt, und er weiß ganz genau, was notwendig ist und was nicht. Ich sage euch, daß der einfache Soldat hier vorn so aushult, das ist allerhand! Allerhand ist das!" Jeder gibt es zu, denn jeder weiß, daß nur im Schutzengraben der Drill aufhurt, daß er aber wenige Kilometer hinter der Front schon wieder beginnt, und sei es mit dem grußten Unsinn, mit Grußen und Parademarsch. Denn es ist eisernes Gesetz: Der Soldat muß auf jeden Fall beschuftigt werden. Doch nun erscheint Tjaden, mit roten Flecken im Gesicht. Er ist so aufgeregt, daß er stottert. Strahlend buchstabiert er: "Himmelstoß ist unterwegs nach hier. Er kommt an die Front." Tjaden hat eine Hauptwut auf Himmelstoß, weil der ihn im Barackenlager auf seine Weise erzogen hat. Tjaden ist Bettnusser, nachts beim Schlafen passiert es ihm eben. Himmelstoß behauptet steif und fest, es sei nur Faulheit, und er fand ein seiner wurdiges Mittel, um Tjaden zu heilen. Er trieb in der benachbarten Baracke einen zweiten Bettnusser auf, der Kindervater hieß. Den quartierte er mit Tjaden zusammen. In den Baracken standen die typischen Bettgestelle, zwei Betten ubereinander, die Bettbuden aus Draht. Himmelstoß legte beide nun so zusammen, daß der eine das obere, der andere das darunter befindliche Bett bekam. Der untere war dadurch naturlich scheußlich daran. Dafur wurde am nuchsten Abend gewechselt, der untere kam nach oben, damit er Vergeltung hatte. Das war Himmelstoß' Selbsterziehung. Der Einfall war gemein, aber in der Idee gut. Leider nutzte er nichts, weil die Voraussetzung nicht stimmte: es war keine Faulheit bei den beiden. Das konnte jeder merken, der ihre fahle Haut ansah. Die Sache endete damit, daß immer einer von beiden auf dem Fußboden schlief. Er hutte sich leicht dabei erkulten kunnen. - Haie hat sich inzwischen auch neben uns niedergelassen. Er blinzelt mir zu und reibt anduchtig seine Tatze. Wir haben zusammen den schunsten Tag unseres Kommißlebens erlebt. Das war der Abend, bevor wir ins Feld fuhren. Wir waren einem der Regimenter mit der hohen Hausnummer zugeteilt, vorher aber zur Einkleidung in die Garnison zuruckbefurdert worden, allerdings nicht zum Rekrutendepot, sondern in eine andere Kaserne. Am nuchsten Morgen fruh sollten wir abfahren. Abends machten wir uns auf, um mit Himmelstoß abzurechnen. Das hatten wir uns seit Wochen geschworen. Kropp war sogar so weit gegangen, daß er sich vorgenommen hatte, im Frieden das Postfach einzuschlagen, um sputer, wenn Himmelstoß wieder Brieftruger war, sein Vorgesetzter zu werden. Er schwelgte in Bildern, wie er ihn schleifen wurde. Denn das war es gerade, weshalb er uns nicht kleinkriegen konnte; wir rechneten stets damit, daß wir ihn schon einmal schnappen wurden, sputestens am Kriegsende. Einstweilen wollten wir ihn grundlich verhauen. Was konnte uns schon passieren, wenn er uns nicht erkannte und wir ohnehin morgen fruh abfuhren. Wir wußten, in welcher Kneipe er jeden Abend saß. Wenn er von dort zur Kaserne ging, mußte er durch eine dunkle, unbebaute Straße. Dort lauerten wir ihm hinter einem Steinhaufen auf. Ich hatte einen Bettuberzug bei mir. Wir zitterten vor Erwartung, ob er auch allein sein wurde. Endlich hurten wir seinen Schritt, den kannten wir genau, wir hatten ihn oft genug morgens gehurt, wenn die Tur aufflog und "Aufstehen!" gebrullt wurde. "Allein?" flusterte Kropp. "Allein!" - Ich schlich mit Tjaden um den Steinhaufen herum. Da blitzte schon sein Koppelschloß. Himmelstoß schien etwas angeheitert zu sein; er sang. Ahnungslos ging er voruber. Wir faßten das Bettuch, machten einen leisen Satz, stulpten es ihm von hinten uber den Kopf, rissen es nach unten, so daß er wie in einem weißen Sack dastand und die Arme nicht heben konnte. Das Singen erstarb. Im nuchsten Moment war Haie Westhus heran. Mit ausgebreiteten Armen warf er uns zuruck, um nur ja der erste zu sein. Er stellte sich genußreich in Positur, hob den Arm wie einen Signalmast, die Hand wie eine Kohlenschaufel und knallte einen Schlag auf den weißen Sack, der einen Ochsen hutte tuten kunnen. Himmelstoß uberschlug sich, landete funf Meter weiter und fing an zu brullen. Auch dafur hatten wir gesorgt, denn wir hatten ein Kissen bei uns. Haie hockte sich hin, legte das Kissen auf die Knie, packte Himmelstoß da, wo der Kopf war, und druckte ihn auf das Kissen. Sofort wurde er im Ton gedumpfter. Haie ließ ihn ab und zu mal Luft schnappen, dann kam aus dem Gurgeln ein prachtvoller heller Schrei, der gleich wieder zart wurde. Tjaden knupfte jetzt Himmelstoß die Hosentruger ab und zog ihm die Hose herunter. Die Klopfpeitsche hielt er dabei mit den Zuhnen fest. Dann erhob er sich und begann sich zu bewegen. Es war ein wunderbares Bild: Himmelstoß auf der Erde, uber ihn gebeugt, seinen Kopf auf den Knien, Haie mit teuflisch grinsendem Gesicht und vor Lust offenem Maul, dann die zuckende, gestreifte Unterhose mit den X-Beinen, die in der heruntergeschobenen Hose bei jedem Schlag die originellsten Bewegungen machten, und daruber wie ein Holzhacker der unermudliche Tjaden. Wir mußten ihn schließlich geradezu wegreißen, um auch noch an die Reihe zu kommen. Endlich stellte Haie Himmelstoß wieder auf die Beine und gab als Schluß eine Privatvorstellung. Er schien Sterne pflucken zu wollen, so holte seine Rechte aus zu einer Backpfeife. Himmelstoß kippte um. Haie hob ihn wieder auf, stellte ihn sich parat und langte ihm ein zweites, erstklassig gezieltes Ding mit der linken Hand. Himmelstoß heulte und fluchtete auf allen vieren. Sein gestreifter Brieftrugerhintern leuchtete im Mond. Wir verschwanden im Galopp. Haie sah sich noch einmal um und sagte ingrimmig, gesuttigt und etwas rutselhaft: "Rache ist Blutwurst." - Eigentlich konnte Himmelstoß froh sein; denn sein Wort, daß immer einer den andern erziehen musse, hatte an ihm selbst Fruchte getragen. Wir waren gelehrige Schuler seiner Methoden geworden. Er hat nie heraus gekriegt, wem er die Sache verdankte. Immerhin gewann er dabei ein Bettuch; denn als wir einige Stunden sputer noch einmal nachsahen, war es nicht mehr zu finden. Dieser Abend war der Grund, daß wir am nuchsten Morgen einigermaßen gefaßt abfuhren. Ein wehender Vollbart bezeichnete uns deshalb ganz geruhrt als Heldenjugend. 4 Wir mussen nach vorn zum Schanzen. Beim Dunkelwerden rollen die Lastwagen an. Wir klettern hinauf. Es ist ein warmer Abend, und die Dummerung erscheint uns wie ein Tuch, unter dessen Schutz wir uns wohl fuhlen. Sie verbindet uns; sogar der geizige Tjaden schenkt mir eine Zigarette und gibt mir Feuer. Wir stehen nebeneinander, dicht an dicht, sitzen kann niemand. Das sind wir auch nicht gewuhnt. Muller ist endlich mal guter Laune; er trugt seine neuen Stiefel. Die Motoren brummen an, die Wagen klappern und rasseln. Die Straßen sind ausgefahren und voller Lucher. Es darf kein Licht gemacht werden, deshalb rumpeln wir hinein, daß wir fast aus dem Wagen purzeln. Das beunruhigt uns nicht weiter. Was kann schon passieren; ein gebrochener Arm ist besser als ein Loch im Bauch, und mancher wunscht sich geradezu eine solch gute Gelegenheit, nach Hause zu kommen. Neben uns fahren in langer Reihe die Munitionskolonnen. Sie haben es eilig, uberholen uns fortwuhrend. Wir rufen ihnen Witze zu, und sie antworten. Eine Mauer wird sichtbar, sie gehurt zu einem Hause, das abseits der Straße liegt. Ich spitze plutzlich die Ohren. Tuusche ich mich? Wieder hure ich deutlich Gunsegeschnatter. Ein Blick zu Katczinsky - ein Blick von ihm zuruck; wir verstehen uns. "Kat, ich hure da einen Kochgeschirraspiranten -" Er nickt. "Wird gemacht, wenn wir zuruck sind. Ich weiß hier Bescheid." Naturlich weiß Kat Bescheid. Er kennt bestimmt jedes Gunsebein in zwanzig Kilometer Umkreis. Die Wagen erreichen das Gebiet der Artillerie. Die Geschutzstunde sind gegen Fliegersicht mit Buschen verkleidet, wie zu einer Art militurischem Laubhuttenfest. Diese Lauben suhen lustig und friedlich aus, wenn ihre Insassen keine Kanonen wuren. Die Luft wird diesig von Geschutzrauch und Nebel. Man schmeckt den Pulverqualm bitter auf der Zunge. Die Abschusse krachen, daß unser Wagen bebt, das Echo rollt tosend hinterher, alles schwankt. Unsere Gesichter verundern sich unmerklich. Wir brauchen zwar nicht in die Gruben, sondern nur zum Schanzen, aber in - jedem Gesicht steht jetzt: hier ist die Front, wir sind in ihrem Bereich. Es ist das noch keine Angst. Wer so oft nach vorn gefahren ist wie wir, der wird dickfellig. Nur die jungen Rekruten sind aufgeregt. Kat belehrt sie: "Das war ein 30,5. Ihr hurt es am Abschuß; - gleich kommt der Einschlag." Aber der dumpfe Hall der Einschluge dringt nicht heruber. Er ertrinkt im Gemurmel der Front. Kat horcht hinaus: "Die Nacht gibt es Kattun." Wir horchen alle. Die Front ist unruhig. Kropp sagt: "Die Tommys schießen schon." Die Abschusse sind deutlich zu huren. Es sind die englischen Batterien, rechts von unserm Abschnitt. Sie beginnen eine Stunde zu fruh. Bei uns fingen sie immer erst Punkt zehn Uhr an. "Was fullt denn denen ein", ruft Muller, "ihre Uhren gehen wohl vor." "Es gibt Kattun, sag ich euch, ich spure es in den Knochen." Kat zieht die Schultern hoch. Neben uns druhnen drei Abschusse. Der Feuerstrahl schießt schrug in den Nebel, die Geschutze brummen und rumoren. Wir frusteln und sind froh, daß wir morgen fruh wieder in den Baracken sein werden. Unsere Gesichter sind nicht blasser und nicht ruter als sonst; sie sind auch nicht gespannter oder schlaffer, und doch sind sie anders. Wir fuhlen, daß in unserm Blut ein Kontakt angeknipst ist. Das sind keine Redensarten; es ist Tatsache. Die Front ist es, das Bewußtsein der Front, das diesen Kontakt auslust. Im Augenblick, wo die ersten Granaten pfeifen, wo die Luft unter den Abschussen zerreißt, ist plutzlich in unsern Adern, unsern Hunden, unsern Augen ein geducktes Warten, ein Lauern, ein sturkeres Wachsein, eine sonderbare Geschmeidigkeit der Sinne. Der Kurper ist mit einem Schlage in voller Bereitschaft. Oft ist es mir, als wure es die erschutterte, vibrierende Luft, die mit lautlosem Schwingen auf uns uberspringt; oder als wure es die Front selbst, von der eine Elektrizitut ausstrahlt, die unbekannte Nervenspitzen mobilisiert. Jedesmal ist es dasselbe: wir fahren ab und sind murrische oder gutgelaunte Soldaten; - dann kommen die ersten Geschutzstunde, und jedes Wort unserer Gespruche hat einen verunderten Klang. - Wenn Kat vor den Baracken steht und sagt: "Es gibt Kattun -", so ist das eben seine Meinung, fertig; - wenn er es aber hier sagt, so hat der Satz eine Schurfe wie ein Bajonett nachts im Mond, er schneidet glatt durch die Gedanken, er ist nuher und spricht zu diesem Unbewußten, das in uns aufgewacht ist, mit einer dunklen Bedeutung, "es gibt Kattun" -. Vielleicht ist es unser innerstes und geheimstes Leben, das erzittert und sich zur Abwehr erhebt. Fur mich ist die Front ein unheimlicher Strudel. Wenn man noch weit entfernt von seinem Zentrum im ruhigen Wasser ist, fuhlt man schon die Saugkraft, die einen an sich zieht, langsam, unentrinnbar, ohne viel Widerstand. Aus der Erde, aus der Luft aber strumen uns Abwehrkrufte zu, - am meisten von der Erde. Fur niemand ist die Erde so viel wie fur den Soldaten. Wenn er sich an sie preßt, lange, heftig, wenn er sich tief mit dem Gesicht und den Gliedern in sie hineinwuhlt in der Todesangst des Feuers, dann ist sie sein einziger Freund, sein Bruder, seine Mutter, er stuhnt seine Furcht und seine Schreie in ihr Schweigen und ihre Geborgenheit, sie nimmt sie auf und entlußt ihn wieder zu neuen zehn Sekunden Lauf und Leben, faßt ihn wieder, und manchmal fur immer. Erde - Erde - Erde -! Erde, mit deinen Bodenfalten und Luchern und Vertiefungen, in die man sich hineinwerfen, hineinkauern kann! Erde, du gabst uns im Krampf des Grauens, im Aufspritzen der Vernichtung, im Todesbrullen der Explosionen die ungeheure Widerwelle gewonnenen Lebens! Der irre Sturm fast zerfetzten Daseins floß im Ruckstrom von dir durch unsre Hunde, so daß wir die geretteten in dich gruben und im stummen Angstgluck der uberstandenen Minute mit unseren Lippen in dich hineinbissen! - Wir schnellen mit einem Ruck in einem Teil unseres Seins beim ersten Druhnen der Granaten um Tausende von Jahren zuruck. Es ist der Instinkt des Tieres, der in uns erwacht, der uns leitet und beschutzt. Er ist nicht bewußt, er ist viel schneller, viel sicherer, viel unfehlbarer als das Bewußtsein. Man kann es nicht erkluren. Man geht und denkt an nichts - plutzlich liegt man in einer Bodenmulde, und uber einen spritzen die Splitter hinweg; - aber man kann sich nicht entsinnen, die Granate kommen gehurt oder den Gedanken gehabt zu haben, sich hinzulegen. Hutte man sich darauf verlassen sollen, man wure bereits ein Haufen verstreutes Fleisch. Es ist das andere gewesen, diese hellsichtige Witterung in uns, die uns niedergerissen und gerettet hat, ohne daß man weiß, wie. Wenn sie nicht wure, gube es von Flandern bis zu den Vogesen schon lungst keine Menschen mehr. Wir fahren ab als murrische oder gutgelaunte Soldaten, - wir kommen in die Zone, wo die Front beginnt, und sind Menschentiere geworden. Ein durftiger Wald nimmt uns auf. Wir passieren die Gulaschkanonen. Hinter dem Walde steigen wir ab. Die Wagen fahren zuruck. Sie sollen uns morgens vor dem Hellwerden wieder abholen. Nebel und Geschutzrauch stehen in Brusthuhe uber den Wiesen. Der Mond scheint darauf. Auf der Straße ziehen Truppen. Die Stahlhelme schimmern mit matten Reflexen im Mondlicht. Die Kupfe und die Gewehre ragen aus dem weißen Nebel, nickende Kupfe, schwankende Gewehrluufe. Weiter vorn hurt der Nebel auf. Die Kupfe werden hier zu Gestalten; - Rucke, Hosen und Stiefel kommen aus dem Nebel wie aus einem Milchteich. Sie formieren sich zur Kolonne. Die Kolonne marschiert, geradeaus, die Gestalten schließen sich zu einem Keil, man erkennt die einzelnen nicht mehr, nur ein dunkler Keil schiebt sich nach vorn, sonderbar ergunzt aus den im Nebelteich heranschwimmenden Kupfen und Gewehren. Eine Kolonne - keine Menschen. Auf einer Querstraße fahren leichte Geschutze und Munitionswagen heran. Die Pferde haben glunzende Rucken im Mondschein, ihre Bewegungen sind schun, sie werfen die Kupfe, man sieht die Augen blitzen. Die Geschutze und Wagen gleiten vor dem verschwimmenden Hintergrund der Mondlandschaft voruber, die Reiter mit ihren Stahlhelmen sehen aus wie Ritter einer vergangenen Zeit, es ist irgendwie schun und ergreifend. Wir streben dem Pionierpark zu. Ein Teil von uns ladet sich gebogene, spitze Eisenstube auf die Schultern, der andere steckt glatte Eisenstucke durch Drahtrollen und zieht damit ab. Die Lasten sind unbequem und schwer. Das Terrain wird zerrissener. Von vorn kommen Meldungen durch: "Achtung, links tiefer Granattrichter" - "Vorsicht, Graben" - Unsere Augen sind angespannt, unsere Fuße und Stucke fuhlen vor, ehe sie die Last des Kurpers empfangen. Mit einmal hult der Zug; - man prallt mit dem Gesicht gegen die Drahtrolle des Vordermannes und schimpft. Einige zerschossene Wagen sind im Wege. Ein neuer Befehl. "Zigaretten und Pfeifen aus." -Wir sind dicht an den Gruben. Es ist inzwischen ganz dunkel geworden. Wir umgehen ein Wuldchen und haben dann den Frontabschnitt vor uns. Eine Ungewisse, rutliche Helle steht am Horizont von einem Ende zum andern. Sie ist in stundiger Bewegung, durchzuckt vom Mundungsfeuer der Batterien. Leuchtkugeln steigen daruber hoch, silberne und rote Bulle, die zerplatzen und in weißen, grunen und roten Sternen niederregnen. Franzusische Raketen schießen auf, die in der Luft einen Seidenschirm entfalten und ganz langsam niederschweben. Sie erleuchten alles taghell, bis zu uns dringt ihr Schein, wir sehen unsere Schatten scharf am Boden. Minutenlang schweben sie, ehe sie ausgebrannt sind. Sofort steigen neue hoch, uberall, und dazwischen wieder die grunen, roten und blauen. "Schlamassel", sagt Kat. Das Gewitter der Geschutze versturkt sich zu einem einzigen dumpfen Druhnen und zerfullt dann wieder in Gruppeneinschluge. Die trockenen Salven der Maschinengewehre knarren. uber uns ist die Luft erfullt von unsichtbarem Jagen, Heulen, Pfeifen und Zischen. Es sind kleinere Geschosse; - dazwischen orgeln aber auch die großen Kohlenkusten, die ganz schweren Brocken durch die Nacht und landen weit hinteruns. Sie haben einen ruhrenden, heiseren, entfernten Ruf, wie Hirsche in der Brunft, und ziehen hoch uber dem Geheul und Gepfeife der kleineren Geschosse ihre Bahn. Die Scheinwerfer beginnen den schwarzen Himmel abzusuchen. Sie rutschen daruber hin wie riesige, am Ende dunner werdende Lineale. Einer steht still und zittert nur wenig. Sofort ist ein zweiter bei ihm, sie kreuzen sich, ein schwarzes Insekt ist zwischen ihnen und versucht zu entkommen: der Flieger. Er wird unsicher, geblendet und taumelt. Wir rammen die Eisenpfuhle in regelmußigen Abstunden fest. Immer zwei Mann halten eine Rolle, die andern spulen den Stacheldraht ab. Es ist der ekelhafte Draht mit den dichtstehenden, langen Stacheln. Ich bin das Abrollen nicht mehr gewuhnt und reiße mir die Hand auf. Nach einigen Stunden sind wir fertig Aber wir haben noch Zeit, bis die Lastwagen kommen. Die meisten von uns legen sich hin und schlafen. Ich versuche es auch. Doch es wird zu kuhl. Man merkt, daß wir nahe am Meere sind, man wacht vor Kulte immer wieder auf. Einmal schlafe ich fest. Als ich plutzlich mit einem Ruck hochfliege, weiß ich nicht, wo ich bin. Ich sehe die Sterne, ich sehe die Raketen und habe einen Augenblick den Eindruck, auf einem Fest im Garten eingeschlafen zu sein. Ich weiß nicht, ob es Morgen oder Abend ist, ich liege in der bleichen Wiege der Dummerung und warte auf weiche Worte, die kommen mussen, weich und geborgen - weine ich? Ich fasse nach meinen Augen, es ist so wunderlich, bin ich ein Kind? Sanfte Haut; - nur eine Sekunde wuhrt es, dann erkenne ich die Silhouette Katczinskys. Er sitzt ruhig, der alte Soldat, und raucht eine Pfeife, eine Deckelpfeife naturlich. Als er bemerkt, daß ich wach bin, sagt er nur: "Du bist schun zusammengefahren. Es war nur ein Zunder, er ist da ins Gebusch gesaust." Ich setze mich hoch, ich fuhle mich sonderbar allein. Es ist gut, daß Kat da ist. Er sieht gedankenvoll zur Front und sagt: "Ganz schunes Feuerwerk, wenn's nicht so gefuhrlich wure." Hinter uns schlugt es ein. Ein paar Rekruten fahren erschreckt auf. Nach ein paar Minuten funkt es wieder heruber, nuher als vorher. Kat klopft seine Pfeife aus. "Es gibt Zunder." Schon geht es los. Wir kriechen weg, so gut es in der Eile geht. Der nuchste Schuß sitzt bereits zwischen uns. Ein paar Leute schreien. Am Horizont steigen grune Raketen auf. Der Dreck fliegt hoch, Splitter surren. Man hurt sie noch aufklatschen, wenn der Lurm der Einschluge lungst wieder verstummt ist. Neben uns liegt ein verungstigter Rekrut, ein Flachskopf. Er hat das Gesicht in die Hunde gepreßt. Sein Helm ist weggepurzelt. Ich fische ihn heran und will ihn auf seinen Schudel stulpen. Er sieht auf, stußt den Helm fort und kriecht wie ein Kind mit dem Kopf unter meinen Arm, dicht an meine Brust. Die schmalen Schultern zucken. Schultern, wie Kemmerich sie hatte. Ich lasse ihn gewuhren. Damit der Helm aber wenigstens zu etwas nutze ist, packe ich ihn auf seinen Hintern, nicht aus Bludsinn, sondern aus uberlegung, denn das ist der huchste Fleck. Wenn da zwar auch dickes Fleisch sitzt, Schusse hinein sind doch verflucht schmerzhaft, außerdem muß man monatelang im Lazarett auf dem Bauch liegen und nachher ziemlich sicher hinken. Irgendwo hat es muchtig eingehauen. Man hurt Schreien zwischen den Einschlugen. Endlich wird es ruhig. Das Feuer ist uber uns hinweggefegt und liegt nun auf den letzten Reservegruben. Wir riskieren einen Blick. Rote Raketen flattern am Himmel. Wahrscheinlich kommt ein Angriff. Bei uns bleibt es ruhig. Ich setze mich auf und ruttele den Rekruten an der Schulter. "Vorbei, Kleiner! Ist noch mal gutgegangen." Er sieht sich versturt um. Ich rede ihm zu: "Wirst dich schon gewuhnen." Er bemerkt seinen Helm und setzt ihn auf. Langsam kommt er zu sich. Plutzlich wird er feuerrot und hat ein verlegenes Aussehen. Vorsichtig langt er mit der Hand nach hinten und sieht mich gequult an. Ich verstehe sofort: Kanonenfieber. Dazu hatte ich ihm eigentlich den Helm nicht gerade dorthingepackt - aber ich truste ihn doch: "Das ist keine Schande, es haben schon ganz andere Leute als du nach ihrem ersten Feueruberfall die Hosen voll gehabt. Geh hinter den Busch da und schmeiß deine Unterhose weg. Erledigt -" Er trollt sich. Es wird stiller, doch das Schreien hurt nicht auf. "Was ist los, Albert?" frage ich. "Druben haben ein paar Kolonnen Volltreffer gekriegt." Das Schreien dauert an. Es sind keine Menschen, sie kunnen nicht so furchtbar schreien. Kat sagt: "Verwundete Pferde." Ich habe noch nie Pferde schreien gehurt und kann es kaum glauben. Es ist der Jammer der Welt, es ist die gemarterte Kreatur, ein wilder, grauenvoller Schmerz, der da stuhnt. Wir sind bleich. Detering richtet sich auf. "Schinder, Schinder! Schießt sie doch ab!" Er ist Landwirt und mit Pferden vertraut. Es geht ihm nahe. Und als wure es Absicht, schweigt das Feuer jetzt beinahe. Um so deutlicher wird das Schreien der Tiere. Man weiß nicht mehr, woher es kommt in dieser jetzt so stillen, silbernen Landschaft, es ist unsichtbar, geisterhaft, uberall, zwischen Himmel und Erde, es schwillt unermeßlich an - Detering wird wutend und brullt: "Erschießt sie, erschießt sie doch, verflucht noch mal!" "Sie mussen doch erst die Leute holen", sagt Kat. Wir stehen auf und suchen, wo die Stelle ist. Wenn man die Tiere erblickt, wird es besser auszuhalten sein. Meyer hat ein Glas bei sich. Wir sehen eine dunkle Gruppe Sanituter mit Tragbahren und schwarze, grußere Klumpen, die sich bewegen. Das sind die verwundeten Pferde. Aber nicht alle. Einige galoppieren weiter entfernt, brechen nieder und rennen weiter. Einem ist der Bauch aufgerissen, die Gedurme hungen lang heraus. Es verwickelt sich darin und sturzt, doch es steht wieder auf. Detering reißt das Gewehr hoch und zielt. Kat schlugt es in die Luft. "Bist du verruckt -?" Detering zittert und wirft sein Gewehr auf die Erde. Wir setzen uns hin und halten uns die Ohren zu. Aber dieses entsetzliche Klagen und Stuhnen und Jammern schlugt durch, es schlugt uberall durch. Wir kunnen alle etwas vertragen. Hier aber bricht uns der Schweiß aus. Man muchte aufstehen und fortlaufen, ganz gleich wohin, nur um das Schreien nicht mehr zu huren. Dabei sind es doch keine Menschen, sondern nur Pferde. Von dem dunklen Knuuel lusen sich wieder Tragbahren. Dann knallen einzelne Schusse. Die Klumpen zucken und werden flacher. Endlich! Aber es ist noch nicht zu Ende. Die Leute kommen nicht an die verwundeten Tiere heran, die in ihrer Angst fluchten, allen Schmerz in den weit aufgerissenen Muulern. Eine der Gestalten geht aufs Knie, ein Schuß - ein Pferd bricht nieder, - noch eins. Das letzte stemmt sich auf die Vorderbeine und dreht sich im Kreise wie ein Karussell, sitzend dreht es sich auf den hochgestemmten Vorderbeinen im Kreise, wahrscheinlich ist der Rucken zerschmettert. Der Soldat rennt hin und schießt es nieder. Langsam, demutig rutscht es zu Boden. Wir nehmen die Hunde von den Ohren. Das Schreien ist verstummt. Nur ein langgezogener, ersterbender Seufzer hungt noch in der Luft. Dann sind wieder nur die Raketen, das Granatensingen und die Sterne da - und das ist fast sonderbar. Detering geht und flucht: "Muchte wissen, was die fur Schuld haben." Er kommt nachher noch einmal heran. Seine Stimme ist erregt, sie klingt beinahe feierlich, als er sagt: "Das sage ich euch, es ist die allergrußte Gemeinheit, daß Tiere im Krieg sind." Wir gehen zuruck. Es ist Zeit, zu unseren Wagen zu gelangen. Der Himmel ist eine Spur heller geworden. Drei Uhr morgens. Der Wind ist frisch und kuhl, die fahle Stunde macht unsere Gesichter Wir tappen uns vorwurts im Gunsemarsch durch die Gruben und Trichter und gelangen wieder in die Nebelzone. Katczinsky ist unruhig, das ist ein schlechtes Zeichen. "Was hast du, Kat?" fragt Kropp. "Ich wollte, wir wuren erst zu Hause." - Zu Hause," er meint die Baracken. "Dauert nicht mehr lange, Kat." Er ist nervus. "Ich weiß nicht, ich weiß nicht -" Wir kommen in die Laufgruben und dann in die Wiesen. Das Wuldchen taucht auf; wir kennen hier jeden Schritt Boden. Da ist der Jugerfriedhof schon mit den Hugeln und den schwarzen Kreuzen. In diesem Augenblick pfeift es hinter uns, schwillt, kracht, donnert. Wir haben uns gebuckt - hundert Meter vor uns schießt eine Feuerwolke empor. In der nuchsten Minute hebt sich ein Stuck Wald unter einem zweiten Einschlag langsam uber die Gipfel, drei, vier Buume segeln mit und brechen dabei in Stucke. Schon zischen wie Kesselventile die folgenden Granaten heran - scharfes Feuer - "Deckung!" brullt jemand - "Deckung!" - Die Wiesen sind flach, der Wald ist zu weit und gefuhrlich; - es gibt keine andere Deckung als den Friedhof und die Gruberhugel. Wir stolpern im Dunkel hinein, wie hingespuckt klebt jeder gleich hinter einem Hugel. Keinen Moment zu fruh. Das Dunkel wird wahnsinnig. Es wogt und tobt. Schwurzere Dunkelheiten als die Nacht rasen mit Riesenbuckeln auf uns los, uber uns hinweg. Das Feuer der Explosionen uberflackert den Friedhof. Nirgendwo ist ein Ausweg. Ich wage im Aufblitzen der Granaten einen Blick auf die Wiesen. Sie sind ein aufgewuhltes Meer, die Stichflammen der Geschosse springen wie Fontunen heraus. Es ist ausgeschlossen, daß jemand daruber hinwegkommt. Der Wald verschwindet, er wird zerstampft, zerfetzt, zerrissen. Wir mussen hier auf dem Friedhof bleiben. Vor uns birst die Erde. Es regnet Schollen. Ich spure einen Ruck. Mein urmel ist aufgerissen durch einen Splitter. Ich balle die Faust. Keine Schmerzen. Doch das beruhigt mich nicht, Verletzungen schmerzen stets erst sputer. Ich fahre uber den Arm. Er ist angekratzt, aber heil. Da knallt es gegen meinen Schudel, daß mir das Bewußtsein verschwimmt. Ich habe den blitzartigen Gedanken: Nicht ohnmuchtig werden!, versinke in schwarzem Brei und komme sofort wieder hoch. Ein Splitter ist gegen meinen Helm gehauen, er kam so weit her, daß er nicht durchschlug. Ich wische mir den Dreck aus den Augen. Vor mir ist ein Loch aufgerissen, ich erkenne es undeutlich. Granaten treffen nicht leicht in denselben Trichter, deshalb will ich hinein. Mit einem Satze schnelle ich mich lang vor, flach wie ein Fisch uber den Boden, da pfeift es wieder, rasch krieche ich zusammen, greife nach der Deckung, fuhle links etwas, presse mich daneben, es gibt nach, ich stuhne, die Erde zerreißt, der Luftdruck donnert in meinen Ohren, ich krieche unter das Nachgebende, decke es uber mich, es ist Holz, Tuch, Deckung, Deckung, armselige Deckung vor herabschlagenden Splittern. Ich uffne die Augen, meine Finger halten einen urmel umklammert, einen Arm. Ein Verwundeter? Ich schreie ihm zu, keine Antwort - ein Toter. Meine Hand faßt weiter, in Holzsplitter, da weiß ich wieder, daß wir auf dem Friedhof liegen. Aber das Feuer ist sturker als alles andere. Es vernichtet die Besinnung, ich krieche nur noch tiefer unter den Sarg, er soll mich schutzen, und wenn der Tod selber in ihm liegt. Vor mir klafft der Trichter. Ich fasse ihn mit den Augen wie mit Fuusten, ich muß mit einem Satz hinein. Da erhalte ich einen Schlag ins Gesicht, eine Hand klammert sich um meine Schulter - ist der Tote wieder erwacht? - Die Hand schuttelt mich, ich wende den Kopf, in sekundenkurzem Licht starre ich in das Gesicht Katczinskys, er hat den Mund weit offen und brullt, ich hure nichts, er ruttelt mich, nuhert sich; in einem Moment des Abschwellens erreicht mich seine Stimme: "Gas - Gaaas - Gaaas! -Weitersagen!" Ich reiße die Gaskapsel heran. Etwas entfernt von mir liegt jemand. Ich denke an nichts mehr als an dies: Der dort muß es wissen: "Gaaas - Gaaas -!" Ich rufe, schiebe mich heran, schlage mit der Kapsel nach ihm, er merkt nichts - noch einmal, noch einmal - er duckt sich nur - es ist ein Rekrut - ich sehe verzweifelt nach Kat, er hat die Maske vor - ich reiße meine auch heraus, der Helm fliegt beiseite, sie streift sich uber mein Gesicht, ich erreiche den Mann, am nuchsten liegt mir seine Kapsel, ich fasse die Maske, schiebe sie uber seinen Kopf, er greift zu - ich lasse los - und liege plutzlich mit einem Ruck im Trichter. Der dumpfe Knall der Gasgranaten mischt sich in das Krachen der Explosivgeschosse. Eine Glocke druhnt zwischen die Explosionen, Gongs, Metallklappern kunden uberallhin - Gas - Gas - Gaas - Hinter mir plumpst es, einmal, zweimal. Ich wische die Augenscheiben meiner Maske vom Atemdunst sauber. Es sind Kat, Kropp und noch jemand. Wir liegen zu viert in schwerer, lauernder Anspannung und atmen so schwach wie muglich. Die ersten Minuten mit der Maske entscheiden uber Leben und Tod: ist sie dicht? Ich kenne die furchtbaren Bilder aus dem Lazarett: Gaskranke, die m tagelangem Wurgen die verbrannten Lungen stuckweise auskotzen. Vorsichtig, den Mund auf die Patrone gedruckt, atme ich. Jetzt schleicht der Schwaden uber den Boden und sinkt in alle Vertiefungen. Wie ein weiches, breites Quallentier legt er sich in unseren Trichter, rukelt sich hinein. Ich stoße Kat an: es ist besser herauszukriechen und oben zu liegen, als hier, wo das Gas sich am meisten sammelt. Doch wir kommen nicht dazu, ein zweiter Feuerhagel beginnt. Es ist, als ob nicht mehr die Geschosse brullen; es ist, als ob die Erde selbst tobt. Mit einem Krach saust etwas Schwarzes zu uns herab. Hart neben uns schlugt es ein, ein hochgeschleuderter Sarg. Ich sehe Kat sich bewegen und krieche hinuber. Der Sarg ist dem vierten in unserem Loch auf den ausgestreckten Arm geschlagen. Der Mann versucht, mit der andern Hand die Gasmaske abzureißen. Kropp greift rechtzeitig zu, biegt ihm die Hand hart auf den Rucken und hult sie fest. Kat und ich gehen daran, den verwundeten Arm frei zu machen. Der Sargdeckel ist lose und geborsten, wir kunnen ihn leicht abreißen, den Toten werfen wir hinaus, er sackt nach unten, dann versuchen wir, den unteren Teil zu lockern. Zum Gluck wird der Mann bewußtlos, und Albert kann uns helfen. Wir brauchen nun nicht mehr so behutsam zu sein und arbeiten, was wir kunnen, bis der Sarg mit einem Seufzer nachgibt unter dem daruntergesteckten Spaten. Es ist heller geworden. Kat nimmt ein Stuck des Deckels, legt es unter den zerschmetterten Arm, und wir binden alle unsere Verbandspuckchen darum. Mehr kunnen wir im Moment nicht tun. Mein Kopf brummt und druhnt in der Gasmaske, er ist nahe am Platzen. Die Lungen sind angestrengt, sie haben nur immer wieder denselben heißen, verbrauchten Atem, die Schlufenadern schwellen, man glaubt zu ersticken - Graues Licht sickert zu uns herein. Wind fegt uber den Friedhof. Ich schiebe mich uber den Rand des Trichters. In der schmutzigen Dummerung liegt vor mir ein ausgerissenes Bein, der Stiefel ist vollkommen heil, ich sehe das alles ganz deutlich im Augenblick. Aber jetzt erhebt sich wenige Meter weiter jemand, ich putze die Fenster, sie beschlagen mir vor Aufregung sofort wieder, ich starre hinuber - der Mann dort trugt keine Gasmaske mehr. Noch Sekunden warte ich - er bricht nicht zusammen, er blickt suchend umher und macht einige Schritte - der Wind hat das Gas zerstreut, die Luft ist frei - da zerre ich ruchelnd ebenfalls die Maske weg und falle hin, wie kaltes Wasser strumt die Luft in mich hinein, die Augen wollen brechen, die Welle uberschwemmt mich und luscht mich dunkel aus. Die Einschluge haben aufgehurt. Ich drehe mich zum Trichter und winke den andern. Sie klettern herauf und reißen sich die Masken herunter. Wir umfassen den Verwundeten, einer nimmt seinen geschienten Arm. So stolpern wir hastig davon. Der Friedhof ist ein Trummerfeld. Surge und Leichen liegen verstreut. Sie sind noch einmal getutet worden; aber jeder von ihnen, der zerfetzt wurde, hat einen von uns gerettet. Der Zaun ist verwustet, die Schienen der Feldbahn druben sind aufgerissen, sie starren hochgebogen in die Luft. Vor uns liegt jemand. Wir halten an, nur Kropp geht mit dem Verwundeten weiter. Der am Boden ist ein Rekrut. Seine Hufte ist blutverschmiert; er ist so erschupft, daß ich nach meiner Feldflasche greife, in der ich Rum mit Tee habe. Kat hult meine Hand zuruck und beugt sich uber ihn: "Wo hat's dich erwischt, Kamerad?" Er bewegt die Augen; er ist zu schwach zum Antworten. Wir schneiden vorsichtig die Hose auf. Er stuhnt. "Ruhig, ruhig, es wird ja besser -" Wenn er einen Bauchschuß hat, darf er nichts trinken. Er hat nichts erbrochen, das ist gunstig. Wir legen die Hufte bloß. Sie ist ein einziger Fleischbrei mit Knochensplittern. Das Gelenk ist getroffen. Dieser Junge wird nie mehr gehen kunnen. Ich wische ihm mit dem befeuchteten Finger uber die Schlufe und gebe ihm einen Schluck. In seine Augen kommt Bewegung. Jetzt erst sehen wir, daß auch der rechte Arm blutet. Kat zerfasert zwei Verbandspuckchen so breit wie muglich, damit sie die Wunde decken. Ich suche nach Stoff, um ihn lose daruberzuwickeln. Wir haben nichts mehr, deshalb schlitze ich dem Verwundeten das Hosenbein weiter auf, um ein Stuck seiner Unterhose als Binde zu verwenden. Aber er trugt keine. Ich sehe ihn genauer an: es ist der Flachskopf von vorhin. Kat hat inzwischen aus den Taschen eines Toten noch Puckchen geholt, die wir vorsichtig an die Wunde schieben. Ich sage dem Jungen, der uns unverwandt ansieht: "Wir holen jetzt eine Bahre." Da uffnet er den Mund und flustert: "Hierbleiben -" Kat sagt: "Wir kommen ja gleich wieder. Wir holen fur dich eine Bahre." Man kann nicht erkennen, ob er verstanden hat; er wimmert wie ein Kind hinter uns her: "Nicht weggehen -" Kat sieht sich um und flustert: "Sollte man da nicht einfach einen Revolver nehmen, damit es aufhurt?" Der Junge wird den Transport kaum uberstehen, und huchstens kann es noch einige Tage mit ihm dauern. Alles bisher aber wird nichts sein gegen diese Zeit, bis er stirbt. Jetzt ist er noch betuubt und fuhlt nichts. In einer Stunde wird er ein kreischendes Bundel unertruglicher Schmerzen werden. Die Tage, die er noch leben kann, bedeuten fur ihn eine einzige rasende Qual. Und wem nutzt es, ob er sie noch hat oder nicht - Ich nicke. "Ja, Kat, man sollte einen Revolver nehmen." " Gib her", sagt er und bleibt stehen. Er ist entschlossen, ich sehe es. Wir blicken uns um, aber wir sind nicht mehr allein. Vor uns sammelt sich ein Huuflein, aus den Trichtern und Grubern kommen Kupfe. Wir holen eine Bahre. Kat schuttelt den Kopf. " So junge Kerle" - Er wiederholt es: "So junge, unschuldige Kerle -" Unsere Verluste sind geringer, als anzunehmen war: funf Tote und acht Verwundete. Es war nur ein kurzer Feueruberfall. Zwei von unseren Toten liegen in einem der aufgerissenen Gruber; wir brauchen sie bloß zuzubuddeln. Wir gehen zuruck. Schweigend trotten wir im Gunsemarsch hintereinander her. Die Verwundeten werden zur Sanitutsstation gebracht. Der Morgen ist trube, die Krankenwurter laufen mit Nummern und Zetteln, die Verletzten wimmern. Es beginnt zu regnen. Nach einer Stunde haben wir unsere Wagen erreicht und klettern hinauf. Jetzt ist mehr Platz als vorher da. Der Regen wird sturker. Wir breiten Zeltbahnen aus und legen sie auf unsere Kupfe. Das Wasser trommelt darauf nieder. An den Seiten fließen die Regenstruhnen ab. Die Wagen platschen durch die Lucher, und wir wiegen uns im Halbschlaf hin und her. Zwei Mann vorn im Wagen haben lange gegabelte Stucke bei sich. Sie achten auf die Telefondruhte, die quer uber die Straße hungen, so tief, daß sie unsere Kupfe wegreißen kunnen. Die beiden Leute fangen sie mit ihren gegabelten Stucken auf und heben sie uber uns hinweg. Wir huren ihren Ruf: "Achtung - Draht", und im Halbschlaf gehen wir in die Kniebeuge und richten uns wieder auf. Monoton pendeln die Wagen, monoton sind die Rufe, monoton rinnt der Regen. Er rinnt auf unsere Kupfe und auf die Kupfe der Toten vorn, auf den Kurper des kleinen Rekruten mit der Wunde, die viel zu groß fur seine Hufte ist, er rinnt auf das Grab Kemmerichs, er rinnt auf unsere Herzen. Ein Einschlag hallt irgendwo. Wir zucken auf, die Augen sind gespannt, die Hunde wieder bereit, um die Kurper uber die Wunde des Wagens in den Straßengraben zu werfen. Es kommt nichts weiter. - Monoton nur die Rufe: "Achtung - Draht" - wir gehen in die Knie, wir sind wieder im Halbschlaf. 5 Es ist beschwerlich, die einzelne Laus zu tuten, wenn man Hunderte hat. Die Tiere sind etwas hart, und das ewige Knipsen mit den Fingernugeln wird langweilig. Tjaden hat deshalb den Deckel einer Schuhputzschachtel mit Draht uber einem brennenden Kerzenstumpf befestigt. In diese kleine Pfanne werden die Luuse einfach hineingeworfen - es knackt, und sie sind erledigt. Wir sitzen rundherum, die Hemden auf den Knien, den Oberkurper nackt in der warmen Luft, die Hunde bei der Arbeit. Haie hat eine besonders feine Art von Luusen: sie haben ein rotes Kreuz auf dem Kopf. Deshalb behauptet er, sie aus dem Lazarett inThourhout mitgebracht zu haben, sie seien von einem Oberstabsarzt persunlich. Er will auch das sich langsam in dem Blechdeckel ansammelnde Fett zum Stiefelschmieren benutzen und brullte eine halbe Stunde lang vor Lachen uber seinen Witz. Doch heute hat er wenig Erfolg; etwas anderes beschuftigt uns zu sehr. Das Gerucht ist Wahrheit geworden. Himmelstoß ist da. Gestern ist er erschienen, wir haben seine wohlbekannte Stimme schon gehurt. Er soll zu Hause ein paar junge Rekruten zu kruftig im Sturzacker gehabt haben. Ohne daß er es wußte, war der Sohn des Regierungsprusidenten dabei. Das brach ihm das Genick. Hier wird er sich wundern. Tjaden erurtert seit Stunden alle Muglichkeiten, wie er ihm antworten will. Haie sieht nachdenklich seine große Flosse an und kneift mir ein Auge. Die Prugelei war der Huhepunkt seines Daseins; er hat mir erzuhlt, daß er noch manchmal davon truumt. Kropp und Muller unterhalten sich. Kropp hat als einziger ein Kochgeschirr voll Linsen erbeutet, wahrscheinlich bei der Pionierkuche. Muller schielt gierig hin, beherrscht sich aber und fragt: ,..... "Albert, was wurdest du tun, wenn jetzt mit einemmal Frieden wure?" "Frieden gibt's nicht!" uußert Albert kurz. "Na, aber wenn -", beharrt Muller, "was wurdest du machen?" "Abhauen!" knurrt Kropp. "Das ist klar. Und dann?" "Mich besaufen", sagt Albert. "Rede keinen Quatsch, ich meine es ernst -" "Ich auch", sagt Albert, "was soll man denn anders machen." Kat interessiert sich fur die Frage. Er fordert von Kropp seinen Tribut an den Linsen, erhult ihn, uberlegt dann lange und meint: "Besaufen kunnte man sich ja, sonst aber auf die nuchste Eisenbahn - und ab nach Muttern. Mensch, Frieden, Albert -" Er kramt in seiner Wachstuchbrieftasche nach einer Fotografie und zeigt sie stolz herum. "Meine Alte!" Dann packt er sie weg und flucht: "Verdammter Lausekrieg -" "Du kannst gut reden", sage ich. "Du hast deinen Jungen und deine Frau." "Stimmt", nickt er, "ich muß dafur sorgen, daß sie was zu essen haben." Wir lachen. "Daran wird's nicht fehlen, Kat, sonst requierierst du eben." Muller ist hungrig und gibt sich noch nicht zufrieden. Er schreckt Haie Westhus aus seinen Verprugeltruumen. "Haie, was wurdest du denn machen, wenn jetzt Frieden wure?" "Er mußte dir den Arsch vollhauen, weil du hier von so etwas uberhaupt anfungst", sage ich, "wie kommt das eigentlich?" "Wie kommt Kuhscheiße aufs Dach?" antwortet Muller lakonisch und wendet sich wieder an Haie Westhus. Es ist zu schwer auf einmal fur Haie. Er wiegt seinen sommersprossigen Schudel: "Du meinst, wenn kein Krieg mehr ist?" "Richtig. Du merkst auch alles." "Dann kumen doch wieder Weiber, nicht?" - Haie leckt sich das Maul. "Das auch." "Meine Fresse noch mal", sagt Haie, und sein Gesicht taut auf, " dann wurde ich mir so einen strammen Feger schnappen, so einen richtigen Kuchendragoner, weißt du, mit ordentlich was dran zum Festhalten, und sofort nichts wie 'rin in die Betten! Stell dir mal vor, richtige Federbetten mit Sprungmatratzen, Kinners, acht Tage lang wurde ich keine Hose wieder anziehen." Alles schweigt. Das Bild ist zu wunderbar. Schauer laufen uns uber die Haut. Endlich ermannt sich Muller und fragt: "Und danach?" Pause. Dann erklurt Haie etwas verzwickt: "Wenn ich Unteroffizier wure, wurde ich erst noch bei den Preußen bleiben und kapitulieren." "Haie, du hast glatt einen Vogel", sage ich. Er fragt gemutlich zuruck: "Hast du schon mal Torf gestochen? Probier's mal." Damit zieht er seinen Luffel aus dem Stiefelschaft und langt damit in Alberts Eßnapf. "Schlimmer als Schanzen in der Champagne kann's auch nicht sein", erwiderte ich. Haie kaut und grinst: "Dauert aber lunger. Kannst dich auch nicht drucken." "Aber, Mensch, zu Hause ist es doch besser, Haie." "Teils, teils", sagt er und versinkt mit offenem Munde in Grubelei. Man kann auf seinen Zugen lesen, was er denkt. Da ist eine arme Moorkate, da ist schwere Arbeit in der Hitze der Heide vom fruhen Morgen bis zum Abend, da ist spurlicher Lohn, da ist ein schmutziger Knechtsanzug -- "Hast beim Kommiß in Frieden keine Sorgen", teilt er mit, "jeden Tag ist dein Futter da, sonst machst du Krach, hast dein Bett, alle acht Tage reine Wusche wie ein Kavalier, machst deinen Unteroffiziersdienst, hast dein schunes Zeug; - abends bist du ein freier Mann und gehst in die Kneipe." Haie ist außerordentlich stolz auf seine Idee. Er verliebt sich darin. "Und wenn du deine zwulf Jahre um hast, kriegst du deinen Versorgungsschein und wirst Landjuger. Den ganzen Tag kannst du Spazierengehen." Er schwitzt jetzt vor Zukunft. " Stell dir vor, wie du dann traktiert wirst. Hier einen Kognak, da einen halben Liter. Mit einem Landjuger will doch jeder gutstehen." "Du wirst ja nie Unteroffizier, Haie", wirft Kat ein. Haie blickt ihn betroffen an und schweigt. In seinen Gedanken sind jetzt wohl die klaren Abende im Herbst, die Sonntage in der Heide, die Dorfglocken, die Nachmittage und Nuchte mit den Mugden, die Buchweizenpfannkuchen mit den großen Speckaugen, die sorglos verschwatzten Stunden im Krug - Mit soviel Phantasie kann er so rasch nicht fertig werden; deshalb knurrt er nur erbost: "Was ihr immer fur Bludsinn zusammenfragt." Er streift sein Hemd uber den Kopf und knupft den Waffenrock zu. "Was wurdest du machen, Tjaden?" ruft Kropp. Tjaden kennt nur eins. "Aufpassen, daß mir Himmelstoß nicht durchgeht." Er muchte ihn wahrscheinlich am liebsten in einen Kufig sperren und jeden Morgen mit einem Knuppel uber ihn herfallen. Zu Kropp schwurmt er: "An deiner Stelle wurde ich sehen, daß ich Leutnant wurde. Dann kannst du ihn schleifen, daß ihm das Wasser im Hintern kocht." "Und du, Detering?" forscht Muller weiter. Er ist der geborene Schulmeister mit seiner Fragerei. Detering ist wortkarg. Aber auf dieses Thema gibt er Antwort. Er sieht in die Luft und sagt nur einen Satz: "Ich wurde gerade noch zur Ernte zurechtkommen." Damit steht er auf und geht weg. Er macht sich Sorgen. Seine Frau muß den Hof bewirtschaften. Dabei haben sie ihm noch zwei Pferde weggeholt. Jeden Tag liest er die Zeitungen, die kommen, ob es in seiner oldenburgischen Ecke auch nicht regnet. Sie bringen das Heu sonst nicht fort. In diesem Augenblick erscheint Himmelstoß. Er kommt direkt auf unsere Gruppe zu. Tjadens Gesicht wird fleckig. Er legt sich lungelang ms Gras und schließt die Augen vor Aufregung. Himmelstoß ist etwas unschlussig, sein Gang wird langsamer. Dann marschiert er dennoch zu uns heran. Niemand macht Miene, sich zu erheben. Kropp sieht ihm interessiert entgegen. Er steht jetzt vor uns und wartet. Da keiner etwas sagt, lußt er ein "Na?" vom Stapel. Ein paar Sekunden verstreichen; Himmelstoß weiß sichtlich nicht, wie er sich benehmen soll. Am liebsten muchte er uns jetzt im Galopp schleifen. Immerhin scheint er schon gelernt zu haben, daß die Front kein Kasernenhof ist. Er versucht es abermals und wendet sich nicht mehr an alle, sondern an einen, er hofft, so leichter Antwort zu erhalten. Kropp ist ihm am nuchsten. Ihn beehrt er deshalb. "Na, auch hier?" Aber Albert ist sein Freund nicht. Er antwortet knapp: "Bißchen lunger als Sie, denke ich." Der rutliche Schnurrbart zittert. "Ihr kennt mich wohl nicht mehr, was?" Tjaden schlugt jetzt die Augen auf. "Doch." Himmelstoß wendet sich ihm zu: "Das ist doch Tjaden, nicht?" Tjaden hebt den Kopf. "Und weißt du, was du bist?" Himmelstoß ist verblufft. "Seit wann duzen wir uns denn? Wir haben doch nicht zusammen im Chausseegraben gelegen." Er weiß absolut nichts aus der Situation zu machen. Diese offene Feindseligkeit hat er nicht erwartet. Aber er hutet sich vorluufig; sicher hat ihm jemand den Unsinn von Schussen in den Rucken vorgeschwatzt. Tjaden wird auf die Frage nach dem Chausseegraben vor Wut sogar witzig. "Nee, das warst du alleme." Jetzt kocht Himmelstoß auch. Tjaden kommt ihm jedoch eilig zuvor. Er muß seinen Spruch loswerden. "Was du bist, willst du wissen? Du bist ein Sauhund, das bist du! Das wollt' ich dir schon lange mal sagen." Die Genugtuung vieler Monate leuchtet ihm aus den blanken Schweinsaugen, als er den Sauhund hinausschmettert. Auch Himmelstoß ist nun entfesselt: "Was willst du Mistkuter, du dreckiger Torfdeubel? Stehen Sie auf, Knochen zusammen, wenn ein Vorgesetzter mit Ihnen spricht!" Tjaden winkt großartig. "Sie kunnen ruhren, Himmelstoß. Wegtreten." Himmelstoß ist ein tobendes Exerzierreglement. Der Kaiser kunnte nicht beleidigter sein. Er heult: "Tjaden, ich befehle Ihnen dienstlich: Stehen Sie auf!" "Sonst noch was?" fragt Tjaden. "Wollen Sie meinem Befehl Folge leisten oder nicht?" Tjaden erwidert gelassen und abschließend, ohne es zu wissen, mit dem bekanntesten Klassikerzitat. Gleichzeitig luftet er seine Kehrseite. Himmelstoß sturmt davon: " Sie kommen vors Kriegsgericht!" Wir sehen ihn in der Richtung zur Schreibstube verschwinden. Haie und Tjaden sind ein gewaltiges Torfstechergebrull. Haie lacht so, daß er sich die Kinnlade ausrenkt und mit offenem Maul plutzlich hilflos dasteht. Albert muß sie ihm mit einem Faustschlag erst wieder einsetzen. Kat ist besorgt. "Wenn er dich meldet, wird's buse." "Meinst du, daß er es tut?" fragt Tjaden. "Bestimmt", sage ich. "Das mindeste, was du kriegst, sind funf Tage Dicken", erklurt Kat. Das erschuttert Tjaden nicht. "Funf Tage Kahn sind funf Tage Ruhe." "Und wenn du auf Festung kommst?" forscht der grundlichere Muller. "Dann ist der Krieg fur mich so lange aus." Tjaden ist ein Sonntagskind. Fur ihn gibt es keine Sorgen. Mit Haie und Leer zieht er ab, damit man ihn nicht in der ersten Aufregung findet. Muller ist noch immer nicht zu Ende. Er nimmt sich wieder Kropp vor. "Albert, wenn du nun tatsuchlich nach Hause kumst, was wurdest du machen?" Kropp ist jetzt satt und deshalb nachgiebiger. "Wieviel Mann wuren wir dann eigentlich in der Klasse?" Wir rechnen: von zwanzig sind sieben tot, vier verwundet, einer in der Irrenanstalt. Es kumen huchstens also zwulf Mann zusammen. "Drei sind davon Leutnants", sagt Muller. "Glaubst du, daß sie sich von Kantorek anschnauzen ließen?" "Wir glauben es nicht; wir wurden uns auch nicht mehr anschnauzen lassen." "Was hultst du eigentlich von der dreifachen Handlung im Wilhelm Teil?" erinnert sich Kropp mit einem Male und brullt vor Lachen. "Was waren die Ziele des Guttinger Hainbundes?" forscht auch Muller plutzlich sehr streng. "Wieviel Kinder hatte Karl der Kuhne?" erwidere ich ruhig. "Aus Ihnen wird im Leben nichts, Buumer", quukt Muller. "Wann war die Schlacht bei Zama?" will Kropp wissen. "Ihnen fehlt der sittliche Ernst, Kropp, setzen Sie sich, drei minus -", winke ich ab. "Welche Aufgaben hielt Lykurgus fur die wichtigsten im Staate?" wispert Muller und scheint an einem Kneifer zu rucken. "Heißt es: Wir Deutsche furchten Gott, sonst niemand in der Welt, oder wir Deutschen ...?" gebe ich zu bedenken. "Wieviel Einwohner hat Melbourne ?" zwitschert Muller zuruck. "Wie wollen Sie bloß im Leben bestehen, wenn Sie das nicht wissen?" frage ich Albert empurt. "Was versteht man unter Kohusion?" trumpft der nun auf. Von dem ganzen Kram wissen wir nicht mehr allzuviel. Er hat uns auch nichts genutzt. Aber niemand hat uns in der Schule beigebracht, wie man bei Regen und Sturm eine Zigarette anzundet, wie man ein Feuer aus nassem Holz machen kann - oder daß man ein Bajonett am besten in den Bauch stußt, weil es da nicht festklemmt wie bei den Rippen. Muller sagt nachdenklich: "Was nutzt es. Wir werden doch wieder auf die Schulbank mussen." Ich halte es fur ausgeschlossen. "Vielleicht machen wir ein Notexamen." "Dazu brauchst du Vorbereitung. Und wenn du es schon bestehst, was dann? Student sein ist nicht viel besser. Wenn du kein Geld hast, mußt du auch buffeln." "Etwas besser ist es. Aber Quatsch bleibt es trotzdem, was sie dir da eintrichtern." Kropp trifft unsere Stimmung: "Wie kann man das ernst nehmen, wenn man hier draußen gewesen ist." "Aber du mußt doch einen Beruf haben", wendet Muller ein, als wure er Kantorek in Person. Albert reinigt sich die Nugel mit dem Messer. Wir sind erstaunt uber dieses Stutzertum. Aber es ist nur Nachdenklichkeit. Er schiebt das Messer weg und erklurt: "Das ist es ja. Kat und Detering und Haie werden wieder in ihren Beruf gehen, weil sie ihn schon vorher gehabt haben. Himmelstoß auch. Wir haben keinen gehabt. Wie sollen wir uns da nach diesem hier" - er macht eine Bewegung zur Front - "an einen gewuhnen." "Man mußte Rentier sein und dann ganz allein in einem Walde wohnen kunnen -", sage ich, schume mich aber sofort uber diesen Grußenwahn. "Was soll das bloß werden, wenn wir zuruckkommen?" meint Muller, und selbst er ist betroffen. Kropp zuckt die Achseln. "Ich weiß nicht. Erst mal da sein, dann wird sich's ja zeigen." Wir sind eigentlich alle ratlos. "Was kunnte man denn machen?" frage ich. "Ich habe zu nichts Lust", antwortet Kropp mude. "Eines Tages bist du doch tot, was hast du da schon? Ich glaube nicht, daß wir uberhaupt zuruckkommen." "Wenn ich daruber nachdenke, Albert", sage ich nach einer Weile und wulze mich auf den Rucken, "so muchte ich, wenn ich das Wort Friede hure, und es wure wirklich so, irgend etwas Unausdenkbares tun, so steigt es mir zu Kopf. Etwas, weißt du, was wert ist, daß man hier im Schlamassel gelegen hat. Ich kann mir bloß nichts vorstellen. Was ich an Muglichem sehe, diesen ganzen Betrieb mit Beruf und Studium und Gehalt und so weiter - das kotzt mich an, denn das war ja immer schon da und ist widerlich. Ich finde nichts - ich finde nichts, Albert." Mit einemmal scheint mir alles aussichtslos und verzweifelt. Kropp denkt ebenfalls daruber nach. Es wird uberhaupt schwer werden mit uns allen. Ob die sich in der Heimat eigentlich nicht manchmal Sorgen machen deswegen? Zwei Jahre Schießen und Handgranaten - das kann man doch nicht ausziehen wie einen Strumpf nachher -" Wir stimmen darin uberein, daß es jedem uhnlich geht; nicht nur uns hier; uberall, jedem, der in der gleichen Lage ist, dem einen mehr, dem andern weniger. Es ist das gemeinsame Schicksal unserer Generation. Albert spricht es aus. "Der Krieg hat uns fur alles verdorben." Er hat recht. Wir sind keine Jugend mehr. Wir wollen die Welt nicht mehr sturmen. Wir sind Fluchtende. Wir fluchten vor uns. Vor unserem Leben. Wir waren achtzehn Jahre und begannen die Welt und das Dasein zu lieben; wir mußten darauf schießen. Die erste Granate, die einschlug, traf in unser Herz. Wir sind abgeschlossen vom Tutigen, vom Streben, vom Fortschritt. Wir glauben nicht mehr daran; wir glauben an den Krieg. Die Schreibstube wird lebendig. Himmelstoß scheint sie alarmiert zu haben. An der Spitze der Kolonne trabt der dicke Feldwebel. Komisch, daß fast alle etatsmußigen Feldwebel dick sind. Ihm folgt der rachedurstende Himmelstoß. Seine Stiefel glunzen in der Sonne. Wir erheben uns. Der Spieß schnauft: "Wo ist Tjaden?" Naturlich weiß es keiner. Himmelstoß glitzert uns buse an. "Bestimmt wißt ihr es. Wollt es bloß nicht sagen. Raus mit der Sprache." Der Spieß sieht sich suchend um; Tjaden ist nirgendwo zu erblicken. Er versucht es andersherum. "In zehn Minuten soll Tjaden sich auf der Schreibstube melden." Damit zieht er davon, Himmelstoß in seinem Kielwasser. "Ich habe das Gefuhl, daß mir beim nuchsten Schanzen eine Drahtrolle auf die Beine von Himmelstoß fallen wird", vermutet Kropp. "Wir werden an ihm noch viel Spaß haben", lacht Muller. Das ist nun unser Ehrgeiz: einem Brieftruger die Meinung stoßen. - Ich gehe in die Baracke und sage Tjaden Bescheid, damit er verschwindet. Dann wechseln wir unsern Platz und lagern uns wieder, um Karten zu spielen. Denn das kunnen wir: Kartenspielen, fluchen und Krieg fuhren. Nicht viel fur zwanzig Jahre - zuviel fur zwanzig Jahre. Nach einer halben Stunde ist Himmelstoß erneut bei uns. Niemand beachtet ihn. Er fragt nach Tjaden. Wir zucken die Achseln. "Ihr solltet ihn doch suchen", beharrt er. "Wieso ihr?" erkundigt sich Kropp. "Na, ihr hier -" "Ich muchte Sie bitten, uns nicht zu duzen", sagt Kropp wie ein Oberst. Himmelstoß fullt aus den Wolken. "Wer duzt euch denn?" "Sie!" "Ich?" "Ja." Es arbeitet in ihm. Er schielt Kropp mißtrauisch an, weil er keine Ahnung hat, was der meint. Immerhin traut er sich in diesem Punkte nicht ganz und kommt uns entgegen. "Habt ihr ihn nicht gefunden?" Kropp legt sich ins Gras und sagt: "Waren Sie schon mal hier draußen?" "Das geht Sie gar nichts an", bestimmt Himmelstoß. "Ich verlange Antwort." "Gemacht", erwidert Kropp und erhebt sich. "Sehen Sie mal dorthin, wo die kleinen Wulkchen stehen. Das sind die Geschosse der Flaks. Da waren wir gestern. Funf Tote, acht Verwundete .Dabei war es eigentlich ein Spaß. Wenn Sie nuchstens mit 'rausgehen, werden die Mannschaften, bevor sie sterben, erst vor Sie hintreten, die Knochen zusammenreißen und zackig fragen: Bitte wegtreten zu durfen! Bitte abkratzen zu durfen! Auf Leute wie Sie haben wir hier gerade gewartet." Er setzt sich wieder, und Himmelstoß verschwindet wie ein Komet. "Drei Tage Arrest", vermutet Kat. "Das nuchstemal lege ich los", sage ich zu Albert. Aber es ist Schluß. Dafur findet abends beim Appell eine Vernehmung statt. In der Schreibstube sitzt unser Leutnant Bertinck und lußt einen nach dem andern rufen. Ich muß ebenfalls als Zeuge erscheinen und klure auf, weshalb Tjaden rebelliert hat. Die Bettnussergeschichte macht Eindruck. Himmelstoß wird herangeholt und ich wiederhole meine Aussagen. "Stimmt das?" fragt Bertinck Himmelstoß. Der windet sich und muß es schließlich zugeben, als Kropp die gleichen Angaben macht. "Weshalb hat denn niemand das damals gemeldet?" fragt Bertinck. Wir schweigen; er muß doch selbst wissen, was eine Beschwerde uber solche Kleinigkeiten beim Kommiß fur Zweck hat. Gibt es beim Kommiß uberhaupt Beschwerden ? Er sieht es wohl ein und kanzelt Himmelstoß zunuchst ab, indem er ihm noch einmal energisch klarmacht, daß die Front kein Kasernenhof sei. Dann kommt in versturktem Maße Tjaden an die Reihe, der eine ausgewachsene Predigt und drei Tage Mittelarrest erhult. Kropp diktiert er mit einem Augenzwinkern einen Tag Arrest. "Geht nicht anders", sagt erbedauernd zu ihm. Er ist ein vernunftiger Kerl. Mittelarrest ist angenehm. Das Arrestlokal ist ein fruherer Huhnerstall; da kunnen beide Besuch empfangen, wir verstehen uns schon darauf, hinzukommen. Dicker Arrest wure Keller gewesen. Fruher wurden wir auch an einen Baum gebunden, doch das ist jetzt verboten. Manchmal werden wir schon wie Menschen behandelt. Eine Stunde nachdem Tjaden und Kropp hinter ihren Drahtgittern sitzen, brechen wir zu ihnen auf. Tjaden begrußt uns kruhend. Dann spielen wir bis in die Nacht Skat. Tjaden gewinnt naturlich, das dumme Luder. Beim Aufbrechen fragt Kat mich: "Was meinst du zu Gunsebraten?" "Nicht schlecht", finde ich. Wir klettern auf eine Munitionskolonne. Die Fahrt kostet zwei Zigaretten. Kat hat sich den Ort genau gemerkt. Der Stall gehurt einem Regimentsstab. Ich beschließe, die Gans zu holen, und lasse mir Instruktionen geben. Der Stall ist hinter der Mauer, nur mit einem Pflock verschlossen. Kat hult mir die Hunde hin, ich stemme den Fuß hinein und klettere uber die Mauer. Kat steht unterdessen Schmiere. Einige Minuten bleibe ich stehen, um die Augen an die Dunkelheit zu gewuhnen. Dann erkenne ich den Stall. Leise schleiche ich mich heran, taste den Pflock ab, ziehe ihn weg und uffne die Tur. Ich unterscheide zwei weiße Flecke. Zwei Gunse, das ist faul: faßt man die eine, so schreit die andere. Also beide - wenn ich schnell bin, klappt es. Mit einem Satz springe ich zu. Eine erwische ich sofort, einen Moment sputer die zweite. Wie verruckt haue ich die Kupfe gegen die Wand, um sie zu betuuben. Aber ich muß wohl nicht genugend Wucht haben. Die Biester ruuspern sich und schlagen mit Fußen und Flugeln um sich. Ich kumpfe erbittert, aber, Donnerwetter, was hat so eine Gans fur Kraft! Sie zerren, daß ich hin und her taumele. Im Dunkel sind diese weißen Lappen scheußlich, meine Arme haben Flugel gekriegt, beinahe habe ich Angst, daß ich mich zum Himmel erhebe, als hutte ich ein paar Fesselballons in den Pfoten. Da geht auch schon der Lurm los; einer der Hulse hat Luft geschnappt und schnarrt wie eine Weckuhr. Ehe ich mich versehe, tappt es draußen heran, ich bekomme einen Stoß, liege am Boden und hure wutendes Knurren. Ein Hund. Ich blicke zur Seite; da schnappt er schon nach meinem Halse. Sofort liege ich still und ziehe vor allem das Kinn an den Kragen. Es ist eine Dogge. Nach einer Ewigkeit nimmt sie den Kopf zuruck und setzt sich neben mich. Doch wenn ich versuche, mich zu bewegen, knurrt sie. Ich uberlege. Das einzige, was ich tun kann, ist, daß ich meinen kleinen Revolver zu fassen kriege. Fort muß ich hier auf jeden Fall, ehe Leute kommen. Zentimeterweise schiebe ich die Hand heran. Ich habe das Gefuhl, daß es Stunden dauert. Immer eine leise Bewegung und ein gefuhrliches Knurren; Stilliegen und erneuter Versuch. Als ich den Revolver in der Hand habe, fungt sie an zu zittern. Ich drucke sie auf den Boden und mache mir klar: Revolver hochreißen, schießen, ehe er zufassen kann, und turmen. Langsam hole ich Atem und werde ruhiger. Dann halte ich die Luft an, zucke den Revolver hoch, es knallt, die Dogge spritzt jaulend zur Seite, ich gewinne die Tur des Stalles und purzele uber eine der gefluchteten Gunse. Im Galopp greife ich schnell noch zu, schmeiße sie mit einem Schwung uber die Mauer und klettere selbst hoch. Ich bin noch nicht hinuber, da ist die Dogge auch schon wieder munter und springt nach mir. Rasch lasse ich mich fallen. Zehn Schritt vor mir steht Kat, die Gans im Arm. Sowie er mich sieht, laufen wir. Endlich kunnen wir verschnaufen. Die Gans ist tot, Kat hat das in einem Moment erledigt. Wir wollen sie gleich braten, damit keiner etwas merkt. Ich hole Tupfe und Holz aus der Baracke, und wir kriechen in einen kleinen verlassenen Schuppen, den wir fur solche Zwecke kennen. Die einzige Fensterluke wird dicht verhungt. Eine Art Herd ist vorhanden, auf Backsteinen liegt eine eiserne Platte. Wir zunden ein Feuer an. Kat rupft die Gans und bereitet sie zu. Die Federn legen wir sorgfultig beiseite. Wir wollen uns zwei kleine Kissen daraus machen mit der Aufschrift: "Ruhe sanft im Trommelfeuer!" Das Artilleriefeuer der Front umsummt unsern Zufluchtsort. Lichtschein flackert uber unsere Gesichter, Schatten tanzen auf der Wand. Manchmal ein dumpfer Krach, dann zittert der Schuppen. Fliegerbomben. Einmal huren wir gedumpfte Schreie. Eine Baracke muß getroffen sein. Flugzeuge surren; das Tacktack von MaschirMßgewehren wird laut. Aber von uns dringt kein Licht hinaus, dasrzu sehen wure. So sitzen wir uns gegenuber, Kat und ich, zwei Soldaten in abgeschabten Rucken, die eine Gans braten, mitten in der Nacht. Wir reden nicht viel, aber wir sind voll zarterer Rucksicht miteinander, als ich mir denke, daß Liebende es sein kunnen. Wir sind zwei Menschen, zwei winzige Funken Leben, draußen ist die Nacht und der Kreis des Todes. Wir sitzen an ihrem Rande, gefuhrdet und geborgen, uber unsere Hunde trieft Fett, wir sind uns nahe mit unseren Herzen, und die Stunde ist wie der Raum: uberflackert von einem sanften Feuer, gehen die Lichter und Schatten der Empfindungen hin und her. Was weiß er von mir - was weiß ich von ihm, fruher wure keiner unserer Gedanken uhnlich gewesen - jetzt sitzen wir vor einer Gans und fuhlen unser Dasein und sind uns so nahe, daß wir nicht daruber sprechen mugen. Es dauert lange, eine Gans zu braten, auch wenn sie jung und fett ist. Wir wechseln uns deshalb ab. Einer begießt sie, wuhrend der andere unterdessen schluft. Ein herrlicher Duft verbreitet sich allmuhlich. Die Geruusche von draußen werden zu einem Band, zu einem Traum, der aber die Erinnerung nicht ganz verliert. Ich sehe im Halbschlaf Kat den Luffel heben und senken, ich liebe ihn, seine Schultern, seine eckige, gebeugte Gestalt - und zu gleicher Zeit sehe ich hinter ihm Wulder und Sterne, und eine gute Stimme sagt Worte, die mir Ruhe geben, mir, einem Soldaten, der mit seinen großen Stiefeln und seinem Koppel und seinem Brotbeutel klein unter dem hohen Himmel den Weg geht, der vor ihm liegt, der rasch vergißt und nur selten noch traurig ist, der immer weitergeht unter dem großen Nachthimmel. Ein kleiner Soldat und eine gute Stimme, und wenn man ihn streicheln wurde, kunnte er es vielleicht nicht mehr verstehen, der Soldat mit den großen Stiefeln und dem zugeschutteten Herzen, der marschiert, weil er Stiefel trugt, und alles vergessen hat außer dem Marschieren. Sind am Horizont nicht Blumen und eine Landschaft, die so still ist, daß er weinen muchte, der Soldat? Stehen dort nicht Bilder, die er nicht verloren hat, weil er sie nie besessen hat, verwirrend, aber dennoch fur ihn voruber? Stehen dort nicht seine zwanzig Jahre? Ist mein Gesicht naß, und wo bin ich? Kat steht vor mir, sein riesiger gebuckter Schatten fullt uber mich wie eine Heimat. Er spricht leise, er luchelt und geht zum Feuer zuruck. Dann sagt er: "Es ist fertig." "Ja, Kat." Ich schuttele mich. In der Mitte des Raumes leuchtet der braune Braten. Wir holen unsere zusammenklappbaren Gabeln und unsere Taschenmesser heraus und schneiden uns jeder eine Keule ab. Dazu essen wir Kommißbrot, das wir in die Soße tunken. Wir essen langsam, mit vollem Genuß. "Schmeckt es, Kat?" "Gut! Dir auch?" "Gut, Kat." Wir sind Bruder und schieben uns gegenseitig die besten Stucke zu. Hinterher rauche ich eine Zigarette, Kat eine Zigarre. Es ist noch viel ubriggeblieben. "Wie wure es, Kat, wenn wir Kropp und Tjaden ein Stuck bruchten?" "Gemacht", sagt er. Wir schneiden eine Portion ab und wickeln sie sorgfultig in Zeitungspapier. Den Rest wollen wir eigentlich in unsere Baracke tragen, aber Kat lacht und sagt nur: "Tjaden." Ich sehe es ein, wir mussen alles mitnehmen. So machen wir uns auf den Weg zum Huhnerstall, um die beiden zu wecken. Vorher packen wir noch die Federn weg. Kropp und Tjaden halten uns fur eine Fata Morgana. Dann knirschen ihre Gebisse. Tjaden hat einen Flugel mit beiden Hunden wie eine Mundharmonika im Munde und kaut. Er suuft das Fett aus dem Topf und schmatzt: "Das vergesse ich euch nie!" Wir gehen zu unserer Baracke. Da ist der hohe Himmel wieder mit den Sternen und der beginnenden Dummerung, und ich gehe darunter hin, ein Soldat mit großen Stiefeln und vollem Magen, ein kleiner Soldat in der Fruhe - aber neben mir, gebeugt und eckig, geht Kat, mein Kamerad. Die Umrisse der Baracke kommen in der Dummerung auf uns zu wie ein schwarzer, guter Schlaf. 6 Es wird von einer Offensive gemunkelt. Wir gehen zwei Tage fruher als sonst an die Front. Auf dem Wege passieren wir eine zerschossene Schule. An ihrer Lungsseite aufgestapelt steht eine doppelte, hohe Mauer von ganz neuen, hellen, unpolierten Surgen. Sie riechen noch nach Harz und Kiefern und Wald. Es sind mindestens hundert. "Da ist ja gut vorgesorgt zur Offensive", sagt Muller erstaunt. "Die sind fur uns", knurrt Detering. "Quatsch nicht!" fuhrt Kat ihn an. "Sei froh, wenn du noch einen Sarg kriegst", grinst Tjaden, "dir verpassen sie doch nur eine Zeltbahn fur deine Schießbudenfigur, paß auf!" Auch die andern machen Witze, unbehagliche Witze, was sollen wir sonst tun. - Die Surge sind ja tatsuchlich fur uns. In solchen Dingen klappt die Organisation. uberall vorn brodelt es. In der ersten Nacht versuchen wir uns zu orientieren. Da es ziemlich still ist, kunnen wir huren, wie die Transporte hinter der gegnerischen Front rollen, unausgesetzt, bis in die Dummerung hinein. Kat sagt, daß sie nicht abrollen, sondern Truppen bringen, Truppen, Munition, Geschutze. Die englische Artillerie ist versturkt, das huren wir sofort. Es stehen rechts von der Ferme mindestens vier Batterien 20,5 mehr, und hinter dem Pappelstumpf sind Minenwerfer eingebaut. Außerdem ist eine Anzahl dieser kleinen franzusischen Biester mit Aufschlagzundern hinzugekommen. Wir sind in gedruckter Stimmung. Zwei Stunden nachdem wir in den Unterstunden stecken, schießt uns die eigene Artillerie in den Graben. Es ist das drittemal in vier Wochen. Wenn es noch Zielfehler wuren, wurde keiner was sagen, aber es liegt daran, daß die Rohre zu ausgeleiert sind; sie streuen bis in unsern Abschnitt, so unsicher werden die Schusse oft. In dieser Nacht haben wir dadurch zwei Verwundete. Die Front ist ein Kufig, in dem man nervus warten muß auf das, was geschehen wird. Wir liegen unter dem Gitter der Granatenbogen und leben in der Spannung des Ungewissen. uber uns schwebt der Zufall. Wenn ein Geschoß kommt, kann ich mich ducken, das ist alles; wohin es schlugt, kann ich weder genau wissen noch beeinflussen. Dieser Zufall ist es, der uns gleichgultig macht. Ich saß vor einigen Monaten in einem Unterstand und spielte Skat; nach einer Weile stand ich auf und ging, Bekannte in einem andern Unterstand zu besuchen. Als ich zuruckkam, war von dem ersten nichts mehr zu sehen, er war von einem schweren Treffer zerstampft. Ich ging zum zweiten zuruck und kam gerade rechtzeitig, um zu helfen, ihn aufzugraben. Er war inzwischen verschuttet worden. Ebenso zufullig, wie ich getroffen werde, bleibe ich am Leben. Im bombensicheren Unterstand kann ich zerquetscht werden, und auf freiem Felde zehn Stunden Trommelfeuer unverletzt uberstehen. Jeder Soldat bleibt nur durch tausend Zufulle am Leben. Und jeder Soldat glaubt und vertraut dem Zufall. Wir mussen auf unser Brot achtgeben. Die Ratten haben sich sehr vermehrt in der letzten Zeit, seit die Gruben nicht mehr recht in Ordnung sind. Detering behauptet, es wure das sicherste Vorzeichen fur dicke Luft. Die Ratten hier sind besonders widerwurtig, weil sie so groß sind. Es ist die Art, die man Leichenratten nennt. Sie haben scheußliche, busartige, nackte Gesichter, und es kann einem ubel werden, wenn man ihre langen, kahlen Schwunze sieht. Sie scheinen recht hungrig zu sein. Bei fast allen haben sie das Brot angefressen. Kropp hat es unter seinem Kopf fest in die Zeltbahn gewickelt, doch er kann nicht schlafen, weil sie ihm uber das Gesicht laufen, um heranzugelangen. Detering wollte schlau sein; er hatte an der Decke einen dunnen Draht befestigt und sein Brot darangehungt. Als er nachts seine Taschenlampe anknipst, sieht er den Draht hin und her schwanken. Auf dem Brot reitet eine fette Ratte. Schließlich machen wir ein Ende. Die Stucke Brot, die von den Tieren benagt sind, schneiden wir sorgfultig aus; wegwerfen kunnen wir das Brot ja auf keinen Fall, weil wir morgen sonst nichts zu essen haben. Die abgeschnittenen Scheiben legen wir in der Mitte auf dem Boden zusammen. Jeder nimmt seinen Spaten heraus und legt sich schlagbereit hin. Detering, Kropp und Kat halten ihre Taschenlampen bereit. Nach wenigen Minuten huren wir das erste Schlurfen und Zerren. Es versturkt sich, nun sind es viele kleine Fuße. Da blitzen die Taschenlampen auf, und alles schlugt auf den schwarzen Haufen ein, der auseinanderzischt. Der Erfolg ist gut. Wir schaufeln die Rattenteile uber den Grabenrand und legen uns wieder auf die Lauer. Noch einige Male gelingt uns der Schlag. Dann haben die Tiere etwas gemerkt oder das Blut gerochen. Sie kommen nicht mehr. Trotzdem ist der Brotrest auf dem Boden am nuchsten Tage von ihnen weggeholt. Im benachbarten Abschnitt haben sie zwei große Katzen und einen Hund uberfallen, totgebissen und angefressen. Am nuchsten Tage gibt es Edamer Kuse. Jeder erhult fast einen Viertelkuse. Das ist teilweise gut, denn Edamer schmeckt - und es ist teilweise faul, denn fur uns waren die dicken roten Bulle bislang immer ein Anzeichen fur schweren Schlamassel. Unsere Ahnung steigert sich, als noch Schnaps ausgeteilt wird. Vorluufig trinken wir ihn; aber uns ist nicht wohl zumute dabei. Tagsuber machen wir Wettschießen auf Ratten und lungern umher. Die Patronen und Handgranatenvorrute werden reichlicher. Die Bajonette revidieren wir selbst. Es gibt numlich welche, die gleichzeitig auf der stumpfen Seite als Suge eingerichtet sind. Wenn die druben jemand damit erwischen, wird er rettungslos abgemurkst. Im Nachbarabschnitt sind Leute von uns wiedergefunden worden, denen mit diesen Sugeseitengewehren die Nasen abgeschnitten und die Augen ausgestochen waren. Dann hatte man ihnen den Mund und Nase mit Sugespunen gefullt und sie so erstickt. Einige Rekruten haben noch Seitengewehre uhnlicher Art; wir schaffen sie weg und besorgen ihnen andere. Das Seitengewehr hat allerdings an Bedeutung verloren. Zum Sturmen ist es jetzt manchmal Mode, nur mit Handgranaten und Spaten vorzugehen. Der geschurfte Spaten ist eine leichtere und vielseitigere Waffe, man kann ihn nicht nur unter das Kinn stoßen, sondern vor allem damit schlagen, das hat grußere Wucht; besonders wenn man schrug zwischen Schulter und Hals trifft, spaltet man leicht bis zur Brust durch. Das Seitengewehr bleibt beim Stich oft stecken, man muß dann erst dem andern kruftig gegen den Bauch treten, um es loszukriegen, und in der Zwischenzeit hat man selbst leicht eins weg. Dabei bricht es noch außerdem manchmal ab. Nachts wird Gas abgeblasen. Wir erwarten den Angriff und liegen mit den Masken fertig, bereit, sie abzureißen, sowie der erste Schatten auftaucht. Der Morgen graut, ohne daß etwas erfolgt. Nur immer dieses nervenzerreibende Rollen druben, Zuge, Zuge, Lastwagen, Lastwagen, was konzentriert sich da nur? Unsere Artillerie funkt stundig hinuber, aber es hurt nicht auf, es hurt nicht auf. - Wir haben mude Gesichter und sehen aneinander vorbei. "Es wird wie an der Somme, da hatten wir nachher sieben Tage und Nuchte Trommelfeuer", sagt Kat duster. Er hat gar keinen Witz mehr, seit wir hier sind, und das ist schlimm, denn Kat ist ein altes Frontschwein, das Witterung besitzt. Nur Tjaden freut sich der guten Portionen und des Rums; er meint sogar, wir wurden genauso in Ruhe zuruckkehren, es wurde gar nichts passieren. Fast scheint es so. Ein Tag nach dem andern geht voruber. Ich sitze nachts im Loch auf Horchposten. uber mir steigen die Raketen und Leuchtschirme auf und nieder. Ich bin vorsichtig und gespannt, mein Herz klopft. Immer wieder liegt mein Auge auf der Uhr mit dem Leuchtzifferblatt; der Zeiger will nicht weiter. Der Schlaf hungt in meinen Augenlidern, ich bewege die Zehen in den Stiefeln, um wachzubleiben. Nichts geschieht, bis ich abgelust werde; - nur immer das Rollen druben. Wir werden allmuhlich ruhig und spielen stundig Skat und Mauscheln. Vielleicht haben wir Gluck. Der Himmel hungt tagsuber voll Fesselballons. Es heißt, daß von druben jetzt auch hier Tanks eingesetzt werden sollen und Infanterieflieger beim Angriff. Das interessiert uns aber weniger als das, was von den neuen Flammenwerfern erzuhlt wird. Mitten in der Nacht erwachen wir. Die Erde druhnt. Schweres Feuer liegt uber uns. Wir drucken uns in die Ecken. Geschosse aller Kaliber kunnen wir unterscheiden. Jeder greift nach seinen Sachen und vergewissert sich alle Augenblicke von neuem, daß sie da sind. Der Unterstand bebt, die Nacht ist ein Brullen und Blitzen. Wir sehen uns bei dem sekundenlangen Licht an und schutteln mit bleichen Gesichtern und gepreßten Lippen die Kupfe. Jeder fuhlt es mit, wie die schweren Geschosse die Grabenbrustung wegreißen, wie sie die Buschung durchwuhlen und die obersten Betonklutze zerfetzen. Wir merken den dumpferen, rasenderen Schlag, der dem Prankenhieb eines fauchenden Raubtiers gleicht, wenn der Schuß im Graben sitzt. Morgens sind einige Rekruten bereits grun und kotzen. Sie sind noch zu unerfahren. Langsam rieselt widerlich graues Licht in den Stollen und macht das Blitzen der Einschluge fahler. Der Morgen ist da. Jetzt mischen sich explodierende Minen in das Artilleriefeuer. Es ist das Wahnsinnigste an Erschutterung, was es gibt. Wo sie niederfegen, ist ein Massengrab. Die Ablusungen gehen hinaus, die Beobachter taumeln herein, mit Schmutz beworfen, zitternd. Einer legt sich schweigend in die Ecke und ißt, der andere, ein Ersatzreservist, schluchzt; er ist zweimal uber die Brustwehr geflogen durch den Luftdruck der Explosion, ohne sich etwas anderes zu holen als einen Nervenschock. Die Rekruten sehen zu ihm hin. So etwas steckt rasch an, wir mussen aufpassen, schon fangen verschiedene Lippen an zu flattern. Gut ist, daß es Tag wird; vielleicht erfolgt der Angriff vormittags. Das Feuer schwucht nicht ab. Es liegt auch hinter uns. So weit man sehen kann, spritzen Dreck- und Eisenfontunen. Ein sehr breiter Gurtel wird bestrichen. Der Angriff erfolgt nicht, aber die Einschluge dauern an. Wir werden langsam taub. Es spricht kaum noch jemand. Man kann sich auch nicht verstehen. Unser Graben ist fast fort. An vielen Stellen reicht er nur noch einen halben Meter hoch, er ist durchbrochen von Luchern, Trichtern und Erdbergen. Direkt vor unserm Stollen platzt eine Granate. Sofort ist es dunkel. Wir sind zugeschuttet und mussen uns ausgraben. Nach einer Stunde ist der Eingang wieder frei, und wir sind etwas gefaßter, weil wir Arbeit hatten. Unser Kompaniefuhrer klettert herein und berichtet, daß zwei Unterstunde weg sind. Die Rekruten beruhigen sich, als sie ihn sehen. Er sagt, daß heute abend versucht werden soll, Essen heranzubringen. Das klingt trustlich. Keiner hat daran gedacht, außer Tjaden. Nun ruckt etwas wieder von draußen nuher; - wenn Essen geholt werden soll, kann es ja nicht so schlimm sein, denken die Rekruten. Wir sturen sie nicht, wir wissen, daß Essen ebenso wichtig wie Munition ist und nur deshalb herangeschafft werden muß. Aber es mißlingt. Eine zweite Staffel geht los. Auch sie kehrt um. Schließlich ist Kat dabei, und selbst er erscheint unverrichtetersache wieder. Niemand kommt durch, kein Hundeschwanz ist schmal genug fur dieses Feuer. Wir ziehen unsere Schmachtriemen enger und kauen jeden Happen dreimal so lange. Doch es reicht trotzdem nicht aus; wir haben verfluchten Kohldampf. Ich bewahre mir eine Kante auf; das Weiche esse ich heraus, die Kante bleibt im Brotbeutel; ab und zu knabbere ich mal daran. Die Nacht ist unertruglich. Wir kunnen nicht schlafen, wir stieren vor uns hin und duseln. Tjaden bedauert, daß wir unsere angefressenen Brotstucke fur die Ratten vergeudet haben. Wir hutten sie ruhig aufheben sollen. Jeder wurde sie jetzt essen. Wasser fehlt uns auch, aber noch nicht so sehr. Gegen Morgen, als es noch dunkel ist, entsteht Aufregung. Durch den Eingang sturzt ein Schwurm fluchtender Ratten und jagt die Wunde hinauf. Die Taschenlampen beleuchten die Verwirrung. Alle schreien und fluchen und schlagen zu. Es ist der Ausbruch der Wut und der Verzweiflung vieler Stunden, der sich entludt. Die Gesichter sind verzerrt, die Arme schlagen, die Tiere quietschen, es fullt schwer, daß wir aufhuren, fast hutte einer den anderen angefallen. Der Ausbruch hat uns erschupft. Wir liegen und warten wieder. Es ist ein Wunder, daß unser Unterstand noch keine Verluste hat. Er ist einer der wenigen tiefen Stollen, die es jetzt noch gibt. Ein Unteroffizier kriecht herein; der hat ein Brot bei sich. Drei Leuten ist es doch gegluckt, nachts durchzukommen und etwas Proviant zu holen. Sie haben erzuhlt, daß das Feuer in unverminderter Sturke bis zu den Artilleriestunden luge. Es sei ein Rutsel, wo die druben so viele Geschutze hernuhmen. Wir mussen warten, warten. Mittags passiert das, womit ich schon rechnete. Einer der Rekruten hat einen Anfall. Ich habe ihn schon lange beobachtet, wie er ruhelos die Zuhne bewegte und die Fuuste ballte und schloß. Diese gehetzten, herausspnngenden Augen kennen wir zur Genuge. In den letzten Stunden ist er nur scheinbar stiller geworden. Er ist in sich zusammengesunken wie ein morscher Baum. Jetzt steht er auf, unauffullig kriecht er durch den Raum, verweilt einen Augenblick und rutscht dann dem Ausgang zu. Ich lege mich herum und frage: "Wo willst du hin?" "Ich bin gleich wieder da", sagt er und will an mir vorbei. "Warte doch noch, das Feuer lußt schon nach." Er horcht auf, und das Auge wird einen Moment klar. Dann hat es wieder den truben Glanz wie bei einem tollwutigen Hund, er schweigt und drungt mich fort. "Eine Minute, Kamerad!" rufe ich. Kat wird aufmerksam. Gerade als der Rekrut mich fortstußt, packt er zu, und wir halten ihn fest. Sofort beginnt er zu toben: "Laßt mich los, laßt mich 'raus, ich will hier'raus!" Er hurt auf nichts und schlugt um sich, der Mund ist naß und spruht Worte, halbverschluckte, sinnlose Worte. Es ist ein Anfall von Unterstandsangst, er hat das Gefuhl, hier zu ersticken, und kennt nur den einen Trieb: hinauszugelangen. Wenn man ihn laufen ließe, wurde er ohne Deckung irgendwohin rennen. Er ist nicht der erste. Da er sehr wild ist und die Augen sich schon verdrehen, so hilft es nichts, wir mussen ihn verprugeln, damit er vernunftig wird. Wir tun es schnell und erbarmungslos und erreichen, daß er vorluufig wieder ruhig sitzt. Die andern sind bleich bei der Geschichte geworden; hoffentlich schreckt es sie ab. Dieses Trommelfeuer ist zuviel fur die armen Kerle; sie sind vom Feldrekrutendepot gleich in einen Schlamassel geraten, der selbst einem alten Mann graue Haare machen kunnte. Die stickige Luft fullt uns nach diesem Vorgang noch mehr auf die Nerven. Wir sitzen wie in unserm Grabe und warten nur darauf, daß wir zugeschuttet werden. Plutzlich heult und blitzt es ungeheuer, der Unterstand kracht in allen Fugen unter einem Treffer, glucklicherweise einem leichten, dem die Betonklutze standgehalten haben. Es klirrt metallisch und furchterlich, die Wunde wackeln, Gewehre, Helme, Erde, Dreck und Staub fliegen. Schwefeliger Qualm dringt ein. Wenn wir statt in dem festen Unterstand in einem der leichten Dinger sußen, wie sie neuerdings gebaut werden, lebte jetzt keiner mehr. Die Wirkung ist aber auch so schlimm genug. Der Rekrut von vorhin tobt schon wieder, und zwei andere schließen sich an. Einer reißt aus und luuft weg. Wir haben Muhe mit den beiden andern. Ich sturze hinter dem Fluchtenden her und uberlege, ob ich ihm in die Beine schießen soll; - da pfeift es heran, ich werfe mich hin, und als ich aufstehe, ist die Grabenwand mit heißen Splittern, Fleischfetzen und Uniformlappen bepflastert. Ich klettere zuruck. Der erste scheint wirklich verruckt geworden zu sein. Er rennt mit dem Kopf wie ein Bock gegen die Wand, wenn man ihn loslußt. Wir werden nachts versuchen mussen, ihn nach hinten zu bringen. Vorluufig binden wir ihn so fest, daß man ihn beim Angriff sofort wieder losmachen kann. Kat schlugt vor, Skat zu spielen; - was soll man tun, vielleicht ist es leichter dann. Aber es wird nichts daraus, wir lauschen auf jeden Einschlag, der nuher ist, und verzuhlen uns bei den Stichen oder bedienen nicht die Farbe. Wir mussen es lassen. Wie in einem gewaltig druhnenden Kessel sitzen wir, auf den von allen Seiten losgeschlagen wird. Noch eine Nacht. Wir sind jetzt stumpf vor Spannung. Es ist eine tudliche Spannung, die wie ein schartiges Messer unser Ruckenmark entlang kratzt. Die Beine wollen nicht mehr, die Hunde zittern, der Kurper ist eine dunne Haut uber muhsam unterdrucktem Wahnsinn, uber einem gleich hemmungslos ausbrechenden Gebrull ohne Ende. Wir haben kein Fleisch und keine Muskeln mehr, wir kunnen uns nicht mehr ansehen, aus Furcht vor etwas Unberechenbarem. So pressen wir die Lippen aufeinander - es wird vorubergehen - es wird vorubergehen - vielleicht kommen wir durch. Mit einem Male huren die nahen Einschluge auf. Das Feuer dauert an, aber es ist zuruckverlegt, unser Graben ist frei. Wir greifen nach den Handgranaten, werfen sie vor den Unterstand und springen hinaus. Das Trommelfeuer hat aufgehurt, dafur liegt hinter uns ein schweres Sperrfeuer. Der Angriff ist da. Niemand wurde glauben, daß in dieser zerwuhlten Wuste noch Menschen sein kunnten; aber jetzt tauchen uberall aus dem Graben die Stahlhelme auf, und funfzig Meter von uns entfernt ist schon ein Maschinengewehr in Stellung gebracht, das gleich losbellt. Die Drahtverhaue sind zerfetzt. Immerhin halten sie noch etwas auf. Wir sehen die Sturmenden kommen. Unsere Artillerie funkt. Maschinengewehre knarren, Gewehre knattern. Von druben arbeiten sie sich heran. Haie und Kropp beginnen mit den Handgranaten. Sie werfen, so rasch sie kunnen, die Stiele werden ihnen abgezogen zugereicht. Haie wirft sechzig Meter weit, Kropp funfzig, das ist ausprobiert und wichtig. Die von druben kunnen im Laufen nicht viel eher etwas machen, als bis sie auf dreißig Meter heran sind. Wir erkennen die verzerrten Gesichter, die flachen Helme, es sind Franzosen. Sie erreichen die Reste des Drahtverhaus und haben schon sichtbare Verluste. Eine ganze Reihe wird von dem Maschinengewehr neben uns umgelegt; dann haben wir viele Ladehemmungen, und sie kommen nuher. Ich sehe einen von ihnen in einen spanischen Reiter sturzen, das Gesicht hoch erhoben. Der Kurper sackt zusammen, die Hunde bleiben hungen, als wollte er beten. Dann fullt der Kurper ganz weg, und nur noch die abgeschossenen Hunde mit den Armstumpfen hungen im Draht. Im Augenblick, als wir zuruckgehen, heben sich vorn drei Gesichter vom Boden. Unter einem der Helme ein dunkler Spitzbart und zwei Augen, die fest auf mich gerichtet sind. Ich hebe die Hand, aber ich kann nicht werfen in diese sonderbaren Augen, einen verruckten Moment lang rast die ganze Schlacht wie ein Zirkus um mich und diese beiden Augen, die allein bewegungslos sind, dann reckt sich druben der Kopf auf, eine Hand, eine Bewegung, und meine Handgranate fliegt hinuber, hinein. Wir laufen zuruck, reißen spanische Reiter in den Graben und lassen abgezogene Handgranaten hinter uns fallen, die uns einen feurigen Ruckzug sichern. Von der nuchsten Stellung aus feuern die Maschinengewehre. Aus uns sind gefuhrliche Tiere geworden. Wir kumpfen nicht, wir verteidigen uns vor der Vernichtung. Wir schleudern die Granaten nicht gegen Menschen, was wissen wir im Augenblick davon, dort hetzt mit Hunden und Helmen der Tod hinter uns her, wir kunnen ihm seit drei Tagen zum ersten Male ins Gesicht sehen, wir kunnen uns seit drei Tagen zum ersten Male wehren gegen ihn, wir haben eine wahnsinnige Wut, wir liegen nicht mehr ohnmuchtig wartend auf dem Schafott, wir kunnen zersturen und tuten, um uns zu retten und zu ruchen. Wir hocken hinter jeder Ecke, hinter jedem Stacheldrahtgestell und werfen den Kommenden Bundel von Explosionen vor die Fuße, ehe wir forthuschen. Das Krachen der Handgranaten schießt kraftvoll in unsere Arme, in unsere Beine, geduckt wie Katzen laufen wir, uberschwemmt von dieser Welle, die uns trugt, die uns grausam macht, zu Wegelagerern, zu Murdern, zu Teufeln meinetwegen, dieser Welle, die unsere Kraft vervielfultigt in Angst und Wut und Lebensgier, die uns Rettung sucht und erkumpft. Kume dein Vater mit denen druben, du wurdest nicht zaudern, ihm die Granate gegen die Brust zu werfen! Die vorderen Gruben werden aufgegeben. Sind es noch Gruben? Sie sind zerschossen, vernichtet - es sind nur einzelne Grabenstucke, Lucher, verbunden durch Laufgunge, Trichternester, nicht mehr. Aber die Verluste derer von druben huufen sich. Sie haben nicht mit so viel Widerstand gerechnet. Es wird Mittag. Die Sonne brennt heiß, uns beißt der Schweiß in die Augen, wir wischen ihn mit dem urmel weg, manchmal ist Blut dabei. Der erste etwas besser erhaltene Graben taucht auf. Er ist besetzt und vorbereitet zum Gegenstoß, er nimmt uns auf. Unsere Artillerie setzt muchtig ein und riegelt den Vorstoß ab. Die Linien hinter uns stocken. Sie kunnen nicht vorwurts. Der Angriff wird zerfetzt durch unsere Artillerie. Wir lauern. Das Feuer springt hundert Meter weiter, und wir brechen wieder vor. Neben mir wird einem Gefreiten der Kopf abgerissen. Er luuft noch einige Schritte, wuhrend das Blut ihm wie ein Springbrunnen aus dem Halse schießt. Es kommt nicht ganz zum Handgemenge, die andern mussen zuruck. Wir erreichen unsere Grabenstucke wieder und gehen daruber hinaus vor. Oh, dieses Umwenden! Man hat die schutzenden Reservestellungen erreicht, man muchte hindurchkriechen, verschwinden; - und muß sich umdrehen und wieder in das Grauen hinein. Wuren wir keine Automaten in diesem Augenblick, wir blieben liegen, erschupft, willenlos. Aber wir werden wieder mit vorwurts gezogen, willenlos und doch wahnsinnig wild und wutend, wir wollen tuten, denn das dort sind unsere Todfeinde jetzt, ihre Gewehre und Granaten sind gegen uns gerichtet, vernichten wir sie nicht, dann vernichten sie uns! Die braune Erde, die zerrissene, zerborstene braune Erde, fettig unter den Sonnenstrahlen schimmernd, ist der Hintergrund rastlos dumpfen Automatentunis, unser Keuchen ist das Abschnarren der Feder, die Lippen sind trocken, der Kopf ist wuster als nach einer durchsoffenen Nacht - so taumeln wir vorwurts, und in unsere durchsiebten, durchlucherten Seelen bohrt sich quulend eindringlich das Bild der braunen Erde mit der fettigen Sonne und den zuckenden und toten Soldaten, die da liegen, als mußte es so sein, die nach unsern Beinen greifen und schreien, wuhrend wir uber sie hinwegspringen. Wir haben alles Gefuhl fureinander verloren, wir kennen uns kaum noch, wenn das Bild des andern in unseren gejagten Blick fullt. Wir sind gefuhllose Tote, die durch einen Trick, einen gefuhrlichen Zauber noch laufen und tuten kunnen. Ein junger Franzose bleibt zuruck, er wird erreicht, hebt die Hunde, in einer hat er noch den Revolver - man weiß nicht, will er schießen oder sich ergeben -, ein Spatenschlag spaltet ihm das Gesicht. Ein zweiter sieht es und versucht, weiterzufluchten, ein Bajonett zischt ihm in den Rucken. Er springt hoch, und die Arme ausgebreitet, den Mund schreiend weit offen, taumelt er davon, in seinem Rucken schwankt das Bajonett. Ein dritter wirft das Gewehr weg, kauert sich nieder, die Hunde vor den Augen. Er bleibt zuruck mit einigen andern Gefangenen, um Verwundete fortzutragen. Plutzlich geraten wir in der Verfolgung an die feindlichen Stellungen. Wir sind so dicht hinter den weichenden Gegnern, daß es uns gelingt, fast gleichzeitig mit ihnen anzulangen. Dadurch haben wir wenig Verluste. Ein Maschinengewehr klufft, wird aber durch eine Handgranate erledigt. Immerhin haben die paar Sekunden fur funf Bauchschusse bei uns ausgereicht. Kat schlugt einem der unverwundet gebliebenen Maschinengewehrschutzen mit dem Kolben das Gesicht zu Brei. Die andern erstechen wir, ehe sie ihre Handgranaten heraus haben. Dann saufen wir durstig das Kuhlwasser aus. uberall knacken Drahtzangen, poltern Bretter uber die Verhaue, springen wir durch die schmalen Zugunge in die Gruben. Haie stußt einem riesigen Franzosen seinen Spaten in den Hals und wirft die erste Handgranate; wir ducken uns einige Sekunden hinter einer Brustwehr, dann ist das gerade Stuck des Grabens vor uns leer. Schrug uber die Ecke zischt der nuchste Wurf und schafft freie Bahn, im Vorbeilaufen fliegen geballte Ladungen in die Unterstunde, die Erde ruckt, es kracht, dampft und stuhnt, wir stolpern uber glitschige Fleischfetzen, uber weiche Kurper, ich falle in einen zerrissenen Bauch, auf dem ein neues, sauberes Offizierskuppi liegt. Das Gefecht stockt. Die Verbindung mit dem Feinde reißt ab. Da wir uns hier nicht lange halten kunnen, werden wir unter dem Schutze unserer Artillerie zuruckgenommen auf unsere Stellung. Kaum wissen wir es, als wir in grußter Eile noch in die nuchsten Unterstunde sturzen, um von Konserven an uns zu reißen, was wir gerade sehen, vor allem die Buchsen mit Corned beef und Butter, ehe wir turmen. Wir kommen gut zuruck. Es erfolgt vorluufig kein weiterer Angriff von druben. uber eine Stunde liegen wir, keuchen und ruhen uns aus, ehe jemand spricht. Wir sind so vullig ausgepumpt, daß wir trotz unseres starken Hungers nicht an die Konserven denken. Erst allmuhlich werden wir wieder so etwas wie Menschen. Das Corned beef von druben ist an der ganzen Front beruhmt. Es ist mitunter sogar der Hauptgrund zu einem uberraschenden Vorstoß von unserer Seite, denn unsere Ernuhrung ist im allgemeinen schlecht; wir haben stundig Hunger. Insgesamt haben wir funf Buchsen geschnappt. Die Leute druben werden ja verpflegt, das ist eine Pracht gegen uns Hungerleider mit unserer Rubenmarmelade, das Fleisch steht da nur so herum, man braucht bloß danach zu greifen. Haie hat außerdem ein dunnes franzusisches Weißbrot erwischt und hinter sein Koppel geschoben wie einen Spaten. An einer Ecke ist es ein bißchen blutig, doch das lußt sich abschneiden. Es ist ein Gluck, daß wir jetzt gut zu essen haben; wir werden unsere Krufte noch brauchen. Sattessen ist ebenso wertvoll wie ein guter Unterstand; deshalb sind wir so gierig danach, denn es kann uns das Leben retten. Tjaden hat noch zwei Feldflaschen Kognak erbeutet. Wir lassen sie reihum gehen. Der Abendsegen beginnt. Die Nacht kommt, aus den Trichtern steigen Nebel. Es sieht aus, als wuren die Lucher von gespenstigen Geheimnissen erfullt. Der weiße Dunst kriecht angstvoll umher, ehe er wagt, uber den Rand hinwegzugleiten. Dann ziehen lange Streifen von Trichter zu Trichter. Es ist kuhl. Ich bin auf Posten und starre in die Dunkelheit. Mir ist schwach zumute, wie immer nach einem Angriff, und deshalb wird es mir schwer, mit meinen Gedanken allein zu sein. Es sind keine eigentlichen Gedanken; es sind Erinnerungen, die mich in meiner Schwuche jetzt heimsuchen und mich sonderbar stimmen. Die Leuchtschirme gehen hoch - und ich sehe ein Bild, einen Sommerabend, wo ich im Kreuzgang des Domes bin und auf hohe Rosenbusche schaue, die in der Mitte des kleinen Kreuzgartens bluhen, in dem die Domherren begraben werden. Rundum stehen die Steinbilder der Stationen des Rosenkranzes. Niemand ist da; - eine große Stille hult dieses bluhende Viereck umfangen, die Sonne liegt warm auf den dicken grauen Steinen, ich lege meine Hand darauf und fuhle die Wurme. uber der rechten Ecke des Schieferdaches strebt der grune Domturm in das matte, weiche Blau des Abends. Zwischen den beglunzten kleinen Suulen der umlaufenden Kreuzgunge ist das kuhle Dunkel, das nur Kirchen haben, und ich stehe dort und denke daran, daß ich mit zwanzig Jahren die verwirrenden Dinge kennen werde, die von den Frauen kommen. Das Bild ist besturzend nahe, es ruhrt mich an, ehe es unter dem Aufflammen der nuchsten Leuchtkugel zergeht. Ich fasse mein Gewehr und rucke es zurecht. Der Lauf ist feucht, ich lege meine Hand fest darum und zerreibe die Feuchtigkeit mit den Fingern. Zwischen den Wiesen hinter unserer Stadt erhob sich an einem Bach eine Reihe von alten Pappeln. Sie waren weithin sichtbar, und obschon sie nur auf einer Seite standen, hießen sie die Pappelallee. Schon als Kinder hatten wir eine Vorliebe fur sie, unerklurlich zogen sie uns an, ganze Tage verbrachten wir bei ihnen und honen ihrem leisen Rauschen zu. Wir saßen unter ihnen am Ufer des Baches und ließen die Fuße in die hellen, eiligen Wellen hungen. Der reine Duft des Wassers und die Melodie des Windes in den Pappeln beherrschten unsere Phantasie. Wir liebten sie sehr, und das Bild dieser Tage lußt mir jetzt noch das Herz klopfen, ehe es wieder geht. Es ist seltsam, daß alle Erinnerungen, die kommen, zwei Eigenschaften haben. Sie sind immer voll Stille, das ist das Sturkste an ihnen, und selbst dann, wenn sie es nicht in dem Maße in Wahrheit waren, wirken sie so. Sie sind lautlose Erscheinungen, die zu mir sprechen mit Blicken und Geburden, wortlos und schweigend, - und ihr Schweigen ist das Erschutternde, das mich zwingt, meinen urmel anzufassen und mein Gewehr, um mich nicht vergehen zu lassen in dieser Auflusung und Lockung, in der mein Kurper sich ausbreiten und sanft zerfließen muchte zu den stillen Muchten hinter den Dingen. Sie sind so still, weil das fur uns so unbegreiflich ist. An der Front gibt es keine Stille, und der Bann der Front reicht so weit, daß wir nie außerhalb von ihr sind. Auch in den zuruckgelegenen Depots und Ruhequartieren bleibt das Summen und das gedumpfte Poltern des Feuers stets in unseren Ohren. Wir sind nie so weit fort, daß wir es nicht mehr huren. In diesen Tagen aber war es unertruglich. Die Stille ist die Ursache dafur, daß die Bilder des Fruher nicht so sehr Wunsche erwecken als Trauer - eine ungeheure, fassungslose Schwermut. Sie waren - aber sie kehren nicht wieder. Sie sind vorbei, sie sind eine andere Welt, die fur uns voruber ist. Auf den Kasernenhufen riefen sie ein rebellisches, wildes Begehren hervor, da waren sie noch mit uns verbunden, wir gehurten zu ihnen und sie zu uns, wenn wir auch getrennt waren. Sie stiegen auf bei den Soldatenliedern, die wir sangen, wenn wir zwischen Morgenrot und schwarzen Waldsilhouetten zum Exerzieren nach der Heide marschierten, sie waren eine heftige Erinnerung, die in uns war und aus uns kam. Hier in den Gruben aber ist sie uns verlorengegangen. Sie steigt nicht mehr aus uns auf; - wir sind tot, und sie steht fern am Horizont, sie ist eine Erscheinung, ein rutselhafter Widerschein, der uns heimsucht, den wir furchten und ohne Hoffnung lieben. Sie ist stark, und unser Begehren ist stark - aber sie ist unerreichbar, und wir wissen es. Sie ist ebenso vergeblich wie die Erwartung, General zu werden. Und selbst wenn man sie uns wiedergube, diese Landschaft unserer Jugend, wir wurden wenig mehr mit ihr anzufangen wissen. Die zarten und geheimen Krufte, die von ihr zu uns gingen, kunnen nicht wiedererstehen. Wir wurden in ihr sein und in ihr umgehen; wir wurden uns erinnern und sie lieben und bewegt sein von ihrem Anblick. Aber es wure das gleiche, wie wenn wir nachdenklich werden vor der Fotografie eines toten Kameraden; es sind seine Zuge, es ist sein Gesicht, und die Tage, die wir mit ihm zusammen waren, gewinnen ein trugerisches Leben in unserer Erinnerung; aber er ist es nicht selbst. Wir wurden nicht mehr verbunden sein mit ihr, wie wir es waren. Nicht die Erkenntnis ihrer Schunheit und ihrer Stimmung hat uns ja angezogen, sondern das Gemeinsame, dieses Gleichfuhlen einer Bruderschaft mit den Dingen und Vorfullen unseres Seins, die uns abgrenzte und uns die Welt unserer Eltern immer etwas unverstundlich machte; - denn wir waren irgendwie immer zurtlich an sie verloren und hingegeben, und das Kleinste mundete uns einmal immer in den Weg der Unendlichkeit. Vielleicht war es nur das Vorrecht unserer Jugend - wir sahen noch keine Bezirke, und nirgendwo gaben wir ein Ende zu; wir hatten die Erwartung des Blutes, die uns eins machte mit dem Verlauf unserer Tage. Heute wurden wir in der Landschaft unserer Jugend umhergehen wie Reisende. Wir sind verbrannt von Tatsachen, wir kennen Unterschiede wie Hundler und Notwendigkeiten wie Schluchter. Wir sind nicht mehr unbekummert - wir sind furchterlich gleichgultig. Wir wurden da sein; aber wurden wir leben? Wir sind verlassen wie Kinder und erfahren wie alte Leute, wir sind roh und traurig und oberfluchlich - ich glaube, wir sind verloren. Meine Hunde werden kalt, und meine Haut schauert; dabei ist es eine warme Nacht. Nur der Nebel ist kuhl, dieser unheimliche Nebel, der die Toten vor uns beschleicht und ihnen das letzte, verkrochene Leben aussaugt. Morgen werden sie bleich und grun sein und ihr Blut gestockt und schwarz. Immer noch steigen die Leuchtschirme empor und werfen ihr erbarmungsloses Licht uber die versteinerte Landschaft, die voll Krater und Lichtkulte ist wie ein Mond. Das Blut unter meiner Haut bringt Furcht und Unruhe herauf in meine Gedanken. Sie werden schwach und zittern, sie wollen Wurme und Leben. Sie kunnen es nicht aushaken ohne Trost und Tuuschung, sie verwirren sich vor dem nackten Bilde der Verzweiflung. Ich hure das Klappern von Kochgeschirren und habe sofort das heftige Verlangen nach warmem Essen, es wird mir gut tun und mich beruhigen. Mit Muhe zwinge ich mich, zu warten, bis ich abgelust werde. Dann gehe ich in den Unterstand und finde einen Becher mit Graupen vor. Sie sind fett gekocht und schmecken gut, ich esse sie langsam. Aber ich bleibe still, obschon die andern besser gelaunt sind, weil das Feuer eingeschlafen ist. Die Tage gehen hin, und jede Stunde ist unbegreiflich und selbstverstundlich. Die Angriffe wechseln mit Gegenangriffen, und langsam huufen sich auf dem Trichterfeld zwischen den Grubern die Toten. Die Verwundeten, die nicht sehr weit weg liegen, kunnen wir meistens holen. Manche aber mussen lange liegen, und wir huren sie sterben. Einen suchen wir vergeblich zwei Tage hindurch. Er muß auf dem Bauche liegen und sich nicht mehr umdrehen kunnen. Anders ist es nicht zu erkluren, daß wir ihn nicht finden; denn nur wenn man mit dem Munde dicht auf dem Boden schreit, ist die Richtung so schwer festzustellen. Er wird einen busen Schuß haben, eine dieser schlimmen Verletzungen, die nicht so stark sind, daß sie den Kurper rasch derart schwuchen, daß man halb betuubt verdummert, und auch nicht so leicht, daß man die Schmerzen mit der Aussicht ertragen kann, wieder heil zu werden. Kat meint, er hutte entweder eine Beckenzertrummerung oder einen Wirbelsuulenschuß. Die Brust sei nicht verletzt, sonst besuße er nicht so viel Kraft zum Schreien. Man mußte ihn bei einer anderen Verletzung sich auch bewegen sehen. Er wird allmuhlich heiser. Die Stimme ist so unglucklich im Klang, daß sie uberall herkommen kunnte. In der ersten Nacht sind dreimal Leute von uns draußen. Aber wenn sie glauben, die Richtung zu haben, und schon hinkriechen, ist die Stimme beim nuchstenmal, wenn sie horchen, wieder ganz anderswo. Bis in die Dummerung hinein suchen wir vergeblich. Tagsuber wird das Gelunde mit Glusern durchforscht; nichts ist zu entdecken. Am zweiten Tag wird der Mann leiser; man merkt, daß die Lippen und der Mund vertrocknet sind. Unser Kompaniefuhrer hat dem, der ihn findet, Vorzugsurlaub und drei Tage Zusatz versprochen. Das ist ein muchtiger Anreiz, aber wir wurden auch ohne das tun, was muglich ist; denn das Rufen ist furchtbar. Kat und Kropp gehen sogar nachmittags noch einmal vor. Albert wird das Ohrluppchen dabei abgeschossen. Es ist umsonst, sie haben ihn nicht bei sich. Dabei ist deutlich zu verstehen, was er ruft. Zuerst hat er immer nur um Hilfe geschrien - in der zweiten Nacht muß er etwas Fieber haben, er spricht mit seiner Frau und seinen Kindern, wir kunnen oft den Namen Elise heraushuren. Heute weint er nur noch. Abends erlischt die Stimme zu einem Kruchzen. Aber er stuhnt noch die ganze Nacht leise. Wir huren es so genau, weil der Wind auf unsern Graben zusteht. Morgens, als wir schon glauben, er habe lungst Ruhe, dringt noch einmal ein gurgelndes Rucheln heruber -. Die Tage sind heiß, und die Toten liegen unbeerdigt. Wir kunnen sie nicht alle holen, wir wissen nicht, wohin wir mit ihnen sollen. Sie werden von den Granaten beerdigt. Manchen treiben die Buuche auf wie Ballons. Sie zischen, rulpsen und bewegen sich. Das Gas rumort in ihnen. Der Himmel ist blau und ohne Wolken. Abends wird es schwul, j und die Hitze steigt aus der Erde. Wenn der Wind zu uns heruberweht, bringt er den Blutdunst mit, der schwer und widerwurtig sußlich ist, diesen Totenbrodem der Trichter, der aus Chloroform und Verwesung gemischt scheint und uns ubelkeiten und Erbrechen verursacht. Die Nuchte werden ruhig, und die Jagd auf die kupfernen Fuhrungsringe der Granaten und die Seidenschirme der franzusischen Leuchtkugeln geht los. Weshalb die Fuhrungsringe so begehrt sind, weiß eigentlich keiner recht. Die Sammler behaupten einfach, sie seien wertvoll. Es gibt Leute, die so viel davon mitschleppen, daß sie krumm und schief darunter gehen, wenn wir abrucken. Haie gibt wenigstens einen Grund an; er will sie seiner Braut als Strumpfbunderersatz schicken. Daruber bricht bei den Friesen naturlich unbundige Heiterkeit aus; sie schlagen sich auf die Knie, das ist ein Witz, Donnerwetter, der Haie, der hat es hinter den Ohren. Besonders Tjaden kann sich gar nicht fassen; er hat den grußten der Ringe in der Hand und steckt alle Augenblicke sein Bein hindurch, um zu zeigen, wieviel da noch frei ist. "Haie, Mensch, die muß ja Beine haben, Beine" - seine Gedanken klettern etwas huher -, "und einen Hintern muß die dann ja haben, wie - wie ein Elefant." Er kann sich nicht genug tun. "Mit der muchte ich mal Schinkenkloppen spielen, meine Fresse..." Haie strahlt, weil seine Braut soviel Anerkennung findet, und uußert selbstzufrieden und knapp: "Stramm isse!" Die Seidenschirme sind praktischer zu verwerten. Drei oder vier ergeben eine Bluse, je nach der Brustweite. Kropp und ich brauchen sie als Taschentucher. Die andern schicken sie nach Hause. Wenn die Frauen sehen kunnten, mit wieviel Gefahr diese dunnen Lappen oft geholt werden, wurden sie einen schunen Schreck kriegen. Kat uberrascht Tjaden, wie er von einem Blindgunger in aller Seelenruhe die Ringe abzuklopfen versucht. Bei jedem andern wure das Ding explodiert, Tjaden hat wie stets Gluck. Einen ganzen Vormittag spielen zwei Schmetterlinge vor unserm Graben. Es sind Zitronenfalter, ihre gelben Flugel haben rote Punkte. Was mag sie nur hierher verschlagen haben; weit und breit ist keine Pflanze und keine Blume. Sie ruhen sich auf den Zuhnen eines Schudels aus. Ebenso sorglos wie sie sind die Vugel, die sich lungst an den Krieg gewuhnt haben. Jeden Morgen steigen Lerchen zwischen der Front auf. Vor einem Jahr konnten wir sogar brutende beobachten, die ihre Jungen auch hochbekamen. Vor den Ratten haben wir Ruhe im Graben. Sie sind vorn - wir wissen, wozu. Sie werden fett; wo wir eine sehen, knallen wir sie weg. Nachts huren wir wieder das Rollen von druben. Tagsuber haben wir nur das normale Feuer, so daß wir die Gruben ausbessern kunnen. Unterhaltung ist ebenfalls da, die Flieger sorgen dafur. Tuglich finden zahlreiche Kumpfe ihr Publikum. Die Kampfflieger lassen wir uns gefallen, aber die Beobachtungsflugzeuge hassen wir wie die Pest; denn sie holen uns das Artilleriefeuer heruber. Ein paar Minuten nachdem sie erscheinen, funkt es von Schrapnells und Granaten. Dadurch verlieren wir elf Leute an einem Tag, darunter funf Sanituter. Zwei werden so zerschmettert, daß Tjaden meint, man kunne sie mit dem Luffel von der Grabenwand abkratzen und im Kochgeschirr beerdigen. Einem andern wird der Unterleib mit den Beinen abgerissen. Er lehnt tot auf der Brust im Graben, sein Gesicht ist zitronengelb, zwischen dem Vollbart glimmt noch die Zigarette. Sie glimmt, bis sie auf den Lippen verzischt. Wir legen die Toten vorluufig in einen großen Trichter. Es sind bis jetzt drei Lagen ubereinander. Plutzlich beginnt das Feuer nochmals zu trommeln. Bald sitzen wir wieder in der gespannten Starre des untutigen Wartens. Angriff, Gegenangriff, Stoß, Gegenstoß - das sind Worte, aber was umschließen sie! Wir verlieren viele Leute, am meisten Rekruten. Auf unserem Abschnitt wird wieder Ersatz eingeschoben. Es ist eines der neuen Regimenter, fast lauter junge Leute der letzten ausgehobenen Jahrgunge. Sie haben kaum eine Ausbildung, nur theoretisch haben sie etwas uben kunnen, ehe sie ins Feld ruckten. Was eine Handgranate ist, wissen sie zwar, aber von Deckung haben sie wenig Ahnung, vor allen Dingen haben sie keinen Blick dafur. Eine Bodenwelle muß schon einen halben Meter hoch sein, ehe sie von ihnen gesehen wird. Obschon wir notwendig Versturkung brauchen, haben wir fast mehr Arbeit mit den Rekruten, als daß sie uns nutzen. Sie sind hilflos in diesem schweren Angriff s gebiet und fallen wie die Fliegen. Der Stellungskampf von heute erfordert Kenntnisse und Erfahrungen, man muß Verstundnis fur das Gelunde haben, man muß die Geschosse, ihre Geruusche und Wirkungen im Ohr haben, man muß vorausbestimmen kunnen, wo sie einbauen, wie sie streuen und wie man sich schutzt. Dieser junge Ersatz weiß naturlich von alledem noch fast gar nichts. Er wird aufgerieben, weil er kaum ein Schrapnell von einer Granate unterscheiden kann, die Leute werden weggemuht, weil sie angstvoll auf das Heulen der ungefuhrlichen großen, weit hinten einbauenden Kohlenkusten lauschen und das pfeifende, leise Surren der flach zerspritzenden kleinen Biester uberhuren. Wie die Schafe drungen sie sich zusammen, anstatt auseinanderzulaufen, und selbst die Verwundeten werden noch wie Hasen von den Fliegern abgeknallt. Die blassen Steckrubengesichter, die armselig gekrallten Hunde, die jammervolle Tapferkeit dieser armen Hunde, die trotzdem vorgehen und angreifen, dieser braven, armen Hunde, die so verschuchtert sind, daß sie nicht laut zu schreien wagen und mit zerrissenen Brusten und Buuchen und Armen und Beinen leise nach ihrer Mutter wimmern und gleich aufhuren, wenn man sie ansieht! Ihre toten, flaumigen, spitzen Gesichter haben die entsetzliche Ausdruckslosigkeit gestorbener Kinder. Es sitzt einem in der Kehle, wenn man sie ansieht, wie sie aufspringen und laufen und fallen. Man muchte sie verprugeln, weil sie so dumm sind, und sie auf die Arme nehmen und wegbringen von hier, wo sie nichts zu suchen haben. Sie tragen ihre grauen Rucke und Hosen und Stiefel, aber den meisten ist die Uniform zu weit, sie schlottert um die Glieder, die Schultern sind zu schmal, die Kurper sind zu gering, es gab keine Uniformen, die fur dieses Kindermaß eingerichtet waren. Auf einen alten Mann fallen funf bis zehn Rekruten. Ein uberraschender Gasangriff rafft viele weg. Sie sind nicht dazu gelangt, zu ahnen, was ihrer wartete. Einen Unterstand voll finden wir mit blauen Kupfen und schwarzen Lippen. In einem Trichter haben sie die Masken zu fruh losgemacht; sie wußten nicht, daß sich das Gas auf dem Grunde am lungsten hult; als sie andere ohne Maske oben sahen, rissen sie sie auch ab und schluckten noch genug, um sich die Lungen zu verbrennen. Ihr Zustand ist hoffnungslos, sie wurgen sich mit Blutsturzen und Erstickungsanfullen zu Tode. In einem Grabenstuck sehe ich mich plutzlich Himmelstoß gegenuber. Wir ducken uns in demselben Unterstand. Atemlos liegt alles beieinander und wartet ab, bis der Vorstoß einsetzt. Obschon ich sehr erregt bin, schießt mir beim Hinauslaufen doch noch der Gedanke durch den Kopf: Ich sehe Himmelstoß nicht mehr. Rasch springe ich in den Unterstand zuruck und finde ihn, wie er in der Ecke liegt mit einem kleinen Streifschuß und den Verwundeten simuliert. Sein Gesicht ist wie verprugelt. Er hat einen Angstkoller, er ist ja auch noch neu hier. Aber es macht mich rasend, daß der junge Ersatz draußen ist und er hier. "Raus!" fauche ich. Er ruhrt sich nicht, die Lippen zittern, der Schnurrbart bebt. "Raus!" wiederhole ich. Er zieht die Beine an, druckt sich an die Wand und bleckt die Zuhne wie ein Kuter. Ich fasse ihn am Arm und will ihn hochreißen. Er quukt auf. Da gehen meine Nerven durch. Ich habe ihn am Hals, schuttele ihn wie einen Sack, daß der Kopf hin und her fliegt, und schreie ihm ins Gesicht: "Du Lump, willst du 'raus - du Hund, du Schinder, du willst dich drucken?" Er verglast, ich schleudere seinen Kopf gegen die Wand - "Du Vieh" - ich trete ihm in die Rippen - "Du Schwein" - ich stoße ihn vorwurts mit dem Kopf voran hinaus. Eine neue Welle von uns kommt gerade vorbei. Ein Leutnant ist dabei. Er sieht uns und ruft: "Vorwurts, vorwurts, anschließen, anschließen -!" Und was meine Prugel nicht vermocht haben, das wirkte dieses Wort. Himmelstoß hurt den Vorgesetzten, sieht sich erwachend um und schließt sich an. Ich folge und sehe ihn springen. Er ist wieder der schneidige Himmelstoß des Kasernenhofes, er hat sogar den Leutnant eingeholt und ist weit voraus. - Trommelfeuer, Sperrfeuer, Gardinenfeuer, Minen, Gas, Tanks, Maschinengewehre, Handgranaten - Worte, Worte, aber sie umfassen das Grauen der Welt. Unsere Gesichter sind verkrustet, unser Denken ist verwustet, wir sind todmude; - wenn der Angriff kommt, mussen manche mit den Fuusten geschlagen werden, damit sie erwachen und mitgehen; - die Augen sind entzundet, die Hunde zerrissen, die Knie bluten, die Ellbogen sind zerschlagen. Vergehen Wochen - Monate -Jahre? Es sind nur Tage. - Wir sehen die Zeit neben uns schwinden in den farblosen Gesichtern der Sterbenden, wir luffeln Nahrung in uns hinein, wir laufen, wir werfen, wir schießen, wir tuten, wir liegen herum, wir sind schwach und stumpf, und nur das hult uns, daß noch Schwuchere, noch Stumpfere, noch Hilflosere da sind, die mit aufgerissenen Augen uns ansehen als Gutter, die manchmal dem Tode entrinnen kunnen. In den wenigen Stunden der Ruhe unterweisen wir sie. "Da, siehst du den Wackeltopp? Das ist eine Mine, die kommt! Bleib liegen, sie geht druben hin. Wenn sie aber so geht, dann reiß aus! Man kann vor ihr weglaufen." Wir machen ihre Ohren scharf auf das heimtuckische Surren der kleinen Dinger, die man kaum vernimmt, sie sollen sie aus dem Krach herauskennen wie Muckensummen; - wir bringen ihnen bei, daß sie gefuhrlicher sind als die großen, die man lange vorher hurt. Wir zeigen ihnen, wie man sich vor Fliegern verbirgt, wie man den toten Mann macht, wenn man vom Angriff uberrannt wird, wie man Handgranaten abziehen muß, damit sie eine halbe Sekunde vor dem Aufschlag explodieren; - wir lehren sie, vor Granaten mit Aufschlagzundern blitzschnell in Trichter zu fallen, wir machen vor, wie man mit einem Bundel Handgranaten einen Graben aufrollt, wir erMuren den Unterschied in der Zundungsdauer zwischen den gegnerischen Handgranaten und unseren, wir machen sie auf den Ton der Gasgranaten aufmerksam und zeigen ihnen die Kniffe, die sie vor dem Tode retten kunnen. Sie huren zu, sie sind folgsam - aber wenn es wieder losgeht, machen sie es in der Aufregung meistens doch wieder falsch. Haie Westhus wird mit abgerissenem Rucken fortgeschleppt; bei jedem Atemzug pulst die Lunge durch die Wunde. Ich kann ihm noch die Hand drucken; - "is alle, Paul", stuhnt er und beißt sich vor Schmerz in die Arme. Wir sehen Menschen leben, denen der Schudel fehlt; wir sehen Soldaten laufen, denen beide Fuße weggefetzt sind; sie stolpern auf den splitternden Stumpfen bis zum nuchsten Loch; ein Gefreiter kriecht zwei Kilometer weit auf den Hunden und schleppt die zerschmetterten Knie hinter sich her; ein anderer geht zur Verbandsstelle, und uber seine festhaltenden Hunde quellen die Durme; wir sehen Leute ohne Mund, ohne Unterkiefer, ohne Gesicht; wir finden jemand, der mit den Zuhnen zwei Stunden die Schlagader seines Armes klemmt, um nicht zu verbluten, die Sonne geht auf, die Nacht kommt, die Granaten pfeifen, das Leben ist zu Ende. Doch das Stuckchen zerwuhlter Erde, in dem wir liegen, ist gehalten gegen die ubermacht, nur wenige hundert Meter sind preisgegeben worden. Aber auf jeden Meter kommt ein Toter. Wir werden abgelust. Die Ruder rollen unter uns weg, wir stehen dumpf, und wenn der Ruf: "Achtung - Draht!" kommt, gehen wir in die Kniebeuge. Es war Sommer, als wir hier voruberfuhren, die Buume waren noch grun, jetzt sehen sie schon herbstlich aus, und die Nacht ist grau und feucht. Die Wagen halten, wir klettern 97 hinunter, ein durcheinandergewurfelter Haufen, ein Rest von vielen Namen. An den Seiten, dunkel, stehen Leute und rufen die Nummern von Regimentern, von Kompanien aus. Und bei jedem Ruf sondert sich ein Huuflein ab, ein karges, geringes Huuflein schmutziger, fahler Soldaten, ein furchtbar kleines Huuflein und ein furchtbar kleiner Rest. Nun ruft jemand die Nummer unserer Kompanie, es ist, man hurt es, der Kompaniefuhrer, er ist also davongekommen, sein Arm liegt in der Binde. Wir treten zu ihm hin, und ich erkenne Kat und Albert, wir stellen uns zusammen, lehnen uns aneinander und sehen uns an. Und noch einmal und noch einmal huren wir unsere Nummer rufen. Er kann lange rufen, man hurt ihn nicht in den Lazaretten und den Trichtern. Noch einmal: "Zweite Kompanie hierher!" Und dann leiser: "Niemand mehr zweite Kompanie?" Er schweigt und ist etwas heiser, als er fragt: "Das sind alle?" und befiehlt: "Abzuhlen!" Der Morgen ist grau, es war noch Sommer, als wir hinausgingen, und wir waren hundertfunfzig Mann. Jetzt friert uns, es ist Herbst, die Blutter rascheln, die Stimmen flattern mude auf: "Eins - zwei -drei - vier -", und bei zweiunddreißig schweigen sie. Und es schweigt lange, ehe die Stimme fragt: "Noch jemand?" - und wartet und dann leise sagt: "In Gruppen -", und doch abbricht und nur vollenden kann: "Zweite Kompanie -", muhselig: "Zweite Kompanie - ohne Tritt marsch!" Eine Reihe, eine kurze Reihe tappt in den Morgen hinaus, Zweiunddreißig Mann. 7 Man nimmt uns weiter als sonst zuruck, in ein Feld-Rekrutendepot, damit wir dort neu zusammengestellt werden kunnen. Unsere Kompanie braucht uber hundert Mann Ersatz. Einstweilen bummeln wir umher, wenn wir keinen Dienst machen. Nach zwei Tagen kommt Himmelstoß zu uns. Seine große Schnauze hat er verloren, seit er im Graben war. Er schlugt vor, daß wir uns vertragen wollen. Ich bin bereit, denn ich habe gesehen, daß er Haie Westhus, dem der Rucken weggerissen wurde, mit fortgebracht hat. Da er außerdem wirklich vernunftig redet, haben wir nichts dabei, daß er uns in die Kantine einludt. NurTjaden ist mißtrauisch und reserviert. Doch auch er wird gewonnen, denn Himmelstoß erzuhlt, daß er den in Urlaub fahrenden Kuchenbullen vertreten soll. Als Beweis dafur ruckt er sofort zwei Pfund Zucker fur uns und ein halbes Pfund Butter fur Tjaden besonders heraus. Er sorgt sogar dafur, daß wir fur die nuchsten drei Tage in die Kuche zum Kartoffel- und Steckrubenschulen kommandiert werden. Das Essen, das er uns dort vorsetzt, ist tadellose Offizierskost. So haben wir im Augenblick wieder die beiden Dinge, die der Soldat zum Gluck braucht: gutes Essen und Ruhe. Das ist wenig, wenn man es bedenkt. Vor ein paar Jahren noch hutten wir uns furchtbar verachtet. Jetzt sind wir fast zufrieden. Alles ist Gewohnheit, auch der Schutzengraben. Diese Gewohnheit ist der Grund dafur, daß wir scheinbar so rasch vergessen. Vorgestern waren wir noch im Feuer, heute machen wir Albernheiten und fechten uns durch die Gegend, morgen gehen wir wieder in den Graben. In Wirklichkeit vergessen wir nichts. Solange wir hier im Felde sein mussen, sinken die Fronttage, wenn sie vorbei sind, wie Steine in uns hinunter, weil sie zu schwer sind, um sofort daruber nachdenken zu kunnen. Tuten wir es, sie wurden uns hinterher erschlagen; denn soviel habe ich schon gemerkt: Das Grauen lußt sich ertragen, solange man sich einfach duckt; aber es tutet, wenn man daruber nachdenkt. Genau wie wir zu Tieren werden, wenn wir nach vorn gehen, weil es das einzige ist, was uns durchbringt, so werden wir zu oberfluchlichen Witzbolden und Schlafmutzen, wenn wir in Ruhe sind. Wir kunnen gar nicht anders, es ist furmlich ein Zwang. Wir wollen leben um jeden Preis; da kunnen wir uns nicht mit Gefuhlen belasten, die fur den Frieden dekorativ sein mugen, hier aber falsch sind. Kemmerich ist tot, Haie Westhus stirbt, mit dem Kurper Hans Kramers werden sie am Jungsten Tage Last haben, ihn aus einem Volltreffer zusammenzuklauben, Martens hat keine Beine mehr, Meyer ist tot, Marx ist tot, Beyer ist tot, Hummerling ist tot, hundertzwanzig Mann liegen irgendwo mit Schussen, es ist eine verdammte Sache, aber was geht es uns noch an, wir leben. Kunnten wir sie retten, ja dann sollte man mal sehen, es wure egal, ob wir selbst draufgingen, so wurden wir loslegen; denn wir haben einen verfluchten Muck, wenn wir wollen; Furcht kennen wir nicht viel - Todesangst wohl, doch das ist etwas anderes, das ist kurperlich. Aber unsere Kameraden sind tot, wir kunnen ihnen nicht helfen, sie haben Ruhe - wer weiß, was uns noch bevorsteht; wir wollen uns hinhauen und schlafen oder fressen, soviel wir in den Magen kriegen, und saufen und rauchen, damit die Stunden nicht ude sind. Das Leben ist kurz. Das Grauen der Front versinkt, wenn wir ihm den Rucken kehren, wir gehen ihm mit gemeinen und grimmigen Witzen zuleibe; wenn jemand stirbt, dann heißt es, daß er den Arsch zugekniffen hat, und so reden wir uber alles, das rettet uns vor dem Verrucktwerden, solange wir es so nehmen, leisten wir Widerstand. Aber wir vergessen nicht! Was in den Kriegszeitungen steht uber den goldenen Humor der Truppen, die bereits Tunzchen arrangieren, wenn sie kaum aus dem Trommelfeuer zuruck sind, ist großer Quatsch. Wir tun das nicht, weil wir Humor haben, sondern wir haben Humor, weil wir sonst kaputt gehen. Die Kiste wird ohnehin nicht mehr allzulange halten, der Humor ist jeden Monat bitterer. Und ich weiß: all das, was jetzt, solange wir im Kriege sind, versackt in uns wie ein Stein, wird nach dem Kriege wieder aufwachen, und dann beginnt erst die Auseinandersetzung auf Leben und Tod. Die Tage, die Wochen, die Jahre hier vorn werden noch einmal zuruckkommen, und unsere toten Kameraden werden dann aufstehen und mit uns marschieren, unsere Kupfe werden klar sein, wir werden ein Ziel haben, und so werden wir marschieren, unsere toten Kameraden neben uns, die Jahre der Front hinter uns: - gegen wen, gegen wen? Hier in der Gegend war vor einiger Zeit ein Fronttheater. Auf einer Bretterwand kleben noch bunte Plakate von den Vorstellungen her. Mit großen Augen stehen Kropp und ich davor. Wir kunnen nicht begreifen, daß es so etwas noch gibt. Da ist ein Mudchen in einem hellen Sommerkleid abgebildet, mit einem roten Lackgurtel um die Huften. Sie stutzt sich mit der einen Hand auf ein Gelunder, mit der anderen hult sie einen Strohhut. Sie trugt weiße Strumpfe und weiße Schuhe, zierliche Spangenschuhe mit hohen Absutzen. Hinter ihr leuchtet die blaue See mit einigen Wogenkummen, eine Bucht greift seitlich hell hinein. Es ist ein ganz herrliches Mudchen, mit einer schmalen Nase, mit roten Lippen und langen Beinen, unvorstellbar sauber und gepflegt, es badet gewiß zweimal am Tage und hat nie Dreck unter den Nugeln. Huchstens vielleicht mal ein bißchen Sand vom Strand. Neben ihm steht ein Mann in weißer Hose, mit blauem Jackett und Seglermutze, aber der interessiert uns viel weniger. Das Mudchen auf der Bretterwand ist fur uns ein Wunder. Wir haben ganz vergessen, daß es so etwas gibt, und auch jetzt noch trauen wir unseren Augen kaum. Seit Jahren jedenfalls haben wir nichts Derartiges gesehen, nichts nur entfernt Derartiges an Heiterkeit, Schunheit und Gluck. Das ist der Frieden, so muß er sein, spuren wir erregt. "Sieh dir nur diese leichten Schuhe an, darin kunnte sie keinen Kilometer marschieren", sage ich und komme mir gleich albern vor, denn es ist bludsinnig, bei einem solchen Bild an Marschieren zu denken. "Wie alt mag sie sein?" fragt Kropp. Ich schutze: "AUerhuchstens zweiundzwanzig, Albert." "Dann wure sie ja ulter als wir. Sie ist nicht mehr als siebzehn, sage ich dir!" Eine Gunsehaut uberluuft uns. "Albert, das wure was, meinst du nicht?" Er nickt. "Zu Hause habe ich auch eine weiße Hose." "Weiße Hose", sage ich, "aber so ein Mudchen -" Wir sehen an uns herunter, gegenseitig. Da ist nicht viel zu finden, eine ausgeblichene, geflickte, schmutzige Uniform bei jedem. Es ist hoffnungslos, sich zu vergleichen. Zunuchst einmal kratzen wir deshalb den jungen Mann mit der weißen Hose von der Bretterwand ab, vorsichtig, damit wir das Mudchen nicht beschudigen. Dadurch ist schon etwas erreicht. Dann schlugt Kropp vor: "Wir kunnten uns mal entlausen lassen." Ich bin nicht ganz einverstanden, denn die Sachen leiden darunter, aber die Luuse hat man nach zwei Stunden wieder. Doch nachdem wir uns wieder in das Bild vertieft haben, erklure ich mich bereit. Ich gehe sogar noch weiter. "Kunnten auch mal sehen, ob wir nicht ein reines Hemd zu fassen kriegen -" Albert meint aus irgendeinem Grunde: "Fußlappen wuren noch besser." "Vielleicht auch Fußlappen. Wir wollen mal ein bißchen spekulieren gehen." Doch da schlendern Leer und Tjaden heran; sie sehen das Plakat, und im Handumdrehen wird die Unterhaltung ziemlich schweinisch. Leer war in unserer Klasse der erste, der ein Verhultnis hatte und davon aufregende Einzelheiten erzuhlte. Er begeistert sich in seiner Weise an dem Bilde, und Tjaden stimmt muchtig ein. Es ekelt uns nicht gerade an. Wer nicht schweinigelt, ist kein Soldat; nur liegt es uns im Moment nicht ganz, deshalb schlagen wir uns seitwurts und marschieren der Entlausungsanstalt zu mit einem Gefuhl, als sei sie ein feines Herrenmodengeschuft. Die Huuser, in denen wir Quartier haben, liegen nahe am Kanal. Jenseits des Kanals sind Teiche, die von Pappelwuldern umstanden sind; - jenseits des Kanals sind auch Frauen. Die Huuser auf unserer Seite sind geruumt worden. Auf der andern jedoch sieht man ab und zu noch Bewohner. Abends schwimmen wir. Da kommen drei Frauen am Ufer entlang. Sie gehen langsam und sehen nicht weg, obschon wir keine Badehosen tragen. Leer ruft zu ihnen hinuber. Sie lachen und bleiben stehen, um uns zuzuschauen. Wir werfen ihnen in gebrochenem Franzusisch Sutze zu, die uns gerade einfallen, alles durcheinander, eilig, damit sie nicht fortgehen. Es sind nicht gerade feine Sachen, aber wo sollen wir die auch herhaben. Eine Schmale, Dunkle ist dabei. Man sieht ihre Zuhne schimmern, wenn sie lacht. Sie hat rasche Bewegungen, der Rock schlugt locker um ihre Beine. Obschon das Wasser kalt ist, sind wir muchtig aufgeruumt und bestrebt, sie zu interessieren, damit sie bleiben. Wir versuchen Witze, und sie antworten, ohne daß wir sie verstehen; wir lachen und winken. Tjaden ist vernunftiger. Er luuft ins Haus, holt ein Kommißbrot und hult es hoch. Das erzielt großen Erfolg. Sie nicken und winken, daß wir hinuberkommen sollen. Aber das durfen wir nicht. Es ist verboten, das jenseitige Ufer zu betreten. uberall stehen Posten an den Brucken. Ohne Ausweis ist nichts zu machen. Wir dolmetschen deshalb, sie muchten zu uns kommen; aber sie schutteln die Kupfe und zeigen auf die Brucken. Man lußt auch sie nicht durch. Sie kehren um, langsam gehen sie den Kanal aufwurts, immer am Ufer entlang. Wir begleiten sie schwimmend. Nach einigen hundert Metern biegen sie ab und zeigen auf ein Haus, das abseits aus Buumen und Gebusch herauslugt. Leer fragt, ob sie dort wohnen. Sie lachen - ja, dort sei ihr Haus. Wir rufen ihnen zu, daß wir kommen wollen, wenn uns die Posten nicht sehen kunnen. Nachts. Diese Nacht. Sie heben die Hunde, legen sie flach zusammen, die Gesichter darauf, und schließen die Augen. Sie haben verstanden. Die Schmale, Dunkle macht Tanzschritte. Eine Blonde zwitschert: "Brot - gut -" Wir bestutigen eifrig, daß wir es mitbringen werden. Auch noch andere schune Sachen, wir rollen die Augen und zeigen sie mit den Hunden. Leer ersuuft fast, als er "ein Stuck Wurst" klarmachen will. Wenn es notwendig wure, wurden wir ihnen ein ganzes Proviantdepot versprechen. Sie gehen und wenden sich noch oft um. Wir klettern an das Ufer auf unserer Seite und achten darauf, ob sie auch in das Haus gehen, denn es kann ja sein, daß sie schwindeln. Dann schwimmen wir zuruck. Ohne Ausweis darf niemand uber die Brucke, deshalb werden wir einfach nachts hinuberschwimmen. Die Erregung packt uns und lußt uns nicht los. Wir kunnen es nicht an einem Fleck aushalten und gehen zur Kantine. Dort gibt es gerade Bier und eine Art Punsch. Wir trinken Punsch und lugen uns phantastische Erlebnisse vor. Jeder glaubt dem andern gern und wartet ungeduldig, um noch dicker aufzutrumpfen. Unsere Hunde sind unruhig, wir paffen ungezuhlte Zigaretten, bis Kropp sagt: "Eigentlich kunnten wir ihnen auch ein paar Zigaretten mitbringen." Da legen wir sie in unsere Mutzen und bewahren sie auf. Der Himmel wird grun wie ein unreifer Apfel. Wir sind zu viert, aber drei kunnen nur mit; deshalb mussen wir Tjaden loswerden und geben Rum und Punsch fur ihn aus, bis er torkelt. Als es dunkel wird, gehen wirunsern Huusern zu. Tjaden in der Mitte. Wir gluhen und sind von Abenteuerlust erfullt. Fur mich ist die Schmale, Dunkle, das haben wir verteilt und ausgemacht. Tjaden fullt auf seinen Strohsack und schnarcht. Einmal wacht er auf und grinst uns so listig an, daß wir schon erschrecken und glauben, er habe gemogelt, und der ausgegebene Punsch sei umsonst gewesen. Dann fullt er zuruck und schluft weiter. Jeder von uns dreien legt ein ganzes Kommißbrot bereit und wickelt es in Zeitungspapier. Die Zigaretten packen wir dazu, außerdem noch drei gute Portionen Leberwurst, die wir heute abend empfangen haben. Das ist ein anstundiges Geschenk. Vorluufig stecken wir die Sachen in unsere Stiefel; denn Stiefel mussen wir mitnehmen, damit wir druben auf dem andern Ufer nicht in Draht und Scherben treten. Da wir vorher schwimmen mussen, kunnen wir weiter keine Kleider brauchen. Es ist ja auch dunkel und nicht weit. Wir brechen auf, die Stiefel in den Hunden. Rasch gleiten wir ins Wasser, legen uns auf den Rucken, schwimmen und halten die Stiefel mit dem Inhalt uber unsere Kupfe. Am andern Ufer klettern wir vorsichtig hinauf, nehmen die Pakete heraus und ziehen die Stiefel an. Die Sachen klemmen wir unter die Arme. So setzen wir uns, naß, nackt, nur mit Stiefeln bekleidet, in Trab. Wir finden das Haus sofort. Es liegt dunkel in den Buschen. Leer fullt uber eine Wurzel und schrammt sich die Ellbogen. "Macht nichts", sagt er fruhlich. Vor den Fenstern sind Luden. Wir umschleichen das Haus und versuchen, durch die Ritzen zu spuhen. Dann werden wir ungeduldig. Kropp zugert plutzlich. "Wenn nun ein Major drinnen bei ihnen ist?" "Dann kneifen wir eben aus", grinst Leer, "er kann unsere Regimentsnummer ja hier lesen", und klatscht sich auf den Hintern. Die Haustur ist offen. Unsere Stiefel machen ziemlichen Lurm. Eine Tur uffnet sich, Licht fullt hindurch, eine Frau stußt erschreckt einen Schrei aus. Wir machen "Pst, pst - camerade - bon ami -" und heben beschwurend unsere Pakete hoch. Die andern beiden sind jetzt auch sichtbar, die Tur uffnet sich ganz, und das Licht bestrahlt uns. Wir werden erkannt, und alle drei lachen unbundig uber unsern Aufzug. Sie biegen und beugen sich im Turrahmen, so mussen sie lachen. Wie geschmeidig sie sich bewegen! "Un moment -." Sie verschwinden und werfen uns Zeugstucke zu, die wir uns notdurftig umwickeln. Dann durfen wir eintreten. Eine kleine Lampe brennt im Zimmer, es ist warm und riecht etwas nach Parfum. Wir packen unsere Pakete aus und ubergeben sie ihnen. Ihre Augen glunzen, man sieht, daß sie Hunger haben. Dann werden wir alle etwas verlegen. Leer macht die Geburde des Essens. Da kommt wieder Leben hinein, sie holen Teller und Messer und fallen uber die Sachen her. Bei jedem Scheibchen Leberwurst heben sie, ehe sie es essen, das Stuck zuerst bewundernd in die Huhe, und wir sitzen stolz dabei. Sie ubersprudeln uns mit ihrer Sprache - wir verstehen nicht viel, aber wir huren, daß es freundliche Worte sind. Vielleicht sehen wir auch sehr jung aus. Die Schmale, Dunkle, streicht mir uber das Haar und sagt, was alle franzusischen Frauen immer sagen: "La guerre - grand malheur - pauvres garuons -" Ich halte ihren Arm fest und lege meinen Mund in ihre Handfluche. Die Finger umschließen mein Gesicht. Dicht uber mir sind ihre erregenden Augen, das sanfte Braun der Haut und die roten Lippen. Der Mund spricht Worte, die ich nicht verstehe. Ich verstehe auch die Augen nicht ganz, sie sagen mehr, als wir erwarteten, da wir hierher kamen. Es sind Zimmer nebenan. Im Gehen sehe ich Leer, er ist mit der Blonden handfest und laut. Er kennt das ja auch. Aber ich - ich bin verloren an ein Fernes, Leises und Ungestumes und vertraue mich ihm an. Meine Wunsche sind sonderbar gemischt aus Verlangen und Versinken. Mir wird schwindelig, es ist nichts hier, woran man sich noch halten kunnte. Unsere Stiefel haben wir vor der Tur gelassen, man hat uns Pantoffeln dafur gegeben, und nun ist nichts mehr da, was mir die Sicherheit und Frechheit des Soldaten zuruckruft: kein Gewehr, kein Koppel, kein Waffenrock, keine Mutze. Ich lasse mich fallen ins Ungewisse, mag geschehen, was will - denn ich habe etwas Angst, trotz allem. Die Schmale, Dunkle bewegt die Brauen, wenn sie nachdenkt; aber sie sind still, wenn sie spricht. Manchmal auch wird der Laut nicht ganz zum Wort und erstickt oder schwingt halbfertig uber mich weg; ein Bogen, eine Bahn, ein Komet. Was habe ich davon gewußt - was weiß ich davon ? - Die Worte dieser fremden Sprache, von der ich kaum etwas begreife, sie schlufern mich ein zu einer Stille, in der das Zimmer braun und halb beglunzt verschwimmt und nur das Antlitz uber mir lebt und klar ist. Wie vielfultig ist ein Gesicht, wenn es fremd war noch vor einer Stunde und jetzt geneigt ist zu einer Zurtlichkeit, die nicht aus ihm kommt, sondern aus der Nacht, der Welt und dem Blut, die in ihm zusammenzustrahlen scheinen. Die Dinge des Raumes werden davon angeruhrt und verwandelt, sie werden besonders, und vor meiner hellen Haut habe ich beinahe Ehrfurcht, wenn der Schein der Lampe daraufliegt und die kuhle braune Hand daruberstreicht. Wie anders ist dies alles als die Dinge in den Mannschaftsbordells, zu denen wir Erlaubnis haben und wo in langer Reihe angestanden wird. Ich muchte nicht an sie denken; aber sie gehen mir unwillkurlich durch den Sinn, und ich erschrecke, denn vielleicht kann man so etwas nie mehr loswerden. Dann aber fuhle ich die Lippen der Schmalen, Dunklen, und drunge mich ihnen entgegen, ich schließe die Augen und muchte alles damit ausluschen, Krieg und Grauen und Gemeinheit, um jung und glucklich zu erwachen; ich denke an das Bild des Mudchens auf dem Plakat und glaube einen Augenblick, daß mein Leben davon abhungt, es zu gewinnen. - Und um so tiefer presse ich mich in die Arme, die mich umfassen, vielleicht geschieht ein Wunder. --------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Irgendwie finden wir uns alle nachher wieder zusammen. Leer ist sehr forsch. Wir verabschieden uns herzlich und schlupfen in unsere Stiefel. Die Nachtluft kuhlt unsere heißen Kurper. Groß ragen die Pappeln in das Dunkel und rauschen. Der Mond steht am Himmel und im Wasser des Kanals. Wir laufen nicht, wir gehen nebeneinander mit langen Schritten. Leer sagt: "Das war ein Kommißbrot wert!" Ich kann mich nicht entschließen zu sprechen, ich bin gar nicht einmal froh. Da huren wir Schritte und ducken uns hinter einen Busch. Die Schritte kommen nuher, dicht an uns vorbei. Wir sehen einen nackten Soldaten, in Stiefeln, genau wie wir, er hat ein Paket unter dem Arm und sprengt im Galopp vorwurts. Es ist Tjaden in großer Fahrt. Schon ist er verschwunden. Wir lachen. Morgen wird er schimpfen. Unbemerkt gelangen wir zu unseren Strohsucken. Ich werde zur Schreibstube gerufen. Der Kompaniefuhrer gibt mir Urlaubsschein und Fahrschein und wunscht mir gute Reise. Ich sehe nach, wieviel Urlaub ich habe. Siebzehn Tage - vierzehn sind Urlaub, drei Reisetage. Es ist zuwenig, und ich frage, ob ich nicht funf Reisetage haben kann. Bertinck zeigt auf meinen Schein. Da sehe ich erst, daß ich nicht sofort zur Front zuruckkomme. Ich habe mich nach Ablauf des Urlaubs noch zum Kursus im Heidelager zu melden. Die anderen beneiden mich. Kat gibt mir gute Ratschluge, wie ich versuchen soll, Druckpunkt zu nehmen. "Wenn du gerissen bist, bleibst du da hungen." Es wure mir eigentlich lieber gewesen, wenn ich erst in acht Tagen hutte fahren brauchen; denn so lange sind wir noch hier, und hier ist es ja gut. - Naturlich muß ich in der Kantine einen ausgeben. Wir sind alle ein bißchen angetrunken. Ich werde trubselig; es sind sechs Wochen, die ich fortbleiben werde, das ist naturlich ein muchtiges Gluck, aber wie wird es sein, wenn ich zuruckkomme? Werde ich sie hier noch alle wiedertreffen? Haie und Kemmerich sind schon nicht mehr da - wer wird der nuchste sein ? Wir trinken, und ich sehe einen nach dem andern an. Albert sitzt neben mir und raucht, er ist munter, wir sind immer zusammen gewesen; - gegenuber hockt Kat mit den abfallenden Schultern, dem breiten Daumen und der ruhigen Stimme, Muller mit den vorstehenden Zuhnen und dem bellenden Lachen; - Tjaden mit den Mauseaugen; - Leer, der sich einen Vollbart stehen lußt und ausschaut wie vierzig. uber unsern Kupfen schwebt dicker Qualm. Was wure der Soldat ohne Tabak! Die Kantine ist eine Zuflucht, Bier ist mehr als ein Getrunk, es ist ein Zeichen, daß man gefahrlos die Glieder dehnen und recken darf. Wir tun es auch ordentlich, die Beine haben wir lang von uns gestreckt, und wir spucken gemutlich in die Gegend, daß es nur so eine Art hat. Wie einem das alles vorkommt, wenn man morgen abreist! Nachts sind wir noch einmal jenseits des Kanals. Ich habe beinahe Furcht, der Schmalen, Dunklen zu sagen, daß ich fortgehe und daß, wenn ich zuruckkehre, wir sicher irgendwo weiter sind; daß wir uns also nicht wiedersehen werden. Aber sie nickt nur und lußt nicht allzuviel merken. Ich kann das erst gar nicht recht verstehen, dann aber begreife ich. Leer hat schon recht: wure ich an die Front gegangen, dann hutte es wieder geheißen: "pauvre garc.on"; aber ein Urlauber - davon wollen sie nicht viel wissen, das ist nicht so interessant. Mag sie zum Teufel gehen mit ihrem Gesumm und Gerede. Man glaubt an Wunder, und nachher sind es Kommißbrote. Am nuchsten Morgen, nachdem ich entlaust bin, marschiere ich zur Feldbahn. Albert und Kat begleiten mich. Wir huren an der Haltestelle, daß es wohl noch ein paar Stunden dauern wird bis zur Abfahrt. Die beiden mussen zum Dienst zuruck. Wir nehmen Abschied. "Mach's gut, Kat; mach's gut, Albert." Sie gehen und winken noch ein paarmal. Ihre Gestalten werden Meiner. Mir ist jeder Schritt, jede Bewegung an ihnen vertraut, ich wurde sie weithin schon daran erkennen. Dann sind sie verschwunden. Ich setze mich auf meinen Tornister und warte. Plutzlich bin ich von rasender Ungeduld erfullt, fortzukommen. Ich liege auf manchem Bahnhof; ich stehe vor manchem Suppenkessel; ich hocke auf mancher Holzplanke; dann aber wird die Landschaft draußen beklemmend, unheimlich und bekannt. An den abendlichen Fenstern gleitet sie voruber, mit Durfern, in denen Strohducher wie Mutzen tief uber gekalkte Fachwerkhuuser gezogen sind, mit Kornfeldern, die wie Perlmutter im schrugen Licht schimmern, mit Obstgurten und Scheunen und alten Linden. Die Namen der Stationen werden zu Begriffen, bei denen mein Herz zittert. Der Zug stampft und stampft, ich stehe am Fenster und halte mich an den Rahmenhulzern fest. Diese Namen umgrenzen meine Jugend. Flache Wiesen, Felder, Hufe; ein Gespann zieht einsam vor dem Himmel uber den Weg, der parallel zum Horizont luuft. Eine Schranke, vor der Bauern warten, Mudchen, die winken, Kinder, die am Bahndamm spielen, Wege, die ins Land fuhren, glatte Wege, ohne Artillerie. Es ist Abend, und wenn der Zug nicht stampfte, mußte ich schreien. Die Ebene entfaltet sich groß, in schwachem Blau beginnt in der Ferne die Silhouette der Bergrunder aufzusteigen. Ich erkenne die charakteristische Linie des Dolbenberges, diesen gezackten Kamm, der juh abbricht, wo der Scheitel des Waldes aufhurt. Dahinter muß die Stadt kommen. Aber nun fließt das goldrote Licht verschwimmend uber die Welt, der Zug rattert durch eine Kurve und noch eine - und unwirklich, verweht, dunkel stehen die Pappeln darin, weit weg, hintereinander in langer Reihe, gebildet aus Schatten, Licht und Sehnsucht. Das Feld dreht sich mit ihnen langsam vorbei; der Zug umgeht sie, die Zwischenruume verringern sich, sie werden ein Block, und einen Augenblick sehe ich nur eine einzige; dann schieben sich die anderen wieder hinter der vordersten heraus, und sie sind noch lange allein am Himmel, bis sie von den ersten Huusern verdeckt werden. Ein Bahnubergang. Ich stehe am Fenster, ich kann mich nicht trennen. Die andern bereiten ihre Sachen zum Aussteigen vor. Ich spreche den Namen der Straße, die wir uberqueren, vor mich hin, Bremer Straße - Bremer Straße - Radfahrer, Wagen, Menschen sind da unten; es ist eine graue Straße und eine graue Unterfuhrung; - sie ergreift mich, als wure sie meine Mutter. Dann hult der Zug, und der Bahnhof ist da mit Lurm, Rufen und Schildern. Ich packe meinen Tornister auf und mache die Haken fest, ich nehme mein Gewehr in die Hand und stolpere die Tritte hinunter. Auf dem Perron sehe ich mich um; ich kenne niemand von den Leuten, die da hasten. Eine Rote-Kreuz-Schwester bietet mir etwas zu trinken an. Ich wende mich ab, sie luchelt mich zu albern an, so durchdrungen von ihrer Wichtigkeit: Seht nur, ich gebe einem Soldaten Kaffee. - Sie sagt zu mir "Kamerad", das hat mir gerade gefehlt. Draußen vor dem Bahnhof aber rauscht der Fluß neben der Straße, er zischt weiß aus den Schleusen der Muhlenbrucke hervor. Der viereckige alte Wartturm steht daran, und vor ihm die große bunte Linde, und dahinter der Abend. Hier haben wir gesessen, oft - wie lange ist das her -; uber diese Brucke sind wir gegangen und haben den kuhlen, fauligen Geruch des gestauten Wassers eingeatmet; wir haben uns uber die ruhige Flut diesseits der Schleuse gebeugt, in der grune Schlinggewuchse und Algen an den Bruckenpfeilern hingen; - und wir haben uns jenseits der Schleuse an heißen Tagen uber den spritzenden Schaum gefreut und von unseren Lehrern geschwutzt. Ich gehe uber die Brucke, ich schaue rechts und links; das Wasser ist immer noch voll Algen, und es schießt immer noch in hellem Bogen herab; - im Turmgebuude stehen die Plutterinnen wie damals mit bloßen Armen vor der weißen Wusche, und die Hitze der Bugeleisen strumt aus den offenen Fenstern. Hunde trotten durch die schmale Straße, vor den Hausturen stehen Menschen und sehen mir nach, wie ich schmutzig und bepackt vorubergehe. In dieser Konditorei haben wir Eis gegessen und uns im Zigarettenrauchen geubt. In dieser Straße, die an mir vorubergleitet, kenne ich jedes Haus, das Kolonialwarengeschuft, die Drogerie, die Buckerei. Und dann stehe ich vor der braunen Tur mit der abgegriffenen Klinke, und die Hand wird mir schwer. Ich uffne sie; die Kuhle kommt mir wunderlich entgegen, sie macht meine Augen unsicher. Unter meinen Stiefeln knarrt die Treppe. Oben klappt eine Tur, jemand blickt uber das Gelunder. Es ist die Kuchentur, die geuffnet wurde, sie backen dort gerade Kartoffelpuffer, das Haus riecht danach, heute ist ja auch Sonnabend, und es wird meine Schwester sein, die sich herunterbeugt. Ich schume mich einen Augenblick und senke den Kopf, dann nehme ich den Helm ab und sehe hinauf. Ja, es ist meine ulteste Schwester. in "Paul!" ruft sie. "Paul -!" Ich nicke, mein Tornister stußt gegen das Gelunder, mein Gewehr ist so schwer. Sie reißt eine Tur auf und ruft: "Mutter, Mutter, Paul ist da." Ich kann nicht mehr weitergehen. Mutter, Mutter, Paul ist da. Ich lehne mich an die Wand und umklammere meinen Helm und mein Gewehr. Ich umklammere sie, so fest es geht, aber ich kann keinen Schritt mehr machen, die Treppe verschwimmt vor meinen Augen, ich stoße mir den Kolben auf die Fuße und presse zornig die Zuhne zusammen, aber ich kann nicht gegen dieses eine Wort an, das meine Schwester gerufen hat, nichts kann dagegen an, ich quule mich gewaltsam, zu lachen und zu sprechen, aber ich bringe kein Wort hervor, und so stehe ich auf der Treppe, unglucklich, hilflos, in einem furchtbaren Krampf, und will nicht, und die Trunen laufen mir immer nur so uber das Gesicht. Meine Schwester kommt zuruck und fragt: "Was hast du denn?" Da raffe ich mich zusammen und stolpere zum Vorplatz hinauf. Mein Gewehr lehne ich in eine Ecke, den Tornister stelle ich gegen die Wand, und den Helm packe ich darauf. Auch das Koppel mit den Sachen daran muß fort. Dann sage ich wutend: "So gib doch endlich ein Taschentuch her!" Sie gibt mir eins aus dem Schrank, und ich wische mir das Gesicht ab. uber mir an der Wand hungt der Glaskasten mit bunten Schmetterlingen, die ich fruher gesammelt habe. Nun hure ich die Stimme meiner Mutter. Sie kommt aus dem Schlafzimmer. "Ist sie nicht auf?" frage ich meine Schwester. "Sie ist krank -", antwortet sie. Ich gehe hinein zu ihr, gebe ihr die Hand und sage, so ruhig ich kann: "Da bin ich, Mutter." Sie liegt im Halbdunkel. Dann fragt sie angstvoll, und ich fuhle, wie ihr Blick mich abtastet: "Bist du verwundet?" "Nein, ich habe Urlaub." Meine Mutter ist sehr blaß. Ich scheue mich, Licht zu machen. "Da liege ich nun und weine", sagt sie, "anstatt mich zu freuen." "Bist du krank, Mutter?" frage ich. "Ich werde heute etwas aufstehen", sagt sie und wendet sich zu meiner Schwester, die immer auf einen Sprung in die Kuche muß, damit ihr das Essen nicht anbrennt: "Mach auch das Glas mit den eingemachten Preiselbeeren auf, - das ißt du doch gern?" fragt sie mich. "Ja, Mutter, das habe ich lange nicht gehabt." "Als ob wir es geahnt hutten, daß du kommst", lacht mtine Schwester, "gerade dein Lieblingsessen, Kartoffelpuffer, und jetzt sogar mit Preiselbeeren." "Es ist ja auch Sonnabend", antworte ich. "Setz dich zu mir", sagt meine Mutter. Sie sieht mich an. Ihre Hunde sind weiß und krunklich und schmal gegen meine. Wir sprechen nur einige Worte, und ich bin ihr dankbar dafur, daß sie nichts fragt. Was soll ich auch sagen: Alles, was muglich war, ist ja geschehen. Ich bin heil herausgelangt und sitze neben ihr. Und in der Kuche steht meine Schwester und macht das Abendbrot und singt dazu. "Mein lieber Junge", sagt meine Mutter leise. Wir sind nie sehr zurtlich in der Familie gewesen, das ist nicht ublich bei armen Leuten, die viel arbeiten mussen und Sorgen haben. Sie kunnen das auch nicht so verstehen, sie beteuern nicht gern etwas ufter, was sie ohnehin wissen. Wenn meine Mutter zu mir "lieber Junge" sagt, so ist das so viel, als wenn eine andere wer weiß was anstellt. Ich weiß bestimmt, daß das Glas mit Preiselbeeren das einzige ist seit Monaten und daß sie es aufbewahrt hat fur mich, ebenso wie die schon alt schmeckenden Kekse, die sie mir jetzt gibt. Sie hat sicher bei einer gunstigen Gelegenheit einige erhalten und sie gleich zuruckgelegt fur mich. Ich sitze an ihrem Bett, und durch das Fenster funkeln in Braun und Gold die Kastanien des gegenuberliegenden Wirtsgartens. Ich atme langsam ein und aus und sage mir: "Du bist zu Hause, du bist zu Hause." Aber eine Befangenheit will nicht von mir weichen, ich kann mich noch nicht in alles hineinfinden. Da ist meine Mutter, da ist meine Schwester, da mein Schmetterlingskasten und da das Mahagoniklavier - aber ich bin noch nicht ganz da. Es sind ein Schleier und ein Schritt dazwischen. Deshalb gehe ich jetzt, hole meinen Tornister ans Bett und packe aus, was ich mitgebracht habe: einen ganzen Edamer Kuse, den Kat mir besorgt hat, zwei Kommißbrote, dreiviertel Pfund Butter, zwei Buchsen Leberwurst, ein Pfund Schmalz und ein Suckchen Reis. "Das kunnt ihr sicher gebrauchen -" Sie nicken. "Hierist es wohl schlecht damit?" erkundige ich mich. "Ja, es gibt nicht viel. Habt ihr denn draußen genug?" Ich luchele und zeige auf die mitgebrachten Sachen. "So viel ja nun nicht immer, aber es geht doch einigermaßen." Erna bringt die Lebensmittel fort. Meine Mutter nimmt plutzlich heftig meine Hand und fragt stockend: "War es sehr schlimm draußen, Paul?" Mutter, was soll ich dir darauf antworten! Du wirst es nicht verstehen und nie begreifen. Du sollst es auch nie begreifen. War es schlimm, fragst du. - Du, Mutter. - Ich schuttele den Kopf und sage: "Nein, Mutter, nicht so sehr. Wir sind ja mit vielen zusammen, da ist es nicht so schlimm." "Ja, aber kurzlich war Heinrich Bredemeyer hier, der erzuhlte, es wure jetzt furchtbar draußen, mit dem Gas und all dem andern." Es ist meine Mutter, die das sagt. Sie sagt: mit dem Gas und all dem andern. Sie weiß nicht, was sie spricht, sie hat nur Angst um mich. Soll ich ihr erzuhlen, daß wir einmal drei gegnerische Gruben fanden, die erstarrt waren in ihrer Haltung, wie vom Schlag getroffen? Auf den Brustwehren, in den Unterstunden, wo sie gerade waren, standen und lagen die Leute mit blauen Gesichtern, tot. "Ach, Mutter, was so geredet wird", antworte ich, "der Bredemeyer erzuhlt nur so etwas dahin. Du siehst ja, ich bin heil und dick -" An der zitternden Sorge meiner Mutter finde ich meine Ruhe wieder. Jetzt kann ich schon umhergehen und sprechen und Rede stehen, ohne Furcht, mich plutzlich an die Wand lehnen zu mussen, weil die Welt weich wird wie Gummi und die Adern murbe wie Zunder. Meine Mutter will aufstehen, ich gehe solange in die Kuche zu meiner Schwester. "Was hat sie?" frage ich. Sie zuckt die Achseln: " Sie liegt schon ein paar Monate, wir sollten es dir aber nicht schreiben. Es sind mehrere urzte bei ihr gewesen. Einer sagte, es wure wohl wieder Krebs." Ich gehe zum Bezirkskommando, um mich anzumelden. Langsam wandere ich durch die Straßen. Hier und da spricht mich jemand an. Ich halte mich nicht lange auf, denn ich will nicht so viel reden. Als ich aus der Kaserne zuruckkomme, ruft mich eine laute Stimme an. Ich drehe mich um, ganz in Gedanken, und stehe einem Major gegenuber. Er fuhrt mich an: "Kunnen Sie nicht grußen?" "Entschuldigen Herr Major", sage ich verwirrt, "ich habe Sie nicht gesehen." Er wird noch lauter: "Kunnen Sie sich auch nicht vernunftig ausdrucken?" Ich muchte ihm ins Gesicht schlagen, beherrsche mich aber, denn sonst ist mein Urlaub hin, nehme die Knochen zusammen und sage: "Ich habe Herrn Major nicht gesehen." "Dann passen Sie gefulligst auf!" schnauzt er. "Wie heißen Sie?" Ich rapportiere. Sein rotes, dickes Gesicht ist immernoch empurt. "Truppenteil?" Ich melde vorschriftsmußig. Er hat immer noch nicht genug. "Wo liegen Sie?" Aber ich habe jetzt genug und sage: "Zwischen Langemark und Bixschoote." "Wieso?" fragt er etwas verblufft. Ich erklure ihm, daß ich vor einer Stunde auf Urlaub gekommen sei, und denke, daß er jetzt abtrudeln wird. Aber ich irre mich. Er wird sogar noch wilder: "Das kunnte Ihnen wohl so passen, hier Frontsitten einzufuhren, was? Das gibt's nicht! Hier herrscht Gott sei Dank Ordnung!" Er kommandiert: "Zwanzig Schritt zuruck, marsch, marsch!" In mir sitzt die dumpfe Wut. Aber ich kann nichts gegen ihn machen, er lußt mich sofort festnehmen, wenn er will. So spritze ich zuruck, gehe vor und zucke sechs Meter vor ihm zu einem zackigen Gruß zusammen, den ich erst wegnehme, als ich sechs Meter hinter ihm bin. Er ruft mich wieder heran und gibt mir jetzt leutselig bekannt, daß er noch einmal Gnade vor Recht ergehen lassen will. Ich zeige mich stramm dankbar. "Wegtreten!" kommandiert er. Ich knalle die Wendung und ziehe ab. Der Abend ist mir dadurch verleidet. Ich mache, daß ich nach Hause komme, und werfe die Uniform in die Ecke, das hatte ich sowieso vor. Dann hole ich meinen Zivilanzug aus dem Schrank und ziehe ihn an. Das ist mir ganz ungewohnt. Der Anzug sitzt ziemlich kurz und knapp, ich bin beim Kommiß gewachsen. Kragen und Krawatte machen mir Schwierigkeiten. Schließlich bindet mir meine Schwester den Knoten. Wie leicht so ein Anzug ist, man hat das Gefuhl, als wure man nur in Unterhosen und Hemd. Ich betrachte mich im Spiegel. Das ist ein sonderbarer Anblick. Ein sonnenverbrannter, etwas ausgewachsener Konfirmand sieht mich da verwundert an. Meine Mutter ist froh, daß ich Zivilzeug trage; ich bin ihr dadurch vertrauter. Doch mein Vater hutte lieber, daß ich Uniform anzuge, er muchte so mit mir zu seinen Bekannten gehen. Aber ich weigere mich. Es ist schun, still irgendwo zu sitzen, zum Beispiel in dem Wirtsgarten gegenuber den Kastanien, nahe der Kegelbahn. Die Blutter fallen auf den Tisch und auf die Erde, wenige nur, die ersten. Ich habe ein Glas Bier vor mir stehen, das Trinken hat man beim Militur gelernt. Das Glas ist halb geleert, ich habe also noch einige gute, kuhle Schlucke vor mir, und außerdem kann ich ein zweites und ein drittes bestellen, wenn ich will. Es gibt keinen Appell und kein Trommelfeuer, die Kinder des Wirts spielen auf der Kegelbahn, und der Hund legt mir seinen Kopf auf die Knie. Der Himmel ist blau, zwischen dem Laub der Kastanien ragt der grune Turm der Margaretenkirche auf. Das ist gut, und ich liebe es. Aber mit den Leuten kann ich nicht fertig werden. Die einzige, die nicht fragt, ist meine Mutter. Doch schon mit meinem Vater ist es anders. Er muchte, daß ich etwas erzuhle von draußen, er hat Wunsche, die ich ruhrend und dumm finde, zu ihm schon habe ich kein rechtes Verhultnis mehr. Am liebsten muchte er immerfort etwas huren. Ich begreife, daß er nicht weiß, daß so etwas nicht erzuhlt werden kann, und ich muchte ihm auch gern den Gefallen tun; aber es ist eine Gefahr fur mich, wenn ich diese Dinge in Worte bringe, ich habe Scheu, daß sie dann riesenhaft werden und sich nicht mehr bewultigen lassen. Wo blieben wir, wenn uns alles ganz klar wurde, was da draußen vorgeht. So beschrunke ich mich darauf, ihm einige lustige Sachen zu erzuhlen. Er aber fragt mich, ob ich auch einen Nahkampf mitgemacht hutte. Ich sage nein und stehe auf, um auszugehen. Doch das bessert nichts. Nachdem ich mich auf der Straße ein paarmal erschreckt habe, weil das Quietschen der Straßenbahnen sich wie heranheulende Granaten anhurt, klopft mir jemand auf die Schulter. Es ist mein Deutschlehrer, der mich mit den ublichen Fragen uberfullt. "Na, wie steht es draußen. Furchtbar, furchtbar, nicht wahr? Ja, es ist schrecklich, aber wir mussen eben durchhalten. Und schließlich, draußen habt ihr doch wenigstens gute Verpflegung, wie ich gehurt habe, Sie sehen gut aus, Paul, kruftig. Hier ist das naturlich schlechter, ganz naturlich, ist ja auch selbstverstundlich, das Beste immer fur unsere Soldaten!" Er schleppt mich zu einem Stammtisch mit. Ich werde großartig empfangen, ein Direktor gibt mir die Hand und sagt: " So, Sie kommen von der Front? Wie ist denn der Geist dort? Vorzuglich, vorzuglich, was?" Ich erklure, daß jeder gern nach Hause muchte. Er lacht druhnend: "Das glaube ich! Aber erst mußt ihr den Franzmann verkloppen! Rauchen Sie? Hier, stecken Sie sich mal eine an. Ober, bringen Sie unserm jungen Krieger auch ein Bier." Leider habe ich die Zigarre genommen, deshalb muß ich bleiben. Alle triefen nur so von Wohlwollen, dagegen ist nichts einzuwenden. Trotzdem bin ich urgerlich und qualme, so schnell ich kann. Um wenigstens etwas zu tun, sturze ich das Glas Bier in einem Zug hinunter. Sofort wird mir ein zweites bestellt; die Leute wissen, was sie einem Soldaten schuldig sind. Sie disputieren daruber, was wir annektieren sollen. Der Direktor mit der eisernen Uhrkette will am meisten haben: ganz Belgien, die Kohlengebiete Frankreichs und große Stucke von Rußland. Er gibt genaue Grunde an, weshalb wir das haben mussen, und ist unbeugsam, bis die andern schließlich nachgeben. Dann beginnt er zu erluutern, wo in Frankreich der Durchbruch einsetzen musse, und wendet sich zwischendurch zu mir: "Nun macht mal ein bißchen vorwurts da draußen mit eurem ewigen Stellungskrieg. Schmeißt die Kerle 'raus, dann gibt es auch Frieden." - Ich antworte, daß nach unserer Meinung ein Durchbruch unmuglich sei. Die druben hutten zuviel Reserven. Außerdem wure der Krieg doch anders, als man sich das so denke. Er wehrt uberlegen ab und beweist mir, daß ich davon nichts verstehe. " Gewiß, der einzelne", sagt er, "aber es kommt doch auf das Gesamte an. Und das kunnen Sie nicht so beurteilen. Sie sehen nur Ihren kleinen Abschnitt und haben deshalb keine ubersicht. Sie tun Ihre Pflicht, Sie setzen Ihr Leben ein, das ist huchster Ehren wert - jeder von euch mußte das Eiserne Kreuz haben -, aber vor allem muß die gegnerische Front in Flandern durchbrochen und dann von oben aufgerollt werden." Er schnauft und wischt sich den Bart. "Vullig aufgerollt muß sie werden, von oben herunter. Und dann auf Paris." Ich muchte wissen, wie er sich das vorstellt, und gieße das dritte Bier in mich hinein. Sofort lußt er ein neues bringen. Aber ich breche auf. Er schiebt mir noch einige Zigarren in die Tasche und entlußt mich mit einem freundschaftlichen Klaps. "Alles Gute! Hoffentlich huren wir nun bald etwas Ordentliches von euch." Ich habe mir den Urlaub anders vorgestellt. Vor einem Jahr war er auch anders. Ich bin es wohl, der sich inzwischen geundert hat. Zwischen heute und damals liegt eine Kluft. Damals kannte ich den Krieg noch nicht, wir hatten in ruhigeren Abschnitten gelegen. Heute merke ich, daß ich, ohne es zu wissen, zermurbter geworden bin. Ich finde mich hier nicht mehr zurecht, es ist eine fremde Welt. Die einen fragen, die andern fragen nicht, und man sieht ihnen an, daß sie stolz darauf sind; oft sagen sie es sogar noch mit dieser Miene des Verstehens, daß man daruber nicht reden kunne. Sie bilden sich etwas darauf ein. Am liebsten bin ich allein, da sturt mich keiner. Denn alle kommen stets auf dasselbe zuruck, wie schlecht es geht und wie gut es geht, der eine findet es so, der andere so, - immer sind sie auch rasch bei den Dingen, die ihr Dasein darstellen. Ich habe fruher sicher genauso gelebt, aber ich finde jetzt keinen Anschluß mehr daran. Sie reden mir zuviel. Sie haben Sorgen, Ziele, Wunsche, die ich nicht so auffassen kann wie sie. Manchmal sitze ich mit einem von ihnen in dem kleinen Wirtsgarten und versuche, ihm klarzumachen, daß dies eigentlich schon alles ist: so still zu sitzen. Sie verstehen das naturlich, geben es zu, finden es auch, aber nur mit Worten, nur mit Worten, das ist es ja - sie empfinden es, aber stets nur halb, ihr anderes Wesen ist bei anderen Dingen, sie sind so verteilt, keiner empfindet es mit seinem ganzen Leben; ich kann ja selbst auch nicht recht sagen, was ich meine. Wenn ich sie so sehe, in ihren Zimmern, in ihren Buros, in ihren Berufen, dann zieht das mich unwiderstehlich an, ich muchte auch darin sein und den Krieg vergessen; aber es stußt mich auch gleich wieder ab, es ist so eng, wie kann das ein Leben ausfullen, man sollte es zerschlagen, wie kann das alles so sein, wuhrend draußen jetzt die Splitter uber die Trichter sausen und die Leuchtkugeln hochgehen, die Verwundeten auf Zeltbahnen zuruckgeschleift werden und die Kameraden sich in die Gruben drucken! -Es sind andere Menschen hier, Menschen, die ich nicht richtig begreife, die ich beneide und verachte. Ich muß an Kat und Albert und Muller und Tjaden denken, was mugen sie tun? Sie sitzen vielleicht in der Kantine oder sie schwimmen - bald mussen sie wieder nach vorn. In meinem Zimmer steht hinter dem Tisch ein braunes Ledersofa. Ich setze mich hinein. An den Wunden sind viele Bilder mit Reißzwecken festgemacht, die ich fruher aus Zeitschriften geschnitten habe. Postkarten und Zeichnungen dazwischen, die mir gefallen haben. In der Ecke steht ein kleiner eiserner Ofen. An der Wand gegenuber das Regal mit meinen Buchern. In diesem Zimmer habe ich gelebt, bevor ich Soldat wurde. Die Bucher habe ich nach und nach gekauft von dem Geld, das ich mit Stundengeben verdiente. Viele davon antiquarisch, alle Klassiker zum Beispiel, ein Band kostete eine Mark und zwanzig Pfennig, in steifem, blauem Leinen. Ich habe sie vollstundig gekauft, denn ich war grundlich, bei ausgewuhlten Werken traute ich den Herausgebern nicht, ob sie auch das Beste genommen hatten. Deshalb kaufte ich mir " Sumtliche Werke". Gelesen habe ich sie mit ehrlichem Eifer, aber die meisten sagten mir nicht recht zu. Um so mehr hielt ich von den anderen Buchern, den moderneren, die naturlich auch viel teurer waren. Einige davon habe ich nicht ganz ehrlich erworben, ich habe sie ausgeliehen und nicht zuruckgegeben, weil ich mich von ihnen nicht trennen mochte. Ein Fach des Regals ist mit Schulbuchern gefullt. Sie sind wenig geschont und stark zerlesen, Seiten sind herausgerissen, man weiß ja wofur. Und unten sind Hefte, Papier und Briefe hingepackt, Zeichnungen und Versuche. Ich will mich hineindenken in die Zeit damals. Sie ist ja noch im Zimmer, ich fuhle es sofort, die Wunde haben sie bewahrt. Meine Hunde liegen auf der Sofalehne; jetzt mache ich es mir bequem und ziehe auch die Beine hoch, so sitze ich gemutlich in der Ecke, in den Armen des Sofas. Das kleine Fenster ist geuffnet, es zeigt das vertraute Bild der Straße mit dem ragenden Kirchturm am Ende. Ein paar Blumen stehen auf dem Tisch. Federhalter, Bleistifte, eine Muschel als Briefbeschwerer, das Tintenfaß - hier ist nichts verundert. So wird es auch sein, wenn ich Gluck habe, wenn der Krieg aus ist und ich wiederkomme fur immer. Ich werde ebenso hier sitzen und mein Zimmer ansehen und warten. Ich bin aufgeregt; aber ich muchte es nicht sein, denn das ist nicht richtig. Ich will wieder diese stille Hingerissenheit, das Gefuhl dieses heftigen, unbenennbaren Dranges verspuren, wie fruher, wenn ich vor meine Bucher trat. Der Wind der Wunsche, der aus den bunten Bucherrucken aufstieg, soll mich wieder erfassen, er soll den schweren, toten Bleiblock, der irgendwo in mir liegt, schmelzen und mir wieder die Ungeduld der Zukunft, die beschwingte Freude an der Welt der Gedanken wecken; - er soll mir das verlorene Bereitsein meiner Jugend zuruckbringen. Ich sitze und warte. Mir fullt ein, daß ich zu Kemmerichs Mutter gehen muß; - Mittelstaedt kunnte ich auch besuchen, er muß in der Kaserne sein. Ich sehe aus dem Fenster: - hinter dem besonnten Straßenbild taucht verwaschen und leicht ein Hugelzug auf, verwandelt sich zu einem hellen Tag im Herbst, wo ich am Feuer sitze und mit Kat und Albert gebratene Kartoffeln aus der Schale esse. Doch daran will ich nicht denken, ich wische es fort. Das Zimmer soll sprechen, es soll mich einfangen und tragen, ich will fuhlen, daß ich hierhergehure, und horchen, damit ich weiß, wenn ich wieder an die Front gehe: Der Krieg versinkt und ertrinkt, wenn die Welle der Heimkehr kommt, er ist voruber, er zerfrißt uns nicht, er hat keine andere Macht uber uns als nur die uußere! Die Bucherrucken stehen nebeneinander. Ich kenne sie noch und erinnere mich, wie ich sie geordnet habe. Ich bitte sie mit meinen Augen: Sprecht zu mir, - nehmt mich auf - nimm mich auf, du Leben von fruher, - du sorgloses, schunes - nimm mich wieder auf - Ich warte, ich warte. Bilder ziehen voruber, sie haken nicht fest, es sind nur Schatten und Erinnerungen. Nichts - nichts. Meine Unruhe wuchst. Ein furchterliches Gefuhl der Fremde steigt plutzlich in mir hoch. Ich kann nicht zuruckfinden, ich bin ausgeschlossen; so sehr ich auch bitte und mich anstrenge, nichts bewegt sich, teilnahmslos und traurig sitze ich wie ein Verurteilter da, und die Vergangenheit wendet sich ab. Gleichzeitig spure ich Furcht, sie zu sehr zu beschwuren, weil ich nicht weiß, was dann alles geschehen kunnte. Ich bin ein Soldat, daran muß ich mich halten. Mude stehe ich auf und schaue aus dem Fenster. Dann nehme ich eines der Bucher und bluttere darin, um zu lesen. Aber ich stelle es weg und nehme ein anderes. Es sind Stellen darin, die angestrichen sind. Ich suche, bluttere, nehme neue Bucher. Schon liegt ein Pack neben mir. Andere kommen dazu, hastiger - Blutter, Hefte, Briefe. Stumm stehe ich davor. Wie vor einem Gericht. Mutlos. Worte, Worte, Worte - sie erreichen mich nicht. Langsam stelle ich die Bucher wieder in die Lucken. Vorbei. Still gehe ich aus dem Zimmer. Noch gebe ich es nicht auf. Mein Zimmer betrete ich zwar nicht mehr, aber ich truste mich damit, daß einige Tage noch nicht ein Ende zu sein brauchen. Ich habe nachher - sputer - Jahre dafur Zeit. Vorluufig gehe ich zu Mittelstaedt in die Kaserne, und wir sitzen in seiner Stube, da ist eine Luft, die ich nicht liebe, an die ich aber gewuhnt bin. Mittelstaedt hat eine Neuigkeit parat, die mich sofort elektrisiert. Er erzuhlt mir, daß Kantorek eingezogen worden sei als Landsturmmann. "Stell dir vor", sagt er und holt ein paar gute Zigarren heraus, "ich komme aus dem Lazarett hierher und falle gleich uber ihn. Er streckt mir seine Pfote entgegen und quakt: 'Sieh da, Mittelstaedt, wie geht es denn?' - Ich sehe ihn groß an und antworte: 'Landsturmmann Kantorek, Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps, das sollten Sie selbst am besten wissen. Nehmen Sie Haltung an, wenn Sie mit einem Vorgesetzten reden.' - Du huttest sein Gesicht sehen mussen! Eine Kreuzung aus Essiggurke und Blindgunger. Zugernd versuchte er noch einmal, sich anzubiedern. Da schnauzte ich etwas schurfer. Nun fuhrte er seine sturkste Batterie ins Gefecht und fragte vertraulich: 'Soll ich Ihnen vermitteln, daß Sie Notexamen machen?' Er wollte mich erinnern, verstehst du. Da packte mich die Wut, und ich erinnerte ihn auch. 'Landsturmmann Kantorek, vor zwei Jahren haben Sie uns zum Bezirkskommando gepredigt, darunter auch den Joseph Behm, der eigentlich nicht wollte. Er fiel drei Monate bevor er eingezogen worden wure. Ohne Sie hutte er solange gewartet. Und jetzt: Wegtreten. Wir sprechen uns noch.' - Es war mir leicht, seiner Kompanie zugeteilt zu werden. Als erstes nahm ich ihn zur Kammer und sorgte fur eine hubsche Ausrustung. Du wirst ihn gleich sehen." Wir gehen auf den Hof. Die Kompanie ist angetreten. Mittelstaedt lußt ruhren und besichtigt. Da erblicke ich Kantorek und muß das Lachen verbeißen. Er trugt eine Art Schoßrock aus verblichenem Blau. Auf dem Rucken und an den urmeln sind große dunkle Flicken eingesetzt. Der Rock muß einem Riesen gehurt haben. Um so kurzer ist die abgewetzte schwarze Hose; sie reicht bis zur halben Wade. Dafur sind aber die Schuhe sehr geruumig, eisenharte, uralte Treter, mit hochgebogenen Spitzen, noch an den Seiten zu schnuren. Als Ausgleich ist die Mutze wieder zu klein, ein furchtbar dreckiges, elendes Krutzchen. Der Gesamteindruck ist erbarmungswurdig. Mittelstaedt bleibt stehen vor ihm: "Landsturmmann Kantorek, ist das Knopfputz ? Sie scheinen es nie zu lernen. Ungenugend, Kantorek, ungenugend -" Ich brulle innerlich vor Vergnugen. Genauso hat Kantorek in der Schule Mittelstaedt getadelt, mit demselben Tonfall "Ungenugend, Mittelstaedt, ungenugend -" Mittelstaedt mißbilligt weiter: "Sehen Sie sich mal Boettcher an, der ist vorbildlich, von dem kunnen Sie lernen." Ich traue meinen Augen kaum. Boettcher ist ja auch da, unser Schulportier. Und der ist vorbildlich! Kantorek schießt mir einen Blick zu, als ob er mich fressen muchte. Ich aber grinse ihm nur harmlos in die Visage, so als ob ich ihn gar nicht weiter kenne. Wie bludsinnig er aussieht mit seinem Krutzchen und seiner Uniform! Und vor so was hat man fruher eine Heidenangst gehabt, wenn es auf dem Katheder thronte und einen mit dem Bleistift aufspießte bei den unregelmußigen franzusischen Verben, mit denen man nachher in Frankreich doch nichts anfangen konnte. Es ist noch kaum zwei Jahre her; - und jetzt steht hier der Landsturmmann Kantorek, juh entzaubert, mit krummen Knien und Armen wie Topfhenkel, mit schlechtem Knopfputz und lucherlicher Haltung, ein unmuglicher Soldat. Ich kann ihn mir nicht mehr zusammenreimen mit dem drohenden Bilde auf dem Katheder, und ich muchte wirklich gern mal wissen, was ich machen werde, wenn dieser Jammerpelz mich alten Soldaten jemals wieder fragen darf: "Buumer, nennen Sie das Imparfait von aller -" Vorluufig lußt Mittelstaedt etwas Schwurmen uben. Kantorek wird dabei wohlwollend von ihm zum Gruppenfuhrer bestimmt. Damit hat es seine besondere Bewandtnis. Der Gruppenfuhrer muß beim Schwurmen numlich stets zwanzig Schritt vor seiner Gruppe sein; - kommandiert man nun: Kehrt - marsch!, so macht die Schwarmlinie nur die Wendung, der Gruppenfuhrer jedoch, der dadurch plutzlich zwanzig Schritt hinter der Linie ist, muß im Galopp vorsturzen, um wieder seine zwanzig Schritt vor die Gruppe zu kommen. Das sind zusammen vierzig Schritt: Marsch, marsch. Kaum ist er aber angelangt, so wird einfach wieder Kehrt - marsch! befohlen, und er muß eiligst wieder vierzig Schritt nach der anderen Seite rasen. Auf diese Weise macht die Gruppe nur gemutlich immer eine Wendung und ein paar Schritte, wuhrend der Gruppenfuhrer hin und her saust wie ein Furz auf der Gardinenstange. Das Ganze ist eines der vielen probaten Rezepte von Himmelstoß. Kantorek kann von Mittelstaedt nichts anderes verlangen, denn er hat ihm einmal eine Versetzung vermurkst, und Mittelstaedt wure schun dumm, diese gute Gelegenheit nicht auszunutzen, bevor er wieder ins Feld kommt. Man stirbt doch vielleicht etwas leichter, wenn der Kommiß einem auch einmal solch eine Chance geboten hat. Einstweilen spritzt Kantorek hin und her wie ein aufgescheuchtes Wildschwein. Nach einiger Zeit lußt Mittelstaedt aufhuren, und nun beginnt die so wichtige ubung des Kriechens. Auf Knien und Ellenbogen, die Knarre vorschriftsmußig gefaßt, schiebt Kantorek seine Prachtfigur durch den Sand, dicht an uns vorbei. Er schnauft kruftig, und sein Schnaufen ist Musik. Mittelstaedt ermuntert ihn, indem er den Landsturmmann Kantorek mit Zitaten des Oberlehrers Kantorek trustet. "Landsturmmann Kantorek, wir haben das Gluck, in einer großen Zeit zu leben, da mussen wir alle uns zusammenreißen und das Bittere uberwinden." Kantorek spuckt ein schmutziges Stuck Holz aus, das ihm zwischen die Zuhne gekommen ist, und schwitzt. Mittelstaedt beugt sich nieder, beschwurend eindringlich: "Und uber Kleinigkeiten niemals das große Erlebnis vergessen, Landsturmmann Kantorek!" Mich wundert, daß Kantorek nicht mit einem Knall zerplatzt, besonders, da jetzt die Turnstunde folgt, in der Mittelstaedt ihn großartig kopiert, indem er ihm in den Hosenboden faßt beim Klimmzug am Querbaum, damit er das Kinn stramm uber die Stange bringen kann, und dazu von weisen Reden nur so trieft. Genauso hat Kantorek es fruher mit ihm gemacht. Danach wird der weitere Dienst verteilt. "Kantorek und Boettcher zum Kommißbrotholen! Nehmen Sie den Handwagen mit." Ein paar Minuten sputer geht das Paar mit dem Handwagen los. Kantorek hult wutend den Kopf gesenkt. Der Portier ist stolz, weil er leichten Dienst hat. Die Brotfabrik ist am andern Ende der Stadt. Beide mussen also hin und zuruck durch die ganze Stadt. "Das machen sie schon ein paar Tage", grinst Mittelstaedt. "Es gibt bereits Leute, die darauf warten, sie zu sehen." "Großartig", sage ich, "aber hat er sich noch nicht beschwert?" "Versucht! Unser Kommandeur hat furchtbar gelacht, als er die Geschichte gehurt hat. Er kann keine Schulmeister leiden. Außerdem poussiere ich mit seiner Tochter." "Er wird dir das Examen versauen." "Darauf pfeife ich", meint Mittelstaedt gelassen. "Seine Beschwerde ist außerdem zwecklos gewesen, weil ich beweisen konnte, daß er meistens leichten Dienst hat." "Kunntest du ihn nicht mal ganz groß schleifen?" frage ich. "Dazu ist er mir zu dumlich", antwortet Mittelstaedt erhaben und großzugig. Was ist Urlaub? - Ein Schwanken, das alles nachher noch viel schwerermacht. Schon jetzt mischt sich der Abschied hinein. Meine Mutter sieht mich schweigend an; - sie zuhlt die Tage, ich weiß es; - jeden Morgen ist sie traurig. Es ist schon wieder ein Tag weniger. Meinen Tornister hat sie weggepackt, sie will durch ihn nicht erinnert werden. Die Stunden laufen schnell, wenn man grubelt. Ich raffe mich auf und begleite meine Schwester. Sie geht zum Schlachthof, um einige Pfund Knochen zu holen. Das ist eine große Vergunstigung, und morgens schon stellen sich die Leute hin, um darauf anzustehen. Manche werden ohnmuchtig. Wir haben kein Gluck. Nachdem wir drei Stunden abwechselnd gewartet haben, lust sich die Reihe auf. Die Knochen sind zu Ende. Es ist gut, daß ich meine Verpflegung erhalte. Davon bringe ich meiner Mutter mit, und wir haben so alle etwas kruftigeres Essen. Immer schwerer werden die Tage, die Augen meiner Mutter immer trauriger. Noch vier Tage. Ich muß zu Kemmerichs Mutter gehen. Man kann das nicht niederschreiben. Diese bebende, schluchzende Frau, die mich schuttelt und mich anschreit: "Weshalb lebst du denn, wenn er tot ist!", die mich mit Trunen uberstrumt und ruft: "Weshalb seid ihr uberhaupt da, Kinder, wie ihr -", die in einen Stuhl sinkt und weint: "Hast du ihn gesehen? Hast du ihn noch gesehen? Wie starb er?" Ich sage ihr, daß er einen Schuß ins Herz erhalten hat und gleich tot war. Sie sieht mich an, sie zweifelt: "Du lugst. Ich weiß es besser. Ich habe gefuhlt, wie schwer er gestorben ist. Ich habe seine Stimme gehurt, seine Angst habe ich nachts gespurt, - sag die Wahrheit, ich will es wissen, ich muß es wissen." "Nein", sage ich, "ich war neben ihm. Er war sofort tot." Sie bittet mich leise: "Sag es mir. Du mußt es. Ich weiß, du willst mich damit trusten, aber siehst du nicht, daß du mich schlimmer quulst, als wenn du die Wahrheit sagst? Ich kann die Ungewißheit nicht ertragen, sag mir, wie es war, und wenn es noch so furchtbar ist. Es ist immer noch besser, als was ich sonst denken muß." Ich werde es nie sagen, eher kann sie aus mir Hackfleisch machen. Ich bemitleide sie, aber sie kommt mir auch ein wenig dumm vor. Sie soll sich doch zufrieden geben, Kemmerich bleibt tot, ob sie es weiß oder nicht. Wenn man so viele Tote gesehen hat, kann man so viel Schmerz um einen einzigen nicht mehr recht begreifen. So sage ich etwas ungeduldig: "Er war sofort tot. Er hat es gar nicht gefuhlt. Sein Gesicht war ganz ruhig." Sie schweigt. Dann fragt sie langsam: "Kannst du das beschwuren?" "Ja." "Bei allem, was dir heilig ist?" Ach Gott, was ist mir schon heilig; - so was wechselt ja schnell bei uns. "Ja, er war sofort tot." "Willst du selbst nicht wiederkommen, wenn es nicht wahr ist?" "Ich will nicht wiederkommen, wenn er nicht sofort tot war." Ich wurde noch wer weiß was auf mich nehmen. Aber sie scheint mir zu glauben. Sie stuhnt und weint lange. Ich soll erzuhlen, wie es war, und erfinde eine Geschichte, an die ich jetzt beinahe selbst glaube. Als ich gehe, kußt sie mich und schenkt mir ein Bild von ihm. Er lehnt darauf in seiner Rekrutenuniform an einem runden Tisch, dessen Beine aus ungeschulten Birkenusten bestehen. Dahinter ist ein Wald gemalt als Kulisse. Auf dem Tisch steht ein Bierseidel. Es ist der letzte Abend zu Hause. Alle sind schweigsam. Ich gehe fruh zu Bett, ich fasse die Kissen an, ich drucke sie an mich und lege den Kopf hinein. Wer weiß, ob ich je wieder so in einem Federbett liegen werde! Meine Mutter kommt sput noch in mein Zimmer. Sie glaubt, daß ich schlafe, und ich stelle mich auch so. Zu sprechen, wach miteinander zu sein, ist zu schwer. Sie sitzt fast bis zum Morgen, obschon sie Schmerzen hat und sich manchmal krummt. Endlich kann ich es nicht mehr aushaken, ich tue, als erwachte ich. "Geh schlafen, Mutter, du erkultest dich hier." Sie sagt: "Schlafen kann ich noch genug sputer." Ich richte mich auf. "Es geht ja nicht sofort ins Feld, Mutter. Ich muß doch erst vier Wochen ins Barackenlager. Von dort komme ich vielleicht einen Sonntag noch heruber." Sie schweigt. Dann fragt sie leise: "Furchtest du dich sehr?" "Nein, Mutter." "Ich wollte dir noch sagen: Nimm dich vor den Frauen in acht in Frankreich. Sie sind schlecht dort." Ach Mutter, Mutter! Fur dich bin ich ein Kind, - warum kann ich nicht den Kopf in deinen Schoß legen und weinen? Warum muß ich immer der Sturkere und der Gefaßtere sein, ich muchte doch auch einmal weinen und getrustet werden, ich bin doch wirklich nicht viel mehr als ein Kind, im Schrank hungen noch meine kurzen Knabenhosen, - es ist doch erst so wenig Zeit her, warum ist es denn vorbei? So ruhig ich kann, sage ich: "Wo wir liegen, da sind keine Frauen, Mutter." "Und sei recht vorsichtig dort im Felde, Paul." Ach Mutter, Mutter! Warum nehme ich dich nicht in meine Arme, und wir sterben. Was sind wir doch fur arme Hunde! "Ja, Mutter, das will ich sein." "Ich werde jeden Tag fur dich beten, Paul." Ach Mutter, Mutter! Laß uns aufstehen und fortgehen, zuruck durch die Jahre, bis all dies Elend nicht mehr auf uns liegt, zuruck zu dir und mir allein, Mutter! "Vielleicht kannst du einen Posten bekommen, der nicht so gefuhrlich ist." "Ja, Mutter, vielleicht komme ich in die Kuche, das kann wohl sein." "Nimm ihn ja an, wenn die andern auch reden -" "Darum kummere ich mich nicht, Mutter -" Sie seufzt. Ihr Gesicht ist ein weißer Schein im Dunkel. "Nun mußt du schlafen gehen, Mutter." Sie antwortet nicht. Ich stehe auf und lege ihr meine Decke uber die Schultern. Sie stutzt sich auf meinen Arm, sie hat Schmerzen. So bringe ich sie hinuber. Eine Weile bleibe ich noch bei ihr. "Du mußt nun auch gesund werden, Mutter, bis ich wiederkomme." "Jaja, mein Kind." "Ihr durft mir nicht eure Sachen schicken, Mutter. Wir haben draußen genug zu essen. Ihr kunnt es hier besser brauchen." Wie arm sie in ihrem Bette liegt, sie, die mich liebt, mehr als alles. Als ich schon gehen will, sagt sie hastig: "Ich habe dir noch zwei Unterhosen besorgt. Es ist gute Wolle. Sie werden warm halten. Du mußt nicht vergessen, sie dir einzupacken." Ach Mutter, ich weiß, was dich diese beiden Unterhosen gekostet haben an Herumstehen und Laufen und Betteln! Ach Mutter, Mutter, wie kann man es begreifen, daß ich weg muß von dir, wer hat denn anders ein Recht auf mich als du. Noch sitze ich hier, und du liegst dort, wir mussen uns so vieles sagen, aber wir werden es nie kunnen. "Gute Nacht, Mutter." "Gute Nacht, mein Kind." Das Zimmer ist dunkel. Der Atem meiner Mutter geht darin hin und her. Dazwischen tickt die Uhr. Draußen vor den Fenstern weht es. Die Kastanien rauschen. Auf dem Vorplatz stolpere ich uber meinen Tornister, der fertig gepackt daliegt, weil ich morgen sehr fruh fort muß. Ich beiße in meine Kissen, ich krampfe die Fuuste um die Eisenstube mei'ies Bettes. Ich hutte nie hierherkommen durfen. Ich war gleichgultig und oft hoffnungslos draußen; - ich werde es nie mehr so sein kunnen. Ich war ein Soldat, und nun bin ich nichts mehr als Schmerz um mich, um meine Mutter, um alles, was so trostlos und ohne Ende ist. Ich hutte nie auf Urlaub fahren durfen. 8 Die Baracken im Heidelager kenne ich noch. Hier hat Himmelstoß Tjaden erzogen. Sonst aber kenne ich kaum jemand hier; alles hat gewechselt, wie immer. Nur einige der Leute habe ich fruher fluchtig gesehen. Den Dienst mache ich mechanisch. Abends bin ich fast stets im Soldatenheim, da liegen Zeitschriften aus, die ich aber nicht lese; es steht jedoch ein Klavier da, auf dem ich gern spiele. Zwei Mudchen bedienen, eins davon ist jung. Das Lager ist von hohen Drahtzuunen umgeben. Wenn wir sput aus dem Soldatenheim kommen, mussen wir Passierscheine haben. Wer sich mit dem Posten versteht, kriecht naturlich auch so durch. Zwischen Wacholderbuschen und Birkenwuldern uben wir jeden Tag Kompanieexerzieren in der Heide. Es ist zu ertragen, wenn man nicht mehr verlangt. Man rennt vorwurts, wirft sich hin, und der Atem biegt die Stengel und Bluten der Heide hin und her. Der Ware Sand ist, so dicht am Boden gesehen, rein wie in einem Laboratorium, aus vielen kleinsten Kieseln gebildet. Es ist seltsam verlockend, die Hand hineinzugraben. Aber das schunste sind die Wulder mit ihren Birkenrundern. Sie wechseln jeden Augenblick die Farbe. Jetzt leuchten die Stumme im hellsten Weiß, und seidig und luftig schwebt zwischen ihnen das pastellhafte Grun des Laubes; - im nuchsten Moment wechselt alles zu einem opalenen Blau, das silbrig vom Rande her streicht und das Grun forttupft; - aber sogleich vertieft es sich an einer Stelle fast zu Schwarz, wenn eine Wolke uber die Sonne geht. Und dieser Schatten luuft wie ein Gespenst zwischen den nun fahlen Stummen entlang, weiter uber die Heide zum Horizont, - inzwischen stehen die Birken schon wie festliche Fahnen mit weißen Stangen vor dem rotgoldenen Geloder ihres sich furbenden Laubes. Ich verliere mich oft an dieses Spiel zartester Lichter und durchsichtiger Schatten, so sehr, daß ich fast die Kommandos uberhure; - wenn man allein ist, beginnt man die Natur zu beobachten und zu lieben. Und ich habe hier nicht viel Anschluß, wunsche ihn auch nicht uber das normale Maß hinaus. Man ist zuwenig miteinander bekannt, um mehr zu tun, als etwas zu quatschen und abends Siebzehn-und-vier zu spielen oder zu mauscheln. Neben unsern Baracken befindet sich das große Russenlager. Es ist von uns zwar durch Drahtwunde getrennt, trotzdem gelingt es den Gefangenen doch, zu uns heruberzukommen. Sie geben sich sehr scheu und ungstlich, dabei haben die meisten Barte und sind groß; dadurch wirken sie wie verprugelte Bernhardiner. Sie schleichen um unsere Baracken und revidieren die Abfalltonnen. Man muß sich vorstellen, was sie da finden. Die Kost ist bei uns schon knapp und vor allem schlecht, es gibt Steckruben, in sechs Teile geschnitten und in Wasser gekocht, Mohrrubenstrunke, die noch schmutzig sind; fleckige Kartoffeln sind große Leckerbissen, und das Huchste ist dunne Reissuppe, in der kleingeschnittene Rindfleischsehnen schwimmen sollen. Aber sie sind so klein geschnitten, daß sie nicht mehr zu finden sind. Trotzdem wird naturlich alles gegessen. Wenn wirklich einer mal so reich ist, nicht leerfuttern zu brauchen, stehen zehn andere da, die es ihm gern abnehmen. Nur die Reste, die der Luffel nicht mehr erreicht, werden ausgespult und in die Abfalltonnen geschuttet. Dazu kommen dann manchmal einige Steckrubenschalen, verschimmelte Brotrinden und allerlei Dreck. Dieses dunne, trube, schmutzige Wasser ist das Ziel der Gefangenen. Sie schupfen es gierig aus den stinkenden Tonnen und tragen es unter ihren Blusen fort. Es ist sonderbar, diese unsere Feinde so nahe zu sehen. Sie haben Gesichter, die nachdenklich machen, gute Bauerngesichter, breite Stirnen, breite Nasen, breite Lippen, breite Hunde, wolliges Haar. Man mußte sie zum Pflugen und Muhen und Apfelpflucken verwenden. Sie sehen noch gutmutiger aus als unsere Bauern in Friesland. Es ist traurig, ihre Bewegungen, ihr Betteln um etwas Essen zu sehen. Sie sind alle ziemlich schwach, denn sie erhalten gerade so viel, daß sie nicht verhungern. Wir selbst bekommen ja lungst nicht satt zu essen. Sie haben Ruhr, mit ungstlichen Blicken zeigen manche verstohlen blutige Hemdzipfel heraus. Ihre Rucken, ihre Nacken sind gekrummt, die Knie geknickt, der Kopf blickt schief von unten herauf, wenn sie die Hand ausstrecken und mit den wenigen Worten, die sie kennen, betteln, - betteln mit diesen weichen, leisen Bussen, die wie warme ufen und Heimatstuben sind. Es gibt Leute, die ihnen einen Tritt geben, daß sie umfallen; - aber das sind nur wenig. Die meisten tun ihnen nichts, sie gehen an ihnen vorbei. Mitunter wenn sie sehr elend sind allerdings, gerut man daruber in Wut und versetzt ihnen dann einen Tritt. Wenn sie einen nur nicht so ansehen wollten, - was fur ein Jammer in zwei so kleinen Flecken sitzen kann, die man mit dem Daumen schon zuhalten kann: in den Augen. Abends kommen sie in die Baracken und handeln. Sie tauschen alles, was sie haben, gegen Brot ein. Es gelingt ihnen manchmal, denn sie haben gute Stiefel, unsere aber sind schlecht. Das Leder ihrer hohen Schaftstiefel ist wunderbar weich, wie Juchten. Die Bauernsuhne bei uns, die von zu Hause Fettigkeiten geschickt erhalten, kunnen sie sich leisten. Der Preis fur ein Paar Stiefel ist ungefuhr zwei bis drei Kommißbrote oder ein Kommißbrot und eine kleinere harte Mettwurst. Aber fast alle Russen haben lungst ihre Sachen abgegeben, die sie hatten. Sie tragen nur noch erburmliches Zeug und versuchen kleine Schnitzereien und Gegenstunde, die sie aus Granatsplittern und Stucken von kupfernen Fuhrungsringen gemacht haben, zu tauschen. Diese Sachen bringen naturlich nicht viel ein, wenn sie auch allerhand Muhe gemacht haben - sie gehen fur ein paar Scheiben Brot bereits weg. Unsere Bauern sind zuh und schlau, wenn sie handeln. Sie halten dem Russen das Stuck Brot oder Wurst so lange dicht unter die Nase, bis er vor Gier blaß wird und die Augen verdreht, dann ist ihm alles egal. Sie aber verpacken ihre Beute mit all der Umstundlichkeit, deren sie fuhig sind, holen ihr dickes Taschenmesser heraus, schneiden langsam und beduchtig fur sich selber einen Ranken Brot von ihrem Vorrat ab und dazu bei jedem Happen ein Stuck von der harten guten Wurst und futtern, sich zur Belohnung. Es ist aufreizend, sie so vespern zu sehen, man muchte ihnen auf die dicken Schudel trommeln. Sie geben selten etwas ab. Man kennt sich ja auch zuwenig. Ich bin ufter auf Wache bei den Russen. In der Dunkelheit sieht man ihre Gestalten sich bewegen, wie kranke Sturche, wie große Vugel. Sie kommen dicht an das Gitter heran und legen ihre Gesichter dagegen, die Finger sind in die Maschen gekrallt. Oft stehen viele nebeneinander. So atmen sie den Wind, der von der Heide und den Wuldern herkommt. Selten sprechen sie, und dann nur wenige Worte. Sie sind menschlicher und, ich muchte fast glauben, bruderlicher zueinander als wir hier. Aber das ist vielleicht nur deshalb, weil sie sich unglucklicher fuhlen als wir. Dabei ist fur sie doch der Krieg zu Ende. Doch auf die Ruhr zu warten, ist ja auch kein Leben. Die Landsturmleute, die sie bewachen, erzuhlen, daß sie anfangs lebhafter waren. Sie hatten, wie das immer ist, Verhultnisse untereinander, und es soll oft mit Fuusten und Messern dabei zugegangen sein. Jetzt sind sie schon ganz stumpf und gleichgultig, die meisten onanieren nicht einmal mehr, so schwach sind sie, obschon es doch damit sonst oft so schlimm ist, daß sie es sogar barackenweise tun. Sie stehen am Gitter; manchmal schwankt einer fort, dann ist bald ein anderer an seiner Stelle in der Reihe. Die meisten sind still; nur einzelne betteln um das Mundstuck einer ausgerauchten Zigarette. Ich sehe ihre dunklen Gestalten. Ihre Barte wehen im Winde. Ich weiß nichts von ihnen, als daß sie Gefangene sind, und gerade das erschuttert mich. Ihr Leben ist namenlos und ohne Schuld; - wußte ich mehr von ihnen, wie sie heißen, wie sie leben, was sie erwarten, was sie bedruckt, so hutte meine Erschutterung ein Ziel und kunnte zu Mitleid werden. Jetzt aber empfinde ich hinter ihnen nur den Schmerz der Kreatur, die furchtbare Schwermut des Lebens und die Erbarmungslosigkeit der Menschen. Ein Befehl hat diese stillen Gestalten zu unsern Feinden gemacht; ein Befehl kunnte sie in unsere Freunde verwandeln. An irgendeinem Tisch wird ein Schriftstuck von einigen Leuten unterzeichnet, die keiner von uns kennt, und jahrelang ist unser huchstes Ziel das, worauf sonst die Verachtung der Welt und ihre huchste Strafe ruht. Wer kann da noch unterscheiden, wenn er diese stillen Leute hier sieht mit den kindlichen Gesichtern und den Apostelburten! Jeder Unteroffizier ist dem Rekruten, jeder Oberlehrer dem Schuler ein schlimmerer Feind als sie uns. Und dennoch wurden wir wieder auf sie schießen und sie auf uns, wenn sie frei wuren. Ich erschrecke; hier darf ich nicht weiterdenken. Dieser Weg geht in den Abgrund. Es ist noch nicht die Zeit dazu; aber ich will den Gedanken nicht verlieren, ich will ihn bewahren, ihn fortschließen, bis der Krieg zu Ende ist. Mein Herz klopft: ist hier das Ziel, das Große, das Einmalige, an das ich im Graben gedacht habe, das ich suchte als Daseinsmuglichkeit nach dieser Katastrophe aller Menschlichkeit, ist es eine Aufgabe fur das Leben nachher, wurdig der Jahre des Grauens? Ich nehme meine Zigaretten heraus, breche jede in zwei Teile und gebe sie den Russen. Sie verneigen sich und zunden sie an. Nun glimmen in einigen Gesichtern rote Punkte. Sie trusten mich; es sieht aus, als wuren es kleine Fensterchen in dunklen Dorfhuusern, die verraten, daß dahinter Zimmer voll Zuflucht sind. Die Tage gehen hin. An einem nebeligen Morgen wird wieder ein Russe begraben; es sterben ja jetzt fast tuglich welche. Ich bin gerade aufWache, als er beerdigt wird. Die Gefangenen singen einen Choral, sie singen vielstimmig, und es klingt, als wuren es kaum noch Stimmen, als wure es eine Orgel, die fern in der Heide steht. Die Beerdigung geht schnell. Abends stehen sie wieder am Gitter, und der Wind kommt von den Birkenwuldern zu ihnen. Die Sterne sind kalt. Ich kenne jetzt einige von ihnen, die ziemlich gut Deutsch sprechen. Ein Musiker ist dabei, er erzuhlt, daß er Geiger in Berlin gewesen sei. Als er hurt, daß ich etwas Klavier spielen kann, holt er seine Geige und spielt. Die andern setzen sich und lehnen die Rucken an das Gitter. Er steht und spielt, oft hat er den verlorenen Ausdruck, den Geiger haben, wenn sie die Augen schließen, dann wieder bewegt er das Instrument im Rhythmus und luchelt mich an. Er spielt wohl Volkslieder; denn die anderen summen mit. Es sind dunkle Hugel, die tief unterirdisch summen. Die Geigenstimme steht wie ein schlankes Mudchen daruber und ist hell und allein. Die Stimmen huren auf, und die Geige bleibt - sie ist dunn in der Nacht, als friere sie; man muß dicht danebenstehen, es wure in einem Raum wohl besser; - hier draußen wird man traurig, wenn sie so allein umherirrt. Ich bekomme keinen Urlaub uber Sonntag, weil ich ja erst grußeren Urlaub gehabt habe. Am letzten Sonntag vor der Abfahrt sind deshalb mein Vater und meine ulteste Schwester zu Besuch bei mir. Wir sitzen den ganzen Tag im Soldatenheim. Wo sollen wir anders hin, in die Baracke wollen wir nicht gehen. Mittags machen wir einen Spaziergang in die Heide. Die Stunden quulen sich hm; wir wissen nicht, woruber wir reden sollen. So sprechen wir uber die Krankheit meiner Mutter. Es ist nun bestimmt Krebs, sie liegt schon im Krankenhaus und wird demnuchst operiert. Die urzte hoffen, daß sie gesund wird, aber wir haben noch nie gehurt, daß Krebs geheilt worden ist. "Wo liegt sie denn?" frage ich. "Im Luisenhospital", sagt mein Vater. "In welcher Klasse?" "Dritter. Wir mussen abwarten, was die Operation kostet. Sie wollte selbst dritter liegen. Sie sagte, dann hutte sie etwas Unterhaltung. Es ist auch billiger." "Dann liegt sie doch mit so vielen zusammen. Wenn sie nur nachts schlafen kann." Mein Vater nickt. Sein Gesicht ist abgespannt und voll Furchen. Meine Mutter ist viel krank gewesen; sie ist zwar nur ins Krankenhaus gegangen, wenn sie gezwungen wurde, trotzdem hat es viel Geld fur uns gekostet, und das Leben meines Vaters ist eigentlich daruber hingegangen. "Wenn man bloß wußte, wieviel die Operation kostet", sagt er. "Habt ihr nicht gefragt?" "Nicht direkt; das kann man nicht - wenn der Arzt dann unfreundlich wird, das geht doch nicht, weil er Mutter doch operieren soll." Ja, denke ich bitter, so sind wir, so sind sie, die armen Leute. Sie wagen nicht nach dem Preise zu fragen und sorgen sich eher furchtbar daruber; aber die andern, die es nicht nutig haben, die finden es selbstverstundlich, vorher den Preis festzulegen. Bei ihnen wird der Arzt auch nicht unfreundlich sein. "Die Verbunde hinterher sind auch so teuer", sagt mein Vater. "Zahlt denn die Krankenkasse nichts dazu?" frage ich. "Mutter ist schon zu lange krank." "Habt ihr denn etwas Geld?" Er schuttelt den Kopf. "Nein. Aber ich kann jetzt wieder uberstunden machen." Ich weiß: er wird bis zwulf Uhr nachts an seinem Tisch stehen und falzen und kleben und schneiden. Um acht Uhr abends wird er etwas essen von diesem kraftlosen Zeug, das sie auf Karte beziehen. Hinterher wird er ein Pulver gegen seine Kopfschmerzen einnehmen und weiterarbeiten. Um ihn etwas aufzuheitern, erzuhle ich ihm einige Geschichten, die mir gerade einfallen, Soldatenwitze und so etwas, von Generalen und Feldwebeln, die irgendwann mal 'reingelegt wurden. Nachher bringe ich beide zur Bahnstation. Sie geben mir ein Glas Marmelade und ein Paket Kartoffelpuffer, die meine Mutter noch fur mich gebacken hat. Dann fahren sie ab, und ich gehe zuruck. Abends streiche ich mir von der Marmelade auf die Pufferund esse davon. Es will mir nicht schmecken. So gehe ich hinaus, um den Russen die Puffer zu geben. Dann fullt mir ein, daß meine Mutter sie selbst gebacken hat und daß sie vielleicht Schmerzen gehabt hat, wuhrend sie am heißen Herd stand. Ich lege das Paket zuruck in meinen Tornister und nehme nur zwei Stuck davon mit zu den Russen. 9 Wir fahren einige Tage. Die ersten Flieger erscheinen am Himmel. Wir rollen an Transportzugen voruber. Geschutze, Geschutze. Die Feldbahn ubernimmt uns. Ich suche mein Regiment. Niemand weiß, wo es gerade liegt. Irgendwo ubernachte ich, irgendwo empfange ich morgens Proviant und einige vage Instruktionen. So mache ich mich mit meinem Tornister und meinem Gewehr wieder auf den Weg. Als ich ankomme, ist keiner von uns mehr in dem zerschossenen Ort. Ich hure, daß wir zu einer fliegenden Division geworden sind, die uberall eingesetzt wird, wo es brenzlig ist. Das stimmt mich nicht heiter. Man erzuhlt mir von großen Verlusten, die wir gehabt haben sollen. Ich forsche nach Kat und Albert. Es weiß niemand etwas von ihnen. Ich suche weiter und irre umher, das ist ein wunderliches Gefuhl. Noch eine Nacht und eine zweite kampiere ich wie ein Indianer. Dann habe ich bestimmte Nachricht und kann mich nachmittags auf der Schreibstube melden. Der Feldwebel behult mich da. Die Kompanie kommt in zwei Tagen zuruck, es hat keinen Zweck mehr, mich hinauszuschicken. "Wie war's im Urlaub?" fragt er. "Schun, was?" "Teils, teils", sage ich. "Jaja", seufzt er, "wenn man nicht wieder weg mußte. Die zweite Hulfte wird dadurch immer schon verpfuscht." Ich lungere umher, bis die Kompanie morgens einruckt, grau, schmutzig, verdrossen und trube. Da springe ich auf und drunge mich zwischen sie, meine Augen suchen, dort ist Tjaden, da schnaubt Muller, und da sind auch Kat und Kropp. Wir machen uns unsere Strohsucke nebeneinander zurecht. Ich fuhle mich schuldbewußt, wenn ich sie ansehe, und habe doch keinen Grund dazu. Bevor wir schlafen, hole ich den Rest der Kartoffelpuffer und der Marmelade heraus, damit sie auch etwas haben. Die beiden uußeren Puffer sind angeschimmelt, man kann sie aber noch essen. Ich nehme sie fur mich und gebe die frischeren Kat und Kropp. Kat kaut und fragt: "Die sind wohl von Muttern?" Ich nicke. "Gut", sagt er, "das schmeckt man heraus." Fast kunnte ich weinen. Ich kenne mich selbst nicht mehr. Doch es wird schon wieder besser werden, hier mit Kat und Alben und den ubrigen. Hier gehure ich hin. "Du hast Gluck gehabt", flustert Kropp mir noch beim Einschlafen zu, "es heißt, wir kommen nach Rußland." Nach Rußland. Da ist ja kein Krieg mehr. In der Ferne donnert die Front. Die Wunde der Baracken klirren. Es wird muchtig geputzt. Ein Appell jagt den andern. Von allen Seiten werden wir revidiert. Was zerrissen ist, wird umgetauscht gegen gute Sachen. Ich erwische dabei einen tadellosen neuen Rock, Kat naturlich sogar eine volle Montur. Das Gerucht taucht auf, es gube Frieden, doch die andere Ansicht ist wahrscheinlicher: daß wir nach Rußland verladen werden. Aber wozu brauchen wir in Rußland bessere Sachen? Endlich sickert es durch: der Kaiser kommt zur Besichtigung. Deshalb die vielen Musterungen. Acht Tage lang kunnte man glauben, in einer Rekrutenkaserne zu sitzen, so wird gearbeitet und exerziert. Alles ist verdrossen und nervus, denn ubermußiges Putzen ist nichts fur uns und Parademarsch noch weniger. Gerade solche Sachen verurgern den Soldaten mehr als der Schutzengraben. Endlich ist der Augenblick da. Wir stehen stramm, und der Kaiser erscheint. Wir sind neugierig, wie er aussehen mag. Er schreitet die Front entlang, und ich bin eigentlich etwas enttuuscht: nach den Bildern hatte ich ihn mir grußer und muchtiger vorgestellt, vor allen Dingen mit einer donnernderen Stimme. Er verteilt Eiserne Kreuze und spricht diesen und jenen an. Dann ziehen wir ab. Nachher unterhalten wir uns. Tjaden sagt staunend: "Das ist nun der Alleroberste, den es gibt. Davor muß darin doch jeder strammstehen, jeder uberhaupt!" Er uberlegt: "Davor muß doch auch Hindenburg strammstehen, was?" "Jawoll", bestutigt Kat. Tjaden ist noch nicht fertig. Er denkt eine Zeitlang nach und fragt: "Muß ein Kunig vor einem Kaiser auch strammstehen?" Keiner weiß das genau, aber wir glauben es nicht. Die sind beide schon so hoch, daß es da sicher kein richtiges Strammstehen mehr gibt. "Was du dir fur einen Quatsch ausbrutest", sagt Kat. "Die Hauptsache ist, daß du selber strammstehst." Aber Tjaden ist vullig fasziniert. Seine sonst sehr trockene Phantasie arbeitet sich Blasen. "Sieh mal", verkundet er, "ich kann einfach nicht begreifen, daß ein Kaiser auch genauso zur Latrine muß wie ich." "Darauf kannst du Gift nehmen", lacht Kropp. "Verruckt und drei sind sieben", ergunzt Kat, "du hast Luuse im Schudel, Tjaden, geh du nur selbst rasch los zur Latrine, damit du einen klaren Kopp kriegst und nicht wie ein Wickelkind redest." Tjaden verschwindet. "Eins muchte ich aber doch noch wissen", sagt Albert, "ob es Krieg gegeben hutte, wenn der Kaiser nein gesagt hutte." "Das glaube ich sicher", werfe ich ein, - "er soll ja sowieso erst gar nicht gewollt haben." "Na, wenn er allein nicht, dann vielleicht doch, wenn so zwanzig, dreißig Leute in der Welt nein gesagt hutten." "Das wohl", gebe ich zu, "aber die haben ja gerade gewollt." "Es ist komisch, wenn man sich das uberlegt", fuhrt Kropp fort, "wir sind doch hier, um unser Vaterland zu verteidigen. Aber die Franzosen sind doch auch da, um ihr Vaterland zu verteidigen. Wer hat nun recht?" "Vielleicht beide", sage ich, ohne es zu glauben. "Ja, nun", meint Albert, und ich sehe ihm an, daß er mich in die Enge treiben will, "aber unsere Professoren und Pasture und Zeitungen sagen, nur wir hutten recht, und das wird ja hoffentlich auch so sein; - aber die franzusischen Professoren und Pasture und Zeitungen behaupten, nur sie hutten recht, wie steht es denn damit?" "Das weiß ich nicht", sage ich, "auf jeden Fall ist Krieg, und jeden Monat kommen mehr Lunder dazu." Tjaden erscheint wieder. Er ist noch immer angeregt und greift sofort wieder in das Gespruch ein, indem er sich erkundigt, wie eigentlich ein Krieg entstehe. "Meistens so, daß ein Land ein anderes schwer beleidigt", gibt Albert mit einer gewissen uberlegenheit zur Antwort. Doch Tjaden stellt sich dickfellig. "Ein Land? Das verstehe ich nicht. Ein Berg in Deutschland kann doch einen Berg in Frankreich nicht beleidigen. Oder ein Fluß oder ein Wald oder ein Weizenfeld." "Bist du so dumlich oder tust du nur so?" knurrt Kropp. "So meine ich das doch nicht. Ein Volk beleidigt das andere -" "Dann habe ich hier nichts zu suchen", erwidert Tjaden, "ich fuhle mich nicht beleidigt." "Dir soll man nun was erkluren", sagt Albert urgerlich, "auf dich Dorfdeubel kommt es doch dabei nicht an." "Dann kann ich ja erst recht nach Hause gehen", beharrt Tjaden, und alles lacht. "Ach, Mensch, es ist doch das Volk als Gesamtheit, also der Staat -", ruft Muller. "Staat, Staat" - Tjaden schnippt schlau mit den Fingern -, "Feldgendarmen, Polizei, Steuer, das ist euer Staat. Wenn du damit zu tun hast, danke schun." "Das stimmt", sagt Kat, "da hast du zum ersten Male etwas Richtiges gesagt, Tjaden, Staat und Heimat, da ist wahrhaftig ein Unterschied." "Aber sie gehuren doch zusammen", uberlegt Kropp, "eine Heimat ohne Staat gibt es nicht." "Richtig, aber bedenk doch mal, daß wir fast alle einfache Leute sind. Und in Frankreich sind die meisten Menschen doch auch Arbeiter, Handwerker oder kleine Beamte. Weshalb soll nun wohl ein franzusischer Schlosser oder Schuhmacher uns angreifen wollen? Nein, das sind nur die Regierungen. Ich habe nie einen Franzosen gesehen, bevor ich hierherkam, und den meisten Franzosen wird es uhnlich mit uns gehen. Die sind ebensowenig gefragt wie wir." "Weshalb ist dann uberhaupt Krieg?" fragt Tjaden. Kat zuckt die Achseln. "Es muß Leute geben, denen der Krieg nutzt." "Na, ich gehure nicht dazu", grinst Tjaden. "Du nicht, und keiner hier." "Wer denn nur?" beharrte Tjaden. "Dem Kaiser nutzt er doch auch nicht. Der hat doch alles, was er braucht." "Das sag nicht", entgegnet Kat, "einen Krieg hat er bis jetzt noch nicht gehabt. Und jeder grußere Kaiser braucht mindestens einen Krieg, sonst wird er nicht beruhmt. Sieh mal in deinen Schulbuchern nach." "Generule werden auch beruhmt durch den Krieg", sagt Detering. "Noch beruhmter als Kaiser", bestutigt Kat. "Sicher stecken andere Leute, die am Krieg verdienen wollen, dahinter", brummt Detering. "Ich glaube, es ist mehr eine Art Fieber", sagt Albert. "Keiner will es eigentlich, und mit einem Male ist es da. Wir haben den Krieg nicht gewollt, die andern behaupten dasselbe - und trotzdem ist die halbe Welt feste dabei." "Druben wird aber mehr gelogen als bei uns", erwidere ich, "denkt mal an die Flugblutter der Gefangenen, in denen stand, daß wir belgische Kinder frußen. Die Kerle, die so was schreiben, sollten sie aufhungen. Das sind die wahren Schuldigen." Muller steht auf. "Besser auf jeden Fall, der Krieg ist hier als in Deutschland. Seht euch mal die Trichterfelder an!" "Das stimmt", pflichtet selbst Tjaden bei, "abernoch besser ist gar kein Krieg." Er geht stolz davon, denn er hat es uns Einjuhrigen nun mal gegeben. Und seine Meinung ist tatsuchlich typisch hier, man begegnet ihr immer wieder und kann auch nichts Rechtes darauf entgegnen, weil mit ihr gleichzeitig das Verstundnis fur andere Zusammenhunge aufhurt. Das Nationalgefuhl des Muskoten besteht darin, daß er hier ist. Aber damit ist es auch zu Ende, alles andere beurteilt er praktisch und aus seiner Einstellung heraus. Albert legt sich urgerlich ins Gras. "Besser ist, uber den ganzen Kram nicht zu reden." "Wird ja auch nicht anders dadurch", bestutigt Kat. Zum uberfluß mussen wir die neu empfangenen Sachen fast alle wieder abgeben und erhalten unsere alten Brocken wieder. Die guten waren nur zur Parade da. Statt nach Rußland gehen wir wieder an die Front. Unterwegs kommen wir durch einen kluglichen Wald mit zerrissenen Stummen und zerpflugtem Boden. An einigen Stellen sind furchtbare Lucher. "Donnerwetter, da hat es aber eingehauen", sage ich zu Kat. "Minenwerfer", antwortet er und zeigt dann nach oben. In den usten hungen Tote. Ein nackter Soldat hockt in einer Stammgabelung, er hat seinen Helm noch auf dem Kopf, sonst ist er unbekleidet. Nur eine Hulfte sitzt von ihm dort oben, ein Oberkurper, dem die Beine fehlen. "Was ist da los gewesen?" frage ich. "Den haben sie aus dem Anzug gestoßen", knurrt Tjaden. Kat sagt: "Es ist komisch, wir haben das nun schon ein paarmal gesehen. Wenn so eine Mine einwichst, wird man tatsuchlich richtig aus dem Anzug gestoßen. Das macht der Luftdruck." Ich suche weiter. Es ist wirklich so. Dort hungen Uniformfetzen allein, anderswo klebt blutiger Brei, der einmal menschliche Glieder war. Ein Kurper liegt da, der nur an einem Bein noch ein Stuck Unterhose und um den Hals den Kragen des Waffenrockes hat. Sonst ist er nackt, der Anzug hungt im Baum herum. Beide Arme fehlen, als wuren sie herausgedreht. Einen davon entdecke ich zwanzig Schritt weiter im Gebusch. Der Tote liegt auf dem Gesicht. Da, wo die Armwunden sind, ist die Erde schwarz von Blut. Unter den Fußen ist das Laub zerkratzt, als hutte der Mann noch gestrampelt. "Kein Spaß, Kat", sage ich. "Ein Granatsplitter im Bauch auch nicht", antwortet er achselzuckend. "Nur nicht weich werden", meint Tjaden. Das Ganze kann nicht lange her sein, das Blut ist noch frisch. Da alle Leute, die wir sehen, tot sind, lassen wir uns nicht aufhalten, sondern melden die Sache bei der nuchsten Sanitutsstation. Schließlich ist es ja auch nicht unsere Angelegenheit, diesen Tragbahrenhengsten die Arbeit abzunehmen. Es soll eine Patrouille ausgeschickt werden, um festzustellen, wie weit die feindliche Stellung noch besetzt ist. Ich habe wegen meines Urlaubs irgendein sonderbares Gefuhl den andern gegenuber und melde mich deshalb mit. Wir verabreden den Plan, schleichen durch den Draht und trennen uns dann, um einzeln vorzukriechen. Nach einer Weile finde ich einen flachen Trichter, in den ich mich hineingleiten lasse. Von hier luge ich aus. Das Gelunde hat mittleres Maschinengewehrfeuer. Es wird von allen Seiten bestrichen, nicht sehr stark, aber immerhin genugend, um die Knochen nicht allzu hoch zu nehmen. Ein Leuchtschirm entfaltet sich. Das Terrain liegt erstarrt im fahlen Lichte da. Um so schwurzer schlugt hinterher die Dunkelheit wieder daruber zusammen. Im Graben haben sie vorhin erzuhlt, es wuren Schwarze vor uns. Das ist unangenehm, man kann sie schlecht sehen, außerdem sind sie als Patrouillen sehr geschickt. Sonderbarerweise sind sie oft ebenso unvernunftig; - sowohl Kat als auch Kropp haben einmal auf Patrouille eine schwarze Gegenpatrouille erschossen, weil die Leute in ihrer Gier nach Zigaretten unterwegs rauchten. Kat und Albert brauchten nur die glimmenden Zigarettenkupfe als Ziel zu visieren. Neben mir zischt eine kleine Granate ein. Ich habe sie nicht kommen gehurt und erschrecke heftig. Im gleichen Augenblick faßt mich eine sinnlose Angst. Ich bin hier allein und fast hilflos im Dunkeln - vielleicht beobachten mich lungst aus einem Trichter hervor zwei andere Augen, und eine Handgranate liegt wurffertig bereit, mich zu zerreißen. Ich versuche mich aufzuraffen. Es ist nicht meine erste Patrouille und auch keine besonders gefuhrliche. Aber es ist meine erste nach dem Urlaub, und außerdem ist das Gelunde mir noch ziemlich fremd. Ich mache mir klar, daß meine Aufregung Unsinn ist, daß im Dunkel wahrscheinlich gar nichts lauert, weil sonst nicht so flach geschossen wurde. Es ist vergeblich. In wirrem Durcheinander summen mir die Gedanken im Schudel - ich hure die warnende Stimme meiner Mutter, ich sehe die Russen mit den wehenden Barten am Gitter lehnen, ich habe die helle, wunderbare Vorstellung einer Kantine mit Sesseln, eines Kinos in Valenciennes, ich sehe quulend, scheußlich in meiner Einbildung eine graue gefuhllose Gewehrmundung, die lauernd lautlos mitgeht, wie ich auch den Kopf zu wenden versuche: mir bricht der Schweiß aus allen Poren. Immer noch liege ich in meiner Mulde. Ich sehe auf die Uhr; es sind erst wenige Minuten vergangen. Meine Stirn ist naß, meine Augenhuhlen sind feucht, die Hunde zittern, und ich keuche leise. Es ist nichts anderes als ein furchtbarer Angstanfall, eine einfach gemeine Hundeangst davor, den Kopf herauszustrecken und weiterzukriechen. Wie ein Brei zerquillt meine Anspannung zu dem Wunsch, liegenbleiben zu kunnen. Meine Glieder kleben am Boden, ich mache einen vergeblichen Versuch - sie wollen sich nicht lusen. Ich presse mich an die Erde, ich kann nicht vorwurts, ich fasse den Entschluß, liegenzubleiben. Aber sofort uberspult mich die Welle erneut, eine Welle aus Scham, Reue und doch auch Geborgenheit. Ich erhebe mich ein wenig, um Ausschau zu halten. Meine Augen brennen, so starre ich in das Dunkel. Eine Leuchtkugel geht hoch; - ich ducke mich wieder. Ich kumpfe einen sinnlosen, wirren Kampf, ich will aus der Mulde heraus und rutsche doch wieder hinein, ich sage, "du mußt, es sind deine Kameraden, es ist ja nicht irgendein dummer Befehl", - und gleich darauf: "Was geht es mich an, ich habe nur ein Leben zu verlieren -" Das macht alles dieser Urlaub, entschuldige ich mich erbittert. Aber ich glaube es selbst nicht, mir wird entsetzlich flau, ich erhebe mich langsam und stemme die Arme vor, ziehe den Rucken nach und liege jetzt halb auf dem Rande des Trichters. Da vernehme ich Geruusche und zucke zuruck. Man hurt trotz des Artillerielurms verduchtige Geruusche. Ich lausche - das Geruusch ist hinter mir. Es sind Leute von uns, die durch den Graben gehen. Nun hure ich auch gedumpfte Stimmen. Es kunnte dem Tone nach Kat sein, der da spricht. Eine ungemeine Wurme durchflutet mich mit einemmal. Diese Stimmen, diese wenigen, leisen Worte, diese Schritte im Graben hinter mir reißen mich mit einem Ruck aus der furchterlichen Vereinsamung der Todesangst, der ich beinahe verfallen wure. Sie sind mehr als mein Leben, diese Stimmen, sie sind mehr als Mutterlichkeit und Angst, sie sind das Sturkste und Schutzendste, was es uberhaupt gibt: es sind die Stimmen meiner Kameraden. Ich bin nicht mehr ein zitterndes Stuck Dasein allein im Dunkel - ich gehure zu ihnen und sie zu mir, wir haben alle die gleiche Angst und das gleiche Leben, wir sind verbunden auf eine einfache und schwere Art. Ich muchte mein Gesicht in sie hineindrucken, in die Stimmen, diese paar Worte, die mich gerettet haben und die mir beistehen werden. Vorsichtig gleite ich uber den Rand und schlungele mich vorwurts. Auf allen vieren schlurfe ich weiter; es geht gut, ich peile die Richtung an, schaue mich um und merke mir das Bild des Geschutzfeuers, um zuruckzufinden. Dann suche ich Anschluß an die andern zu bekommen. Immer noch habe ich Angst, aber es ist eine vernunftige Angst, eine außerordentlich gesteigerte Vorsicht. Die Nacht ist windig, und Schatten gehen hin und her beim Aufflackern des Mundungsfeuers. Man sieht dadurch zu wenig und zu viel. Oft erstarre ich, aber es ist immer nichts. So komme ich ziemlich weit vor und kehre dann im Bogen wieder um. Den Anschluß habe ich nicht gefunden. Jeder Meter nuher zu unserm Graben erfullt mich mit Zuversicht - allerdings auch mit grußerer Hast. Es wure nicht schun, jetzt noch eins verpaßt zu kriegen. Da durchfuhrt mich ein neuer Schreck. Ich kann die Richtung nicht mehr genau wiedererkennen. Still hocke ich mich in einen Trichter und versuche mich zu orientieren. Es ist mehr als einmal vorgekommen, daß jemand vergnugt in einen Graben sprang und dann erst entdeckte, daß es der falsche war. Nach einiger Zeit horche ich wieder. Immer noch bin ich nicht richtig. Das Trichtergewirr erscheint mir jetzt so unubersichtlich, daß ich vor Aufregung uberhaupt nicht mehr weiß, wohin ich mich wenden soll. Vielleicht krieche ich parallel zu den Gruben, das kann ja endlos dauern. Deshalb schlage ich wieder einen Haken. Diese verfluchten Leuchtschirme! Sie scheinen eine Stunde zu brennen, man kann keine Bewegung machen, ohne daß es gleich um einen herum pfeift. Doch es hilft nichts, ich muß heraus. Stockend arbeite ich mich weiter, ich krebse uber den Boden weg und reiße mir die Hunde wund an den zackigen Splittern, die scharf wie Rasiermesser sind. Manchmal habe ich den Eindruck, als wenn der Himmel etwas heller wurde am Horizont, doch das kann auch Einbildung sein. Allmuhlich aber merke ich, daß ich um mein Leben krieche. Eine Granate knallt. Gleich darauf zwei andere. Und schon geht es los. Ein Feueruberfall. Maschinengewehre knattern. Jetzt gibt es vorluufig nichts anderes, als liegenzubleiben. Es scheint ein Angriff zu werden. uberall steigen Leuchtraketen. Ununterbrochen. Ich liege gekrummt in einem großen Trichter, die Beine im Wasser bis zum Bauch. Wenn der Angriff einsetzt, werde ich mich ins Wasser fallen lassen, so weit es geht, ohne zu ersticken, das Gesicht im Dreck. Ich muß den toten Mann markieren. Plutzlich hure ich, wie das Feuer zuruckspringt. Sofort rutsche ich nach unten ins Grundwasser, den Helm ganz im Genick, den Mund nur so weit hoch, daß ich knapp Luft habe. Dann werde ich bewegungslos; - denn irgendwo klirrt etwas, es tappt und trappst nuher, - in mir ziehen sich alle Nerven eisig zusammen. Es klirrt uber mich hinweg, der erste Trupp ist vorbei. Ich habe nur den einen zersprengenden Gedanken gehabt: Was tust du, wenn jemand in deinen Trichter springt? - Jetzt zerre ich rasch den kleinen Dolch heraus, fasse ihn fest und verberge ihn mit der Hand wieder im Schlamm. Ich werde sofort losstechen, wenn jemand hereinspringt, hummert es in meiner Stirn, sofort die Kehle durchstoßen, damit er nicht schreien kann, es geht nicht anders, er wird ebenso erschrocken sein wie ich, und schon vor Angst werden wir ubereinander herfallen, da muß ich der erste sein. Nun schießen unsere Batterien. In meiner Nuhe schlugt es ein. Das macht mich irrsinnig wild, es fehlt mir noch, daß mich die eigenen Geschosse treffen; ich fluche und knirsche in den Dreck hinein; es ist ein wutender Ausbruch, zuletzt kann ich nur noch stuhnen und bitten. Das Gekrach der Granaten trifft mein Ohr. Wenn unsere Leute einen Gegenstoß machen, bin ich befreit. Ich presse den Kopf an die Erde und hure das dumpfe Donnern wie ferne Bergwerksexplosionen - und hebe ihn wieder, um auf die Geruusche oben zu lauschen. Die Maschinengewehre knarren. Ich weiß, daß unsere Drahtverhaue fest und fast unbeschudigt sind; - ein Teil davon ist mit Starkstrom geladen. Das Gewehrfeuer schwillt an. Sie kommen nicht durch, sie mussen zuruck. Ich sinke wieder zusammen, gespannt bis zum uußersten. Das Klappern und Schleichen, das Klirren wird hurbar. Ein einzelner Schrei gellend dazwischen. Sie werden beschossen, der Angriff ist abgeschlagen. Es ist noch etwas heller geworden. An mir voruber hasten Schritte. Die ersten. Vorbei. Wieder andere. Das Knarren der Maschinengewehre wird eine ununterbrochene Kette. Gerade will ich mich etwas umdrehen, da poltert es, und schwer und klatschend fullt ein Kurper zu mir in den Trichter, rutscht ab, liegt auf mir - Ich denke nichts, ich fasse keinen Entschluß - ich stoße rasend zu und fuhle nur, wie der Kurper zuckt und dann weich wird und zusammensackt. Meine Hand ist klebrig und naß, als ich zu mir komme. Der andere ruchelt. Es scheint mir, als ob er brullt, jeder Atemzug ist wie ein Schrei, ein Donnern - aber es sind nur meine Adern, die so klopfen. Ich muchte ihm den Mund zuhalten, Erde hineinstopfen, noch einmal zustechen, er soll still sein, er verrut mich; doch ich bin schon so weit zu mir gekommen und auch so schwach plutzlich, daß ich nicht mehr die Hand gegen ihn heben kann. So krieche ich in die entfernteste Ecke und bleibe dort, die Augen starr auf ihn gerichtet, das Messer umklammert, bereit, wenn er sich ruhrt, wieder auf ihn loszugehen - aber er wird nichts mehr tun, das hure ich schon an seinem Rucheln. Undeutlich kann ich ihn sehen. Nur der eine Wunsch ist in mir, wegzukommen. Wenn es nicht bald ist, wird es zu hell; schon jetzt ist es schwer. Doch als ich versuche, den Kopf hochzunehmen, sehe ich bereits die Unmuglichkeit ein. Das Maschinengewehrfeuer ist derartig gedeckt, daß ich durchluchert werde, ehe ich einen Sprung tue. Ich probiere es noch einmal mit meinem Helm, den ich etwas emporschiebe und anhebe, um die Huhe der Geschosse festzustellen. Einen Augenblick sputer wird er mir durch eine Kugel aus der Hand geschlagen. Das Feuer streicht also ganz niedrig uber das Terrain. Ich bin nicht weit genug von der feindlichen Stellung entfernt, um nicht von den Scharfschutzen gleich erwischt zu werden, wenn ich versuche, auszureißen. Das Licht nimmt zu. Ich warte brennend auf einen Angriff von uns. Meine Hunde sind weiß an den Knucheln, so presse ich sie zusammen, so flehe ich, das Feuer muge aufhuren und meine Kameraden muchten kommen. Minute um Minute versickert. Ich wage keinen Blick mehr zu der dunklen Gestalt im Trichter. Angestrengt sehe ich vorbei und warte, warte. Die Geschosse zischen, sie sind ein stuhlernes Netz, es hurt nicht auf, es hurt nicht auf. Da erblicke ich meine blutige Hand und fuhle juhe ubelkeit. Ich nehme Erde und reibe damit uber die Haut, jetzt ist die Hand wenigstens schmutzig, und man sieht das Blut nicht mehr. Das Feuer lußt nicht nach. Von beiden Seiten ist es jetzt gleich stark. Man hat mich bei uns wahrscheinlich lungst verlorengegeben. Es ist heller, grauer, fruher Tag. Das Rucheln tunt fort. Ich hake mir die Ohren zu, nehme aber die Finger bald wieder heraus, weil ich sonst auch das andere nicht huren kann. Die Gestalt gegenuber bewegt sich. Ich schrecke zusammen und sehe unwillkurlich hin. Jetzt bleiben meine Augen wie festgeklebt hungen. Ein Mann mit einem kleinen Schnurrbart liegt da, der Kopf ist zur Seite gefallen, ein Arm ist halb gebeugt, der Kopf druckt kraftlos darauf. Die andere Hand liegt auf der Brust, sie ist blutig. Er ist tot, sage ich mir, er muß tot sein, er fuhlt nichts mehr - was da ruchelt, ist nur noch der Kurper. Doch der Kopf versucht sich zu heben, das Stuhnen wird einen Moment sturker, dann sinkt die Stirn wieder auf den Arm zuruck. Der Mann ist nicht tot, er stirbt, aber er ist nicht tot. Ich schiebe mich heran, halte inne, stutze mich auf die Hunde, rutsche wieder etwas weiter, warte - weiter, einen grußlichen Weg von drei Metern, einen langen, furchtbaren Weg. Endlich bin ich neben ihm. Da schlugt er die Augen auf. Er muß mich noch gehurt haben und sieht mich mit einem Ausdruck furchtbaren Entsetzens an. Der Kurper liegt still, aber in den Augen ist eine so ungeheure Flucht, daß ich einen Moment glaube, sie wurden die Kraft haben, den Kurper mit sich zu reißen. Hunderte von Kilometern weit weg mit einem einzigen Ruck. Der Kurper ist still, vullig ruhig, ohne Laut jetzt, das Rucheln ist verstummt, aber die Augen schreien, brullen, in ihnen ist alles Leben versammelt zu einer unfaßbaren Anstrengung, zu entfliehen, zu einem schrecklichen Grausen vor dem Tode, vor mir. Ich knicke in den Gelenken ein und falle auf die Ellbogen. "Nein, nein", flustere ich. Die Augen folgen mir. Ich bin unfuhig, eine Bewegung zu machen, solange sie da sind. Da fullt seine Hand langsam von der Brust, nur ein geringes Stuck, sie sinkt um wenige Zentimeter, doch diese Bewegung lust die Gewalt der Augen auf. Ich beuge mich vor, schuttele den Kopf und flustere: "Nein, nein, nein", ich hebe eine Hand, ich muß ihm zeigen, daß ich ihm helfen will, und streiche uber seine Stirn. Die Augen sind zuruckgezuckt, als die Hand kam, jetzt verlieren sie ihre Starre, die Wimpern sinken tiefer, die Spannung lußt nach. Ich uffne ihm den Kragen und schiebe den Kopf bequemer zurecht. Der Mund steht halb offen, erbemuht sich, Worte zu formen. Die Lippen sind trocken. Meine Feldflasche ist nicht da, ich habe sie nicht mitgenommen. Aber es ist Wasser in dem Schlamm unten im Trichter. Ich klettere hinab, ziehe mein Taschentuch heraus, breite es aus, drucke es hinunter und schupfe mit der hohlen Hand das gelbe Wasser, das hindurchquillt. Er schluckt es. Ich hole neues. Dann knupfe ich seinen Rock auf, um ihn zu verbinden, wenn es geht. Ich muß es auf jeden Fall tun, damit die druben, wenn ich gefangen werden sollte, sehen, daß ich ihm helfen wollte, und mich nicht erschießen. Er versucht sich zu wehren, doch die Hand ist zu schlaff dazu. Das Hemd ist verklebt und lußt sich nicht beiseite schieben, es ist hinten geknupft. So bleibt nichts ubrig, als es aufzuschneiden. Ich suche das Messer und finde es wieder. Aber als ich anfange, das Hemd zu zerschneiden, uffnen sich die Augen noch einmal, und wieder ist das Schreien darin und der wahnsinnige Ausdruck, so daß ich sie zuhalten, zudrucken muß und flustern: "Ich will dir ja helfen, Kamerad, camarade, camarade, camarade -", eindringlich das Wort, damit er es versteht. Drei Stiche sind es. Meine Verbandspuckchen bedecken sie, das Blut luuft darunter weg, ich drucke sie fester auf, da stuhnt er. Es ist alles, was ich tun kann. Wir mussen jetzt warten, warten. Diese Stunden. - Das Rucheln setzt wieder ein - wie langsam stirbt doch ein Mensch! Denn das weiß ich: er ist nicht zu retten. Ich habe zwar versucht, es mir auszureden, aber mittags ist dieser Vorwand vor seinem Stuhnen zerschmolzen, zerschossen. Wenn ich nur meinen Revolver nicht beim Kriechen verloren hutte, ich wurde ihn erschießen. Erstechen kann ich ihn nicht. Mittags dummere ich an der Grenze des Denkens dahin. Hunger zerwuhlt mich, ich muß fast weinen daruber, essen zu wollen, aber ich kann nicht dagegen ankumpfen. Mehrere Male hole ich dem Sterbenden Wasser und trinke auch selbst davon. Es ist der erste Mensch, den ich mit meinen Hunden getutet habe, den ich genau sehen kann, dessen Sterben mein Werk ist. Kat und Kropp und Muller haben auch schon gesehen, wenn sie jemand getroffen haben, vielen geht es so, im Nahkampf ja oft - Aber jeder Atemzug legt mein Herz bloß. Dieser Sterbende hat die Stunden fur sich, er hat ein unsichtbares Messer, mit dem er mich ersticht: die Zeit und meine Gedanken. Ich wurde viel darum geben, wenn er am Leben bliebe. Es ist schwer, dazuliegen und ihn sehen und huren zu mussen. Nachmittags um drei Uhr ist er tot. Ich atme auf. Doch nur fur kurze Zeit. Das Schweigen erscheint mir bald noch schwerer zu ertragen als das Stuhnen. Ich wollte, das Rucheln wure wieder da, stoßweise, heiser, einmal pfeifend leise und dann wieder heiser und laut. Es ist sinnlos, was ich tue. Aber ich muß Beschuftigung haben. So lege ich den Toten noch einmal zurecht, damit er bequemer liegt, obschon er nichts mehr fuhlt. Ich schließe ihm die Augen. Sie sind braun, das Haar ist schwarz, an den Seiten etwas lockig. Der Mund ist voll und weich unter dem Schnurrbart, die Nase ist ein wenig gebogen, die Haut bruunlich, sie sieht jetzt nicht mehr so fahl aus wie vorhin, als er noch lebte. Einen Augenblick scheint das Gesicht sogar beinahe gesund zu sein - dann verfullt es rasch zu einem der fremden Totenantlitze, die ich oft gesehen habe und die sich alle gleichen. Seine Frau denkt sicher jetzt an ihn; sie weiß nicht, was geschehen ist. Er sieht aus, als wenn er ihr oft geschrieben hutte; - sie wird auch noch Post von ihm bekommen - morgen, in einer Woche -, vielleicht einen verirrten Brief noch in einem Monat. Sie wird ihn lesen, und er wird darin zu ihr sprechen. Mein Zustand wird immer schlimmer, ich kann meine Gedanken nicht mehr halten. Wie mag die Frau aussehen? Wie die Dunkle, Schmale jenseits des Kanals? Gehurt sie mir nicht? Vielleicht gehurt sie mir jetzt hierdurch! Suße Kantorek doch hier neben mir! Wenn meine Mutter mich so suhe -. Der Tote hutte sicher noch dreißig Jahre leben kunnen, wenn ich mir den Ruckweg schurfer eingeprugt hutte. Wenn er zwei Meter weiter nach links gelaufen wure, luge er jetzt druben im Graben und schriebe einen neuen Brief an seine Frau. Doch so komme ich nicht weiter; denn das ist das Schicksal von uns allen; hutte Kemmerich sein Bein zehn Zentimeter weiter rechts gehalten, hutte Haie sich funf Zentimeter weiter vorgebeugt - Das Schweigen dehnt sich. Ich spreche und muß sprechen. So rede ich ihn an und sage es ihm. "Kamerad, ich wollte dich nicht tuten. Sprungst du noch einmal hier hinein, ich tute es nicht, wenn auch du vernunftig wurest. Aber du warst mir vorher nur ein Gedanke, eine Kombination, die in meinem Gehirn lebte und einen Entschluß hervorrief - diese Kombination habe ich erstochen. Jetzt sehe ich erst, daß du ein Mensch bist wie ich. Ich habe gedacht an deine Handgranaten, an dein Bajonett und deine Waffen - jetzt sehe ich deine Frau und dein Gesicht und das Gemeinsame. Vergib mir, Kamerad! Wir sehen es immer zu sput. Warum sagt man uns nicht immer wieder, daß ihr ebenso arme Hunde seid wie wir, daß eure Mutter sich ebenso ungstigen wie unsere und daß wir die gleiche Furcht vor dem Tode haben und das gleiche Sterben und den gleichen Schmerz -. Vergib mir, Kamerad, wie konntest du mein Feind sein. Wenn wir diese Waffen und diese Uniform fortwerfen, kunntest du ebenso mein Bruder sein wie Kat und Albert. Nimm zwanzig Jahre von mir, Kamerad, und stehe auf - nimm mehr, denn ich weiß nicht, was ich damit beginnen soll." Es ist still, die Front ist ruhig bis auf das Gewehrgeknatter. Die Kugeln liegen dicht, es wird nicht planlos geschossen, sondern auf allen Seiten scharf gezielt. Ich kann nicht hinaus. "Ich will deiner Frau schreiben", sage ich hastig zu dem Toten, "ich will ihr schreiben, sie soll es durch mich erfahren, ich will ihr alles sagen, was ich dir sage, sie soll nicht leiden, ich will ihr helfen und deinen Eltern auch und deinem Kinde -" Seine Uniform steht noch halb offen. Die Brieftasche ist leicht zu finden. Aber ich zugere, sie zu uffnen. In ihr ist das Buch mit seinem Namen. Solange ich seinen Namen nicht weiß, kann ich ihn vielleicht noch vergessen, die Zeit wird es tilgen, dieses Bild. Sein Name aber ist ein Nagel, der in mir eingeschlagen wird und nie mehr herauszubringen ist. Er hat die Kraft, alles immer wieder zuruckzurufen, er wird stets wiederkommen und vor mich hintreten kunnen. Ohne Entschluß halte ich die Brieftasche in der Hand. Sie entfullt mir und uffnet sich. Einige Bilder und Briefe fallen heraus. Ich sammle sie auf und will sie wieder hineinpacken, aber der Druck, unter dem ich stehe, die ganze Ungewisse Lage, der Hunger, die Gefahr, diese Stunden mit dem Toten haben mich verzweifelt gemacht, ich will die Auflusung beschleunigen und die Quulerei versturken und enden, wie man eine unertruglich schmerzende Hand gegen einen Baum schmettert, ganz gleich, was wird. Es sind Bilder einer Frau und eines kleinen Mudchens, schmale Amateurfotografien vor einer Efeuwand. Neben ihnen stecken Briefe. Ich nehme sie heraus und versuche sie zu lesen. Das meiste verstehe ich nicht, es ist schlecht zu entziffern, und ich kann nur wenig Franzusisch. Aber jedes Wort, das ich ubersetze, dringt mir wie ein Schuß in die Brust - wie ein Stich in die Brust - Mein Kopf ist vullig uberreizt. Aber so viel begreife ich noch, daß ich diesen Leuten nie schreiben darf, wie ich es dachte vorhin. Unmuglich. Ich sehe die Bilder noch einmal an; es sind keine reichen Leute. Ich kunnte ihnen ohne Namen Geld schicken, wenn ich sputer etwas verdiene. Daran klammere ich mich, das ist ein kleiner Halt wenigstens. Dieser Tote ist mit meinem Leben verbunden, deshalb muß ich alles tun und versprechen, um mich zu retten; ich gelobe blindlings, daß ich nur fur ihn dasein will und seine Familie, - mit nassen Lippen rede ich auf ihn ein, und ganz tief in mir sitzt dabei die Hoffnung, daß ich mich dadurch freikaufe und vielleicht hier doch noch herauskomme, eine kleine Hinterlist, daß man nachher immer noch erst einmal sehen kunne. Und deshalb schlage ich das Buch auf und lese langsam: Gerard Duval, Typograph. Ich schreibe die Adresse mit dem Bleistift des Toten auf einen Briefumschlag und schiebe dann plutzlich rasch alles in seinen Rock zuruck. Ich habe den Buchdrucker Gerard Duval getutet. Ich muß Buchdrucker werden, denke ich ganz verwirrt, Buchdrucker werden, Buchdrucker - Nachmittags bin ich ruhiger. Meine Furcht war unbegrundet. Der Name verwirrt mich nicht mehr. Der Anfall vergeht. "Kamerad", sage ich zu dem Toten hinuber, aber ich sage es gefaßt. "Heute du, morgen ich. Aber wenn ich davonkomme, Kamerad, will ich kumpfen gegen dieses, das uns beide zerschlug: dir das Leben - und mir -? Auch das Leben. Ich verspreche es dir, Kamerad. Es darf nie wieder geschehen." Die Sonne steht schrug. Ich bin dumpf vor Erschupfung und Hunger. Das Gestern ist mir wie ein Nebel, ich hoffe nicht, hier noch hinauszugelangen. So duse ich dahin und begreife nicht einmal, daß es Abend wird. Die Dummerung kommt. Es scheint mir rasch jetzt. Noch eine Stunde. Wure es Sommer, noch drei Stunden. Noch eine Stunde. Nun beginne ich plutzlich zu zittern, daß etwas dazwischenkume. Ich denke nicht mehr an den Toten, er ist mir jetzt vullig gleichgultig. Mit einem Schlage springt die Lebensgier auf, und alles, was ich mir vorgenommen habe, versinkt davor. Nur um jetzt nicht noch Ungluck zu haben, plappere ich mechanisch: "Ich werde alles halten, was ich dir versprochen habe -", aber ich weiß schon jetzt, daß ich es nicht tun werde. Plutzlich fullt mir ein, daß meine eigenen Kameraden auf mich schießen kunnen, wenn ich ankrieche; sie wissen es ja nicht. Ich werde rufen, so fruh es geht, damit sie mich verstehen. So lange will ich vor dem Graben liegenbleiben, bis sie mir antworten. Der erste Stern. Die Front bleibt ruhig. Ich atme auf und spreche vor Aufregung mit mir selbst: "Jetzt keine Dummheit, Paul - Ruhe, Ruhe, Paul -, dann bist du gerettet, Paul." Es wirkt, wenn ich meinen Vornamen sage, das ist, als tute es ein anderer, und hat so mehr Gewalt. Die Dunkelheit wuchst. Meine Aufregung legt sich, ich warte aus Vorsicht, bis die ersten Raketen steigen. Dann krieche ich aus dem Trichter. Den Toten habe ich vergessen. Vor mir liegt die beginnende Nacht und das bleich beleuchtete Feld. Ich fasse ein Loch ins Auge; im Moment, wo das Licht erlischt, schnelle ich hinuber, taste weiter, erwische das nuchste, ducke mich, husche weiter. Ich komme nuher. Da sehe ich bei einer Rakete, wie im Draht sich etwas eben noch bewegt, ehe es erstarrt, und liege still. Beim nuchstenmal sehe ich es wieder, es sind bestimmt Kameraden aus unserm Graben. Aber ich bin vorsichtig, bis ich unsere Helme erkenne. Dann rufe ich. Gleich darauf erschallt als Antwort mein Name: "Paul - Paul -" Ich rufe wieder. Es sind Kat und Albert, die mit einer Zeltbahn losgegangen sind, um mich zu suchen. "Bist du verwundet?" "Nein, nein -" Wir rutschen in den Graben. Ich verlange Essen und schlinge es hinunter. Muller gibt mir eine Zigarette. Ich sage mit wenigen Worten, was geschehen ist. Es ist ja nichts Neues; so was ist schon oft passiert. Nur der Nachtangriff ist das Besondere bei der Sache. Aber Kat hat in Rußland schon einmal zwei Tage hinter der russischen Front gelegen, ehe er sich durchschlagen konnte. Von dem toten Buchdrucker sage ich nichts. Erst am nuchsten Morgen halte ich es nicht mehr aus. Ich muß es Kat und Albert erzuhlen. Sie beruhigen mich beide. "Du kannst gar nichts daran machen. Was wolltest du anders tun. Dazu bist du doch hier!" Ich hure ihnen geborgen zu, getrustet durch ihre Nuhe. Was habe ich nur fur einen Unsinn zusammengefaselt da in dem Trichter. "Sieh mal dahin", zeigt Kat. An den Brustwehren stehen einige Scharfschutzen. Sie haben Gewehre mit Zielfernrohren aufliegen und lauern den Abschnitt druben ab. Hin und wieder knallt ein Schuß. Jetzt huren wir Ausrufe. "Das hat gesessen?" - "Hast du gesehen, wie er hochsprang?" Sergeant Oellrich wendet sich stolz um und notiert seinen Punkt. Er fuhrt in der Schußliste von heute mit drei'einwandfrei festgestellten Treffern. "Was sagst du dazu?" fragt Kat. Ich nicke. "Wenn er so weitermacht, hat er heute abend ein buntes Vugelchen mehr im Knopfloch", meint Kropp. "Oder er wird bald Vizefeldwebel", ergunzt Kat. Wir sehen uns an. "Ich wurde es nicht machen", sage ich. "Immerhin", sagt Kat, "es ist ganz gut, daß du es jetzt gerade siehst." Sergeant Oellrich tritt wieder an die Brustwehr. Die Mundung seines Gewehrs geht hin und her. "Da brauchst du uber deine Sache kein Wort mehr zu verlieren", nickt Albert. Ich begreife mich jetzt auch selbst nicht mehr. "Es war nur, weil ich so lange mit ihm zusammen liegen.mußte", sage ich. Krieg ist Krieg schließlich. Oellrichs Gewehr knallt kurz und trocken. 10 Wir haben einen guten Posten erwischt. Mit acht Mann mussen wir ein Dorf bewachen, das geruumt worden ist, weil es zu stark beschossen wird. Hauptsuchlich sollen wir auf das Proviantamt achten, das noch nicht leer ist. Verpflegung mussen wir uns aus den Bestunden selbst besorgen. Dafur sind wir die richtigen Leute - Kat, Albert, Muller, Tjaden, Leer, Detering, unsere ganze Gruppe ist da. Allerdings, Haie ist tot. Aber das ist noch ein muchtiges Gluck, denn alle anderen Gruppen haben mehr Verluste als unsere gehabt. Als Unterstand wuhlen wir einen betonierten Keller, zu dem von außen eine Treppe hinunterfuhrt. Der Eingang ist noch durch eine besondere Betonmauer geschutzt. Jetzt entfalten wir eine große Tutigkeit. Es ist wieder eine Gelegenheit, nicht nur die Beine, sondern auch die Seele zu strecken. Und solche Gelegenheiten nehmen wir wahr; denn unsere Lage ist zu verzweifelt, um lange sentimental sein zu kunnen. Das ist nur muglich, solange es noch nicht ganz schlimm ist. Uns jedoch bleibt nichts anderes, als sachlich zu sein. So sachlich, daß mir manchmal graut, wenn einen Augenblick ein Gedanke aus der fruheren Zeit, vor dem Kriege, sich in meinen Kopf verirrt. Er bleibt auch nicht lange. Wir mussen unsere Lage so leicht nehmen wie muglich. Deshalb nutzen wir jede Gelegenheit dazu, und unmittelbar, hart, ohne ubergang steht neben dem Grauen der Bludsinn. Wir kunnen gar nicht anders, wir sturzen uns hinein. Auch jetzt geht es mit Feuereifer daran, ein Idyll zu schaffen, ein Idyll des Fressens und Schlafens naturlich. Die Bude wird zunuchst einmal mit Matratzen belegt, die wir aus den Huusern heranschleppen. Ein Soldatenhintern sitzt gern auch mal weich. Nur in der Mitte des Raumes bleibt der Boden frei. Dann besorgen wir uns Decken und Federbetten, prachtvolle weiche Dinger. Von allem ist im Dorf ja genugend vorhanden. Albert und ich finden ein zerlegbares Mahagonibett mit einem Himmel aus blauer Seide und Spitzenuberwurf. Wir schwitzen wie die Affen beim Transport, aber so was kann man sich doch nicht entgehen lassen, zumal es in ein paar Tagen doch sicher zerschossen wird. Kat und ich machen einen kleinen Patrouillengang durch die Huuser. Nach kurzer Zeit haben wir ein Dutzend Eier und zwei Pfund ziemlich frische Butter gefaßt. Plutzlich kracht es in einem Salon, und ein eiserner Ofen saust durch die Wand, an uns vorbei, einen Meter neben uns wieder durch die Wand. Zwei Lucher. Er kommt aus dem Hause gegenuber, in das eine Granate gehauen ist. "Schwein gehabt", grinst Kat, und wir suchen weiter. Mit einem Male spitzen wir die Ohren und machen lange Beine. Gleich darauf stehen wir wie verzaubert: In einem kleinen Stall tummeln sich zwei lebende Ferkel. Wir reiben uns die Augen und sehen vorsichtig wieder hin: sie sind tatsuchlich noch immer da. Wir fassen sie an - kein Zweifel, es sind zwei wirkliche junge Schweine. Das gibt ein herrliches Essen. Etwa funfzig Schritt von unserm Unterstand entfernt steht ein kleines Haus, das als Offiziersquartier gedient hat In der Kuche befindet sich ein riesiger Herd mit zwei Feuerrosten, Pfannen, Tupfen und Kesseln. Alles ist da, sogar eine Unmenge kleingehacktes Holz steckt in einem Schuppen - das wahre Schlaraffenhaus. Zwei Mann sind seit dem Morgen auf den Feldern und suchen Kartoffeln, Mohrruben und junge Erbsen. Wir sind numlich uppig und pfeifen auf die Konserven des Proviantamts, wir wollen frische Sachen haben. In der Speisekammer liegen schon zwei Kupfe Blumenkohl. Die Ferkel sind geschlachtet. Kat hat das erledigt. Zu dem Braten wollen wir Kartoffelpuffer machen. Aber wir finden keine Reiben fur die Kartoffeln. Doch auch da ist bald abgeholfen. In Blechdeckel schlagen wir mit Nugeln eine Menge Lucher, und schon sind es Reiben. Drei Mann ziehen dicke Handschuhe an, um die Finger beim Reiben zu schonen, zwei andere schulen Kartoffeln, und es geht rasch vorwurts. Kat betreut die Ferkel, die Mohrruben, die Erbsen und den Blumenkohl. Zu dem Blumenkohl mischt er sogar eine weiße Soße zurecht. Ich backe Puffer, immer vier zu gleicher Zeit. Nach zehn Minuten habe ich es heraus, die Pfanne so zu schwenken, daß die auf der einen Seite fertigen Puffer hochfliegen, sich in der Luft drehen und wieder aufgefangen werden. Die Ferkel werden unzerschnitten gebraten. Alles steht um sie herum wie um einen Altar. Inzwischen ist Besuch gekommen, zwei Funker, die freigebig zum Essen eingeladen werden. Sie sitzen im Wohnzimmer, wo ein Klavier steht. Einer spielt, der andere singt: "An der Weser". Er singt es gefuhlvoll, aber ziemlich suchsisch. Trotzdem ergreift es uns, wuhrend wir so am Herd all die schunen Sachen vorbereiten. Allmuhlich merken wir, daß wir Kattun kriegen. Die Fesselballons haben den Rauch aus unserm Schornstein spitz bekommen, und wir werden mit Feuer belegt. Es sind die verfluchten kleinen Spritzbiester, die so ein kleines Loch machen und so weit und niedrig streuen. Immer nuher pfeift es um uns herum, aber wir kunnen doch das Essen nicht im Stich lassen. Die Bande schießt sich ein. Ein paar Splitter sausen oben durchs Kuchenfenster. Wir sind bald mit dem Braten fertig. Doch das Pufferbacken wird jetzt schwieriger. Die Einschluge kommen so dicht, daß oft und ufter die Splitter gegen die Hauswand klatschen und durch die Fenster fegen. Jedesmal, wenn ich ein Ding heranpfeifen hure, gehe ich mit der Pfanne und den Puffern in die Knie und ducke mich hinter die Fenstermauer. Sofort danach bin ich wieder hoch und backe weiter. Die Sachsen huren auf zu spielen, ein Splitter ist ins Klavier geflogen. Auch wir sind jetzt allmuhlich fertig und organisieren den Ruckzug. Nach dem nuchsten Einschlag laufen zwei Mann mit den Gemusetupfen los, die funfzig Meter bis zum Unterstand. Wir sehen sie verschwinden. Der nuchste Schuß. Alles duckt sich, und dann traben zwei Mann mit je einer großen Kanne erstklassigem Bohnenkaffee ab und erreichen vor dem folgenden Einschlag den Unterstand. Jetzt schnappen sich Kat und Kropp das Glanzstuck: die große Pfanne mit den braungebratenen Ferkeln. Ein Heulen, eine Kniebeuge, und schon rasen sie uber die funfzig Meter freies Feld. Ich backe meine letzten vier Puffer noch fertig; zweimal muß ich dabei auf den Boden - aber es sind schließlich vier Puffer mehr, und es ist mein Lieblingsessen. Dann ergreife ich die Platte mit dem hohen Stapel und presse mich hinter die Haustur. Es zischt, kracht, und ich galoppiere davon, mit beiden Hunden die Platte an die Brust gedruckt. Fast bin ich angelangt, da pfeift es anschwellend, ich turme wie ein Hirsch, fege um die Betonwand, Spritzer klatschen gegen die Mauer, ich falle die Kellertreppe hinunter, meine Ellenbogen sind zerschlagen, aber ich habe keinen einzigen Puffer verloren und die Platte nicht umgekippt. Um zwei Uhr beginnen wir mit dem Essen. Es dauert bis sechs. Bis halb sieben trinken wir Kaffee - Offizierskaffee aus dem Proviantamt - und rauchen Offizierszigarren und Zigaretten - ebenfalls aus dem Proviantamt. Punkt halb sieben fangen wir mit dem Abendessen an. Um zehn Uhr werfen wir die Gerippe der Ferkel vor die Tur. Dann gibt es Kognak und Rum, ebenfalls aus dem gesegneten Proviantamt und wieder lange, dicke Zigarren mit Bauchbinden. Tjaden behauptet, daß nur eines fehle: Mudchen aus einem Offizierspuff. Sputabends huren wir Miauen. Eine kleine graue Katze sitzt am Eingang. Wir locken sie heran und futtern sie. Daruber kommt auch uns wieder der Appetit. Kauend legen wir uns schlafen. Doch die Nacht ist buse. Wir haben zu fett gegessen. Frisches Spanferkel wirkt angreifend auf die Durme. Es ist ein ewiges Kommen und Gehen im Unterstand. Zwei, drei Mann sitzen immer mit heruntergezogenen Hosen draußen herum und fluchen. Ich selbst bin neunmal unterwegs. Gegen vier Uhr nachts erreichen wir einen Rekord: alle elf Mann, Wache und Besuch, sitzen draußen. Brennende Huuser stehen wie Fackeln in der Nacht. Granaten poltern heran und hauen ein. Munitionskolonnen rasen uber die Straße. An der einen Seite ist das Proviantamt aufgerissen. Wie ein Schwurm Bienen drungen sich dort trotz aller Splitter die Kolonnenfahrer und klauen Brot. Wir lassen sie ruhig gewuhren. Wenn wir was sagen wurden, gube es huchstens eine Tracht Prugel fur uns. Deshalb machen wir es anders. Wir erkluren, daß wir die Wache sind, und da wir Bescheid wissen, kommen wir mit den Konserven an, die wir gegen Sachen tauschen, die uns fehlen. Was macht es schon - in kurzer Zeit ist ohnehin alles zerschossen. Fur uns selbst holen wir Schokolade aus dem Depot und essen sie tafelweise. Kat sagt, sie sei gut fur einen allzu eiligen Bauch. - Fast vierzehn Tage vergehen so mit Essen, Trinken und Bummeln. Niemand sturt uns. Das Dorf verschwindet langsam unter den Granaten, und wir fuhren ein gluckliches Leben. Solange nur noch ein Teil des Proviantamtes steht, ist uns alles egal, und wir wunschen bloß, hier das Ende des Krieges zu erleben. Tjaden ist derartig fein geworden, daß er die Zigarren nur halb aufraucht. Er erklurt hochnusig, er sei es so gewohnt. Auch Kat ist sehr aufgemuntert. Sein erster Ruf morgens ist: "Emil, bringen Sie Kaviar und Kaffee." Es ist uberhaupt erstaunlich vornehm bei uns, jeder hult den andern fur seinen Burschen, siezt ihn und gibt ihm Auftruge. "Kropp, es juckt mich unter dem Fuß, fangen Sie doch mal die Laus weg", damit streckt ihm Leer sein Bein hin wie eine Schauspielerin, und Albert schleift ihn daran die Treppen hinauf. "Tjaden!" - "Was ?" - " Stehen Sie bequem, Tjaden, ubrigens heißt es nicht: Was, sondern: Zu Befehl - also: Tjaden!" Tjaden begibt sich wieder auf ein Gastspiel zu Gutz von Berlichingen, der ihm nur so im Handgelenk sitzt. Nach weiteren acht Tagen erhalten wir Befehl, abzurucken. Die Herrlichkeit ist aus. Zwei große Lastautos nehmen uns auf. Sie sind hoch bepackt mit Brettern. Aber noch oben darauf bauen Albert und ich unser Himmelbett mit dem blauseidenen uberwurf auf, mit Matratzen und zwei Spitzenoberbetten. Hinten drin am Kopfende liegt fur jeden ein Sack mit besten Lebensmitteln. Wir fuhlen manchmal daruber hin, und die harten Mettwurste, die Leberwurstbuchsen, die Konserven, die Zigarrenkisten lassen unsere Herzen jubilieren. Jeder Mann hat so einen Sack voll bei sich. Kropp und ich haben aber außerdem noch zwei rote Samtfauteuils gerettet. Sie stehen im Bett, und wir rukeln uns darauf wie in einer Theaterloge. uber uns bauscht sich die Seide des uberwurfs als Baldachin. Jeder hat eine lange Zigarre im Mund. So schauen wir hoch von oben in die Gegend. Zwischen uns steht ein Papageienkufig, den wir fur die Katze gefunden haben. Sie wird mitgenommen und liegt drinnen vor ihrem Fleischnapf und schnurrt. Langsam rollen die Wagen uber die Straße. Wir singen. Hinter uns spritzen die Granaten Fontunen aus dem nun ganz verlassenen Dorf. Einige Tage sputer rucken wir aus, um eine Ortschaft aufzuruumen. Unterwegs begegnen uns die fliehenden Bewohner, die ausgewiesen sind. Sie schleppen ihre Habseligkeiten in Karren, in Kinderwagen und auf dem Rucken mit sich. Ihre Gestalten sind gebeugt, ihre Gesichter voll Kummer, Verzweiflung, Hast und Ergebenheit. Die Kinder hungen an den Hunden der Mutter, manchmal fuhrt auch ein ulteres Mudchen die Kleinen, die vorwurts taumeln und immer wieder zurucksehen. Einige tragen armselige Puppen mit sich. Alle schweigen, als sie an uns vorubergehen. Noch sind wir in Marschkolonne, die Franzosen werden ja nicht ein Dorf beschießen, in dem Landsleute sind. Aber wenige Minuten sputer heult die Luft, die Erde bebt, Schreie ertunen - eine Granate hat den hintersten Zug zerschmettert. Wir spritzen auseinander und werfen uns hin, aber im selben Moment fuhle ich, wie mir die Spannung entgleitet, die mich sonst immer bei Feuer unbewußt das Richtige tun lußt, der Gedanke "Du bist verloren" zuckt auf mit einer wurgenden, schrecklichen Angst - und im nuchsten Augenblick fegt ein Schlag wie von einer Peitsche uber mein linkes Bein. Ich hure Albert schreien, er ist neben mir. "Los, auf, Albert!" brulle ich, denn wir liegen ungeschutzt auf freiem Felde. Er taumelt hoch und luuft. Ich bleibe neben ihm. Wir mussen uber eine Hecke; sie ist huher als wir. Kropp faßt in die Zweige, ich packe sein Bein, er schreit auf, ich gebe ihm Schwung, er fliegt hinuber. Mit einem Satz bin ich hinter ihm her und falle in einen Teich, der hinter der Hecke liegt. Wir haben das Gesicht voll Wasserlinsen und Schlamm, aber die Deckung ist gut. Deshalb waten wir hinein bis zum Halse. Wenn es heult, gehen wir mit dem Kopf unter Wasser. Nachdem wir das ein dutzendmal gemacht haben, wird es mir uber. Auch Albert stuhnt: "Laß uns weg, ich falle sonst um und ersaufe." "Wo hast du was gekriegt?" frage ich. "Am Knie, glaube ich." "Kannst du laufen?" "Ich denke -" "Dann los." Wir gewinnen den Chausseegraben und rennen ihn gebuckt entlang. Das Feuer folgt uns. Die Straße hat die Richtung auf das Munitionsdepot. Wenn das hochgeht, findet nie jemand von uns einen Knopf wieder. Wir andern deshalb unsern Plan und laufen im Winkel querfeldein. Albert wird langsamer. "Lauf zu, ich komme nach", sagt er und wirft sich hin. Ich reiße ihn am Arm auf und schuttele ihn. "Hoch, Albert, wenn du dich erst hinlegst, kannst du nie mehr weiter. Los, ich stutze dich." Endlich erreichen wir einen kleinen Unterstand. Kropp schmeißt sich hin, und ich verbinde ihn. Der Schuß sitzt kurz uber dem Knie. Dann sehe ich mich selbst an. Die Hose ist blutig, ebenso der Arm. Albert bindet mir seine Puckchen um die Lucher. Er kann sein Bein schon nicht mehr bewegen, und wir wundern uns beide, wie wir es uberhaupt bis hierher geschafft haben. Das hat nur die Angst gemacht; wir wurden fortgelaufen sein, selbst wenn uns die Fuße weggeschossen wuren - dann eben auf Stumpfen. Ich kann noch etwas kriechen und rufe einen voruberfahrenden Leiterwagen an, der uns mitnimmt. Er ist voller Verwundeter. Ein Sanitutsgefreiter ist dabei, der uns eine Tetanusspritze in die Brust jagt - Im Feldlazarett richten wir es so ein, daß wir nebeneinander zu liegen kommen. Es gibt eine dunne Suppe, die wir gierig und veruchtlich ausluffeln, weil wir zwar bessere Zeiten gewuhnt sind, aber doch Hunger haben. "Nun geht's in die Heimat, Albert", sage ich. "Hoffentlich", antwortet er. "Wenn ich bloß wußte, was ich habe." Die Schmerzen werden sturker. Wie Feuer brennen die Verbunde. Wir trinken und trinken, einen Becher Wasser nach dem andern. "Wieviel uber dem Knie ist mein Schuß?" fragt Kropp. "Mindestens zehn Zentimeter, Albert", antworte ich. In Wirklichkeit sind es vielleicht drei. "Das habe ich mir vorgenommen", sagt er nach einer Weile, "wenn sie mir einen Knochen abnehmen, mache ich Schluß. Ich will nicht als Kruppel durch die Welt laufen." So liegen wir mit unsern Gedanken und warten. Abends werden wir zur Schlachtbank geholt. Ich erschrecke und uberlege rasch, was ich tun soll; denn es ist bekannt, daß die urzte in den Feldlazaretten leicht amputieren. Bei dem großen Andrang ist das einfacher als komplizierte Flickereien. Kemmerich fullt mir ein. Auf keinen Fall werde ich mich chloroformieren lassen, selbst wenn ich ein paar Leuten den Schudel einschlagen muß. Es geht gut. Der Arzt stochert in der Wunde herum, daß mir schwarz vor Augen wird. "Stellen Sie sich nicht so an", schimpft er und subelt weiter. Die Instrumente blitzen in dem hellen Licht wie busartige Tiere. Die Schmerzen sind unertruglich. Zwei Krankenwurter halten meine Arme fest, aber ich kriege einen los und will ihn gerade dem Arzt in die Brille knallen, als er es merkt und wegspringt. "Chloroformiert den Kerl!" schreit er wutend. Da werde ich ruhig. "Entschuldigen Herr Doktor, ich werde stillhalten, aber chloroformieren Sie mich nicht." "Na ja", kakelt er und nimmt seine Instrumente wiedervor. Er ist ein blonder Bursche, huchstens dreißig Jahre alt, mit Schmissen und einer widerlichen goldenen Brille. Ich merke daß er mich jetzt schikaniert, er wuhlt nur so in der Wunde und schielt ab und zu uber seine Gluser zu mir hin. Meine Hunde quetschen sich um die Griffe, eher verrecke ich, als daß er einen Mucks von mir hurt. Er hat einen Splitter herausgeangelt und wirft ihn mir zu. Scheinbar ist er befriedigt von meinem Verhalten, denn er schient mich jetzt sorgfultig und sagt: "Morgen geht's ab nach Hause." Dann werde ich eingegipst. Als ich wieder mit Kropp zusammen bin, erzuhle ich ihm, daß also wahrscheinlich morgen schon ein Lazarettzug eintreffen wird. "Wir mussen mit dem Sanitutsfeldwebel sprechen, damit wir beieinander bleiben, Albert." Es gelingt mir, dem Feldwebel mit ein paar passenden Worten zwei meiner Zigarren mit Bauchbinden zu uberreichen. Er schnuppert daran und fragt: "Hast du noch mehr davon?" "Noch eine gute Handvoll", sage ich, "und mein Kamerad", ich zeige auf Kropp, "ebenfalls. Die muchten wir Ihnen gern morgen zusammen aus dem Fenster des Lazarettzuges uberreichen." Er kapiert naturlich, schnuppert noch einmal und sagt: "Gemacht." Wir kunnen keine Minute nachts schlafen. In unserm Saal sterben sieben Leute. Einer singt eine Stunde lang in einem hohen Quetschtenor Chorule, ehe er zu rucheln beginnt. Ein anderer ist vorher aus dem Bett ans Fenster gekrochen. Er liegt davor, als hutte er zum letztenmal hinaussehen wollen. Unsere Bahren stehen auf dem Bahnhof. Wir warten auf den Zug. Es regnet, und der Bahnhof hat kein Dach. Die Decken sind dunn. Wir warten schon zwei Stunden. Der Feldwebel betreut uns wie eine Mutter. Obschon mir sehr schlecht ist, verliere ich unsern Plan nicht aus den Gedanken. So nebenbei lasse ich die Puckchen sehen und gebe eine Zigarre als Vorschuß ab. Dafur deckt der Feldwebel uns eine Zeltbahn uber. "Mensch, Albert", erinnere ich mich, "unser Himmelbett und die Katze -" "Und die Klubsessel", fugt er hinzu. Ja, die Klubsessel aus rotem Plusch. Wir hatten wie Fursten abends darauf gesessen und uns vorgenommen, sie sputer stundenweise abzuvermieten. Pro Stunde eine Zigarette. Es wure ein sorgenloses Leben und ein Geschuft geworden. "Albert", fullt mir ein, "und unsere Freßsucke." Wir werden schwermutig. Die Sachen hutten wir gebrauchen kunnen. Wenn der Zug einen Tag sputer fuhre, hutte Kat uns sicher gefunden und uns den Kram gebracht. Ein verfluchtes Schicksal. Wir haben Mehlsuppe im Magen, dunnes Lazarettfutter, und in unseren Sucken ist Schweinebraten als Konserve. Aber wir sind so schwach, daß wir uns nicht weiter daruber aufregen kunnen. Die Bahren sind klatschnaß, als der Zug morgens einluuft. Der Feldwebel sorgt dafur, daß wir in denselben Wagen kommen. Eine Menge Rote-Kreuz-Schwestern sind da. Kropp wird nach unten gepackt. Ich werde angehoben und soll in das Bett uber ihm. "Um Gottes willen", entfuhrt es mir plutzlich. "Was ist denn?" fragt die Schwester. Ich werfe noch einen Blick auf das Bett. Es ist mit schneeweißem Leinen bezogen, unvorstellbar sauberem Leinen, das sogar noch die Pluttkniffe hat. Mein Hemd dagegen ist sechs Wochen lang nicht gewaschen worden und sehr dreckig. "Kunnen Sie nicht allein hineinkriechen?" fragt die Schwester besorgt. "Das schon", sagte ich schwitzend, "aber tun Sie doch erst das Bettzeug weg." "Warum denn?" Ich komme mir wie ein Schwein vor. Da soll ich mich hineinlegen? - "Es wird ja -" Ich zugere. "Ein bißchen schmutzig?" fragt sie ermunternd. "Das schadet nichts, dann waschen wir es eben nachher wieder." "Nee, das nicht -", sage ich aufgeregt. Diesem Ansturm der Kultur bin ich nicht gewachsen. "Dafur, daß Sie draußen im Graben gelegen haben, werden wir wohl noch ein Bettlaken waschen kunnen", fuhrt sie fort. Ich sehe sie an, sie sieht knusprig und jung aus, blank gewaschen und fein, wie alles hier, man begreift nicht, daß es nicht nur fur Offiziere ist, und fuhlt sich unheimlich und sogar irgendwie bedroht. Das Weib ist trotzdem ein Folterknecht, es zwingt mich, alles zu sagen. "Es ist nur -", ich halte ein, sie muß doch verstehen, was ich meine. "Was denn noch?" "Wegen der Luuse", brulle ich schließlich heraus. Sie lacht. "Die mussen auch mal gute Tage haben." Nun kann es mir ja gleich sein. Ich krabbele ins Bett und decke mich zu. Eine Hand fingert uber die Decke. Der Feldwebel. Er zieht mit den Zigarren ab. Nach einer Stunde merken wir, daß wir fahren. Nachts erwache ich. Auch Kropp ruhrt sich. Der Zug rollt leise uber die Schienen. Es ist alles noch unbegreiflich: ein Bett, ein Zug, nach Hause. Ich flustere: "Albert!" "Ja -" "Weißt du, wo hier die Latrine ist?" "Ich glaube, druben rechts die Tur." "Ich werde mal sehen." Es ist dunkel, ich taste nach dem Bettrand und will vorsichtig hinuntergleiten. Aber mein Fuß findet keinen Halt, ich gerate ins Rutschen, das Gipsbein ist keine Hilfe, und mit einem Krach liege ich auf dem Boden. "Verflucht", sage ich. "Hast du dich gestoßen?" fragt Kropp. "Das kunntest du doch wohl gehurt haben", knurre ich, "mein Schudel -" Hinten im Wagen uffnet sich die Tur. Die Schwester kommt mit Licht und sieht mich. "Er ist aus dem Bett gefallen" Sie fuhlt mir den Puls und faßt meine Stirn an. "Sie haben aber kein Fieber." "Nein -", gebe ich zu. "Haben Sie denn getruumt?" fragt sie. "So ungefuhr", weiche ich aus. Jetzt geht die Fragerei wieder los. Sie sieht mich mit ihren blanken Augen an, sauber und wunderbar ist sie, um so weniger kann ich ihr sagen, was ich will. Ich werde wieder nach oben gehoben. Das kann ja gut werden. Wenn sie fort ist, muß ich sofort wieder versuchen, hinunterzusteigen. Wure sie eine alte Frau, so ginge es eher, ihr Bescheid zu sagen, aber sie ist ja ganz jung, huchstens funfundzwanzig Jahre, es ist nichts zu machen, ich kann es ihr nicht sagen. Da kommt Albert mir zu Hilfe, er geniert sich nicht, er ist es ja auch schließlich nicht, den die Sache angeht. Er ruft die Schwester an. Sie dreht sich um. "Schwester, er wollte -", aber auch Albert weiß nicht mehr, wie er sich tadellos und anstundig ausdrucken soll. Unter uns draußen ist das mit einem einzigen Wort gesagt, aber hier, einer solchen Dame gegenuber - Mit einem Male jedoch fullt ihm die Schulzeit ein, und er vollendet fließend: "Er muchte mal hinaus, Schwester." "Ach so", sagt die Schwester. "Dazu braucht er doch nicht mit seinem Gipsverband aus dem Bett zu klettern. Was wollen Sie denn haben?" wendet sie sich an mich. Ich bin tudlich erschrocken uber diese neue Wendung, denn ich habe keine Ahnung, wie man die Dinge fachmunnisch benennt. Die Schwester kommt mir zu Hilfe. "Klein oder groß?" Diese Blamage! Ich schwitze wie ein Affe und sage verlegen: "Na, also nur klein -" Immerhin, wenigstens noch etwas Gluck. Ich erhalte eine Flasche. Nach einigen Stunden bin ich nicht mehr der einzige, und morgens haben wir uns gewuhnt und verlangen ohne Beschumung, was wir brauchen. Der Zug fuhrt langsam. Manchmal hult er, und die Toten werden ausgeladen. Er hult oft. Albert hat Fieber. Mir geht es leidlich, ich habe Schmerzen, aber schlimmer ist es, daß wahrscheinlich unter dem Gipsverband noch Luuse sitzen. Es juckt furchterlich, und ich kann mich nicht kratzen. Wir schlummern durch die Tage. Die Landschaft geht still durch die Fenster. In der dritten Nacht sind wir in Herbesthal. Ich hure von der Schwester, daß Albert an der nuchsten Station ausgeladen werden soll, wegen seines Fiebers. "Wie weit fuhrt der Zug?" frage ich. "Bis Kuln." "Albert, wirbleiben zusammen", sage ich, "paß auf." Beim nuchsten Rundgang der Schwester halte ich die Luft an und presse den Atem in den Kopf. Er schwillt und wird rot. Sie bleibt stehen. "Haben Sie Schmerzen?" "Ja", stuhne ich, "mit einem Male." Sie gibt mir ein Thermometer und geht weiter. Ich mußte nicht bei Kat in der Lehre gewesen sein, um nicht Bescheid zu wissen. Diese Soldatenthermometer sind nicht fur erfahrenes Militur berechnet. Es handelt sich nur darum, das Quecksilber hochzutreiben, dann bleibt es in der dunnen Ruhre stehen und sinkt nicht wieder. Ich stecke das Thermometer unter den Arm, schrug nach unten, und knipse mit dem Zeigefinger stundig dagegen. Darauf schuttele ich es nach oben. Damit erreiche ich 37,9 Grad. Das genugt aber nicht. Ein Streichholz vorsichtig nahe darangehalten ergibt 38,7 Grad. Als die Schwester zuruckkommt, puste ich mich auf, atme leicht stoßweise, glotze sie mit etwas stieren Augen an, bewege mich unruhig und flustere: "Ich kann es nicht mehr aushalten -" Sie notiert mich auf einem Zettel. Ich weiß genau, daß ohne Not mein Gipsverband nicht geuffnet wird. Albert und ich werden zusammen ausgeladen. Wir liegen in einem katholischen Hospital, im gleichen Zimmer. Das ist ein großes Gluck, denn die katholischen Krankenhuuser sind bekannt fur gute Behandlung und gutes Essen. Das Lazarett ist voll belegt worden aus unserm Zug, es sind viele schwere Fulle dabei. Wir kommen heute noch nicht zur Untersuchung, da zu wenig Arzte da sind. Auf dem Korridor fahren unablussig die flachen Wagen mit den Gummirudern vorbei, und immer liegt jemand lang darauf. Eine verfluchte Lage - so langgestreckt - nur gut, wenn man schluft. Die Nacht ist sehr unruhig. Keiner kann schlafen. Gegen Morgen duseln wir etwas ein. Ich erwache, als es hell wird. Die Tur steht offen, und vom Korridor hure ich Stimmen. Auch die andern wachen auf. Einer, der schon ein paar Tage da ist, erklurt uns die Sache: "Hier oben wird jeden Morgen auf dem Korridor gebetet von den Schwestern. Sie nennen das Morgenandacht. Damit ihr euren Teil abkriegt, machen sie die Turen auf." Das ist sicher gut gemeint, aber uns tun die Knochen und die Schudel weh. "So ein Unsinn", sage ich, "wenn man gerade eingeschlafen ist." "Hier oben liegen die leichteren Fulle, da machen sie es so", antwortet er. Alben stuhnt. Ich werde wutend und rufe: "Ruhe da draußen." Nach einer Minute erscheint eine Schwester. Sie sieht in ihrer weiß und schwarzen Tracht aus wie ein hubscher Kaffeewurmer. "Machen Sie doch die Tur zu, Schwester", sagt jemand. "Es wird gebetet, deshalb ist die Tur offen", erwidert sie. "Wir muchten aber noch schlafen -" "Beten ist besser als schlafen." Sie steht da und luchelt unschuldig. "Es ist auch schon sieben Uhr." Albert stuhnt wieder. "Tur zu!" schnauze ich. Sie ist ganz verdutzt, so etwas kann sie scheinbar nicht begreifen. "Es wird doch auf fur Sie mitgebetet." "Einerlei! Tur zu!" Sie verschwindet und lußt die Tur offen. Die Litanei ertunt wieder. Ich bin wild und sage: "Ich zuhle jetzt bis drei. Wenn es bis dahin nicht aufhurt, fliegt was." "Von mir auch", erklurt ein anderer. Ich zuhle bis funf. Dann nehme ich eine Flasche, ziele und werfe sie durch die Tur auf den Korridor. Sie zerspringt in tausend Splitter. Das Beten hurt auf. Ein Schwurm Schwestern erscheint und schimpft maßvoll. "Tur zu!" schreien wir. Sie verziehen sich. Die Kleine von vorhin ist die letzte. "Heiden", zwitschert sie, macht aber doch die Tur zu. Wir haben gesiegt. Mittags kommt der Lazarettinspektor und ranzt uns an. Er verspricht uns Festung und noch mehr. Nun ist ein Lazarettinspektor, genau wie ein Proviantamtsinspektor, zwar jemand, der einen langen Degen und Achselstucke trugt, aber eigentlich ein Beamter, und er wird darum nicht einmal von einem Rekruten fur voll genommen. Wir lassen ihn deshalb reden. Was kann uns schon passieren - "Wer hat die Flasche geworfen?" fragt er. Bevor ich uberlegen kann, ob ich mich melden soll, sagt jemand: "Ich!" Ein Mann mit struppigem Bart richtet sich auf. Alles ist gespannt, weshalb er sich meldet. "Sie?" "Jawohl. Ich war erregt daruber, daß wir unnutig geweckt wurden, und verlor die Besinnung, so daß ich nicht wußte, was ich tat." Er redet wie ein Buch. "Wie heißen Sie?" "Ersatz-Reservist Josef Hamacher." Der Inspektor geht ab. Alle sind neugierig. "Weshalb hast du dich denn bloß gemeldet? Du warst es ja gar nicht!" Er grinst. "Das macht nichts. Ich habe einen Jagdschein." Das versteht naturlich jeder. Wer einen Jagdschein hat, kann machen, was er will. "Ja", erzuhlt er, "ich habe einen Kopfschuß gehabt, und daraufist mir ein Attest ausgestellt worden, daß ich zeitweise unzurechnungsfuhig bin. Seitdem bin ich fein heraus. Man darf mich nicht reizen. Mir passiert also nichts. Der unten wird sich schun urgern. Und gemeldet habe ich mich, weil mir das Werfen Spaß gemacht hat. Wenn sie morgen wieder die Tur aufmachen, schmeißen wir wieder." Wir sind heilfroh. Mit Josef Hamacher in der Mitte jetzt alles riskieren. Dann kommen die lautlosen, flachen Wagen, um uns zu holen. Die Verbunde sind verklebt. Wir brullen wie Stiere. Es liegen acht Mann auf unserer Stube. Die schwerste Verletzung hat Peter, ein schwarzer Krauskopf - einen komplizierten Lungenschuß. Franz Wuchter neben ihm hat einen zerschossenen Arm, der anfangs nicht schlimm aussieht. Aber in der dritten Nacht ruft er uns an, wir sollten klingeln, er glaube, er blute durch. Ich klingele kruftig. Die Nachtschwester kommt nicht. Wir haben sie abends ziemlich stark in Anspruch genommen, weil wir alle neue Verbunde und deshalb Schmerzen hatten. Der eine wollte das Bein so gelegt haben, der andere so, der dritte verlangte Wasser, dem vierten sollte sie das Kopfkissen aufschutteln; - die dicke Alte hatte buse gebrummt zuletzt und die Turen geschlagen. Jetzt vermutet sie wohl wieder so etwas, denn sie kommt nicht. Wir warten. Dann sagt Franz: "Klingle noch mal." Ich tue es. Sie lußt sich immer noch nicht sehen. Auf unserem Flugel ist nachts nur eine einzige Stationsschwester, vielleicht hat sie gerade in andern Zimmern zu tun. "Bist du sicher, Franz, daß du blutest?" frage ich. "Sonst kriegen wir wieder was auf den Kopf." "Es ist naß. Kann keiner Licht machen?" Auch das geht nicht. Der Schalter ist an der Tur, und niemand kann aufstehen. Ich halte den Daumen auf der Klingel, bis er gefuhllos wird. Vielleicht ist die Schwester eingenickt. Sie haben ja sehr viel Arbeit und sind alle uberanstrengt, schon tagsuber. Dazu das stundige Beten. "Sollen wir Flaschen schmeißen?" fragt Josef Hamacher mit dem Jagdschein. "Das hurt sie noch weniger als das Klingeln." Endlich geht die Tur auf. Muffelig erscheint die Alte. Als sie die Geschichte bei Franz bemerkt, wird sie eilig und ruft: "Weshalb hat denn keiner Bescheid gesagt?" "Wir haben ja geklingelt. Laufen kann hier keiner." Er hat stark geblutet und wird verbunden. Morgens sehen wir sein Gesicht, es ist spitzer und gelber geworden, dabei war es am Abend noch fast gesund im Aussehen. Jetzt kommt ufter eine Schwester. Manchmal sind es auch Hilfsschwestern vom Roten Kreuz. Sie sind gutmutig, aber mitunter etwas ungeschickt. Beim Umbetten tun sie einem oft weh und sind dann so erschrocken, daß sie einem noch mehr weh tun. Die Nonnen sind zuverlussiger. Sie wissen, wie sie anfassen mussen, aber wir muchten gern, daß sie etwas lustiger wuren. Einige allerdings haben Humor, sie sind großartig. Wer wurde Schwester Libertine nicht jeden Gefallen tun, dieser wunderbaren Schwester, die im ganzen Flugel Stimmung verbreitet, wenn sie nur von weitem zu sehen ist? Und solcher sind noch mehrere da. Wir wurden fur sie durchs Feuer gehen. Man kann sich wirklich nicht beklagen, man wird direkt wie ein Zivilist hier behandelt von den Nonnen. Wenn man dagegen an die Garnisonlazarette denkt, in denen man mit angelegter Hand im Bett liegen muß, kann einem die Angst kommen. Franz Wuchter kommt nicht wieder zu Kruften. Eines Tages wird er abgeholt und bleibt fort. Josef Hamacher weiß Bescheid: "Den sehen wir nicht wieder. Sie haben ihn ins Totenzimmer gebracht." "Was fur ein Totenzimmer?" fragt Kropp. "Na, ins Sterbezimmer -" "Was ist denn das?" "Das kleine Zimmer an der Ecke des Flugels. Wer kurz vor dem Abkratzen ist, wird dahin gebracht. Es sind zwei Betten darin. uberall heißt es nur das Sterbezimmer." "Aber warum machen sie das?" "Sie haben dann nicht so viel Arbeit nachher. Es ist auch bequemer, weil es gleich am Aufzug zur Totenhalle liegt. Vielleicht tun sie es auch, damit keiner in den Sulen stirbt, wegen der andern. Sie kunnen ja auch besser bei ihm wachen, wenn er allein liegt." "Aber er selber?" Josef zuckt die Achseln. "Gewuhnlich merkt er ja nicht mehr viel davon." "Weiß es denn jeder?" "Wer lunger hier ist, weiß es naturlich." Nachmittags wird das Bett von Franz Wuchter neu belegt. Nach ein paar Tagen holen sie auch den neuen wieder ab. Josef macht eine bezeichnende Handbewegung. Wir sehen noch manchen kommen und gehen. Manchmal sitzen Angehurige an den Betten und weinen oder sprechen leise und verlegen. Eine alte Frau will gar nicht fort, aber sie kann die Nacht uber ja nicht dableiben. Am andern Morgen kommt sie schon ganz fruh, aber doch nicht fruh genug; denn als sie an das Bett geht, liegt schon jemand anders drin. Sie muß zur Totenhalle. Die upfel, die sie noch bei sich hat, gibt sie uns. Auch dem kleinen Peter geht es schlechter. Seine Fiebertafel sieht buse aus, und eines Tages steht neben seinem Bett der flache Wagen. "Wohin?" fragt er. "Zum Verbandssaal." Er wird hinauf gehoben. Aber die Schwester macht den Fehler, seinen Waffenrock vom Haken zu nehmen und ihn ebenfalls auf den Wagen zu legen, damit sie nicht zweimal zu gehen braucht. Peter weiß sofort Bescheid und will sich vom Wagen rollen. "Ich bleibe hier!" Sie drucken ihn nieder. Er schreit leise mit seiner zerschossenen Lunge: "Ich will nicht ins Sterbezimmer." "Wir gehen ja zum Verbandssaal." "Wozu braucht ihr dann meinen Waffenrock?" Er kann nicht mehr sprechen. Heiser, aufgeregt, flustert er: "Hierbleiben!" Sie antworten nicht und fahren ihn hinaus. Vor der Tur versucht er sich aufzurichten. Sein schwarzer Krauskopf bebt, die Augen sind voll Trunen. "Ich komme wieder! Ich komme wieder!" ruft er. Die Tur schließt sich. Wir sind alle erregt; aber wir schweigen. Endlich sagt Josef: "Hat schon mancher gesagt. Wenn man erst drin ist, hult man doch nicht durch." Ich werde operiert und kotze zwei Tage lang. Meine Knochen wollen nicht zusammenwachsen, sagt der Schreiber des Arztes. Bei einem andern sind sie falsch angewachsen; dem werden sie wieder gebrochen. Es ist schon ein Elend. Unter unserm Zuwachs sind zwei junge Soldaten mit Plattfußen. Bei der Visite entdeckt der Chefarzt sie und bleibt freudig stehen. "Das werden wir wegkriegen", erzuhlt er, "da machen wir eine kleine Operation, und schon haben Sie gesunde Fuße. Schreiben Sie auf, Schwester." Als er fort ist, warnt Josef, der alles weiß: "Laßt euch ja nicht operieren ! Das ist numlich ein wissenschaftlicher Fimmel vom Alten. Er ist ganz wild auf jeden, den er dafur zu fassen bekommt. Er operiert euch die Plattfuße, und ihr habt nachher tatsuchlich auch keine mehr; dafur habt ihr Klumpfuße und mußt euer Leben lang an Stucken laufen." "Was soll man denn da machen?" fragt der eine. "Nein sagen! Ihr seid hier, um eure Schusse zu kurieren, nicht eure Plattfuße! Habt ihr im Felde keine gehabt ? Na, da seht ihr! Jetzt kunnt ihr noch laufen, aber wenn der Alte euch erst unter dem Messer gehabt hat, seid ihr Kruppel. Er braucht Versuchskarnickel, fur ihn ist der Krieg eine großartige Zeit deshalb, wie fur alle urzte. Seht euch unten mal die Station an; da kriechen ein Dutzend Leute herum, die er operiert hat. Manche sind seit vierzehn und funfzehn hier, jahrelang. Kein einziger kann besser laufen als vorher; fast alle aber schlechter, die meisten nur mit Gipsbeinen. Alle halbe Jahre erwischt er sie wieder und bricht ihnen die Knochen aufs neue, und jedesmal soll dann der Erfolg kommen. Nehmt euch in acht, er darf es nicht, wenn ihr nein sagt." "Ach, Mensch!" sagt der eine von den beiden mude. "Besser die Fuße als der Schudel. Weißt du, was du kriegst, wenn du wieder draußen bist? Sollen sie mit mir machen, was sie wollen, wenn ich bloß wieder nach Hause komme. Besser ein Klumpfuß als tot." Der andere, ein junger Mensch wie wir, will nicht. Am andern Morgen lußt der Alte beide herunterholen und redet und schnauzt so lange auf sie ein, bis sie doch einwilligen. Was sollen sie anders tun. - Sie sind ja nur Muskoten, und er ist ein hohes Tier. Vergipst und chloroformiert werden sie wiedergebracht. Albert geht es schlecht. Er wird geholt und amputiert. Das ganze Bein bis obenhin wird abgenommen. Nun spricht er fast gar nicht mehr. Einmal sagt er, er wolle sich erschießen, wenn er erst wieder an seinen Revolver herankume. Ein neuer Transport trifft ein. Unsere Stube erhult zwei Blinde. Einer davon ist ein ganz junger Musiker. Die Schwestern haben nie ein Messer bei sich, wenn sie ihm Essen geben; er hat einer schon einmal eins entrissen. Trotz dieser Vorsicht passiert etwas. Abends beim Futtern wird die Schwester von seinem Bett abgerufen und stellt den Teller mit der Gabel so lange auf seinen Tisch. Er tastet nach der Gabel, faßt sie und stußt sie mit aller Kraft gegen sein Herz, dann ergreift er einen Schuh und schlugt auf den Stiel, so fest er kann. Wir rufen um Hilfe, und drei Mann sind nutig, ihm die Gabel wegzunehmen. Die stumpfen Zinken waren schon tief eingedrungen. Er schimpft die ganze Nacht auf uns, so daß niemand Schlaf findet. Morgens hat er einen Schreikrampf. Wieder werden Betten frei. Tage um Tage gehen hin in Schmerzen und Angst, Stuhnen und Rucheln. Auch das Vorhandensein der Totenzimmer nutzt nichts mehr, es sind zu wenig, die Leute sterben nachts auch auf unserer Stube. Es geht eben schneller als die uberlegung der Schwestern. Aber eines Tages fliegt die Tur auf, der flache Wagen rollt herein, und blaß, schmal, aufrecht, triumphierend, mit gestruubtem, schwarzem Krauskopf sitzt Peter auf der Bahre. Schwester Libertine schiebt ihn mit strahlender Miene an sein altes Bett. Er ist zuruck aus dem Sterbezimmer. Wir haben ihn lungst fur tot gehalten. Er sieht sich um: "Was sagt ihr nun?" Und selbst Josef muß zugeben, daß er so was zum ersten Male erlebt. Allmuhlich durfen einige von uns aufstehen. Auch ich bekomme Krucken zum Herumhumpeln. Doch ich mache wenig Gebrauch davon; ich kann Alberts Blick nicht ertragen, wenn ich durchs Zimmer gehe. Er sieht mir immer mit so sonderbaren Augen nach. Deshalb entschlupfe ich manchmal auf den Korridor - dort kann ich mich freier bewegen. Im Stockwerk tiefer liegen Bauch- und Ruckenmarkschusse, Kopfschusse und beiderseitig Amputierte. Rechts im Flugel Kieferschusse, Gaskranke, Nasen-, Ohren- und Halsschusse. Links im Flugel Blinde und Lungenschusse, Beckenschusse, Gelenkschusse, Nierenschusse, Hodenschusse, Magenschusse. Man sieht hier erst, wo ein Mensch ubel getroffen werden kann. Zwei Leute sterben an Wundstarrkrampf. Die Haut wird fahl, die Glieder erstarren, zuletzt leben - lange - nur noch die Augen. - Bei manchen Verletzten hungt das zerschossene Glied an einem Galgen frei in der Luft; unter die Wunde wird ein Becken gestellt, in das der Eiter tropft. Alle zwei oder drei Stunden wird das Gefuß geleert. Andere Leute liegen im Streckverband, mit schweren, herabziehenden Gewichten am Bett. Ich sehe Darmwunden, die stundig voll Kot sind. Der Schreiber des Arztes zeigt mir Runtgenaufnahmen von vullig zerschmetterten Huftknochen, Knien und Schultern. Man kann nicht begreifen, daß uber so zerrissenen Leibern noch Menschengesichter sind, in denen das Leben seinen alltuglichen Fortgang nimmt. Und dabei ist dies nur ein einziges Lazarett, nur eine einzige Station - es gibt Hunderttausende in Deutschland, Hunderttausende in Frankreich, Hunderttausende in Rußland. Wie sinnlos ist alles, was je geschrieben, getan, gedacht wurde, wenn so etwas muglich ist! Es muß alles gelogen und belanglos sein, wenn die Kultur von Jahrtausenden nicht einmal verhindern konnte, daß diese Strume von Blut vergossen wurden, daß diese Kerker der Qualen zu Hunderttausenden existieren. Erst das Lazarett zeigt, was der Krieg ist. Ich bin jung, ich bin zwanzig Jahre alt; aber ich kenne vom Leben nichts anderes als die Verzweiflung, den Tod, die Angst und die Verkettung sinnlosester Oberfluchlichkeit mit einem Abgrund des Leidens. Ich sehe, daß Vulker gegeneinandergetrieben werden und sich schweigend, unwissend, turicht, gehorsam, unschuldig tuten. Ich sehe, daß die klugsten Gehirne der Welt Waffen und Worte erfinden, um das alles noch raffinierter und lunger dauernd zu machen. Und mit mir sehen das alle Menschen meines Alters hier und druben, in der ganzen Welt, mit mir erlebt das meine Generation. Was werden unsere Vuter tun, wenn wir einmal aufstehen und vor sie hintreten und Rechenschaft fordern? Was erwarten sie von uns, wenn eine Zeit kommt, wo kein Krieg ist? Jahre hindurch war unsere Beschuftigung Tuten - es war unser erster Beruf im Dasein. Unser Wissen vom Leben beschrunkt sich auf den Tod. Was soll danach noch geschehen? Und was soll aus uns werden? Der ulteste auf unserer Stube ist Lewandowski. Er ist vierzig Jahre alt und liegt bereits zehn Monate im Hospital an einem schweren Bauchschuß. Erst in den letzten Wochen ist er so weit gekommen, daß er gekrummt etwas hinken kann. Seit einigen Tagen ist er in großer Aufregung. Seine Frau hat ihm aus dem kleinen Nest in Polen, wo sie wohnt, geschrieben, daß sie so viel Geld zusammen hat, um die Fahrt zu bezahlen und ihn besuchen zu kunnen. Sie ist unterwegs und kann jeden Tag eintreffen. Lewandowski schmeckt das Essen nicht mehr, sogar Rotkohl mit Bratwurst verschenkt er, nachdem er ein paar Happen genommen hat. Stundig luuft er mit dem Brief durchs Zimmer, jeder hat ihn schon ein dutzendmal gelesen, die Poststempel sind wer weiß wie oft schon gepruft, die Schrift ist vor Fettflecken und Fingerspuren kaum noch zu erkennen, und was kommen muß, kommt: Lewandowski kriegt Fieber und muß wieder ins Bett. Er hat seine Frau seit zwei Jahren nicht gesehen. Sie hat inzwischen ein Kind geboren, das bringt sie mit. Aber etwas ganz anderes beschuftigt Lewandowski. Er hatte gehofft, die Erlaubnis zum Ausgehen zu erhalten, wenn seine Alte kommt, denn es ist doch klar: Sehen ist ganz schun, aber wenn man seine Frau nach so langer Zeit wiederhat, will man, wenn es eben geht, doch noch was anderes. Lewandowski hat das alles stundenlang mit uns besprochen, denn beim Kommiß gibt es darin keine Geheimnisse. Es findet auch keiner etwas dabei. Diejenigen von uns, die schon ausgehen kunnen, haben ihm ein paar tadellose Ecken in der Stadt gesagt, Anlagen und Parks, wo er ungesturt gewesen wure, einer wußte sogar ein kleines Zimmer. Doch was nutzt das alles. Lewandowski liegt im Bett und hat seine Sorgen. Das ganze Leben macht ihm keinen Spaß mehr, wenn er diese Sache verpassen muß. Wir trusten ihn und versprechen ihm, daß wir den Kram schon irgendwie schmeißen werden. Am andern Nachmittag erscheint seine Frau, ein kleines, verhutzeltes Ding mit ungstlichen und eiligen Vogelaugen, in einer Art von schwarzer Mantille mit Krausen und Bundern, weiß der Himmel, wo sie das Stuck mal geerbt hat. Sie murmelt leise etwas und bleibt scheu an der Tur stehen. Es erschreckt sie, daß wir sechs Mann hoch sind. "Na, Marja", sagt Lewandowski und schluckt gefuhrlich mit seinem Adamsapfel, "kannst ruhig 'reinkommen, die tun dir hier nichts." Sie geht herum und gibt jedem von uns die Hand. Dann zeigt sie das Kind vor, das inzwischen in die Windeln gemacht hat. Sie hat eine große, mit Perlen bestickte Tasche bei sich, aus der sie ein reines Tuch nimmt, um das Kind flink neu zu wickeln. Damit ist sie uber die erste Verlegenheit hinweg, und die beiden fangen an zu reden. Lewandowski ist sehr kribblig, er schielt immer wieder uußerst unglucklich mit seinen runden Glotzaugen zu uns heruber. Die Zeit ist gunstig, die Arztvisite ist vorbei, es kunnte huchstens noch eine Schwester ins Zimmer schauen. Einer geht deshalb noch einmal hinaus - spekulieren. Er kommt zuruck und nickt. "Kein Aas zu sehen. Nun sag's ihr schon, Johann, und mach zu." Die beiden unterhalten sich in ihrer Sprache. Die Frau guckt etwas rot und verlegen auf. Wir grinsen gutmutig und machen wegwerfende Handbewegungen, was schon dabei sei! Der Teufel soll alle Vorurteile holen, die sind fur andere Zeiten gemacht, hier liegt der Tischler Johann Lewandowski, ein zum Kruppel geschossener Soldat, und da ist seine Frau, wer weiß, wann er sie wiedersieht, er will sie haben, und er soll sie haben, fertig. Zwei Mann stellen sich vor die Tur, um die Schwestern abzufangen und zu beschuftigen, wenn sie zufullig vorbeikommen sollten. Sie wollen ungefuhr eine Viertelstunde aufpassen. Lewandowski kann nur auf der Seite liegen, einer packt ihm deshalb noch ein paar Kissen in den Rucken, Albert kriegt das Kind zu halten, dann drehen wir uns ein bißchen um, die schwarze Mantille verschwindet unter der Bettdecke, und wir kloppen laut und mit allerhand Redensarten Skat. Es geht alles gut. Ich habe einen wusten Kreuz-Solo mit vieren in den Fingern, der ungefuhr noch rumgeht. Daruber vergessen wir beinahe Lewandowski. Nach einiger Zeit beginnt das Kind zu plurren, obschon Albert es verzweifelt hin und her schwenkt. Es knistert und rauscht dann ein bißchen, und als wir so beiluufig aufblicken, sehen wir, daß das Kind schon die Flasche im Mund hat und wieder bei der Mutter ist. Die Sache hat geklappt. Wir fuhlen uns jetzt als eine große Familie, die Frau ist ordentlich munter geworden, und Lewandowski liegt schwitzend und strahlend da. Er packt die gestickte Tasche aus, es kommen da ein paar gute Wurste zum Vorschein, Lewandowski nimmt das Messer wie einen Blumenstrauß und subelt das Fleisch in Stucke. Mit großer Handbewegung weist er auf uns - und die kleine, verhutzelte Frau geht von einem zum andern und lacht uns an und verteilt die Wurst, sie sieht jetzt direkt hubsch aus dabei. Wir sagen Mutter zu ihr, und sie freut sich und klopft uns die Kopfkissen auf. Nach einigen Wochen muß ich jeden Morgen ins Zanderinstitut. Dort wird mein Bein festgeschnallt und bewegt. Der Arm ist lungst geheilt. Es laufen neue Transporte aus dem Felde ein. Die Verbunde sind nicht mehr aus Stoff, sie bestehen nur noch aus weißem Krepp-Papier. Verbandstoff ist zu knapp geworden draußen. Alberts Stumpf heilt gut. Die Wunde ist fast geschlossen. In einigen Wochen soll er fort in eine Prothesenstation. Er spricht noch immer wenig und ist viel ernster als fruher. Oft bricht er mitten im Gespruch ab und starrt vor sich hin. Wenn er nicht mit uns andern zusammen wure, hutte er lungst Schluß gemacht. Jetzt aber ist er uber das Schlimmste hinausgelangt. Er sieht schon manchmal beim Skat zu. Ich bekomme Erholungsurlaub. Meine Mutter will mich nicht mehr fortlassen. Sie ist so schwach. Es ist alles noch schlimmer als das letztemal. Danach werde ich vom Regiment angefordert und fahre wieder ins Feld. Der Abschied von meinem Freunde Albert Kropp ist schwer. Aber man lernt das beim Kommiß mit der Zeit. II Wir zuhlen die Wochen nicht mehr. Es war Winter, als ich ankam, und bei den Einschlugen der Granaten wurden die gefrorenen Erdklumpen fast ebenso gefuhrlich wie die Splitter. Jetzt sind die Buume wieder grun. Unser Leben wechselt zwischen Front und Baracken. Wir sind es teilweise schon gewohnt, der Krieg ist eine Todesursache wie Krebs und Tuberkulose, wie Grippe und Ruhr. Die Todesfulle sind nur viel huufiger, verschiedenartiger und grausamer. Unsere Gedanken sind Lehm, sie werden geknetet vom Wechsel der Tage - sie sind gut, wenn wir Ruhe haben, und tot, wenn wir im Feuer liegen. Trichterfelder draußen und drinnen. Alle sind so, nicht wir hier allein - was fruher war, gilt nicht, und man weiß es auch wirklich nicht mehr. Die Unterschiede, die Bildung und Erziehung schufen, sind fast verwischt und kaum noch zu erkennen. Sie geben manchmal Vorteile im Ausnutzen einer Situation; aber sie bringen auch Nachteile mit sich, indem sie Hemmungen wachrufen, die erst uberwunden werden mussen. Es ist, als ob wir fruher einmal Geldstucke verschiedener Lunder gewesen wuren; man hat sie eingeschmolzen, und alle haben jetzt denselben Prugestempel. Will man Unterschiede erkennen, dann muß man schon genau das Material prufen. Wir sind Soldaten und erst sputer auf eine sonderbare und verschumte Weise noch Einzelmenschen. Es ist eine große Bruderschaft, die ein Schimmer von dem Kameradentum der Volkslieder, dem Solidaritutsgefuhl von Struflingen und dem verzweifelten Einanderbeistehen von zum Tode Verurteilten seltsam vereinigt zu einer Stufe von Leben, das mitten in der Gefahr, aus der Anspannung und Verlassenheit des Todes sich abhebt und zu einem fluchtigen Mitnehmen der gewonnenen Stunden wird, auf gunzlich unpathetische Weise. Es ist heroisch und banal, wenn man es werten wollte - doch wer will das? Es ist darin enthalten, wenn Tjaden bei einem gemeldeten feindlichen Angriff in rasender Hast seine Erbsensuppe mit Speck ausluffelt, weil er ja nicht weiß, ob er in einer Smnde noch lebt. Wir haben lange daruber diskutiert, ob es richtig sei oder nicht. Kat verwirft es, weil er sagt, man musse mit einem Bauchschuß rechnen, der bei vollem Magen gefuhrlicher sei als bei leerem. Solche Dinge sind Probleme fur uns, sie sind uns ernst, und es kann auch nicht anders sein. Das Leben hier an der Grenze des Todes hat eine ungeheuer einfache Linie, es beschrunkt sich auf das Notwendigste, alles andere liegt in dumpfem Schlaf; - das ist unsere Primitivitut und unsere Rettung. Wuren wir differenzierter, wir wuren lungst irrsinnig, desertiert oder gefallen. Es ist wie eine Expedition im hohen Eise; - jede Lebensuußerung darf nur der Daseinserhaltung dienen und ist zwangsluufig darauf eingestellt. Alles andere ist verbannt, weil es unnutig Kraft verzehren wurde. Das ist die einzige Art, uns zu retten, und oft sitze ich vor mir selber wie vor einem Fremden, wenn der rutselhafte Widerschein des Fruher in stillen Stunden wie ein matter Spiegel die Umrisse meines jetzigen Daseins außer mich stellt, und ich wundere mich dann daruber, wie das unnennbare Aktive, das sich Leben nennt, sich angepaßt hat selbst an diese Form. Alle anderen uußerungen liegen im Winterschlaf, das Leben ist nur auf einer stundigen Lauer gegen die Bedrohung des Todes, - es hat uns zu denkenden Tieren gemacht, um uns die Waffe des Instinktes zu geben, - es hat uns mit Stumpfheit durchsetzt, damit wir nicht zerbrechen vor dem Grauen, das uns bei klarem, bewußtem Denken uberfallen wurde, - es hat in uns den Kameradschaftssinn geweckt, damit wir dem Abgrund der Verlassenheit entgehen, - es hat uns die Gleichgultigkeit von Wilden verliehen, damit wir trotz allem jeden Moment des Positiven empfinden und als Reserve aufspeichern gegen den Ansturm des Nichts. So leben wir ein geschlossenes, hartes Dasein uußerster Oberfluche, und nur manchmal wirft ein Ereignis Funken. Dann aber schlugt uberraschend eine Flamme schwerer und furchtbarer Sehnsucht durch. Das sind die gefuhrlichen Augenblicke, die uns zeigen, daß die Anpassung doch nur kunstlich ist, daß sie nicht einfach Ruhe ist, sondern schurfste Anspannung zur Ruhe. Wir unterscheiden uns uußerlich in der Lebensform kaum von Buschnegern; aber wuhrend diese stets so sein kunnen, weil sie eben so sind und sich durch Anspannung ihrer Geisteskrufte huchstens fortentwickeln, ist es bei uns umgekehrt: unsere inneren Krufte sind nicht auf Weiter-, sondern auf Zuruckentwicklung angespannt. Jene sind entspannt und selbstverstundlich so, wir sind es uußerst angespannt und kunstlich. Und mit Schrecken empfindet man nachts, aus einem Traum aufwachend, uberwultigt und preisgegeben derBezauberung heranflutender Gesichte, wie dunn der Hak und die Grenze ist, die uns von der Dunkelheit trennt - wir sind kleine Flammen, notdurftig geschutzt durch schwache Wunde vor dem Sturm der Auflusung und der Sinnlosigkeit, in dem wir flackern und manchmal fast ertrinken. Dann wird das gedumpfte Brausen der Schlacht zu einem Ring, der uns einschließt, wir kriechen in uns zusammen und starren mit großen Augen in die Nacht. Trustlich fuhlen wir nun den Schlafatem der Kameraden, und so warten wir auf den Morgen. Jeder Tag und jede Stunde, jede Granate und jeder Tote wetzen an diesem dunnen Halt, und die Jahre verschleißen ihn rasch. Ich sehe, wie er allmuhlich schon um mich herum niederbricht. Da ist die dumme Geschichte mit Detering. Er war einer von denen, die sich sehr fur sich hielten. Sein Ungluck war, daß er in einem Garten einen Kirschbaum sah. Wir kamen gerade von der Front, und dieser Kirschbaum stand in der Nuhe des neuen Quartiers an einer Wegbiegung uberraschend in der Morgendummerung vor uns. Er hatte keine Blutter, aber er war ein einziger weißer Blutenbusch. Abends war Detering nicht zu sehen. Er kam schließlich an und hatte ein paar Zweige mit Kirschbluten in der Hand. Wir machten uns lustig und fragten, ob er auf Brautschau wolle. Er gab keine Antwort, sondern legte sich auf sein Bett. Nachts hurte ich ihn rumoren, er schien zu packen. Ich witterte Unheil und ging zu ihm. Er tat, als wure nichts, und ich sagte ihm: "Mach keinen Unsinn, Detering." "Ach wo - ich kann nur nicht schlafen. "Weshalb hast du denn die Kirschzweige geholt?" "Ich werde doch wohl noch Kirschzweige holen durfen", antwortet er verstockt - und nach einer Weile: "Zu Hause habe ich einen großen Obstgarten mit Kirschen. Wenn die bluhen, sieht das vom Heuboden aus wie ein einziges Bettlaken, so weiß. Es ist jetzt die Zeit." "Vielleicht gibt's bald Urlaub. Es kann auch sein, daß du, als Landwirt, abkommandiert wirst." Er nickt, aber er ist abwesend. Wenn diese Bauern aufgeruhrt sind, haben sie einen sonderbaren Ausdruck, eine Mischung von Kuh und sehnsuchtigem Gott, halb blude und halb hinreißend. Um ihn von seinen Gedanken abzubringen, verlange ich ein Stuck Brot von ihm. Er gibt es mir ohne Einschrunkung. Das ist verduchtig, denn er ist sonst knauserig. Deshalb bleibe ich wach. Es passiert nichts, er ist morgens wie sonst. Wahrscheinlich hat er gemerkt, daß ich ihn beobachtet habe. - Am ubernuchsten Morgen ist er trotzdem fort. Ich sehe es, sage jedoch nichts, um ihm Zeit zu lassen, vielleicht kommt er durch. Nach Holland haben es schon verschiedene Leute geschafft. Beim Appell aber fullt sein Fehlen auf. Nach einer Woche huren wir, daß er gefaßt ist von den Feldgendarmen, diesen verachteten Kommißpolizisten. Er hatte die Richtung nach Deutschland genommen - das war naturlich aussichtslos -, und ebenso naturlich hatte er alles sehr dumm angefangen. Jeder hutte daraus wissen kunnen, daß die Flucht nur Heimweh und momentane Verwirrung war. Doch was begreifen Kriegsgerichtsrute hundert Kilometer hinter der Linie davon? - Wir haben nichts mehr von Detering vernommen. Aber auch auf andere Weise bricht es manchmal heraus, dieses Gefuhrliche, Gestaute - wie aus uberhitzten Dampfkesseln. Da ist auch noch das Ende zu berichten, das Berger fand. Schon lange sind unsere Gruben zerschossen, und wir haben die elastische Front, so daß wir eigentlich keinen richtigen Stellungskrieg mehr fuhren. Wenn Angriff und Gegenangriff hin und her gegangen sind, bleibt eine zerrissene Linie und ein erbitterter Kampf von Trichter zu Trichter. Die vordere Linie ist durchbrochen, und uberall haben sich Gruppen festgesetzt, Trichternester, von denen aus gekumpft wird. Wir sind in einem Trichter, seitlich sitzen Englunder, sie rollen die Flanke auf und gelangen hinter uns. Wir sind umzingelt. Es ist schwierig, sich zu ergeben, Nebel und Rauch schwanken uber uns hin, niemand wurde erkennen, daß wir kapitulieren wollen, vielleicht wollen wir es auch gar nicht, das weiß man selbst nicht in solchen Momenten. Wir huren die Explosionen der Handgranaten herankommen. Unser Maschinengewehr bestreicht den vorderen Halbkreis. Das Kuhlwasser verdampft, wir reichen die Kusten eilig herum, jeder pißt hinein, so haben wir wieder Wasser und kunnen weiterfeuern. Aber hinter uns kracht es immer nuher. In einigen Minuten sind wir verloren. Da rast ein zweites Maschinengewehr auf kurzeste Entfernung los. Es steckt im Trichter neben uns, Berger hat es geholt, und nun setzt ein Gegenangriff von hinten ein, wir kommen frei und finden Verbindung nach ruckwurts. Als wir nachher in einigermaßen guter Deckung sind, erzuhlt einer von den Essenholern, daß ein paar hundert Schritte entfernt ein verwundeter Meldehund liege. "Wo?" fragt Berger. Der andere beschreibt es ihm. Berger geht los, um das Tier zu holen oder es zu erschießen. Noch vor einem halben Jahr hutte er sich nicht darum gekummert, sondern wure vernunftig gewesen. Wir versuchen, ihn zuruckzuhalten. Doch als er ernsthaft geht, kunnen wir nur sagen: "Verruckt!" und ihn laufenlassen. Denn diese Anfulle von Frontkoller werden gefuhrlich, wenn man den Mann nicht gleich zu Boden werfen und festhalten kann. Und Berger ist ein Meter achtzig groß, der kruftigste Mann der Kompanie. Er ist tatsuchlich verruckt, denn er muß durch die Feuerwand; - aber es ist dieser Blitz, der irgendwo uber uns allen lauert, der in ihn eingeschlagen ist und ihn besessen macht. Bei andern ist es so, daß sie zu toben anfangen, daß sie wegrennen, ja einer war da, der sich mit Hunden und Fußen und Mund immerfort in die Erde einzugraben versuchte. Es wird naturlich auch viel simuliert mit solchen Sachen, aber das Simulieren ist ja eigentlich auch schon ein Zeichen. Berger, der den Hund erledigen will, wird mit einem Beckenschuß weggeholt, und einer der Leute, die es tun, kriegt sogar dabei noch eine Gewehrkugel in die Wade. Muller ist tot. Man hat ihm aus nuchster Nuhe eine Leuchtkugel in den Magen geschossen. Er lebte noch eine halbe Stunde bei vollem Verstande und furchtbaren Schmerzen. Bevor er starb, ubergab er mir seine Brieftasche und vermachte mir seine Stiefel - dieselben, die er damals von Kemmerich geerbt hat. Ich trage sie, denn sie passen mir gut. Nach mir wird Tjaden sie bekommen, ich habe sie ihm versprochen. Wir haben Muller zwar begraben kunnen, aber lange wird er wohl nicht ungesturt bleiben. Unsere Linien werden zuruckgenommen. Es gibt druben zu viele frische englische und amerikanische Regimenter. Es gibt zuviel Corned beef und weißes Weizenmehl. Und zuviel neue Geschutze. Zuviel Flugzeuge. Wir aber sind mager und ausgehungert. Unser Essen ist so schlecht und mit so viel Ersatzmitteln gestreckt, daß wir krank davon werden. Die Fabrikbesitzer in Deutschland sind reiche Leute geworden - uns zerschrinnt die Ruhr die Durme. Die Latrinenstangen sind stets dicht gehockt voll; - man sollte den Leuten zu Hause diese grauen, gelben, elenden, ergebenen Gesichter hier zeigen, diese verkrummten Gestalten, denen die Kolik das Blut aus dem Leibe quetscht und die huchstens mit verzerrten, noch schmerzbebenden Lippen sich angrinsen: "Es hat gar keinen Zweck, die Hose wieder hochzuziehen -" Unsere Artillerie ist ausgeschossen - sie hat zuwenig Munition -, und die Rohre sind so ausgeleiert, daß sie unsicher schießen und bis zu uns heruberstreuen. Wir haben zuwenig Pferde. Unsere frischen Truppen sind blutarme, erholungsbedurftige Knaben, die keinen Tornister tragen kunnen, aber zu sterben wissen. Zu Tausenden. Sie verstehen nichts vom Kriege, sie gehen nur vor und lassen sich abschießen. Ein einziger Flieger knallte aus Spaß zwei Kompanien von ihnen weg, ehe sie etwas von Deckung wußten, als sie frisch aus dem Zuge kamen. "Deutschland muß bald leer sein", sagt Kat. Wir sind ohne Hoffnung, daß einmal ein Ende sein kunnte. Wir denken uberhaupt nicht so weit. Man kann einen Schuß bekommen und tot sein; man kann verletzt werden, dann ist das Lazarett die nuchste Station. Ist man nicht amputiert, dann fullt man uber kurz oder lang einem dieser Stabsurzte in die Hunde, die das Kriegsverdienstkreuz im Knopfloch, einem sagen: "Wie, das bißchen verkurzte Bein? An der Front brauchen Sie nicht zu laufen, wenn Sie Mut haben. Der Mann ist k.v. Wegtreten!" Kat erzuhlt eine der Geschichten, die die ganze Front von den Vogesen bis Flandern entlanglaufen, - von dem Stabsarzt, der Namen vorliest auf der Musterung und, wenn der Mann vortritt, ohne aufzusehen, sagt: "K.v. Wirbrauchen Soldaten draußen." Ein Mann mit Holzbein tritt vor, der Stabsarzt sagt wieder: k.v. - "Und da", Kat hebt die Stimme, "sagt der Mann zu ihm: >Ein Holzbein habe ich schon; aber wenn ich jetzt hinausgehe und wenn man mir den Kopf abschießt, dann lasse ich mir einen Holzkopf machen und werde Stabsarzt!<" - Wir sind alle tief befriedigt uber diese Antwort. Es mag gute urzte geben, und viele sind es; doch einmal fullt bei den hundert Untersuchungen jeder Soldat einem dieser zahlreichen Heldengreifer in die Finger, die sich bemuhen, auf ihrer Liste muglichst viele a.v. und g.v. in k.v. zu verwandeln. Es gibt manche solcher Geschichten, sie sind meistens noch viel bitterer. Aber sie haben trotzdem nichts mit Meuterei und Miesmachen zu tun; sie sind ehrlich und nennen die Dinge beim Namen; denn es besteht sehr viel Betrug, Ungerechtigkeit und Gemeinheit beim Kommiß. Ist es nicht viel, daß trotzdem Regiment auf Regiment in den immer aussichtsloser werdenden Kampf geht und daß Angriff auf Angriff erfolgt bei zuruckweichender, zerbruckelnder Linie? Die Tanks sind vom Gesputt zu einer schweren Waffe geworden. Sie kommen, gepanzert, in langer Reihe gerollt und verkurpern uns mehr als anderes das Grauen des Krieges. Die Geschutze, die uns das Trommelfeuer heruberschicken, ] sehen wir nicht, die angreifenden Linien der Gegner sind Menschen wie wir - aber diese Tanks sind Maschinen, ihre Kettenbunder laufen endlos wie der Krieg, sie sind die Vernichtung, wenn sie fuhllos in Trichter hineinrollen und wieder hochklettern, unaufhaltsam, eine Flotte brullender, rauchspeiender Panzer, unverwundbare, Tote und Verwundete zerquetschende Stahltiere - Wir schrumpfen zusammen vor ihnen in unserer dunnen Haut, vor ihrer kolossalen Wucht werden unsere Arme zu Strohhalmen und unsere Handgranaten zu Streichhulzern. Granaten, Gasschwaden und Tankflottillen - Zerstampfen, Zerfressen, Tod. Ruhr, Grippe, Typhus -Wurgen, Verbrennen,Tod. Graben, Lazarett, Massengrab - mehr Muglichkeiten gibt es nicht. Bei einem Angriff fullt unser Kompaniefuhrer Bertinck. Er war einer dieser prachtvollen Frontoffiziere, die in jeder brenzligen Situation vorne sind. Seit zwei Jahren war er bei uns, ohne daß er verwundet wurde, da mußte ja endlich etwas passieren. Wir sitzen in einem Loch und sind eingekreist. Mit den Pulverschwaden weht der Gestank von ul oder Petroleum heruber. Zwei Mann mit einem Flammenwerfer werden entdeckt, einer trugt auf dem Rucken den Kasten, der andere hat in den Hunden den Schlauch, aus dem das Feuer spritzt. Wenn sie so nahe herankommen, daß sie uns erreichen, sind wir erledigt, denn zuruck kunnen wir gerade jetzt nicht. Wir nehmen sie unter Feuer. Doch sie arbeiten sich nuher heran, und es wird schlimm. Bertinck liegt mit uns im Loch. Als er merkt, daß wir nicht treffen, weil wir bei dem scharfen Feuer zu sehr auf Deckung bedacht sein mussen, nimmt er ein Gewehr, kriecht aus dem Loch und zielt, liegend aufgestutzt. Er schießt - im selben Moment schlugt eine Kugel bei ihm klatschend auf, er ist getroffen. Doch er bleibt liegen und zielt weiter - einmal setzt er ab und legt dann aufs neue an; endlich kracht der Schuß. Bertinck lußt das Gewehr fallen, sagt: "Gut", und rutscht zuruck. Der hinterste der beiden Flammenwerfer ist verletzt, er fullt, der Schlauch rutscht dem andern weg, das Feuer spritzt nach allen Seiten, und der Mann brennt. Bertinck hat einen Brustschuß. Nach einer Weile schmettert ihm ein Splitter das Kinn weg. Der gleiche Splitter hat noch die Kraft, Leer die Hufte aufzureißen. Leer stuhnt und stemmt sich auf die Arme, er verblutet rasch, niemand kann ihm helfen. Wie ein leerlaufender Schlauch sackt er nach ein paar Minuten zusammen. Was nutzt es ihm nun, daß er in der Schule ein so guter Mathematiker war. Die Monate rucken weiter. Dieser Sommer 1918 ist der blutigste und der schwerste. Die Tage stehen wie Engel in Gold und Blau unfaßbar uber dem Ring der Vernichtung. Jeder hier weiß, daß wir den Krieg verlieren. Es wird nicht viel daruber gesprochen, wir gehen zuruck, wir werden nicht wieder angreifen kunnen nach dieser großen Offensive, wir haben keine Leute und keine Munition mehr. Doch der Feldzug geht weiter - das Sterben geht weiter - Sommer 1918 - Nie ist uns das Leben in seiner kargen Gestalt so begehrenswert erschienen wie jetzt; - der rote Klatschmohn auf den Wiesen unserer Quartiere, die glatten Kufer an den Grashalmen, die warmen Abende in den halb-dunklen, kuhlen Zimmern, die schwarzen, geheimnisvollen Buume der Dummerung, die Sterne und das Fließen des Wassers, die Truume und der lange Schlaf - o Leben, Leben, Leben! Sommer 1918 - Nie ist schweigend mehr ertragen worden als in dem Augenblick des Aufbruchs zur Front. Die wilden und aufpeitschenden Geruchte von Waffenstillstand und Frieden sind aufgetaucht, sie verwirren die Herzen und machen den Auf bruch schwerer als jemals! Sommer 1918 - Nie ist das Leben vorne bitterer und grauenvoller als in den Stunden des Feuers, wenn die bleichen Gesichter im Schmutz liegen und die Hunde verkrampft sind zu einem einzigen: Nicht! Nicht! Nicht jetzt noch! Nicht jetzt noch im letzten Augenblick! Sommer 1918 - Wind der Hoffnung, der uber die verbrannten Felder streicht, rasendes Fieber der Ungeduld, der Enttuuschung, schmerzlichste Schauer des Todes, unfaßbare Frage: Warum? Warum macht man kein Ende? Und warum flattern diese Geruchte vom Ende auf? Es gibt so viele Flieger hier, und sie sind so sicher, daß sie auf einzelne Leute Jagd machen wie auf Hasen. Auf ein deutsches Flugzeug kommen mindestens funf englische und amerikanische. Auf einen hungrigen, muden deutschen Soldaten im Graben kommen funf kruftige, frische andere im gegnerischen. Auf ein deutsches Kommißbrot kommen funfzig Buchsen Fleischkonserven druben. Wir sind nicht geschlagen, denn wir sind als Soldaten besser und erfahrener; wir sind einfach von der vielfachen ubermacht zerdruckt und zuruckgeschoben. Einige Regenwochen liegen hinter uns - grauer Himmel, graue zerfließende Erde, graues Sterben. Wenn wir hinausfahren, dringt uns bereits die Nusse durch die Muntel und Kleider, - und so bleibt es die Zeit vorne auch. Wir werden nicht trocken. Wer noch Stiefel trugt, bindet sie oben mit Sandsucken zu, damit das Lehmwasser nicht so rasch hineinluuft. Die Gewehre verkrusten, die Uniformen verkrusten, alles ist fließend und aufgelust, eine triefende, feuchte, ulige Masse Erde, in der die gelben Tumpel mit spiralig roten Blutlachen stehen und Tote, Verwundete und uberlebende langsam versinken. Der Sturm peitscht uber uns hin, der Splitterhagel reißt aus dem wirren Grau und Gelb die spitzen Kinderschreie der Getroffenen, und in den Nuchten stuhnt das zerrissene Leben sich muhsam dem Schweigen zu. Unsere Hunde sind Erde, unsere Kurper Lehm und unsere Augen Regentumpel. Wir wissen nicht, ob wir noch leben. Dann sturzt die Hitze wie eine Qualle feucht und schwul in unsere Lucher, und an einem dieser Sputsommertage, beim Essenholen, fullt Kat um. Wir beide sind allein. Ich verbinde seine Wunde; das Schienbein scheint zerschmettert zu sein. Es ist ein Knochenschuß, und Kat stuhnt verzweifelt: "Jetzt noch - gerade jetzt noch -" Ich truste ihn. "Wer weiß, wie lange der Schlamassel noch dauert! Du bist erst mal gerettet -" Die Wunde beginnt heftig durchzubluten. Kat kann nicht allein bleiben, damit ich eine Bahre zu holen versuche. Ich weiß auch nirgendwo eine Sanitutsstation in der Nuhe. Kat ist nicht sehr schwer; deshalb nehme ich ihn auf den Rucken und gehe zuruck mit ihm zum Verbandsplatz. Zweimal machen wir Rast. Er hat starke Schmerzen durch den Transport. Wir sprechen nicht viel. Ich habe den Kragen meiner Jacke aufgemacht und atme heftig, ich schwitze, und mein Gesicht ist gedunsen von der Anstrengung des Tragens. Trotzdem drunge ich, daß wir weitergehen, denn das Terrain ist gefuhrlich. "Geht's wieder, Kat?" "Muß wohl, Paul." "Dann los." Ich richte ihn auf, er steht auf dem unverletzten Bein und hult sich an einem Baum fest. Dann fasse ich vorsichtig das verwundete Bein, er gibt sich einen Ruck, und ich nehme auch das Knie des gesunden Beines unter den Arm. Unser Weg wird schwieriger. Manchmal pfeift eine Granate heran. Ich gehe, so schnell ich vermag, denn das Blut von Kats Wunde tropft zu Boden. Wir kunnen uns nur schlecht schutzen vor den Einschlugen, denn ehe wir Deckung nehmen, sind sie lungst voruber. Um abzuwarten, legen wir uns in einen kleinen Trichter. Ich gebe Kat Tee aus meiner Feldflasche. Wir rauchen eine Zigarette. "Ja, Kat", sage ich trubsinnig, "nun kommen wir doch noch auseinander." Er schweigt und sieht mich an. "Weißt du noch, Kat, wie wir die Gans requirierten? Und wie du mich aus dem Schlamassel holtest, als ich noch ein kleiner Rekrut und zum erstenmal verwundet war? Damals habe ich noch geweint. Kat, es sind fast drei Jahre jetzt." Er nickt. Die Angst vor dem Alleinsein steigt in mir auf. Wenn Kat abtransportiert ist, habe ich keinen Freund mehr hier. "Kat, wir mussen uns auf jeden Fall wiedersehen, wenn wirklich Frieden ist, ehe du zuruckkommst." "Glaubst du, daß ich mit dem Knochen da noch mal k.v. werde?" fragt er bitter. "Du wirst ihn in Ruhe ausheilen. Das Gelenk ist ja in Ordnung. Vielleicht klappt es doch damit." "Gib mir noch eine Zigarette", sagt er. "Vielleicht kunnen wir irgend etwas sputer zusammen machen, Kat." - Ich bin sehr traurig, es ist unmuglich, daß Kat - Kat, mein Freund, Kat mit den Hungeschultern und dem dunnen, weichen Schnurrbart, Kat, den ich kenne auf eine andere Weise als jeden anderen Menschen, Kat, mit dem ich diese Jahre geteilt habe -, es ist unmuglich, daß ich Kat vielleicht nicht wiedersehen soll. "Gib mir deine Adresse fur zu Hause, Kat, auf jeden Fall. Und hier ist meine, ich schreibe sie dir auf." Den Zettel schiebe ich in meine Brusttasche. Wie verlassen ich schon bin, obschon er noch neben mir sitzt. Soll ich mir rasch in den Fuß schießen, um bei ihm bleiben zu kunnen? Kat gurgelt plutzlich und wird grun und gelb. "Wir wollen weiter", stammelt er. Ich springe auf, gluhend, ihm zu helfen, ich nehme ihn hoch und setze mich in Lauf, einen gedehnten, langsamen Dauerlauf, damit sein Bein nicht zu sehr schlenkert. Mein Hals ist trocken, es tanzt mir rot und schwarz vor den Augen, als ich verbissen und ohne Gnade weiterstolpernd, endlich die Sanitutsstation erreiche. Dort breche ich in die Knie, habe aber noch so viel Kraft, nach der Seite umzufallen, wo Kats gesundes Bein ist. Langsam richte ich mich nach einigen Minuten wieder auf. Meine Beine und meine Hunde zittern heftig, ich habe Muhe, meine Feldflasche zu finden, um einen Schluck zu nehmen. Die Lippen beben mir dabei. Aber ich luchele - Kat ist geborgen. Nach einer Weile unterscheide ich den verworrenen Stimmenschwall, der sich in meinem Ohr fungt. "Das huttest du dir sparen kunnen", sagt ein Sanituter. Ich sehe ihn verstundnislos an. Er zeigt auf Kat. "Er ist ja tot." Ich begreife nicht. "Er hat einen Schienbeinschuß", sage ich. Der Sanituter bleibt stehen. "Das auch -" Ich drehe mich um. Meine Augen sind noch immer trube, der Schweiß ist mir jetzt von neuem ausgebrochen, er luuft uber die Lider. Ich wische ihn fort und sehe zu Kat hin. Er liegt still. "Ohnmuchtig", sage ich rasch. Der Sanituter pfeift leise: "Das kenne ich nun doch besser. Er ist tot. Darauf halte ich jede Wette." Ich schuttele den Kopf. "Ausgeschlossen! Vor zehn Minuten noch habe ich mit ihm gesprochen. Er ist ohnmuchtig." Kats Hunde sind warm, ich fasse ihn bei den Schultern, um ihn mit Tee abzureiben. Da fuhle ich meine Finger naß werden. Als ich sie hinter seinem Kopf hervorziehe, sind sie blutig. Der Sanituter pfeift wieder durch die Zuhne: "Siehst du -" Kat hat, ohne daß ich es bemerkt habe, unterwegs einen Splitter in den Kopf bekommen. Nur ein kleines Loch ist da, es muß ein ganz geringer, verirrter Splitter gewesen sein. Aber er hat ausgereicht. Kat ist tot. Ich stehe langsam auf. "Willst du sein Soldbuch und seine Sachen mitnehmen ?" fragt der Gefreite mich. Ich nicke, und er gibt sie mir. Der Sanituter ist verwundert. "Ihr seid doch nicht verwandt?" Nein, wir sind nicht verwandt. Nein, wir sind nicht verwandt. Gehe ich? Habe ich noch Fuße? Ich hebe die Augen, ich lasse sie herumgehen und drehe mich mit ihnen, einen Kreis, einen Kreis, bis ich innehalte. Es ist alles wie sonst. Nur der Landwehrmann Stanislaus Katczinsky ist gestorben. Dann weiß ich nichts mehr. Es ist Herbst. Von den alten Leuten sind nicht mehr viele da. Ich bin der letzte von den sieben Mann aus unserer Klasse hier. Jeder spricht von Frieden und Waffenstillstand. Alle warten. Wenn es wieder eine Enttuuschung wird, dann werden sie zusammenbrechen, die Hoffnungen sind zu stark, sie lassen sich nicht mehr fortschaffen, ohne zu explodieren. Gibt es keinen Frieden, dann gibt es Revolution. Ich habe vierzehn Tage Ruhe, weil ich etwas Gas geschluckt habe. In einem kleinen Garten sitze ich den ganzen Tag in der Sonne. Der Waffenstillstand kommt bald, ich glaube es jetzt auch. Dann werden wir nach Hause fahren. Hier stocken meine Gedanken und sind nicht weiterzubringen. Was mich mit ubermacht hinzieht und erwartet, sind Gefuhle. Es ist Lebensgier, es ist Heimatgefuhl, es ist das Blut, es ist der Rausch der Rettung. Aber es sind keine Ziele. Wuren wir 1916 heimgekommen, wir hutten aus dem Schmerz und der Sturke unserer Erlebnisse einen Sturm entfesselt. Wenn wir jetzt zuruckkehren, sind wir mude, zerfallen, ausgebrannt, wurzellos und ohne Hoffnung. Wir werden uns nicht mehr zurechtfinden kunnen. Man wird uns auch nicht verstehen - denn vor uns wuchst ein Geschlecht, das zwar die Jahre hier gemeinsam mit uns verbrachte, das aber Bett und Beruf hatte und jetzt zuruckgeht in seine alten Positionen, in denen es den Krieg vergessen wird, - und hinter uns wuchst ein Geschlecht, uhnlich uns fruher, das wird uns fremd sein und uns beiseite schieben. Wir sind uberflussig fur uns selbst, wir werden wachsen, einige werden sich anpassen, andere sich fugen, und viele werden ratlos sein; - die Jahre werden zerrinnen, und schließlich werden wir zugrunde gehen. Aber vielleicht ist auch alles dieses, was ich denke, nur Schwermut und Besturzung, die fortstuubt, wenn ich wieder unter den Pappeln stehe und dem Rauschen ihrer Blutter lausche. Es kann nicht sein, daß es fort ist, das Weiche, das unser Blut unruhig machte, das Ungewisse, Besturzende, Kommende, die tausend Gesichter der Zukunft, die Melodie aus Truumen und Buchern, das Rauschen und die Ahnung der Frauen, es kann nicht sein, daß es untergegangen ist in Trommelfeuer, Verzweiflung und Mannschaftsbordells. Die Buume hier leuchten bunt und golden, die Beeren der Ebereschen stehen rot im Laub, Landstraßen laufen weiß auf den Horizont zu, und die Kantinen summen wie Bienenstucke von Friedensgeruchten. Ich stehe auf. Ich bin sehr ruhig. Mugen die Monate und Jahre kommen, sie nehmen mir nichts mehr, sie kunnen mir nichts mehr nehmen. Ich bin so allein und so ohne Erwartung, daß ich ihnen entgegensehen kann ohne Furcht. Das Leben, das mich durch diese Jahre trug, ist noch in meinen Hunden und Augen. Ob ich es uberwunden habe, weiß ich nicht. Aber solange es da ist, wird es sich seinen Weg suchen, mag dieses, das in mir "Ich" sagt, wollen oder nicht. Er fiel im Oktober 1918, an einem Tage, der so ruhig und still war an der ganzen Front, daß der Heeresbericht sich nur auf den Satz beschrunkte, im Westen sei nichts Neues zu melden. Er war vornubergesunken und lag wie schlafend an der Erde. Als man ihn umdrehte, sah man, daß er sich nicht lange gequult haben konnte; - sein Gesicht hatte einen so gefaßten Ausdruck, als wure er beinahe zufrieden damit, daß es so gekommen war. OCR, Spellcheck: Илья Франк, http://franklang.ru (мультиязыковой проект Ильи Франка) Мультиязыковой проект Ильи Франка www.franklang.ru frank@franklang.ru